Alfa Romeo ist Weltmeister im warm halten der aktuellen Modelle. Die Giulietta ist gefühlt eine ganze Menschengeneration auf dem Markt und immer noch als Neuwagen erhältlich. Auch der Stelvio ist mittlerweile nicht mehr der Jüngste, wurde aber kontinuierlich weiterentwickelt. Kann einen der heissblütige Italiener um den Finger wickeln? Oder blickt das Alter zu sehr durch?
Optisch braucht sich der Stelvio nicht zu verstecken, ganz im Gegenteil. Er ist wie George Clooney, er wird nicht älter, sondern besser. Geändert hat sich freilich wenig. Der Testwagen verfügt über das optionale Carbon-Paket, wodurch der Scudetto sowie die Aussenspiegel in Carbon-Optik erscheinen. Durch die Veloce-Ausstattungslinie sind zudem Schriftzüge und Auspuffblenden in Schwarz gehalten. Dazu kommen schwarze Felgen im 21″-Format sowie eine wunderschöne Perlmut-Lackierung. Damit könnte der Stelvio direkt an einem Concours d’ Elegance vorfahren. Die Italiener haben einfach ein Händchen für unvergängliches Design!
Digitalisierung mit Mass
Das Cockpit fokussiert sich auf das Wesentliche und das sind keine Riesendisplays. Stattdessen stehen das abgeflachte Lenkrad mit integriertem Startknopf sowie die feststehenenden, liebevoll gefrästen Aluminium-Schaltpaddels im Zentrum. Ein kleines Zentraldisplay im Cockpit vermittelt die wichtigsten Infos, flankiert von klassischen Rundinstrumenten. Da kommt beinahe Nostalgie auf!
Dass der Stelvio trotz fantastischem Design und Längsmotoren üppige Platzverhältnisse bietet, ist keine Selbstverständlichkeit. Vorne wie hinten sitzt man luftig und mit genügend Bewegungsfreiheit. Dank Sportsitzen vorne ist eine gute Integration ins Auto gewährleistet. Der Kofferraum ist zwar geräumig, jedoch sind Befestigungsmöglichkeiten nur spärlich vorhanden.
Das Gefühl der Integration
Anständiger Motorsound ist generell eine grosse Stärken der Italiener und während der QV diesbezüglich brilliert, bleibt der Zweiliter-Turbo soundmässig auf der Strecke. Mehr als Handstaubsauger-Sound kommt leider nicht hinten raus. Dafür fühlt man sich schnell mit dem Auto verbunden, denn in diesem SUV wird man nicht abgekapselt, sondern spürt über das Fahrwerk und die Lenkung die Strasse.
Adaptive Dämpfer sind beim Testwagen nicht an Bord, sodass das Setup eher auf der sportlichen Seite steht. Jedoch bleibt der Stelvio unaufdringlich und auf gemütlichen Fahrten entspannt. Im Neutral-Modus wahrt das Getriebe die Ruhe und arbeitet mit dem Drehmoment. Abstandstempomat, Tot-Winkel-Warner und Müdigkeitswarner sorgen für zusätzlichen Komfort und Sicherheit. Ein Stau-Assistent, LED-Scheinwerfer oder ein Parkassistent sind jedoch nicht an Bord.
Italienisches Temperament
Ungestümen Vorwärtsdrang entwickelt der Stelvio im Dynamic-Modus, der bevorzugt mit manueller Schaltung gefahren werden sollte. Dem drehmomentstarken Motor geht zwar schon bei 5500 Umdrehungen die Puste aus, allerdings sorgen die kurz übersetzten Gänge dennoch für kräftigen Durchzug und viel Schaltspass. Die Paddels machen jeden Schaltvorgang zum Erlebnis, ausserdem werden die Gänge mit einer Härte durchgeschaltet, die man von einem SUV nicht erwartet!
Dass beim Stelvio erst der Quadrifoglio entwickelt und daraus abgeleitet das Basismodell entstand, spürt man in jeder Kurve. Die Lenkung ist die direkteste in einem SUV überhaupt und ist puncto Feedback und Präzision auf Porsche-Niveau. Das steife Chassis, das sportliche Fahrwerk und massgeschneiderte Pirelli P Zero Reifen bringen ein extrem neutrales Handling zustande, wie es andere Hersteller erst bei ihren dedizierten Sport-Modellen erreichen. Wer ein noch intensiveres und hecklastigeres Handling wünscht, kann ein Sperrdifferential für die Hinterachse dazu ordern.
