Alfa Romeo Giulia: Nostalgie

Nein, ich spreche nicht von der seligen Giulia der 60er-Jahre, sondern tatsächlich von der aktuellen Giulia, wie auf den Bildern unschwer zu erkennen ist. Und trotzdem: Diese Einfachheit und die Freude am Fahren, die ist in den sieben Jahren, in denen die Giulia uns nun schon beehrt, leider immer seltener geworden. Ja, auch Alfa Romeo arbeitet intensiv an der Elektromobilität, doch bevor es so weit ist, haben Giulia und Stelvio noch einmal ein sanftes Facelift erhalten. Viel hat sich dabei jedoch nicht verändert, weshalb es nun auch ein wenig von den persönlichen Präferenzen abhängt, ob man die neue Giulia veraltet oder begehrenswerter denn je empfindet.

Die Strasse wäre ein einziger Laufsteg, wenn sich nur italienische Autos darauf bewegen würden. Die Giulia ist ein weiteres Paradebeispiel, dass die Italiener einfach ein Händchen für ein stylisches und vor allem zeitloses Design haben. Bis auf die LED-Matrix-Scheinwerfer und frischem Lack sieht sie aus wie an ihrem Debüt und sie ist verdammt gut gealtert. Die Proportionen und Linien sind immer noch sehr knackig, weshalb es überhaupt keine Kritik ist, dass das Design praktisch unangetastet geblieben ist – im Gegenteil, die bisherigen Kunden freut es bestimmt, dass ihre Giulia immer noch aktuell wirkt.

2023 Alfa Romeo Giulia
Die Scheinwerfer mit Matrix-Technik sind die einzige Design-Neuerung.

Gute Qualität, wenig Platz

Auch im Innenraum halten sich die Neuerungen arg in Grenzen. Es gibt jetzt – dem Zeitgeist geschuldet – ein komplett digitales Cockpit, welches drei verschiedene Stile zulässt, einer davon im Retro-Stil. Das Infotainmentsystem wurde ebenfalls aktualisiert, aber das ist definitiv der offensichtlichste Punkt, der das wahre Alter des Autos offenbart. Obwohl die Bedienung dank Touchscreen und Dreh-Drücker erfreulich einfach und insgesamt intuitiv ist, kann das System, insbesondere was Online-Navigation und Sprachsteuerung betrifft, einfach bei weitem nicht mit State-of-the-Art Systemen mithalten.

2023 Alfa Romeo Giulia
Das Cockpit ist sehr schlicht und wirkt für heutige Verhältnisse sehr klassisch. Die Qualität ist durchgehend gut.

Ein weiterer Schwachpunkt ist das verhältnismässig knappe Platzangebot auf allen Plätzen. Bereits vorne sitzt es sich wie in einem eng geschnittenen Anzug, hinten wird es dann für grosse Personen schon nahezu unmöglich, bequem zu sitzen und der fünfte Platz ist aufgrund des üppigen Mitteltunnels nur als Notlösung zu sehen. Der Kofferraum ist Limousinen-typisch ebenfalls kein Raumwunder, für die Grösse des Autos aber okay. Mehr als nur okay ist dafür die Qualität im Innenraum. Im Laufe der Zeit hat sich diese stark gesteigert, sodass eine Giulia heute piekfein verarbeitet ist und optional, wie im Testwagen verbaut, auch mit einer üppigen Lederausstattung vorfährt.

2023 Alfa Romeo Giulia
Die Sitze stützen gut und bieten eine tolle Ergonomie. Aber schon vorne sitzt es sich eher eng.

Fahrfeeling im Vordergrund

Im Vergleich zu früher wurde das Antriebsportfolio stark ausgedünnt. Der schwächere Benziner sowie die Variante mit Heckantrieb wurden gestrichen, sodass auf der Benziner-Seite nebst dem Quadrifoglio nur noch die Test-Konfiguration mit 206 kW sowie Allradantrieb zur Verfügung steht. Immerhin: Der Diesel mit 154 kW ist ebenfalls noch im Programm. Für Sportwagen-Feeling sorgt der ins Lenkrad integrierte Startknopf. Was danach folgt, ist aber sehr dezent, denn soundtechnisch ist (und war sie schon immer) die Giulia sehr zurückhaltend. Per Default ist das Auto immer in Neutral-Modus unterwegs; weitere Fahrmodi sind All Wheater sowie Dynamic.

2023 Alfa Romeo Giulia
Das niedrige Gewicht und das hecklastige Handling sorgen für viel Fahrspass.

Bereits im Normal-Modus tritt die Sportlichkeit und die Leichtigkeit von Alfa Romeo deutlich zutage. Die Lenkung ist messerscharf und reagiert äusserst präzise, der maximale Lenkeinschlag ist nur leicht mehr als eine Umdrehung. Ebenfalls stets spürbar: Das für heutige Verhältnisse sensationelle Gewicht von 1620 Kilo. Für eine Allrad-Limousine ist das ein toller Wert. Das sorgt in Verbindung mit der agilen Lenkung für ein lebhaftes, quirliges und erfreuliches Handling.

