Mit dem Seat Ibiza Ibiza unsicher machen

Ende Oktober nochmals für zwei Tage ans Mittelmeer fliegen? Aber klar doch! Seat präsentiert den erneut gelifteten Ibiza auf Ibiza – quasi ein Heimspiel für den Spanier. Obwohl ich noch nie selber einen Ibiza gefahren bin, kenne ich das Auto mehr als gut genug, denn mein bester Kollege André fährt einen 2010er Ibiza FR mit 110 kW. Logisch also, dass ich auf der Insel ebenfalls den FR wähle, der aber im Gegensatz zu dem von André mit manuellem Getriebe ausgestattet ist. Sei’s drum. Ich kann es kaum erwarten, Auto und Insel zu erkunden.

Kurzer Aussencheck. Facelift Nummer 2 von Facelift Nummer 1 unterscheiden? Keine Chance. Mein Testauto sieht aussen genau gleich aus, wie das erste Facelift. Offensichtlich vertraut Seat nach wie vor auf das mittlerweile sieben Jahre alte Design. Einzige Unterschiede zum Facelift Nummer 1 sind LED-Tagfahrlicht bei den Halogenscheinwerfern, sowie neue Aussenfarben, Felgen und Farb-Pakete. Mein Testwagen ist aber mit den Xenon-Scheinwerfern sowie Schwarz in Schwarz ausgestattet. Neu ist an diesem Auto aussen absolut gar nichts. Ich persönlich finde das schade. Wenn ich ein neues Auto kaufe, möchte ich, dass es auch als neu erkannt wird. André freut es dafür umso mehr. Der fährt die erste Generation und hat überhaupt nicht das Gefühl, dass sein Auto mittlerweile zum Alteisen gehört.

Seat Ibiza auf Ibiza
Neu und doch ganz der Alte: Am Design hat Seat nichts verändert.

Leider gilt bei Seat: Wo FR (Formula Racing) drauf steht, ist nicht zwingend FR drin. Der 110 kW FR von André zieht bei Bedarf kräftig durch, aber mein Testwagen versucht nicht mal ansatzweise zu verbergen, dass unter seiner Haube nur ein Dreizylinder vor sich hin schnurrt. Von Laufruhe kann man beim neuen Aggregat wahrlich nicht sprechen, doch auf dem Papier protzt der kleine 1,0-Liter Turbobenziner mit seinen Werten: 81 kW und 200 Nm bei nur 4,3 l/100 km. Doch bevor das scheinbar muntere Triebwerk ausgiebig getestet werden kann, muss erst einmal die Federung zeigen, was sie kann.

Seat Ibiza auf Ibiza
Man in Black.

Ich glaube, die Spanier leiden unter einem Temposchwellen-Fetisch. Jede Strasse, die keine Hauptstrasse ist, scheint damit ausgerüstet zu sein. Witzig finde ich, wie kreativ sie dabei vorgehen: Manchmal warnt ein Schild vor ihnen, manchmal nicht. Einige machen mit Haifischzähnen auf sich aufmerksam, andere durch Pflastersteine. Aber das Beste kommt noch: Sie sind unterschiedlich gebaut. Die erste Schwelle auf der Zufahrtsstrasse zum Hotel überfahre ich ganz easy mit 40 km/h. Wenig beeindruckt federt der Ibiza sie weg. Etwa 300 Meter weiter, nächste Schwelle. Sie sieht nicht anders aus als die erste, weshalb ich es bei den 40 km/h belasse. Böses Fehler. Rumms! Das Fahrwerk schlägt voll durch, ein gewaltiger Schlag geht durch das ganze Auto. Sorry, Ibiza… Doofe Insel! Dieser Schlag ist mir eine Lehre gewesen. Ab sofort bin ich jeweils panisch auf die Bremse gestiegen, sobald eine feindliche Temposchwelle am Horizont erschienen ist – etwa so, wie wenn ich hierzulande einen Radar entdeckt habe.

