Nein, ich spreche nicht von der seligen Giulia der 60er-Jahre, sondern tatsächlich von der aktuellen Giulia, wie auf den Bildern unschwer zu erkennen ist. Und trotzdem: Diese Einfachheit und die Freude am Fahren, die ist in den sieben Jahren, in denen die Giulia uns nun schon beehrt, leider immer seltener geworden. Ja, auch Alfa Romeo arbeitet intensiv an der Elektromobilität, doch bevor es so weit ist, haben Giulia und Stelvio noch einmal ein sanftes Facelift erhalten. Viel hat sich dabei jedoch nicht verändert, weshalb es nun auch ein wenig von den persönlichen Präferenzen abhängt, ob man die neue Giulia veraltet oder begehrenswerter denn je empfindet.
Die Strasse wäre ein einziger Laufsteg, wenn sich nur italienische Autos darauf bewegen würden. Die Giulia ist ein weiteres Paradebeispiel, dass die Italiener einfach ein Händchen für ein stylisches und vor allem zeitloses Design haben. Bis auf die LED-Matrix-Scheinwerfer und frischem Lack sieht sie aus wie an ihrem Debüt und sie ist verdammt gut gealtert. Die Proportionen und Linien sind immer noch sehr knackig, weshalb es überhaupt keine Kritik ist, dass das Design praktisch unangetastet geblieben ist – im Gegenteil, die bisherigen Kunden freut es bestimmt, dass ihre Giulia immer noch aktuell wirkt.
Gute Qualität, wenig Platz
Auch im Innenraum halten sich die Neuerungen arg in Grenzen. Es gibt jetzt – dem Zeitgeist geschuldet – ein komplett digitales Cockpit, welches drei verschiedene Stile zulässt, einer davon im Retro-Stil. Das Infotainmentsystem wurde ebenfalls aktualisiert, aber das ist definitiv der offensichtlichste Punkt, der das wahre Alter des Autos offenbart. Obwohl die Bedienung dank Touchscreen und Dreh-Drücker erfreulich einfach und insgesamt intuitiv ist, kann das System, insbesondere was Online-Navigation und Sprachsteuerung betrifft, einfach bei weitem nicht mit State-of-the-Art Systemen mithalten.
Ein weiterer Schwachpunkt ist das verhältnismässig knappe Platzangebot auf allen Plätzen. Bereits vorne sitzt es sich wie in einem eng geschnittenen Anzug, hinten wird es dann für grosse Personen schon nahezu unmöglich, bequem zu sitzen und der fünfte Platz ist aufgrund des üppigen Mitteltunnels nur als Notlösung zu sehen. Der Kofferraum ist Limousinen-typisch ebenfalls kein Raumwunder, für die Grösse des Autos aber okay. Mehr als nur okay ist dafür die Qualität im Innenraum. Im Laufe der Zeit hat sich diese stark gesteigert, sodass eine Giulia heute piekfein verarbeitet ist und optional, wie im Testwagen verbaut, auch mit einer üppigen Lederausstattung vorfährt.
Fahrfeeling im Vordergrund
Im Vergleich zu früher wurde das Antriebsportfolio stark ausgedünnt. Der schwächere Benziner sowie die Variante mit Heckantrieb wurden gestrichen, sodass auf der Benziner-Seite nebst dem Quadrifoglio nur noch die Test-Konfiguration mit 206 kW sowie Allradantrieb zur Verfügung steht. Immerhin: Der Diesel mit 154 kW ist ebenfalls noch im Programm. Für Sportwagen-Feeling sorgt der ins Lenkrad integrierte Startknopf. Was danach folgt, ist aber sehr dezent, denn soundtechnisch ist (und war sie schon immer) die Giulia sehr zurückhaltend. Per Default ist das Auto immer in Neutral-Modus unterwegs; weitere Fahrmodi sind All Wheater sowie Dynamic.
Bereits im Normal-Modus tritt die Sportlichkeit und die Leichtigkeit von Alfa Romeo deutlich zutage. Die Lenkung ist messerscharf und reagiert äusserst präzise, der maximale Lenkeinschlag ist nur leicht mehr als eine Umdrehung. Ebenfalls stets spürbar: Das für heutige Verhältnisse sensationelle Gewicht von 1620 Kilo. Für eine Allrad-Limousine ist das ein toller Wert. Das sorgt in Verbindung mit der agilen Lenkung für ein lebhaftes, quirliges und erfreuliches Handling.
