Antriebslos: Mercedes B-Klasse ED

Die IAA ist angebrochen und soeben sind mir zwei Betreff-Zeilen in meinem Posteingang ins Auge gestochen: «Audi e-tron Quattro Concept: Mehr als 500 Kilometer Reichweite für volle Alltagstauglichkeit» oder «Porsche Mission E: 600 PS, 500 Kilometer Reichweite, 15 Minuten Ladezeit». Klar, das sind Konzepte, aber es zeigt auf, in welche Richtung die Hersteller aktuell forschen. Die Mercedes B-Klasse Electric Drive, kurz ED oder 250 e, wirkt dagegen extrem konservativ, ja fast schon lustlos. Ich werde zudem das Gefühl nicht los, dass die B-Klasse ED ein Lückenfüller gewesen ist, damit Mercedes einen Stromer im Angebot hat, bis der erste Plug-in Hybrid (Mercedes S-Klasse) verfügbar war.

Es fängt beim Design an. Mittlerweile sollten die Hersteller begriffen haben, dass Elektroautos, die lediglich umgewandelte Verbrenner sind, zum Scheitern verurteilt sind. Okay, den Kia Soul gibt es auch als Verbrenner und als Stromer, aber das Auto ist gleichermassen cool wie skurril, da mag ich das durchgehen lassen. Aber eine seriöse Mercedes B-Klasse? Warum eine B-Klasse elektrifizieren? Ich kann es euch sagen: Weil sie durch ihren erhöhten Aufbau perfekt dafür geeignet ist, den Akku und die Antriebstechnik unterzubringen.

Mercedes B-Klasse Electric Drive
Erkennungsmerkmal des B250 e sind die weissen Spiegel und der weisse Grill.

Dazu gibt es einen weissen Kühlergrill und weisse Aussenspiegel (je nach Konfiguration sind diese Elemente auch hellblau) und fertig ist das erste Elektroauto von Mercedes. Trotzdem unterscheiden sich Stromer und Verbrenner in Details voneinander. Schürzen und Scheinwerfer sind nicht identisch, warum auch immer… Darüber hinaus ist die elektrische B-Klasse aufgrund ihrer Technik höher gelegt, was vor allem von der seitlichen Ansicht klar ersichtlich wird. Aufgepeppt wird die Optik damit sicher nicht.

Mercedes B-Klasse Electric Drive
Man sieht es: Die B-Klasse ED ist höher gelegt.

Der Innenraum beherbergt keine Überraschungen. Wer schon mal Mercedes gefahren ist, findet sich sofort zu Recht. Bis auf das Powermeter (anstelle eines Drehzahlmessers) ist das Interieur normal und ganz Mercedes-like: Sehr edel, perfekt verarbeitet, hübsche Lüftungsdüsen, zu tief platzierte Klimabedienung und aufgesetztes Display. In der ersten Reihe ist alles perfekt, die Ergonomie, die Platzverhältnisse, die bequemen Sitze.

Mercedes B-Klasse Electric Drive
Klassisches Mercedes-Interieur. Sehr hochwertig vermacht mit perfekter Ergonomie.

Von einem Kompakt-Van erwarte ich hinten allerdings mehr. Die Kopffreiheit ist im Fond sehr gut, ausserdem ist auch der Kofferraum gross und praktisch geformt. Aber die Beinfreiheit ist alles andere als berauschend. Enttäuschend finde ich, dass die Rückbank nicht verschiebbar ist und dass sich beim Umlegen der Rücklehnen keine ebene Ladefläche bildet. Variabilität kennt die B-Klasse offensichtlich nicht.

Mercedes B-Klasse Electric Drive
Bei umgelegter Rückbank entsteht eine Stufe.

Interessant wird’s beim Antrieb, denn der ist keine Eigenentwicklung von Mercedes, sondern stammt von Tesla, dem Elektroauto-Pionier schlechthin. Dies ist deshalb der Fall, weil Tesla und Daimler miteinander kooperieren, bis Ende letzten Jahres hatte Daimler sogar vier Prozent der Tesla-Aktien in Besitz. Ein Antrieb von Tesla also, das erhöht die Anforderungen ungemein. Das Papier wirkt ebenfalls vielversprechend: Der Antrieb ist mit 132 kW stärker als jener von BMW i3, Kia Soul EV, Renault Zoe und Co.

Mercedes B-Klasse Electric Drive
Nein, der E-Motor ist nicht im Bild zu sehen. Der ist verhältnismässig klein und befindet sich ganz unten im Motorraum.

