Strassenkrieger: Honda Civic Type R

Er ist wieder da. Und er hat zurückgeschlagen. Tatort: Nürburgring Nordschleife. Tatzeit: 24. April 2017 Tatverdächtiger: Ein Vorserienmodell des Honda Civic Type R der zehnten Generation. Mit einer Zeit von 7:43:80 ist er rund sieben Sekunden schneller als der Vorgänger und – viel wichtiger – vier Sekunden schneller als der VW Golf GTI Clubsport S, der dem bösen Civic den Rekord zwischenzeitlich streitig gemacht hatte. Mit einer Optik wie ein Strassenkrieger meldet sich der Civic zurück und die Frage aller Fragen lautet: Verspricht die brachiale Optik ein ebenso brachiales Fahrverhalten auf und abseits der Rennstrecke?

Die Antwort: In erster Linie ist das Fahrwerk viel komfortabler geworden. Ausserdem wurde der Innenraum hochwertiger und geräumiger; die Sitze hinsichtlich des Langstreckenkomforts optimiert. Ein digitales Cockpit und ein neues Infotainmentsystem mit Smartphone-Integration runden die Komfort-Neuerungen ab. Nicht fehlen dürfen ausserdem Assistenzsysteme wie Abstandstempomat, mitlenkender Spurhalteassistent, Tot-Winkel-Warner und Notbremsassistent. Und die Type R Fangemeinde denkt sich jetzt: Whaaat? 😦

2017 Honda Civic Type R
Die knallroten Sitze schmeicheln nicht nur dem Auge, sondern auch dem Rücken. Die Sitzposition ist endlich angenehm tief.

Aber keine Sorge! Das sind halt heutzutage Neuerungen, die dazugehören und das eine oder andere Feature weiss man auch zu schätzen. Man kann schliesslich nicht immer Vollgas geben! Doch alleine die Tatsache, dass der Type R stets im Sport Modus startet, sollte genügend über seinen Charakter aussagen. Auch der Fakt, dass der Normverbrauch um 0,4 Liter höher liegt als beim Vorgänger, zeigt, wo bei diesem Auto die Prioritäten liegen – nämlich an der richtigen Stelle. Wem das immer noch nicht reicht, der sollte einfach den Motor starten, anfahren und vom ersten in den zweiten Gang schalten. Spätestens dann wird man das Auto ganz fest mögen.

2017 Honda Civic Type R
Sozusagen der USP vom Type R: So ein geiles Getriebe will oder kann ausser Honda fast niemand.

Es gibt den Type R – der in den Augen der Entwickler ein Fahrerauto ist – ausschliesslich mit Handschaltung. Und das ist gut so, denn das Bedienen des Alu-Schaltknaufs ist definitiv eines der Highlights des Autos. Unglaublich präzise, extrem kompakt mit kürzesten Schaltwegen und mit sanftem Einrasten des Ganges – hier ist Schalten nicht arbeiten, sondern pures Vergnügen.

2017 Honda Civic Type R
Die Finnen am Dach bündeln den Luftstrom, damit die Wirkung des Spoilers verstärkt wird.

Man kann den Type R richtig hart rannehmen und das Auto jammert nicht, sondern geniesst die Tortur. Schon im ersten Gang bringt er die Kraft fast reibungslos auf die Strasse, ab dem zweiten Gang geht es rasend schnell vorwärts. Wir sind auf der Rennstrecke, können massiv Gas geben und am Ende der Zielgeraden bei über 200 Sachen hart anbremsen. Der Honda bleibt stabil, lenkt willig ein und bleibt auch beim starken Rausbeschleunigen aus der Kurve neutral, Sperrdifferential sei Dank.

2017 Honda Civic Type R
Das mittlere Rohr saugt bei hohen Drehzahlen Luft ein und soll störende Frequenzen minimieren. Trotzdem ist der Sound mager.

Das Vertrauen ins Auto ist sofort da, der Grenzbereich ist sehr weit oben und das Verhalten stets narrensicher. Die Vorderreifen finden das Heizen um die Strecke wahrscheinlich weniger lustig, in engen Kurven fliegt gerne mal etwas Gummi davon. Doch dem Type R ist das herzlich egal. Unter wütendem Fauchen stürmt er unaufhaltsam um die Strecke, die Gänge sind dank automatischem Zwischengas innert Sekundenbruchteilen gewechselt und die Bremsen lassen sich auch durch mehrere harte Runden am Stück nicht beeindrucken. Im Civic Type R braucht es einen sehr guten Fahrer, damit die Grenze des Autos vor jener des Fahrers erreicht ist.