Stolzes Preisschild
Der Alfa Romeo Stelvio begeistert mit seinem Design, dem sportlichen Fahrfeeling sowie der hochwertigen Qualität. Technisch sind jedoch ein paar Abstriche in Kauf zu nehmen: Infotainmentsystem, Scheinwerfer sowie das Angebot an Assistenzsystemen sind nicht mehr ganz aktuell und das obwohl im Vergleich zum Launch des Modells die Technik verbessert wurde.
Im Prinzip kein grosser Minuspunkt, wären die Italiener nicht rücksichtslos mit dem Preis nach oben gegangen. Kostete der Stelvio-Testwagen mit identischer Motorisierung im Jahr 2018 noch 67’800 Franken, so schlägt der neue Testwagen mit etwas besserer Ausstattung und Technik mit 89’350 Franken zu Buche. Da muss sich selbst ein patriotischer Italiener zwei Mal fragen, ob die Anschaffung eines Neuwagens es Wert ist.
Alltag
Trotz Längsmotor und langer Schnauze bietet der Stelvio allen Insassen genügend Platz. Der Kofferraum ist ebenfalls sehr geräumig, allerdings verfügt der Stelvio über keine Variabilität. Ausserdem ist der Wendekreis sehr gross.
Fahrdynamik
Vom Handling her ist der Stelvio sehr hoch im Kurs. Die Lenkung ist ultra-direkt, sehr präzise und dennoch nicht nervös, ein Benchmark im Segment. Das Fahrwerk ist eher auf der sportlichen Seite und hält die Seitenneigung in Grenzen. Im manuellen Modus knallt das Getriebe die Gänge ausserdem heftig durch. Leider dreht der Motor nicht gerne hoch und der Sound ist sehr dürftig.
Umwelt
Obwohl der Stelvio mit unter zwei Tonnen Gewicht kein Schwergewicht ist, ist der Zweiliter-Benziner ein Säufer. Abgesehen von der Start-Stopp-Automatik ist keine Spritspartechnik an Bord. Im Test flossen 10,6 l/100 km, ein Wert, der im Verhältnis zu hoch ist.
Ausstrahlung
Das Design vom Stelvio wirkt nach wie vor sportlich-elegant und ganz frisch. Der Testwagen in Weiss mit Carbon-Elementen und schwarzen Felgen ist eine wahre Augenweide.
Fazit
+ Zeitloses, sportliches Design
+ Geräumiger Innenraum
+ Sehr gute Verarbeitung, top Materialien
+ Bedienung via Dreh-Drücker oder Touchscreen
+ Ausreichender Fahrkomfort trotz grossen Rädern
+ Verschiedene Fahrmodi mit grosser Spreizung
+ Unauffälliges, aber bei Bedarf aggressives Automatikgetriebe
+ Sensationelle, feststehende Schaltpaddels
+ Hecklastiger Allradantrieb
+ Ultra-direkte und sehr präzise Lenkung
+ Standfeste Bremse mit gutem Pedaldruck
+ State-of-the-Art Assistenzsysteme, einstellbar und auch permanent deaktivierbar
– Hoher Preis
– Hoher Verbrauch
– Kaum Motorsound, dafür furchtbarer Sound-Symposer im Dynamic-Modus
– Keine LED-Scheinwerfer
– Kleiner Touchscreen
– Teils begriffsstutzige Sprachsteuerung
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Alfa Romeo Stelvio |
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Preis Basismodell / Motorisierung / Testwagen | 54 990 CHF / 74 990 CHF / 89 350 CHF |
Hubraum / Zylinder | 1995 ccm / R4 |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Getriebe | 8-Gang Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 206 kW bei 5250 r/min |
Max. Drehmoment | 400 Nm bei 2250 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 5,7 s |
Vmax | 230 km/h |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 9,1 l/100 km / 206 g/km / F |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 10,6 l/100 km / 240 g/km / +16% |
Länge / Breite / Höhe | 4,69 m / 1,90 m / 1,67 m |
Leergewicht | 1910 kg |
Kofferraumvolumen | 525 - 1600 l |
Bilder: Koray Adigüzel