Seat Ibiza auf Ibiza
Die grosse Heckscheibe ermöglicht eine gute Rundumsicht.

Auf der Hauptstrasse bin ich Gott sei Dank sicher von diesen Temposchwellen. Die Strassen in Ibiza sind meistens in einem sehr guten Zustand, durchaus vergleichbar mit der Schweiz. Schnell fällt mir auf, dass mein Ibiza besser federt, als der 2010er von André. Er federt leiser und geschmeidiger, was wohl daran liegt, dass der neue Ibiza optional mit einem adaptiven Fahrwerk ausgerüstet ist. In der Komfortstellung wird der Fahrkomfort dadurch spürbar erhöht. Mittlerweile habe ich das Hotel und das schmucke Städtchen Santa Eulalia del Río hinter mir gelassen. Es ist beeindruckend, wie schnell man auf Ibiza von der Stadt in der Einöde landet. Ich fahre auf einer engen, geschwungenen Landstrasse und rundherum ist einfach: nichts. Nur trockenes Gras und herumliegende Äste, soweit das Auge reicht.

Seat Ibiza auf Ibiza
Apropos Rundumsicht…

Auf einmal fahre ich in einen kleinen Wald hinein, das Tempolimit wird drastisch von 90 km/h auf 40 km/h reduziert. Aber ich möchte das Handling testen, deshalb schalte ich von Comfort auf Sport um. Der Ibiza strafft sich spürbar, auch der Lenkwiderstand wird leicht erhöht. Ich durchfahre die erste Kurve, dann die Zweite und zwar mit 80, statt den erlaubten 40 km/h, doch der Ibiza verhält sich schön neutral, neigt sich kaum in die Kurve. Schliesslich erscheint eine leichte Steigung, ich bin immer noch im tiefsten Wald. Ich erwarte eine langgezogene Kurve am Ende der Steigung und was sehe ich stattdessen? Einen Kreisverkehr! So schnell geht es auf Ibiza. Jenseits der Ortsgrenzen hat man sofort das Gefühl von unberührter Landschaft, während man umgekehrt genauso schnell aus der Prärie wieder in das nächste Dorf rauscht. Dabei habe ich mich doch noch nicht einmal richtig warm gefahren…

Seat Ibiza auf Ibiza
Coole Instrumente. Der Audi A1 lässt grüssen.

Ich lasse den Sport Modus jedoch drin, man weiss ja nie. Die gestraffte Lenkung fühlt sich besser und verbindlicher an, das härtere Fahrwerk erinnert nun deutlich an jenes des 2010er Ibizas, rumpelt aber weniger. Nicht, dass ich den alten Ibiza als unbequem oder gar hart beurteilen würde. Aber es wertet das Auto deutlich auf, wenn man von Sport auf Comfort umstellen kann. Das Navi weist mich indes an, die Hauptstrasse zu verlassen, und mit Entsetzen stelle ich fest, dass ich in einer 30er Zone mit unzähligen Temposchwellen gelandet bin! Ich taste mich mit knapp 30 km/h an die Erste heran und… naja, das Auto federt recht trocken darüber. Ah ja, ich bin ja immer noch im Sport Modus! Schnell zurück in Comfort und die nächste Schwelle in Angriff nehmen. Ah, schon viel besser. Ich habe nun verstanden, wie es sich am Besten auf Ibiza fährt: Ausserorts mit dem Sport Modus, innerorts mit dem Comfort Modus.

Seat Ibiza auf Ibiza
Achtung, Neuerungen! Farbige Akzente im Innenraum sowie ein modernes Infotainmentsystem mit Smartphone-Spiegelung.

