Das smarte Auto: Brauchen wir das, wollen wir das?

Das Smartphone ist unser ständiger Begleiter geworden, mit nur wenigen «Klicks» sind wir online und in sozialen Netzwerken unterwegs, informieren uns über das Tagesgeschehen oder suchen nach dem richtigen Weg. Die modernen Autos werden ebenfalls immer smarter; wollen gar soweit gehen, dass das Smartphone im Auto überflüssig wird, weil alles über das Infotainmentsystem integriert wird. Wie smart sind moderne Autos? Wie smart müssen / sollen die Autos noch werden? Und wie sinnvoll ist das Ganze überhaupt? Ein Augenschein.

Die kürzlich getestete C-Klasse von Mercedes hat mir offenbart, was heute aus multimedialer Sicht im Auto State of the Art ist, oder – besser gesagt – sein sollte. Denn die Absurdität des Comand Online getauften Infotainmentsystems von Mercedes beginnt schon beim Preis: Über 4500 (!) Stutz kostet das System, das weder mehr kann, noch leistungsfähiger als ein handelsübliches Smartphone ist. Für dieses Geld kriege ich bei Media Markt wahrscheinlich zwei gekrümmte 4K 3D-Fernseher mit 150 cm Bildschirmdiagonale, aber bei Mercedes kriege ich stattdessen ein 18 cm Display mit mässiger Auflösung. Soviel zum Thema Preis-/Leistungsverhältnis. Kommen wir nun zu den Fähigkeiten von Comand Online:

  • Navigation
  • Radio (Funk, DAB und Web)
  • Audio
  • Bluetooth
  • Sprachsteuerung inkl. Vorlese-Service von SMS und E-Mail
  • TV
  • WLAN-Hotspot
  • App Store
  • Browser
  • Facebook
  • Wetter
  • News
  • Digitale Bedienungsanleitung
  • Fahrzeugeinstellungen

Eine ansehnliche Liste, aber bis auf die zwei letzten Punkte gibt es nichts, was mein iPhone nicht auch könnte. Die wesentlichen Punkte, namentlich Navigation, Audio und Radio sowie Bluetooth erledigt das Comand Online bravourös, ja sogar die Sprachsteuerung und der WLAN-Hotspot funktionieren gut. Der Rest, tja der ist… ein Trauerspiel, sorry. Kein Mensch dieser Welt möchte sein Smartphone mit dem Comand Online abtauschen. Im Web surfen? Der blanke Horror. Facebook? Ein Fiasko, ich kann mich nicht einmal einloggen. Wetter, News? Warum zum Teufel soll ich mich mühsam durch Menüs klicken, wenn mein iPhone sowieso stets griffbereit ist? Und warum um alles in der Welt muss dort ein TV-Tuner installiert sein, wenn während der Fahrt aus Sicherheitsgründen das Bild sowieso ausgeblendet wird? Auch Fabian von Autophorie findet, dass die heutigen Autos alles andere als smart und connected sind.

TV-Tuner
TV auf dem Comand Online. Unnötig, da das Bild während dem Fahren deaktiviert wird.

Mercedes kriegt sein Fett weg, aber es ist nicht nur Mercedes. Alle Premium-Hersteller verkaufen hoffnungslos überteuerte Infotainmentsysteme, die so smart wie das Smartphone sein wollen. Aber das sind sie nicht. Und sie werden es auch nie sein. Dies ist ein Kampf, der von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Die Entwicklung von Autos dauert Jahre, was bedeutet, dass die Autos und ihre dazugehörigen Systeme der schnelllebigen Welt der Smartphones und Tablets ewig hinterherhinken werden. Die Integration von Facebook ins Auto zeigt, wie verzweifelt die Versuche sind, das Smartphone im Auto zu ersetzen. Entweder die Darstellung sieht aus wie das World Wide Web Anfangs der 2000er-Jahre oder das Login schlägt gänzlich fehl. Dabei interessiert es mich als User herzlich wenig, ob meine Two-Step-Authentication dem Infotainmentsystem Probleme bereitet. Ich erwarte ein funktionierendes System, das mit allen Einstellungen klar kommt. Den Autoherstellern muss klar werden, dass sie dem Smartphone nie, ich betone, NIE das Wasser reichen können. Was sollen diese Ansätze, multimediale und soziale Inhalte ins Auto zu bringen, überhaupt für einen Nutzen bringen? Im Auto muss ich fahren! Und selbst wenn ich in der Mutter aller Staus stehe, zücke ich mein Smartphone, um diese Inhalte zu konsumieren. Der Mensch ist eine Kreuzung von Gewohnheits- und Faultier. Er ist sich zu bequem, die Inhalte mühsam übers Infotainmentsystem zu besorgen, da der Alleskönner Smartphone es sowieso besser kann. Der Ansatz, multimediale und soziale Medien sowie Unterhaltung ins Auto zu bringen, ist eine Sackgasse. Niemand braucht das, niemand will das. Ein Rear-Seat-Infotainmentsystem rechtfertigt immerhin einen digitalen TV-Tuner. Mehr muss aber auch das nicht können, schliesslich haben heute schon Dreikäsehochs die neueste Smartphone-Generation im Sack.

Facebook im Auto ist völliger Schwachsinn. Entweder das Login funktioniert nicht, oder die Darstellung sieht himmeltraurig aus.
Facebook im Auto ist völliger Schwachsinn. Entweder das Login funktioniert nicht, oder die Darstellung sieht himmeltraurig aus.

