Zeiten ändern sich, die Alpine ändert dich

Das Jahr 2023 ist am Horizont bereits ersichtlich und damit auch alle seine Errungenschaften, die es mit sich bringen wird. Da wären beispielsweise der von der EU als obligatorisch beschlossene Bevormundungs-Schrott «intelligenter Speedassistent (ISA)», diverse chinesische No-Name-Autohersteller, die ihre Software-Pakete auf Rädern ohne Fahrwerks-Know-How nach Europa bringen wollen sowie fast drei Tonnen schwere (E)-SUVs, für die sich die Alpine beim Überfahren wahrscheinlich wie ein Gullydeckel anfühlt. Keine schönen Aussichten. Es wird daher höchste Zeit auszuführen, warum eine Ausfahrt in der Apline A110 S trotz komplett fehlender Komfort-Ausstattung wie Wellness ist, warum dieses Auto auch ohne Akkupaket sehr umweltfreundlich ist sowie warum die Alpine einen als Fahrer neu kalibriert.

Grosse Worte für ein Auto, das seit über vier Jahren existiert und seither nur marginale Änderungen erfahren hat. Beim 2022er-Modell des A110 S Testwagens sind es konkret das optionale Aerodynamik-Paket aus Carbon, welches bis zu 60 Kilo Abtrieb vorne und 81 Kilo hinten generiert. Abgesehen von einer grossen und neuen Palette an Lackierungen, welche teilweise Bezug auf die Historie nehmen, gibt es optisch nichts Neues zu vermelden. Aber wozu auch? Das iPhone sieht schliesslich ebenfalls seit Jahren immer gleich aus und wird dennoch gekauft wie blöd.

2022 Alpine A110 S
Der Spoiler aus Carbon verhilft zu mehr Stabilität und die Höchstgeschwindigkeit wird damit auf bis zu 275 km/h freigegeben.

Wichtiges Update

Auch im Innenraum wurde alles weitgehend so belassen, wie es war. Der Testwagen ist mit dem optionalen Mikrofaser-Paket ausgestattet, weshalb sich alles besonders fein und hochwertig anfühlt. Wirklich neu ist das Infotainmentsystem und das war auch bitter nötig. Das neue System ist nun OTA-fähig, endlich kompatibel zu Apple Carplay sowie Android Auto und läuft viel flüssiger als das träge alte System. Ein Highend-Gerät ist das Ganze immer noch nicht, aber für die Alpine erfüllt es seinen Zweck. Der Multimedia-Bediensatellit hinter dem Lenkrad – vom Qualitätsniveau her auf der Höhe einer Überraschung aus der Chips-Packung – ging bei der Überarbeitung wohl vergessen. Aber das ist ein Detail. Viel hübscher ist der grosse, rote Startknopf. Und der wird jetzt gedrückt.

2022 Alpine A110 S
Für 2022er-Verhältnisse ein eher rudimentäres System. Aber im Vergleich zum Vorgänger ein grosser Fortschritt.

Selbst ist der Mann (oder die Frau)

Rau und metallisch springt der Turbomotor an, der um 6 kW erstarkt ist. Schön und gut, aber schlussendlich fast wichtiger am Stammtisch als auf der Strasse, da die Alpine A110 S jetzt nach alter Währung genau 300 PS leistet. Und dass diese Kraft nicht dazu da ist, um nur gelegentlich abgerufen zu werden, macht die A110 S schnell deutlich. Gefedert wird derb, selbst auf den gut ausgebauten Schweizer Strassen ist die Karosserie der scharfen Alpine ständig in Bewegung. Die Lenkung ist ultra direkt, jede noch kleine Bewegung wird unmittelbar umgesetzt. Eine gemütliche Cruiserin ist die Französin also definitiv nicht.

2022 Alpine A110 S
Die Alpine ist in den Bergen zu Hause, dort kann sie ihr Temperament und ihr Wesen voll ausspielen.

Kommen wir zum Thema Assistenzsysteme. Das ist schnell abgehandelt, denn das einzige Assistenzsystem in der Alpine befindet sich zwischen Sitz und Lenkrad. Hier muss noch selbst gefahren werden und die Konzentration wird dadurch aufrecht erhalten, dass der Motor im Nacken permanent vor sich hin knurrt und die A110 S sehr anfällig für Spurrillen ist. Man ist als Fahrer folglich immer bei der Sache und somit im Endeffekt viel sicherer unterwegs als jene Fahrer, die sich vom Autobahn-Assistenten führen lassen und währenddessen mit dem Smartphone hantieren, als wäre es ein festgewachsenes Geschwür an der Hand.

