Fiat Tipo: Wie geil ist Geiz?

Fiat-Strategiesitzung: «Wir wollen in die hart umkämpfte Kompaktklasse zurückkehren. Wie sollen wir uns von der Konkurrenz abheben? Welches Konzept funktioniert erfolgreich?» Irgendwann muss ein Verantwortlicher an Dacia gedacht haben. Die Idee, günstige und einfach gehaltene Autos anzubieten, geht auf, wie man sieht. Warum soll man das nicht in der Kompaktklasse versuchen? Den Kunden über den Preis abzuholen. Jetzt ist der Tipo da, ein 4,37 Meter langes Kompaktauto, welches zum Preis eines teureren Kleinwagens angeboten wird. Geht die Idee auch für Fiat auf? Wo hat das Auto seinen Haken?

Am Design soll’s jedenfalls nicht scheitern. Sein unauffälliges, aber gelungenes Design mit geschwungenen Formen und einer feinen Portion Chrom strömt italienisches Flair aus. Der Kühlergrill erinnert gar an den Diamant-Grill von Mercedes und auch die Felgen wirken weder billig, noch langweilig. Das irgendwo gespart werden musste, erkennt man daran, dass abgesehen vom Tagfahrlicht kein LED-Licht zum Einsatz kommt. Auch über die teils ungleichmässigen Spaltmasse sollte man grosszügig hinwegsehen.

Fiat Tipo
Das Design ist unauffällig, aber chic. Billig sieht der Tipo nicht aus.

Innen ist der Tipo jedoch weniger chic, denn was nicht mit Leder ausgestattet ist, besteht aus Kunststoff. Während das Armaturenbrett mit der geschwungenen Form und dem weicheren Kunststoff noch recht hochwertig wirkt, bestehen Türverkleidungen und Mittelkonsole aus Hartplastik. Aufgefallen ist mir zudem bei der Mittelkonsole, dass sie leicht nachgibt, wenn man sich mit dem rechten Knie daran abstützt. Gute Verarbeitung sieht anders aus, aber immerhin entstehen während der Fahrt keine störenden Geräusche, da nichts knarrt oder klappert.

Fiat Tipo
Das Armaturenbrett wirkt noch ganz okay, aber die Mittelkonsole ist total billig und hat Spiel.

Doch es ist bei weitem nicht alles schlecht. So sind die optionalen Ledersitze bequem und die Ergonomie stimmt, was bei Fiat ebenfalls keine Selbstverständlichkeit ist. Die Platzverhältnisse sind ganz gut, vor allem der Kofferraum bietet üppiges Volumen. Das eigentliche Highlight ist aber das Infotainmentsystem. Das Navi verfügt über eine vorbildliche Adresssuche, indem einfach drauflos getippt werden kann. Die Reaktionszeit ist erfreulich kurz und die Auflösung gestochen scharf.

Fiat Tipo
Keine Selbstverständlichkeit bei Fiat: Bequeme Sitze und stimmige Ergonomie.

Via Smartphone-App Uconnect Live lassen sich Online-Dienste und Live-Verkehrsinfo ins Auto holen, zudem wird auch die geschätzte Siri über Bluetooth ins Auto eingebunden. Warum Apple CarPlay als Ganzes nicht unterstützt wird, darf wohl unter italienischer Nachlässigkeit abgeschrieben werden, dennoch ist das Multimediasystem das Highlight vom Tipo.

Fiat Tipo
Hübsche Details machen den Tipo zu dem, was er ist: Ein Italiener mit Stil.

Wenig überraschendes offenbart sich beim Fahren. Der Turbobenziner wird von einem kurz gestuften 6-Gang Getriebe in Schwung gehalten, dennoch gibt es ein spürbares Turboloch zu überwinden. Danach wird der Italiener aber durchaus lebendig und dreht munter hoch. Die Schaltung selber ist sehr leichtgängig, aber präzise. Mit dem kugelrunden, optimal platzierten Schalthebel würde dieses Getriebe mit mehr Widerstand beim Schalten sogar in einen Sportwagen passen.

Fiat Tipo
Der Kofferraum ist für einen Kompaktwagen geräumig.

Von einem Sportwagen ist der Tipo natürlich weit entfernt, aber wer es nicht allzu wild treibt, kann mit dem ausgewogenen Fahrwerk und dem gar nicht so strengen ESP ohne weiteres zügig unterwegs sein. Von der Lenkung darf aber nicht allzu viel erwartet werden, denn das Lenkgefühl wirkt künstlich und die Rückmeldung lässt zu wünschen übrig.

Fiat Tipo
Ist das Turboloch überwunden, wird der Tipo zu einem lebendigen Auto.