Smarte Autos? Ja, gern, aber nicht so. Ein smartes Auto soll nicht mit dem Smartphone konkurrenzieren, sondern das vereinfachen, wofür ich das Auto schon seit jeher benutze: das Fahren. Eine App, die mir anzeigt, wo es wie viele freie Parkplätze zu welchem Tarif gibt, ist jederzeit willkommen. Auch eine App, welche mir die günstigste Tankstelle in der Umgebung anzeigt, ist begrüssenswert. Sogar der Wetterbericht darf meinetwegen ins Auto, wenn er ans Navigationssystem gekoppelt ist, das Navi mich also informiert, welches Wetter ich am Zielort vorfinden werde. Das momentan aufkommende Mirroring, also die Spiegelung des Smartphones in das Infotainmentsystem, ist ebenfalls ein sinnvoller Ansatz. Dann kann ich nämlich Apps auf dem Smartphone, die mich während dem Fahren unterstützen oder Media-Apps über das Infotainmentsystem steuern. Insbesondere Kleinwagen, wo der Kostendruck hoch ist, nutzen dies teilweise schon heute, wo beispielsweise kein Navi installiert wird, sondern eine App auf dem Smartphone heruntergeladen werden kann und die Navigation dann aber über das Infotainmentsystem funktioniert. Outsourcing im Auto, das funktioniert tadellos. Ein Smartphone hat heute schliesslich praktisch jeder.

MirrorLink
Via Mirroring wird das Smartphone ins Auto gespiegelt und dessen Apps können im Auto genutzt werden. (Bild: Volkswagen)

Ein Hit auf der derzeitigen CES in Las Vegas sind Gestensteuerungen im Auto. Ich weiss noch nicht so recht, ob dies beim Fahren sinnvoller ist als eine herkömmliche Bedienung via Touchscreen. Die Gesten müssen auf jeden Fall simpel sein und vom System auf Anhieb verstanden werden. Es ist wichtig, dass die Gesten sofort und fehlerfrei erkannt werden, ansonsten werden sie nicht genutzt. Dies ist nämlich ein Grund, warum ich Sprachbedienungssysteme von Autos nicht nutze: Sie reagieren zu träge und verstehen mich nicht gut, was zur Folge hat, dass sie mehr nerven, als dass sie nutzen – jene von Mercedes ist die Einzige, die zufriedenstellend arbeitet.

Jaguar / Land Rover arbeiten derzeit an transparenten Motorhauben und Ghost Cars. Die transparente Motorhaube funktioniert so, indem auf die gesamte Windschutzscheibe das projiziert wird, was durch die Motorhaube verdeckt wird. Insbesondere bei Land Rovern, die ins Gelände gehen, eine enorme Erleichterung. Das Ghost Car kennen sicher all jene, die schon einmal Racing Games gespielt haben und man gegen die Zeit, resp. gegen sich selber gefahren ist. Nach einer absolvierten Runde fährt ein Ghost mit, der zeigt, wie man die letzte Runde absolviert hat. Der Ghost von Jaguar wird auf die Windschutzscheibe projiziert und soll den Eindruck erwecken, als sei er nahtlos in den fliessenden Verkehr integriert. Der Ghost würde die Navigation enorm erleichtern, indem der Fahrer ihm einfach folgen muss. Wann diese Funktionen in Serie kommen, kann Jaguar / Land Rover noch nicht sagen. Aber es sind solche Techniken, die für mich in die richtige Richtung gehen. Das Fahren selber soll smart werden.

Ghost Car
Das Ghost Car führt einem durch die Stadt und erleichtert die Navigation. (Bild: Jaguar)

Ich habe das Gefühl, die Hersteller müssen erst noch zu sich finden, um überhaupt herauszufinden, was wirklich brauchbar, was nur hübsch und was völlig unsinnig ist. Die Gestensteuerung steckt in den Kinderschuhen, wer weiss, wann sie in Serie kommt und wie sich sich in der Praxis schlägt. Es gilt, das Fahren zu vereinfachen und fürs Fahren brauchbare Apps zu entwickeln oder via Smartphone ins Auto zu spiegeln. Multimedia hat allenfalls bei einem Rear-Seat-Entertainment eine Daseinsberechtigung, aber auch da stellt sich bei mir die Frage, inwiefern es so etwas in Zeiten von Tablets noch braucht. Die Integration von Multimedia ins Auto (dann aber bitte eine gelungene Integration) ist erst dann sinnvoll, wenn das komplett autonome Auto strassentauglich ist. Die automobile Zukunft wird nicht nur immer leiser und sauberer, sondern auch smart – hoffentlich richtig smart.

4 thoughts on “Das smarte Auto: Brauchen wir das, wollen wir das?”

  1. Haha, nett. Finde ich gut, dass du es aufgreifst. Die Hersteller sind im Marketing einfach verdammt gut, sodass der Durchschnitts-Typ glaubt “echt geilen Scheiß zu kaufen”.
    Nur von der Technik ist eben nicht viel dabei.

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  2. “Brauchen” tut das niemand … falls es überhaupt einmal 100% (!) einwandfrei funktionieren sollte. Das sind alles eh nur potentielle Fehlerquellen und wenn man dann nach (allerallerspätestens) 5-10 Jahren daran etwas austauschen muss, daran scheinen die Hersteller ja nicht im geringsten zu denken, dann kann man sich für den Preis eines Ersatz gleich einen Neuwagen kaufen.

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