Gewohnt abrupt endet das Dorf und ich bin wieder draussen in der Landschaft. Die Strasse ist breit und übersichtlich, Tempo 100 liegt angesichts der langgezogenen Kurven, die der Ibiza mühelos durchfährt, locker drin. Doch in einer einzigen Kurve ändern sich die Umstände plötzlich, die Breite wird etwa halbiert und die Strasse steigt sehr stark an. Komisch: Das Tempolimit bleibt unverändert bei 90 km/h, was sogar mir sehr hoch erscheint. Ich möchte die verlassene Bergstrasse (es herrscht ausserorts in Ibiza erstaunlich wenig Verkehr) natürlich nutzen, um den Ibiza an seine Grenzen zu bringen. Die ist leider schneller erreicht, als mir lieb ist. Die Kurven sind so eng, dass der Ibiza im zweiten Gang deutlich unter 2000 Umdrehungen und somit in ein ausgeprägtes Turboloch fällt. Erst bei über 2000 Umdrehungen zieht das Motörchen ordentlich durch, doch leider ist Ausdauer nicht seine Stärke. Bereits bei 5000 Umdrehungen geht dem Ibiza die Luft aus, er wirkt gequält, wenn ich ihn auf über 6000 Umdrehungen jage. Sorry, mein Junge, aber da musst du durch.

Seat Ibiza auf Ibiza
Der Haltebügel am Dach ist dafür verschwunden…

Ausdrehen bringt also nichts, aber das Turboloch kann umgangen werden. Bei der nächsten Haarnadelkurve schalte ich darum in den ersten Gang, um kräftig heraus beschleunigen zu können. Allerdings habe ich die Rechnung ohne das ESP gemacht, welches meine Idee vom ersten Gang alles andere als lustig findet und den Ibiza deshalb rigoros einbremst. Okay, es muss also die harte Tour sein. Ich fahre bei der nächsten Gelegenheit rechts ran und suche eine Möglichkeit, das ESP zu deaktivieren, werde jedoch enttäuscht: Nur die Traktionskontrolle kann deaktiviert werden, aber das nützt nichts, denn das ESP regelt im ersten Gang die Kraft weiterhin runter. 1:0 für den Ibiza. Meinen fahrdynamischen Ansprüchen würde wohl nur kommende Cupra mit 1,8-Liter Motor gerecht werden.

Seat Ibiza auf Ibiza
Die Armlehnen sind neu mit Stoff überzogen. Der ist aber so rau, dass er fast die Haut weg schürft.

Ich höre die tadelnde Stimme von André bereits, während ich diese Zeilen verfasse: Du nimmst den armen Kerl viel zu hart ran! Wo er Recht hat, hat er Recht. Wer wie ich 100 Oktan Benzin im Blut hat, der wird wohl nur mit dem Cupra glücklich werden. Das ändert aber nichts am sehr guten Handling von meinem Testwagen. Präzise und leichtfüssig lässt er sich dirigieren, bleibt lange neutral und stabil. Die enge und stark ansteigende Strasse war schliesslich ein fieser Ort mit einem noch fieseren Fahrer, aber sie hat deutlich die Grenzen vom kleinen Motor offenbart.

Seat Ibiza auf Ibiza
Die aufpreispflichtige Mittelarmlehne kann man sich schenken: Sie stört mehr, als dass sie nützt.

Bei normalen Verhältnissen, sprich, ebenen Strassen, reicht der kleine Dreizylinder jedoch völlig aus. Im Gegensatz zu mir sind die Einheimischen nämlich ausgesprochen gemütlich unterwegs. Ich habe in den beiden Tagen auf Ibiza so viele Überholmanöver durchgeführt, dass ich mir wie der grösste Raser vorgekommen bin. Aber im mittleren Drehzahlbereich reicht die Kraft aus, um ohne Angstschweiss jemanden zu überholen. Apropos rasen: In Ibiza wird man von allen Radargeräten (zumindest den statischen) gewarnt. Das dürfte sich die Schweiz gerne als Vorbild nehmen, aber unsere Politiker halten wohl mehr von Via Sicura…

Seat Ibiza auf Ibiza
FR sorgt für eine schnittige Optik, aber nicht zwingend für Dampf unter der Haube.