2022 Alpine A110 S
Start-Stopp und ESP, mehr gibt es in der Alpine nicht zu deaktivieren.

Es ist einfach so, dass man durch die zunehmende Abkapselung und Automatisierung der modernen Autos das Gefühl vom Autofahren an sich nach und nach verliert. Darum ist die Alpine das perfekte Mittel, um einem in Erinnerung zu rufen, was Autofahren eigentlich ist: Nämlich reine Physik, die man als Fahrer buchstäblich selbst in der Hand hat. Diese Rekalibrierung würde manchem Fahrer gut tun. Und nach all den unzähligen Fehlalarmen, die meine Testautos schon generiert haben, ist die Alpine eine wahre Wohltat. Sie ist zwar laut, hart und eng – aber sie lässt einen wenigstens in Ruhe, auch wenn man mal später bremst oder die Kurve schneidet. Es gibt auch keine versteckten (Bevormundungs-)-Rettungsanker: Wird das ESP auf off gestellt, verabschiedet es sich definitiv, egal, was kommt.

2022 Alpine A110 S
Die Sabelt-Schalensitze sind kaum verstellbar, bieten aber unvergleichlichen Halt und sind ausreichend gepolstert.

Feingliederig, aber knallhart

1116 Kilo wiegt die Alpine A110 S leer und wenn der 1,8-Liter Turbo sein Tief unterhalb von 2500 Touren überwunden hat, dann macht einem die Alpine gehörig Feuer unter dem Hintern. Das Triebwerk röhrt und bollert, der nächste Gang wird krachend reingeworfen. Ich weiss, mittlerweile sind selbst gewisse E-SUVs schneller als die Alpine. Aber die Alpine bietet ein immersives Erlebnis, man wird mit Feedback vom Antrieb und der Lenkung regelrecht zugeschüttet. Ja, und sobald dann die ersten Kurven kommen, können nicht nur sämtliche Elektroautos einpacken. Auch deutlich stärkere Sportwagen könnte die Alpine problemlos in Schach halten.

2022 Alpine A110 S
Die Lenkung ist ein Präzisionsinstrument. Mega direkt und voller Feedback, auch dank den Semislicks.

Der Testwagen ist mit Semislicks ausgerüstet und das schraubt die Handling- und Bremsperformance in Höhen, in denen es den meisten Mitfahrern schwindelig oder schlecht wird. Da wird brutal und bis weit in die Kurve reingebremst, das Heck dreht leicht mit, dann wieder aufs Gas und ab dem Scheitelpunkt volle Kraft voraus. Obwohl da kein Sperrdifferential an der Hinterachse arbeitet, krallt sich die Alpine in den Asphalt und schiesst mit endlosem Grip wieder davon.

2022 Alpine A110 S
Die Alpine ist auf maximale Präzision und Performance getrimmt. Wer es quer will, muss das sehr provozieren, ansonsten ist Grip das oberste Gebot.

Wie diese Flunder auf der Strasse klebt und wie aggressiv man auch enge Kurven oder Bergabpassagen fahren kann, das geht einfach nur dank des sensationell geringen Gewichts. Für viele andere Autos wäre das eine Tortur, für die Alpine ist es ein Spiel. Und sie hält es länger durch als die allermeisten Fahrer. Dieses Auto ist ein Skalpell und vom Handling her auf Supersportwagen-Niveau.

2022 Alpine A110 S
Das Doppelkupplungsgetriebe beherrscht die gesamte Spreizung zwischen sanft und brachial. Trotzdem wäre eine Handschaltung das grosse Tüpfchen auf dem i dieses Autos.

Grüner als die Alpine geht kaum

20 Autos werden im französischen Dieppe täglich teilweise von Hand gefertigt. Mit ihrem geringen Gewicht und der geringen Anzahl ist die Alpine sehr viel ressourcenschonender als all die ach so grünen Hybride und batterieelektrischen Autos, die locker das Doppelte der Alpine auf die Waage bringen. Ja, wenn die Alpine gefordert wird, dann klettert der Verbrauch auf zweistellige Werte, aber heruntergebrochen auf das einzelne Auto ist sie trotz fossilem Treibstoff deutlich umweltschonender als die Massenproduktion eines jeden Elektroautos.

2022 Alpine A110 S
Das Cockpit wechselt die Darstellung je nach Fahrmodus. Unabhängig davon wird der Vierzylinder vor allem im oberen Drehzahlbereich richtig aggressiv.