Auf der Autobahn werden die Windgeräusche oberhalb von Tempo 100 recht deutlich, was wiederum darauf schliessen lässt, dass die eine oder andere Dämmung aus Kostengründen weggefallen ist. Auch der Motor ist gut zu hören, denn aufgrund der kurzen Getriebeabstufung dreht das Aggregat bei Tempo 130 bei rund 3300 Touren. Erstaunlich ist dafür, dass ein adaptiver Tempomat angeboten wird. Wie gut der funktioniert, konnte ich leider nicht testen, da dieser Assistent dem Testwagen vorenthalten war. An Bord war dafür ein Notbremsassistent, der sich während dem Test keinen Fehlalarm leistete.

Fiat Tipo
Nebst dem Hatchback werden auch noch ein Kombi und eine Limousine angeboten.

Die Alarmglocken müssen angesichts des tiefen Preises jedenfalls nicht schrillen. Der Tipo ist durch und durch ein solides Auto, das dem Anspruch, einen komfortabel von A nach B zu bringen, gerecht wird. Billig sind nur das plastik-lastige Interieur und die instabile Mittelkonsole, wobei man sagen muss, dass während der Fahrt keine störenden Geräusche entstehen. Wer auf mehr Platz besteht, dem bieten die Italiener zudem eine Kombi-Version an. Wer auf überbordenden Hightech verzichten kann, sollte sich den Tipo vielleicht mal genauer ansehen. Für rund 25’000 Franken bekommt man nämlich praktisch eine Vollausstattung mit Top-Motorisierung. Damit ist der Tipo konkurrenzlos günstig. Böse Überraschungen bleiben trotz Schleuderpreis aus. Geil ist der Geiz beim Tipo vielleicht nicht, denn ein Pulsbeschleuniger sieht anders aus. Aber falsch ist er definitiv auch nicht.

Fiat Tipo
Geiz lohnt sich: Für sein Geld bietet der Tipo viel Auto und ein solides Fahrverhalten. Nur die Verarbeitung ist schlecht.

Alltag 4 out of 5 stars

Der Tipo bietet gute Platzverhältnisse für einen Kompaktwagen. Er ist zudem recht übersichtlich und trotz hohem NEFZ-Verbrauch im Alltag nicht zu durstig.

Fahrdynamik 3 out of 5 stars

Nachdem das Turboloch überwunden ist, zieht der Motor gut durch, die Schaltung ist leichtgängig, aber sehr präzise. Das Fahrwerk ist auf der komfortablen Seite und der Lenkung fehlt es deutlich an Rückmeldung.

Umwelt 3.5 out of 5 stars

Sechs Liter nach NEFZ sind heutzutage für einen eher schwachen Kompakten ein schlechter Wert. Immerhin ist der Realverbrauch von 7,5 l/100 km gerade noch so akzeptabel. Auf der Autobahn ist die Drehzahl aufgrund des kurz gestuften Getriebes zu hoch.

Ausstrahlung 4 out of 5 stars

Trotz Schleuderpreis sieht der Tipo ganz anständig aus. Er ist dezent, bringt aber trotzdem etwas italienisches Flair mit und wirkt weniger bieder, als man es erwarten würde.

Fazit 3.5 out of 5 stars

+ Trotz sehr tiefem Preis gefälliges Design
+ Bequeme Sitze, passende Ergonomie
+ Gute Platzverhältnisse, grosser Kofferraum
+ Handlich und übersichtlich
+ Intuitives Mediasystem mit Online-Diensten und Siri-Integration (leider kein Apple CarPlay)
+ Komfortables Fahrverhalten
+ Präzises Getriebe
+ Sehr tiefer Preis

– Teils schlechte Verarbeitungsqualität
– Viel billiger Plastik im Innenraum
– Deutliche Windgeräusche auf der Autobahn
– Indirekte Lenkung

Mängel am Testwagen

– Keine Mängel

Steckbrief

Marke / ModellFiat Tipo 5-Türer
Preis Basismodell / Testwagen16 990 CHF / 25 090 CHF
AntriebBenzin, Frontantrieb
Hubraum / Zylinder1368 ccm / R4
Motoranordnung / MotorkonzeptFrontmotor / Turbomotor
Getriebe6-Gang manuell
Max. Leistung88 kW bei 5000 r/min
Max. Drehmoment215 Nm bei 2500 r/min
Beschleunigung 0 - 100 km/h9,6 s
Vmax200 km/h
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz6,0 l/100 km / 139 g/km / E
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz7,5 l/100 km / 174 g/km / +25%
Länge / Breite / Höhe4,37 m / 1,79 m / 1,50 m
Leergewicht1385 kg
Kofferraumvolumen440 l

Bilder: auto-illustrierte

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