Überfluss: Audi RS4

Eines meiner Werkzeuge, die ich beim bloggen regelmässig zu Hilfe ziehe, ist der Duden. Überrascht musste ich feststellen, dass unter der Erklärung des Begriffs «Überfluss» der Audi RS4 nicht wenigstens als Beispiel aufgeführt ist. «Der Audi RS4, ein Kombinationskraftwagen mit Leistung und Platz im Überfluss», oder so was ähnliches dürfte ohne Übertreibung dort stehen. Mit Kind und Kegel gemütlich in die Skiferien verreisen? Ein Klacks für den RS4. Alleine den Berg hoch donnern? Gern, jederzeit. Das schwächste Glied in der perfektionistischen RS4-Kette ist zweifelsohne der Fahrer. Und doch gibt es etwas, was er nicht so gut kann…

Dass der Audi RS4 nicht das «nette Mädchen von nebenan» ist, macht er unmissverständlich deutlich. Breite Backen mit angedeuteten Entlüftungen, ovale Endrohre sowie ein Kühlergrill, der am liebsten die Nachbarskatze einsaugen würde, sprechen Bände. Den diabolischen Blick beherrscht Audi mittlerweile aus dem Effeff und wenn es dem Besitzer der Aufpreis wert war, schimmert die Keramik-Bremse hinter den Felgen hervor. Und wenn ein Kombi über diese sündhaft teuren, aber effektiven Stopper verfügt, geht es definitiv nicht mehr in erster Linie um Ladevolumen.

2017 Audi RS4
Mehr «Platz da!» kann ein Kühlergrill fast nicht ausdrücken.

Der Innenraum bringt geballte Audi-Perfektion zum Vorschein. Das beginnt bei den perfekten Sitzen mit schier unendlichen Einstellmöglichkeiten und – Massagefunktion. Ein bisschen Entspannung nach einem heissen Ritt kann schliesslich nicht schaden! Das hübsche Virtual Cockpit und das umfangreiche Infotainmentsystem kennt man, obwohl ich nach wie vor einen Touchscreen zusätzlich zur Bedienung via Dreh-Drücker vermisse. Wie gewohnt berührt man alles gerne und jeder Knopf sowie jedes Rädchen quittieren die vollzogene Einstellung mit einen satten Klicken. Einzige Ausnahme sind die angedeuteten Lüftungslamellen, die sich quer durch das Armaturenbrett ziehen. Anstatt billigstes Plastik wäre da eigentlich Aluminium angesagt.

2017 Audi RS4
Das Heck ist weniger böse. Auch der Sound ist kein Pulsbeschleuniger.

Da sich der RS4 Sperenzchen wie eine krass abfallende Dachlinie verkneift, erfreuen sich auch die Fondpassagiere über sehr gute Platzverhältnisse. Wünschenswert wären allerdings zumindest kleine Seitenwangen, denn sobald es der Fahrer etwas wilder angehen lässt, hält einen bloss noch der Sicherheitsgurt einigermassen an Ort und Stelle! Der kubische Kofferraum ohne störende Radhäuser gefällt mit Ablageflächen sowie einer tiefen Ladekante. Die Heckklappe lässt sich zudem automatisch via Fusstritt öffnen und schliessen, what else?

2017 Audi RS4
Ein echter Sportwagen, getarnt als alltägliches Familienauto.

Mit einem kräftigen, fast schon vibrierenden Sound erwacht der V6-Biturbo zum Leben. Leider bin ich den V8-Vorgänger nie gefahren, weshalb ich mich aufs hier und jetzt konzentriere, anstatt vergangenen Zeiten hinterher zu trauern. Unkompliziert und leichtfüssig setzt sich der RS4 im Comfort-Modus in Bewegung, stürzt sich in das Stadtgewühl von Malaga, wo die Fahrpräsentation stattfand. Mit einer überraschenden Handlichkeit – ohne Allradlenkung wohlgemerkt – lässt sich der Power-Kombi dirigieren. Der Motor schnurrt derweil so leise vor sich hin, dass nur das kleine RS-Logo auf dem Lenkrad daran erinnert, was man eigentlich für eine Maschine unter dem Allerwertesten hat.

2017 Audi RS4
Die Sitze sind erstklassig, die Sitzposition schön tief.

Ganz anders sieht es aus, wenn man die Umgebung wechselt und das Biest im Dynamic-Modus die Sinne schärft. Mit deutlich schwergängigerer Lenkung und einem alles andere als schmeichelnden Fahrwerk ist der Kombi nun bereit, zuzuschlagen. Die Bergstrassen im Hinterland warten. Attacke! Unter wütendem Geröhre prescht der RS4 den Berg hoch, das Getriebe scheint nur eine Devise zu kennen: Den tiefstmöglichen Gang.

