Altes Raubein: Volvo V60 Polestar

Dass es so weit kommt, hätte ich nie gedacht. Da lancierte Volvo im Jahr 2014 stinkfrech und aus heiterem Himmel eine Polestar Version vom V60. Ein Powerkombi von den kühlen Schweden, wer hätte das gedacht? Dann der Dämpfer: Anscheinend würden es bloss 100 Autos in die Schweiz schaffen. Ich sah meine Chance auf einen Testwagen bereits dahinschmelzen. Doch der V60 Polestar fand seinen Weg zu mir und ich war hellauf begeistert. Zwischenzeitlich hatte ich einen S60 Polestar als Ersatzwagen, die Begeisterung flammte erneut auf. Und nun steht er wieder vor mir, erstmals im unschuldigen Weiss statt im rebellischen Schlumpf Blau. Allerdings wurde er im Zuge der rigorosen Downsizing-Strategie von Volvo seines Sechszylinder-Herzens beraubt und dieser Test soll bloss eine einzige Angelegenheit klären: Vermag der Polestar immer noch zu begeistern?

Normalerweise plaudere ich an dieser Stelle gerne noch etwas über profanere Dinge wie Design, Innenraum, Infotainment, Platz und so weiter. Halt so ziemlich alles, was nichts mit dem Motor zu tun hat.  Der V60 hat mittlerweile sechs Jahre auf dem Buckel und trotz Facelift sieht man ihm das an. Er trägt zwar nicht das neue Markengesicht, aber optisch ist er nach wie vor schick und alternativ. Innen ist jedoch fertig lustig.

Volvo V60 Polestar Vierzylinder
Die einzigen optischen Merkmale vom Polestar sind die Spoilerlippe…

Klar, er ist hochwertig und voll ausgestattet, aber die Raumausnutzung ist für einen Kombi eher schlecht und das veraltete Infotainmentsystem möchte man gerne zum Teufel jagen, sobald man erst mal eine lange Adresse ins Navi eingeben muss. An und für sich ist das System nicht schlecht, aber die Bedienung ist umständlich. Dafür sind die Sitze vorne erstklassig, wenn auch leicht zu hoch montiert.

Volvo V60 Polestar Vierzylinder
…der auffällig zweigeteilte Dachkantenspoiler…

Lange Rede, kurzer Sinn: Der Innenraum vom Polestar hat noch nie für Begeisterungsstürme gesorgt und je älter dieser Wagen wird, desto mehr spitzt sich die Situation zu. Deshalb möchte ich die Aufmerksamkeit nun auf jenes Thema lenken, weshalb ich den Polestar nochmal zu mir geholt habe: Den Antrieb. Etwas anderes als Zweiliter Vierzylindermotoren wird in Göteborg nicht mehr gefertigt und bisherige Tests mit XC90, V40 und V90 hinterliessen mich diesbezüglich eher skeptisch. Die Autos sind super, aber die Motoren völlig emotionslos. Sie klingen schlecht und sind obendrein gar nicht so sparsam wie versprochen.

Volvo V60 Polestar Vierzylinder
…sowie die zweiflutige Auspuffanlage.

Andererseits verstehe ich die neue Strategie in Schweden auch. Der alte Sechszylinder war ein äusserst trinkfester Geselle, unter zehn Liter ging da gar nichts. Das ist natürlich nicht in Ordnung, also soll es der Zweiliter richten. Der ist mit einem Normverbrauch von 8,1 l/100 km auch alles andere als ein Öko-Motor, aber insgesamt schon sozialverträglicher. Obwohl das neue Aggregat von Polestar mächtig getunt ist, kann man Hubraum eben nicht ganz ersetzen. Mit 470 Nm kommt der Vierzylinder nicht ganz an die 500 Nm der alten Maschine heran.

Volvo V60 Polestar Vierzylinder
Nur die AMG A-Klasse Familie von Mercedes hat einen stärkeren Vierzylinder-Motor als der V60 Polestar!

Doch genug der Theorie, es wird Zeit, dem Polestar so richtig auf den Zahn zu fühlen! Das leicht schwächere Drehmoment spürt man nicht, da die Leistung insgesamt leicht gestiegen ist, aber was natürlich sofort auffällt, ist der Sound. Doch ich kann Entwarnung geben. Der Vierzylinder klingt so böse und kernig, wie es ein Vierzylinder eben kann – Rülpser beim Hochschalten unter Last inklusive. Natürlich klang der Reihensechser mit seinem Fauchen und Röhren aggressiver, aber Polestar hat wirklich das Beste aus den vier Zylindern gemacht. Mehr geht nicht, weil es dann sehr erzwungen und pubertär klingen würde.