Auch die angegebene Reichweite von 200 Kilometer klingt vernünftig. Mit dem optionalen Range Plus Paket werden sogar 230 Kilometer angegeben. Damit kann mittels Knopfdruck vor dem Ladevorgang die Batterie mehr ausgereizt werden, denn es stehen niemals die 28 kWh, welche die Batterie speichert, zur Verfügung. Um den Akku zu schonen ratet Mercedes aber, diese Funktion nur dann anzuwenden, wenn es unbedingt sein muss. Wie dem auch sei, kommen wir zur traurigen Realität.

Mercedes B-Klasse Electric Drive
Keine Auspuffblenden, dafür «Electric Drive» Schriftzug am Heck.

Das Auto hat mich enttäuscht und wenn ich an den Slogan von Mercedes («das Beste oder Nichts») denke, dann finde ich, Mercedes hätte die elektrische B-Klasse lieber sein lassen. Mercedes verspricht einen Normverbrauch von 16,6 kWh/100 km, was eine Reichweite von 200 Kilometern ergibt. Dieser Verbrauch bezieht sich aber auf die serienmässigen 16″-Felgen. Mit hübschen 18″-Felgen wie beim Testwagen erhöht sich der Verbrauch auf 17,9 kWh/100 km (+8%), ergo verringert sich die theoretische Reichweite auf 184 Kilometer, resp. 212 Kilometer mit Range Plus.

Mercedes B-Klasse Electric Drive
Für einen Kompaktvan ist die Linienführung okay. Aber auch hier wieder: Man sieht die Höherlegung.

Das mit der Reichweite ist bei Elektroautos ja so eine Sache. Bei normaler bis sportlicher Fahrweise hatte ich im Test eine Reichweite von ungefähr 130 Kilometer (ohne Nutzung von Range Plus). Bei einer Eco-Runde, in der ich wirklich alles gab, wären 177 Kilometer (mit Nutzung von Range Plus) möglich gewesen, allerdings mit maximal 110 km/h auf der Autobahn. Die Reichweite ist bei Stromern ein zentrales Thema. Dass beim B250 e erst eine Internet-Verbindung via Smartphone-Hotspot hergestellt und anschliessend die Mercedes-App E-Navigator gestartet werden muss, um Ladesäulen zu finden, ist alles andere als benutzerfreundlich. Dieses Feature sollte direkt ins Navi integriert werden.

Mercedes B-Klasse Electric Drive
Der B-Klasse ED bleiben die LED-Scheinwerfer vorenthalten. Die Verbrenner haben sie. Diese Logik muss man nicht verstehen…

Cool ist bei der B-Klasse dafür die Rekuperation. Mittels Schaltpaddels kann man zwischen starker Rekuperation, mässiger Rekuperation und Segeln switchen. Auch ein Automatikmodus steht zur Verfügung. Hierbei wird die Rekuperation automatisch gesteuert, je nach dem, wie der Abstand zum Vordermann ist. Im normal fliessenden Verkehr kann so fast ohne Bremspedal gefahren werden, da der Bereich zwischen Segeln und maximaler Rekuperation ziemlich gross ist. Das Auto «bremst» dann ganz von alleine, fast wie bei Infiniti.

Mercedes B-Klasse Electric Drive
Mit den Schaltpaddels wir hier nicht geschaltet, sondern die Rekuperation gesteuert.

Aber ansonsten? Mir fehlen Innovationen! Der i3 besteht aus Carbon, bei der Zoe kann der Akku gemietet werden, bei Tesla ist die Reichweite bombastisch. Und bei Mercedes? Nichts, im Gegenteil, die B-Klasse ED ist mit 1725 Kilo einfach zu schwer und das merkt man beim Fahren. Sie federt zu hart und der eigentlich spritzige Antrieb leidet unter der Last. In Kurven neigt sie sich stark, wohl eine Folge der höher gelegten Karosserie. Beschleunigt man voll aus der Kurve, sind die Vorderräder mit der Elektro-Power überfordert und das ESP muss eingreifen. Einzig die präzise Lenkung und das sauber dosierbare Bremspedal (Rekuperation ist nicht spürbar) sind gut gelöst.

Mercedes B-Klasse Electric Drive
Die Beinfreiheit im Fond dürfte grosszügiger bemessen sein.

Bis auf die zu harte Federung fährt sich der B250 e natürlich sehr schön, wie alle Elektroautos. Das Fahrgefühl ist durch das ultradirekte Ansprechverhalten und die Ruhe im Auto einfach ein Besseres. Aber das ist bei allen Stromern so, mir fehlt bei der elektrifizierten B-Klasse ein Alleinstellungsmerkmal. Stattdessen ist es einfach eine stinknormale B-Klasse mit einem cleveren Rekuperationssystem und den üblichen Assistenzsystemen von Mercedes. Zu allem übel ist mir der Notbremsassistent sehr negativ aufgefallen, da er stets sehr früh Alarm geschlagen hat. In der ruhigen B-Klasse ED ist dieses Gepiepse ein echter Störfaktor.