2017 Honda Civic Type R
Eine Front zum Fürchten.

Auf der Autobahn ist ein Ende ebenfalls lange nicht in Sicht. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 272 (!) km/h sticht der Japaner mal so nebenbei die ganzen Premium-Karren aus, die bei 250 abgeregelt sind. Die Optik wirkt zwar extrem und man muss sie mögen, aber sie erfüllt ihren Zweck. Der Civic ist nicht nur windschlüpfrig, er erzeugt auch eine Menge Downforce und das spürt man. Je schneller man fährt, umso mehr wird der Honda förmlich auf die Strasse gepresst, was ihm auch bei sehr hohem Tempo eine grandiose Stabilität verleiht. Der Vorwärtsdrang wird erst ab 250 km/h zäh. Bei meiner Ausfahrt habe ich 266 km/h erreicht, mehr lag aufgrund des Verkehrs nicht drin. Und wenn man sich nochmal in Erinnerung ruft, dass man in einem verdammten Kompaktwagen fährt, dann ist dieses Tempo eine beachtliche Leistung.

2017 Honda Civic Type R
Man kann ihn drehen und wenden, wie man will: Er schaut einfach aus keiner Perspektive brav aus!

Obwohl der Type R ein Hardcore-Sportler ist, ist er erstaunlicherweise auch noch praktisch! Man geniesst auch auf der Rückbank viel Beinfreiheit, der Kofferraum glänzt mit einem Volumen von 420 Liter. Pilot und Co-Pilit sitzen auf bequemen Schalensitzen, die auch nach vielen Stunden nicht anfangen zu zwicken. Nicht über alle Zweifel erhaben ist das Infotainmentsystem, das sich zwar mit allen Smartphones versteht, aber nicht immer die schnellste Reaktionszeit aufweist. Ausserdem ist die Menuführung nicht immer logisch, mache Punkte sucht man ziemlich lange, bis man findet, wonach man sucht.

2017 Honda Civic Type R
Kein anderer Kompaktsportler mit Frontantrieb kann mit dem Type R mithalten.

Ich gebe offen zu, dass der Civic Type R mein Traumauto ist und er, wenn ich diesen Blog nicht führen würde, bald bei mir zu Hause stehen würde. Doch es gibt etwas, das mein Herz beinahe bluten lässt: Der Sound. Was der starke Zweiliter an Klang generiert, ist wirklich enttäuschend. Ein Fauchen bei hohen Drehzahlen, mehr bringt das Triebwerk nicht zustande. Selbst das sehr präsente Zischen des Turboladers des Vorgängers ist im Neuen kaum noch zu hören. Meine erste Amtshandlung wäre es daher, eine neue Auspuffanlage zu installieren.

2017 Honda Civic Type R
Das Cockpit ist nun viel weniger verschachtelt.

Ansonsten gibt es nichts zu bemängeln, erst recht nicht, wenn man den Preis betrachtet. Ab September geht’s für 37’300 Franken los, doch wenn man das Bodykit an gewissen Stellen anfasst und etwas daran rüttelt, erkennt man, dass halt irgendwo gespart werden musste. Das gilt aber nicht für Interieur und schon gar nicht fürs Fahrverhalten. Der Honda Civic Type R zeigt nicht nur mit seinem Design Charakter, sondern auch mit der Konsequenz, mit der er seine Aufgaben durchzieht. Honda Schweiz wird ausserdem für Kunden, die ab und zu auf die Rennstrecke wollen, 18″ Semis von Yokohama anbieten. Wie sich der japanische Heisssporn auf Schweizer Bergstrassen schlägt, wird er im intensiven Test im nächsten Frühjahr beweisen müssen. Man sieht sich schliesslich immer ein zweites Mal im Leben…

Steckbrief

Marke / ModellHonda Civic Type R
Preis ab37 300 CHF
AntriebBenzin, Frontantrieb
Hubraum / Zylinder1996 ccm / R4
Motoranordnung / MotorkonzeptFrontmotor / Turbomotor
Getriebe6-Gang manuell
Max. Leistung235 kW bei 6500 r/min
Max. Drehmoment400 Nm bei 2500 bis 4500 r/min
Beschleu­nigung 0–100 km/h5,7 s
Vmax272 km/h
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz7,7 l/100 km / 176 g/km / G
Länge / Breite / Höhe4,56 m / 1,88 m / 1,43 m
Leergewicht1380 kg
Koffer­raum­volumen420 - 1209 l

Bilder: Koray Adigüzel (21), Honda (3)

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