Doch aufgrund der Verbrenner-feindlichen Politik ist sie nicht nur in ihrem Dasein bedroht, auch der Preis ist im Laufe der Jahre immer weiter nach oben geklettert. Die schwächere Basis-Alpine ist ab 64’750 Franken erhältlich, der Testwagen mit reichlich Carbon am anderen Ende der Fahnenstange kostet rund 94’000 Franken. Das Prädikat erschwinglich kann man der Alpine somit nicht mehr attestieren und vielleicht wären die Franzosen gut damit beraten, die Alpine nicht nur zu verkaufen, sondern auch zu vermieten. Es existieren nämlich kaum Autovermietungen, die eine Alpine im Fuhrpark besitzen und es gäbe da draussen garantiert jede Menge Fans, Enthusiasten und Petrolheads, die diesen fantastischen Sportwagen gerne einmal fahren würden.

2022 Alpine A110 S
Einmal Alpine fahren – schwierig, wenn ein Kauf aus finanziellen oder anderen Gründen nicht möglich ist. Dabei sollte jeder Sportwagen-Fan die Möglichkeit haben, das perfekte Verhältnis von Leistung und Gewicht zu erfahren.

Alltag 2 out of 5 stars

Die A110 S verlangt aufgrund ihres straffen Fahrwerks Nehmerqualitäten. Zudem bleibt der Platz ein Problem. Zwar finden selbst Sitzriesen eine gute Sitzposition, aber es fehlt an gescheiten Ablagen oder Cupholdern. Und die beiden “Kofferräume” erfordern fortgeschrittene Tetris-Skills.

Fahrdynamik 5 out of 5 stars

Die Alpine ist ein Sportwagen wie aus dem Bilderbuch. Sie ist durchzugsstark, extrem agil, sehr kommunikativ und vor allem legt sie den Grenzbereich so weit oben an, dass man kaum dahinkommt. Hier geht es nicht nur um die Freude am Fahren, sie ist ein wahrhaftiges Performance-Tool, das auf kurvigen Strecken selbst deutlich stärkeren Autos folgen kann.

Umwelt 3.5 out of 5 stars

Man kann die Alpine mit einem Verbrauch von rund sieben Litern bewegen, was angesichts ihrer Leistung nur dank des sensationell geringen Gewichts möglich ist. Doch wer solche Verbräuche regelmässig erzielt, sollte sich vielleicht überlegen, ob man sich bei der Autowahl nicht falsch entschieden hat. Wer das Auto so bewegt, wozu es gebaut wurde, landet wie ich im Test bei 10,0 l/100 km.

Ausstrahlung 5 out of 5 stars

Ob man die Alpine mit dem Aero-Kit schöner findet oder nicht, ist Geschmackssache. Doch was bleibt ist ein filigraner, wohlproportionierter Mittelmotor-Sportler mit dem nötigen Retro-Charme. Auch Jahre nach der Einführung ist die Alpine immer noch eine Rarität auf den Strassen und die bewundernden Blicke sind einem gewiss.

Fazit 5 out of 5 stars

+ Zeitloses Design mit gelungenen Retro-, und Sport-Akzenten
+ Rennsportartige Schalensitze, sehr gute Ergonomie auch für gross gewachsene
+ Einfache Bedienung mit erneuertem Infotainment-System und vielen Knöpfen
+ Hochwertige und liebevolle Verarbeitung
+ Sehr niedriges Gewicht
+ Sehr kerniger und präsenter Motorsound
+ Drehfreudiger Turbomotor
+ Aggressives und flinkes Getriebe
+ Grip ohne Ende
+ Sehr feinfühliges ESP
+ Starke Bremse mit guter Dosierbarkeit
+ Messerscharfe Lenkung mit toller Rückmeldung
+ Wundervolle Agilität und Lebendigkeit
+ Keine reinpiepsende Assistenzsysteme

– Fürs Reisen kaum Platz fürs Gepäck, wenig Ablagemöglichkeiten
– Handschaltung bleibt wohl für immer ein Wunschtraum
– Preis im Laufe der Zeit immer weiter angehoben

Mängel am Testwagen

– Keine Mängel

Steckbrief

Marke / ModellAlpine A110 S
Preis Basismodell / Testwagen77 900 CHF / 94 302 CHF
AntriebBenzin, Heckantrieb
Hubraum / Zylinder1798 ccm / R4
Motoranordnung / MotorkonzeptMittelmotor / Turbomotor
Getriebe7-Gang Doppelkupplungsgetriebe
Max. Leistung221 kW bei 6300 r/min
Max. Drehmoment340 Nm bei 2400 - 6000 r/min
Beschleu­nigung 0–100 km/h4,2 s
Vmax275 km/h (elektronisch abgeregelt)
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz7,0 l/100 km / 159 g/km / D
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz10,0 l/100 km / 227 g/km / +43%
Länge / Breite / Höhe4,18 m / 1,80 m / 1,25 m
Leergewicht1114 kg
Kofferraumvolumen96 l vorne + 100 l hinten

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