Volvo V60 Polestar Vierzylinder
Man sieht deutlich, dass der Polestar tiefer liegt als seine zivilen Brüder…

Was viel wichtiger ist: Der Polestar wurde nicht etwa verweichlicht, er ist immer noch ein äusserst rabiater Zeitgenosse. Eigentlich ein Sportwagen, der in der falschen Karosserieform geboren wurde und sich nun damit abfinden muss. Der neue Motor ist nämlich richtig drehfreudig, obwohl das durch die lange Getriebeübersetzung nicht ganz zur Geltung kommt. Tatsächlich aber blüht das Triebwerk bei 4000 Umdrehungen richtig auf und vermittelt einem etwas von einem Saugmotor: Je mehr du drehst, desto heftiger wird der Schub. Überhaupt ist die Kraftentfaltung dank Kompressor- und Turboaufladung erfreulich gleichmässig. Das leicht verzögerte Ansprechverhalten lässt sich wohl auch mit kombinierter Aufladung nicht vermeiden, da reagierte der alte Reihensechser bissiger, obwohl auch der mittels Turbo aufgeladen war.

Volvo V60 Polestar Vierzylinder
Innen sieht man leider auch deutlich, dass die Zeit vergeht.

Toll ist, wie präzise der Polestar den Befehlen des Fahrers folgt. Während das Auto im D-Modus der Automatik eher auf Standby wirkt, stellt der Polestar beim Wechsel ins S alle Systeme auf Scharf. Die Auspuffklappen öffnen sich, der Motor reagiert gierig aufs Gas und die verhärtete Lenkung setzt selbst kleinste Bewegungen unmittelbar um. Nach wie vor der grösste Trumpf dieses Auto ist aber sein sensationelles Fahrwerk mit adaptiven Dämpfern. Es lässt einem das Gewicht von fast 1800 Kilo fast vergessen und verleiht dem Kombi eine ungeheure Stabilität.

Volvo V60 Polestar Vierzylinder
Die Sitze sind kuschelig und geben dennoch sehr guten Halt. Leider sind sie etwas zu hoch montiert.

Dies sorgt dafür, dass der Polestar direkter und unmittelbarer wird, je härter man ihn rannimmt. Man erreicht Kurventempi, die man eher einem Zweitürer zutrauen würde, jedoch nicht diesem Schwedenstahl. Gleiches gilt für die Bremsanlage, die dermassen bissig verzögert, dass man das Gefühl hat, die Schweden seien in ein Porsche Lager eingebrochen und hätten mal ein paar Bremsen für den Polestar mitgehen lassen, die eigentlich für den Cayenne Turbo S bestimmt wären.

Volvo V60 Polestar Vierzylinder
Die Brembo Hochleistungsbremse macht mit dem Polestar buchstäblich kurzen Prozess.

Im Vergleich zum Polestar wirkt ein verhaltener Audi S4 wie lauer Kaffee. Der Polestar ist ein fahrender Kampfhund dagegen, der sich regelrecht in den Asphalt zu verbeissen scheint. Die Direktheit, mit welcher der Kombi auf Lenkung und Bremse reagiert, vermittelt zudem grosses Vertrauen. Der Polestar ist im S-Modus hellwach und jederzeit bereit, von der Leine gelassen zu werden. Diese Angriffslust muss man im Alltagsbetrieb jedoch mit einem ziemlich straffen Fahrwerk ertragen.

Volvo V60 Polestar Vierzylinder
Kurzen Prozess würde man am liebsten auch mit dem veralteten Navi machen.

Apropos Alltagsbetrieb: Bei disziplinierter Fahrweise bin ich 9,0 l/100 km ausgekommen, obwohl da bestimmt noch weniger geht, denn am Steuer vom V60 Polestar kann mein Gasfuss einfach nicht federleicht werden… Wer es hin und wieder krachen lässt, sollte nicht erschrecken, wenn der Vierzylinder über 11 Liter pro 100 Kilometer aus dem Tank saugt. Je zahmer man fährt, umso sparsamer ist das neue Vierzylinder Triebwerk. Wird der Motor jedoch richtig rangenommen, fliesst der Sprit in rauen Mengen, wie in den guten, alten Sechszylinder-Zeiten. Typisch Downsizing: Solange man artig fährt, ist der Verbrauch in Ordnung, aber unter Last werden unter der Haube regelrechte Sauforgien gefeiert.

Volvo V60 Polestar Vierzylinder
Die Beinfreiheit hinten wird einem Kombi nicht gerecht.