2017 Audi RS4
Bis auf das Lüftungsband ist das Interieur extrem hochwertig.

Wie ein Brett liegt das Auto auf der Strasse, nur ist diese nicht topfeben, sondern wellig. Da sich die Dämpfer völlig versteift haben, bringt das aber mehr Unruhe als Stabilität. Ausserdem reagiert das Gas unglaublich bissig. An unübersichtlichen Stellen ist daher Vorsicht geboten. Schnell ist klar: Auf einer Bergstrasse ist der Dynamic-Modus zu viel des Guten. Der RS4 verhält sich wie ein angeleinter Hund, der sein Herrchen mit sich zerrt und sich um jeden Preis der Leine entledigen will.

2017 Audi RS4
Nicht nur im Cockpit, sogar im Head-up-Display wird ein Drehzahlmesser angezeigt!

Zeit für einen Strategie-Wechsel. Im Individual-Modus wird das Auto umkonfiguriert: Lenkung und Motorsound verbleiben auf Dynamic, der Rest wird auf Auto umgestellt. Ausserdem nehme ich das Getriebe im manuellen Modus nun selber in die Hand. Und siehe da, plötzlich verschmelzen Auto und ich zu einer Einheit, in der beide dasselbe wollen.

2017 Audi RS4
Etwas mehr Seitenhalt wäre für die Fond-Passagiere nicht schlecht.

Im Auto-Modus liest das Auto quasi die Strasse und hört auf die Impulse des Fahrers. Gerade, unebene Strecken lassen das Auto nun nicht mehr bockig wirken, doch Lenkeinschlag sorgt für eine Verhärtung der Dämpfer, sodass absolut keine Seitenneigung auftritt. Mittels der manuellen Gangwahl kann ich nun das massige Drehmoment von 600 Nm nutzen, wobei der Motor durchaus gerne dreht, auch jenseits der 6000 Umdrehungen geht ihm keineswegs die Luft aus.

2017 Audi RS4
Der Grund, warum Autos wie der RS4 beliebter als echte Sportwagen sind.

Das absolute Sahnehäubchen am ganzen Auto ist die Hinterachse mit dem elektronischen Sperrdifferential. Man spürt in jeder Kurve, wie es im Heck arbeitet und das Auto um die Kurve gedrückt wird, unterstützt vom hecklastigen Allradantrieb. Dieser sorgt für ein sportliches Handling und gleichzeitig maximale Stabilität. Den RS4 bringt man nicht aus der Ruhe, egal, was man mit ihm anstellt. Selbst ein Rad in der Luft für den Bruchteil einer Sekunde bringt das Auto nicht aus dem Konzept. Ganz grosses Kino. Ich habe selber miterlebt, wie weit der RS4 gehen kann, wenn ein echter Profi am Steuer sitzt – damit bin übrigens nicht ich gemeint.

2017 Audi RS4
Man hat die Wahl aus zahlreichen Farben und Felgen.

Mit dem RS4 bekommt man ein fantastisches Alltagsauto, das auf Knopfdruck zum wilden Sportler mutiert. Einzig der Motorsound ist nicht ganz so wild, selbst aus einem Sechszylinder-Biturbomotor liesse sich mehr herausholen. Viel herausholen lässt sich dafür aus dem Portmonee des Käufers. Denn zum stolzen Grundpreis von 103’000 Franken muss man für viele hübsche Extras noch zusätzlich bezahlen. Auch für fahrdynamische Goodies wie Sportabgas-Anlage oder Sperrdifferential wird man zur Kasse gebeten. Mit rund 125’000 Franken für einen angemessenen RS4 muss daher schon gerechnet werden. Dafür bekommt man einen Performance-Kombi, der eigentlich nur von seinem grossen Bruder zurückschrecken muss: Dem RS6.

2017 Audi RS4
Sein Preis ist hoch, doch sein fahrdynamisches Können ist noch viel höher!

Steckbrief

Marke / ModellAudi RS4
Preis ab96 820 CHF
AntriebBenzin, Allradantrieb
Hubraum / Zylinder2894 ccm / V6
Motoranordnung / MotorkonzeptFrontmotor / Biturbomotor
Getriebe8-Gang Automatikgetriebe
Max. Leistung331 kW bei 5700 - 6700 r/min
Max. Drehmoment600 Nm bei 1900 - 5000 r/min
Beschleu­nigung 0–100 km/h4,1 s
Vmax250 km/h, optional 280 km/h (elektronisch abgeregelt)
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz8,8 l/100 km / 199 g/km / G
Länge / Breite / Höhe4,78 m / 1,87 m / 1,40 m
Leergewicht1790 kg
Koffer­raum­volumen505 - 1510 l

Bilder: Koray Adigüzel

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