Auf meiner letzten Fahrt bin ich in Entdecker-Laune und habe keine Lust mehr, mich an die vorprogrammierten Routen zu halten. Während sich an der südlichen Küste alle Ortschaften und die Hauptstadt Ibiza (ca. 50’000 Einwohner) aneinanderreihen, scheint die nördliche Seite viel weniger dicht besiedelt. Die Sache ist schnell beschlossen: Auf geht’s gen Norden! Ibiza ist ohnehin so klein, dass man mit dem Auto keine Stunde braucht, um von einem Ende zum anderen zu kommen. Ich fahre also Richtung Norden und lasse das letzte Städtchen, Sant Miquel de Balansat, hinter mir. Von da an lande ich wieder in der gewohnten Einöde, nur mit dem Unterschied, dass sie nicht mehr aufzuhören scheint. Es folgen keine Ortschaften mehr, die Strasse wird zunehmend enger, steigt kontinuierlich an und von gut ausgebaut kann keine Rede mehr sein. Irgendwann wird es so steil, dass ich in den ersten Gang schalten muss, um überhaupt noch vorwärts zu kommen! Zu allem übel lässt die Asphaltierung nach und ehe ich mich’s versehe, rolle ich mit 20 km/h über Stock und Stein sowie durch eine riesige Pfütze.

Seat Ibiza auf Ibiza
Ich bin auch ein Offroader…

Laut Navi fahre ich immer noch auf einer Strasse, doch ich komme an einem Punkt an, an dem es so unwegsam wird, dass es nur mit einem Allrad-SUV weitergehen würde. Ich lasse das Auto also stehen und gehe zu Fuss weiter. Nun verstehe ich auch, warum weit und breit niemand zu sehen ist: Die Nordseite ist keine Küste, sondern eine Klippe! Ich laufe über den Kiesweg und ständig raschelt etwas im Gebüsch oder ein Vogel fliegt weg. Das mit der unberührten Natur hat schon was auf Ibiza. Die Aussieht ist atemberaubend, denn gemäss Navi befinde ich mich wortwörtlich 260 Meter über dem Meer. Hierzulande würde man angesichts dieser Höhe von Flachland reden, aber in Ibiza bin ich fast auf einem Gipfel. Um es nochmals zu betonen: Ich komme mir vor, als wäre ich fernab der Zivilisation. Keine Menschenseele weit und breit, keine Infrastruktur weit und breit. Nur weit in der Ferne höre ich ein Flugzeug, welches Ibiza anfliegt. Ansonsten ist nur die Brandung zu hören. Und plötzlich stehe ich vor einem Haus. Wow…

Seat Ibiza auf Ibiza
Dieses Anwesen ist mit dem Ibiza leider nicht erreichbar.

Aber nun habe ich genug gesehen und mache mich auf den Rückweg. Wie schon auf dem Hinweg lasse ich den ersten Gang drin, denn mit einer Strasse hat dieser Pfad, den ich dem Ibiza zumute, nichts mehr zu tun. Aber der muntere Spanier lässt sich nicht so leicht aufhalten und im Comfort Modus federt er anständig über die groben Steine hinweg. Meine Zeit auf Ibiza ist leider vorbei und während ich gerne noch ein paar Tage bleiben würde, ist mein Testwagen bestimmt froh, dass er mich los wird. Noch ein paar Worte zu den Preisen: Das Wegwerfmodell mit 55 kW Saugmotor (ob der die enge, stark ansteigende Strasse überhaupt bezwingen würde?) gibt es ab 13’390 Franken. Einen hübschen Ibiza gibt es ab etwa 20’000 Franken und wer alles rein packt, landet bei 27’000 Franken (110 kW Modell). Ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis zeichnet Seat nach wie vor aus. Doch das Kapitel «Seat Ibiza FR» ist mit meinem Abflug noch nicht beendet: Im Januar darf der Ibiza im ausführlichen Test in der Schweiz dran glauben. 😉

(Bilder: Koray Adigüzel)

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