Feiern tut wohl auch der Händler, wenn er einen Polestar verkauft, denn der Preis ab 87’000 Franken ist trotz nahezu Komplett-Ausstattung verdammt hoch. Der Testwagen verpasst nur haarscharf die 90’000 Franken Grenze und wenn man ein Mercedes-AMG C43 T-Modell mit exakt derselben Leistung (übrigens mit Sechszylinder) vergleichbar ausstattet, kostet das AMG-Light Modell nur rund 2000 Franken mehr – ist aber das deutlich modernere Auto mit edlerem Ambiente.

Volvo V60 Polestar Vierzylinder
Polestar hat tatsächlich tiefgreifende Arbeiten am V60 durchgeführt.

Doch man muss das Engagement von Polestar einfach mögen, denn sie haben aus dem zivilisierten und gemütlichen V60 einen heftigen Kombi gemacht, der sein Alter nur im Innenraum, nicht aber im Fahrbetrieb offenbart. Darum hofft bitte mit mir, dass auch die künftigen, neuen 60er-Modelle als giftige Polestar-Variante erscheinen! Denn diese nordländische Coolness gepaart mit heissblütigem Fahrverhalten gibt es sonst nirgendwo.

Volvo V60 Polestar Vierzylinder
Dieser Schweden-Express ist aus sportlicher Sicht mit Abstand das emotionalste Produkt von Volvo!

Alltag 4 out of 5 stars

Für einen Kombi ist der V60 nicht besonders geräumig und der Wendekreis ist Volvo-typisch gross. Wer Power höher priorisiert als Platz, wird mit dem V60 Polestar jedenfalls zufrieden sein.

Fahrdynamik 5 out of 5 stars

Als Polestar wird der V60 zum Tier, vor allem im Sport Modus. Der Motor bringt seine Leistung vor allem bei hohen Drehzahlen, sein Handling ist präzise und sehr unmittelbar, die Bremse knallhart.

Umwelt 3 out of 5 stars

Der Vierzylinder ist nur solange spürbar sparsamer als der Sechszylinder, solange er gesittet bewegt wird. Wenn er getreten wird, ist die Ersparnis bloss noch minim. Der Testverbrauch von 10,6 l/100 km ist hoch, aber das Auto wurde auch hart rangenommen. Es geht sparsamer – und der Sechszylinder hatte einen Testverbrauch von 11,9 Liter. Ein Fortschritt ist also vorhanden.

Ausstrahlung 4 out of 5 stars

Obwohl der V60 nicht mehr der Jüngste ist, ist sein Design immer noch sehr ansehnlich wenn auch nichts besonderes (mehr).

Fazit 4 out of 5 stars

+ Motor giert nach Gas und Drehzahlen
+ Für einen Vierzylinder toller Sound
+ Erstklassiges Fahrwerk mit adaptiven Dämpfern
+ Überdimensionierte, sehr bissige Bremse
+ Genügend Komfort beim Cruisen
+ Viele Assistenzsysteme verfügbar
+ Sehr gutes Xenon-Scheinwerfer, besser als manch billiges LED-Licht
+ ESP komplett deaktivierbar
+ Sehr bequeme, gut gepolsterte Sitze

– Hoher Preis
– Veraltetes Infotainmentsystem
– Sitzposition etwas zu hoch
– Riesiger Wendekreis
– Knappe Platzverhältnisse für einen Kombi

Mängel am Testwagen

– Keine Mängel

Steckbrief

Marke / ModellVolvo V60 Polestar
Preis Basismodell / Testwagen87 000 CHF / 89 985 CHF
AntriebBenzin, Allradantrieb
Hubraum / Zylinder1969 ccm / R4
Motoranordnung / MotorkonzeptFrontmotor / Turbo- und Kompressoraufladung
Getriebe8-Gang Automatikgetriebe
Max. Leistung270 kW bei 6000 r/min
Max. Drehmoment470 Nm bei 3100 - 5100 r/min
Beschleunigung 0 - 100 km/h4,8 s
Vmax250 km/h (elektronisch abgeregelt)
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz8,1 l/100 km / 186 g/km / G
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz10,6 l/100 km / 243 g/km / +31%
Länge / Breite / Höhe4,63 m / 1,87 m / 1,48 m
Leergewicht1772 kg
Kofferraumvolumen430 - 1241 l

Bilder: Koray Adigüzel

2 thoughts on “Altes Raubein: Volvo V60 Polestar”

  1. Man muß mal ein großes Lob nach Schweden schicken. Das Auto ist richtiggehend gelungen, und hat nichts mit den anderen Herstellern zu tun, deren Modellle sich wie ein Ei dem anderen gleichen. Bisher war mir klar, das ich wieder einen Jeep kaufen werden, nachdem wir den Volvo Probe gefahren haben, könnte es sein, das meine Frau da dazwischen funkt

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