Spass ja, Hardcore nein
Ebenfalls einzigartig diesseits der Supersportwagen-Welt: Die riesigen, feststehenden Schaltpaddels aus Aluminium. Sie machen den Wechsel zum manuellen Modus zum Genuss. Die kurz übersetzten Gänge fordern ausserdem häufige Gangwechsel, was den Fahrspass abermals unterstreicht. Für viele Grins-Momente sorgt ausserdem der hecklastige Allradantrieb, der insbesondere auf feuchten Strecken immer wieder dafür sorgt, dass das Heck in den Kurven zuckt. Fahrfreude vor Traktion!
Wer hingegen volle Pulle fahren möchte, muss zur deutlich stärkeren (und teureren) Quadrifoglio-Version greifen. Erstens werkelt dort ein halber Ferrari-Motor, der im Gegensatz zum leider recht charakterlosen Zweiliter-Aggregat im Testwagen deutlich mehr Emotionen und Soundspektakel zu liefern vermag. Zweitens sorgt Alfa Romeo mit dem hecklastigen Allradantrieb zwar für ein tolles Feeling, doch mehr als ein Zucken des Hecks ist nicht drin, da das ESP dann sofort eingreift. Ein ESP-Sport-Modus oder sogar die Möglichkeit, das ESP komplett zu deaktivieren, sind ebenfalls dem sportlichen Topmodell vorbehalten.
Alte Werte, die zählen
Die Alfa Romeo Giulia mag im Jahrzehnt der Digitalisierung und Elektromobilität nicht mehr ganz taufrisch wirken. Ihr Design und ihre Fahrfreude, ihr geringes Gewicht sowie der offensichtliche Fokus als Fahrerauto anstatt fahrender KI-Rechner sind für Enthusiasten jedoch Balsam für die Seele. Alfa Romeo verkörpert mit der Giulia etwas, was heute mehr und mehr verloren geht – auch Alfa Romeo startet demnächst mit der Elektromobilität. Das alles macht die Giulia als Neuwagen mittlerweile zu etwas Besonderem. Gleichwohl halten sich die Neuerungen im Vergleich zu den Vorgängermodellen in engen Grenzen. Wer die pure Fahrfreude als Neuwagen sucht, ist hier goldrichtig. Allerdings kann man sich dieselbe Freude auch in Form einer Occasion holen und dabei eine Menge Geld sparen.
Alltag
Für eine Mittelklasse-Limousine sind die Platzverhältnisse ziemlich beschränkt.
Fahrdynamik
Ganz klar das Highlight dieses Autos. Direktes, agiles, leicht hecklastiges Handling gepaart mit einem durchzugsstarken, aber leider recht emotionslosem Motor. Wettgemacht wird dies durch die harschen Gangwechsel, die mit den riesigen Schaltpaddeln dirigiert werden.
Umwelt
Der Motor hat doch schon ein paar Jahre auf dem Buckel und ist kein Effizienzwunder. Im Mix aus Alltag und sportlichen Fahrten resultiert ein recht hoher Testverbrauch von 9,6 l/100 km.
Ausstrahlung
Obwohl das Design in all den Jahren kaum angetastet wurde, ist die Giulia immer noch eine Augenweide auf den Strassen. Die klassischen Proportionen und ihr schnittiges, flaches Design bezaubern auch heute noch.
Fazit
+ Stylisches und zeitloses Design
+ Hohe Qualität im Innenraum
+ Tiefe Sitzposition, guter Seitenhalt
+ Einfache Bedienung
+ Geringes Gewicht
+ Druckvoller Motor
+ Tolle Schaltpaddels, Getriebe mit grosser Spreizung zwischen weich und hart
+ Hecklastiges Fahrverhalten
+ Sehr direkte Lenkung
+ Exzellentes Matrix-Licht
+ Zuverlässige Assistenzsysteme
– Knappe Platzverhältnisse
– Gemächliches Infotainmentsystem mit kleinem Bildschirm
– Tendenziell hoher Verbrauch
– ESP unantastbar
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Alfa Romeo Giulia |
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Preis Basismodell / Testwagen | 62 900 CHF / 81 100 CHF |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1995 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Getriebe | 8-Gang-Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 206 kW bei 5250 r/min |
Max. Drehmoment | 400 Nm bei 2250 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 5,2 s |
Vmax | 240 km/h |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 8,4 l/100 km / 190 g/km / F |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 9,6 l/100 km / 217 g/km / +14% |
Länge / Breite / Höhe | 4,65 m / 1,86 m / 1,44 m |
Leergewicht | 1620 kg |
Kofferraumvolumen | 480 l |