Mercedes B-Klasse Electric Drive
Das Powermeter zeigt an, wieviel Leistung gerade gefordert wird.

Erstaunlich am B250 e ist sein Preis, denn er ist günstiger als vergleichbare Verbrenner Pendants. Der sehr gut ausgestattete Testwagen schlägt mit 64’434 Franken zu Buche, ein leistungsmässig vergleichbarer Diesel (B 220 d) mit ähnlicher Ausstattung kostet ca. 70’000 Franken. Nicht zu vergessen ist die Wallbox fürs Laden zu Hause, die mit 1140 Franken extra zu Buche schlägt. Dass der B250 e günstiger als der Diesel ist, ändert aber nichts an der Tatsache, dass die B-Klasse grundsätzlich viel zu teuer ist. Sowohl der Diesel ist zu teuer, als auch der Stromer. Durch die Facts, dass der B250 e keine Neuentwicklung ist und der Antrieb von Tesla eingekauft wurde, sollte der Preis deutlich tiefer sein. Dass ich noch nie eine B-Klasse ED in freier Wildbahn entdeckt habe, unterstreicht meinen negativen Eindruck von diesem Auto. Sorry, Mercedes: Dieses Auto ist ein Eigentor.

Mercedes B-Klasse Electric Drive
Die B-Klasse ED ist des Mercedes Sterns nicht würdig.

Alltag 2.5 out of 5 stars

Dass ausgerechnet die B-Klasse, Reisewagen und Familienkutsche, elektrisiert wird, ist die falsche Herangehensweise. Mit einer Reichweite von durchschnittlich 130 Kilometer ist dies schlicht das falsche Segment. Eher knappe Beinfreiheit im Fond und fehlende Variabilität erhöhen den praktischen Nutzen nicht wirklich. Einzig der Kofferraum ist schön gross und praktisch geformt.

Fahrdynamik 3 out of 5 stars

Der Antrieb ist spritzig, trotz des hohen Gewichts. Allerdings kommen die Vorderräder mit dem augenblicklich verfügbaren Drehmoment am Kurvenausgang nicht klar. Lenkung und Bremse vermitteln ein gutes Gefühl, die deutliche Seitenneigung weniger.

Umwelt 4.5 out of 5 stars

Sauberer als ein Elektroauto kann man nicht sein, klar. (Zumindest lokal) Aber die B-Klasse ED ist ein ziemlicher Stromfresser. Anstelle der angegebenen 17,9 kWh verbrauchte sie 23,2 kWh/100 km.

Ausstrahlung 3.5 out of 5 stars

Grundsätzlich ist das Design okay, die B-Kaste wirkt einigermassen fliessend und nicht kastig. Aber die Höherlegung kommt ihr nicht gut, so wirkt sie wie auf Stelzen.

Fazit 2.5 out of 5 stars

+ Hochwertige Materialien und Verarbeitung
+ Sehr tiefer Geräuschpegel im Innenraum
+ Cooles Rekuperationssystem mit Schaltpaddels
+ Perfekte Ergonomie
+ Bequeme Sitze
+ Angenehmes Fahrverhalten

– Mangelnde Innovationen
– Bescheidene Reichweite
– Hohes Gewicht
– Hoher Preis
– Hoher Verbrauch
– Starke Seitenneigung
– Harte Federung
– Keine Variabilität
– Überempfindlicher und nerviger Notbremsassistent

Marke / ModellMercedes-Benz B-Klasse Electric Drive
Preis Basis­modell / Testwagen42'900 CHF / 64'434 CHF
AntriebElektrisch, Frontantrieb
Akkukapazität28 kWh
Max. Leistung132 kW
Max. Drehmoment340 Nm
Beschleu­nigung 0–100 km/h7,9 s
Vmax160 km/h (elektronisch abgeregelt)
NEFZ-Verbrauch17,9 kWh/100 km
Test-Verbrauch / Differenz23,2 kWh/100 km / +30%
NEFZ-Reichweite200 km (230 km mit Range Plus)
Test-ReichweiteØ 130 km, max. 177 km
Länge / Breite / Höhe4,36 m / 1,81 m / 1,60 m
Leergewicht1725 kg
Koffer­raum­volumen501 - 1456 l

(Bilder: Koray Adigüzel)

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