2023 Alfa Romeo Giulia
Der Motor hat genügend Power, doch Drehfreude und Sound lassen zu wünschen übrig.

Spass ja, Hardcore nein

Ebenfalls einzigartig diesseits der Supersportwagen-Welt: Die riesigen, feststehenden Schaltpaddels aus Aluminium. Sie machen den Wechsel zum manuellen Modus zum Genuss. Die kurz übersetzten Gänge fordern ausserdem häufige Gangwechsel, was den Fahrspass abermals unterstreicht. Für viele Grins-Momente sorgt ausserdem der hecklastige Allradantrieb, der insbesondere auf feuchten Strecken immer wieder dafür sorgt, dass das Heck in den Kurven zuckt. Fahrfreude vor Traktion!

2023 Alfa Romeo Giulia
Die grossen Alu-Schaltpaddels machen jeden Gangwechsel zu einem kleinen Ritual.

Wer hingegen volle Pulle fahren möchte, muss zur deutlich stärkeren (und teureren) Quadrifoglio-Version greifen. Erstens werkelt dort ein halber Ferrari-Motor, der im Gegensatz zum leider recht charakterlosen Zweiliter-Aggregat im Testwagen deutlich mehr Emotionen und Soundspektakel zu liefern vermag. Zweitens sorgt Alfa Romeo mit dem hecklastigen Allradantrieb zwar für ein tolles Feeling, doch mehr als ein Zucken des Hecks ist nicht drin, da das ESP dann sofort eingreift. Ein ESP-Sport-Modus oder sogar die Möglichkeit, das ESP komplett zu deaktivieren, sind ebenfalls dem sportlichen Topmodell vorbehalten.

2023 Alfa Romeo Giulia
Das digitale Cockpit bietet drei verschiedene Ansichten an.

Alte Werte, die zählen

Die Alfa Romeo Giulia mag im Jahrzehnt der Digitalisierung und Elektromobilität nicht mehr ganz taufrisch wirken. Ihr Design und ihre Fahrfreude, ihr geringes Gewicht sowie der offensichtliche Fokus als Fahrerauto anstatt fahrender KI-Rechner sind für Enthusiasten jedoch Balsam für die Seele. Alfa Romeo verkörpert mit der Giulia etwas, was heute mehr und mehr verloren geht – auch Alfa Romeo startet demnächst mit der Elektromobilität. Das alles macht die Giulia als Neuwagen mittlerweile zu etwas Besonderem. Gleichwohl halten sich die Neuerungen im Vergleich zu den Vorgängermodellen in engen Grenzen. Wer die pure Fahrfreude als Neuwagen sucht, ist hier goldrichtig. Allerdings kann man sich dieselbe Freude auch in Form einer Occasion holen und dabei eine Menge Geld sparen.

2023 Alfa Romeo Giulia
Der Fahrspass des Autos ist heute verglichen mit dem Markt auf noch höherem Niveau als damals.

Alltag 3.5 out of 5 stars

Für eine Mittelklasse-Limousine sind die Platzverhältnisse ziemlich beschränkt.

Fahrdynamik 4.5 out of 5 stars

Ganz klar das Highlight dieses Autos. Direktes, agiles, leicht hecklastiges Handling gepaart mit einem durchzugsstarken, aber leider recht emotionslosem Motor. Wettgemacht wird dies durch die harschen Gangwechsel, die mit den riesigen Schaltpaddeln dirigiert werden.

Umwelt 3 out of 5 stars

Der Motor hat doch schon ein paar Jahre auf dem Buckel und ist kein Effizienzwunder. Im Mix aus Alltag und sportlichen Fahrten resultiert ein recht hoher Testverbrauch von 9,6 l/100 km.

Ausstrahlung 5 out of 5 stars

Obwohl das Design in all den Jahren kaum angetastet wurde, ist die Giulia immer noch eine Augenweide auf den Strassen. Die klassischen Proportionen und ihr schnittiges, flaches Design bezaubern auch heute noch.

Fazit 4 out of 5 stars

+ Stylisches und zeitloses Design
+ Hohe Qualität im Innenraum
+ Tiefe Sitzposition, guter Seitenhalt
+ Einfache Bedienung
+ Geringes Gewicht
+ Druckvoller Motor
+ Tolle Schaltpaddels, Getriebe mit grosser Spreizung zwischen weich und hart
+ Hecklastiges Fahrverhalten
+ Sehr direkte Lenkung
+ Exzellentes Matrix-Licht
+ Zuverlässige Assistenzsysteme

– Knappe Platzverhältnisse
– Gemächliches Infotainmentsystem mit kleinem Bildschirm
– Tendenziell hoher Verbrauch
– ESP unantastbar

Mängel am Testwagen

– Keine Mängel

Steckbrief

Marke / ModellAlfa Romeo Giulia
Preis Basismodell / Testwagen62 900 CHF / 81 100 CHF
AntriebBenzin, Allradantrieb
Hubraum / Zylinder1995 ccm / R4
Motoranordnung / MotorkonzeptFrontmotor / Turbomotor
Getriebe8-Gang-Automatikgetriebe
Max. Leistung206 kW bei 5250 r/min
Max. Drehmoment400 Nm bei 2250 r/min
Beschleu­nigung 0–100 km/h5,2 s
Vmax240 km/h
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz8,4 l/100 km / 190 g/km / F
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz9,6 l/100 km / 217 g/km / +14%
Länge / Breite / Höhe4,65 m / 1,86 m / 1,44 m
Leergewicht1620 kg
Kofferraumvolumen480 l

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