Stellt euch vor, ihr seid an der Bar und entdeckt eine äusserst attraktive Person. Ihr mustert sie und nickt unauffällig anerkennend. Jackpot! Ihr begebt euch zu dieser Person, nähert euch an und kommt in ein Gespräch. Doch je länger dieses Gespräch andauert, desto stärker wird die Einsicht, dass die inneren Werte und Charakterzüge eures Gegenübers nicht mit euren Vorstellungen übereinstimmen. Die äussere Attraktivität hat getrogen. Jetzt ersetzt die Person an der Bar mit dem Alfa Romeo Tonale und wir sind bereits mittendrin in der Geschichte.
Alfa Romeo sitzt auf einem echten Juwel: Nämlich auf sich selber, respektive den Markenwerten. Alfa gehört zu den wenigen Marken, welche die meisten Autofans einfach gerne haben möchten, selbst wenn es nicht immer objektive Gründe dafür gibt. Doch ein besonders gewichtiges Argument liefern die Italiener beim Tonale (und bei allen anderen Modellen auch): Das Design. Ob man jetzt SUVs mag oder nicht, man muss neidlos zugeben, dass der Tonale einfach aus allen Blickwinkeln gefällt.
Insbesondere in der kräftigen Farbe Misano Blu mit schwarz abgesetzten Akzenten an Grill und Spiegeln, grimmigen Scheinwerfern und spitz zulaufender Front ist das SUV ein echter Hingucker. Dazu kommen markante 20-Zoll-Felgen, eine breite C-Säule sowie ein auffälliges LED-Leuchtband am Heck. Was fehlt, sind auffällige Auspuffrohre, aber zu diesem Thema kommen wir später.
Hochwertiges Cockpit
Qualität, Multimedia-Technologie und Praktikabilität sind nicht unbedingt Eigenschaften, die man in erster Linie einem Alfa zuschreiben würde. Doch der Tonale belehrt alle eines besseren. Wohl noch selten zuvor war ein Alfa Romeo so sorgfältig verarbeitet und überall, wo man regelmässig hin fasst, finden sich auch wertige Materialien. Obwohl der Tonale kleiner als der Stelvio ist, bietet er ein ähnliches Platzangebot, da er viel weniger Motorraum «verschwenden» muss. Man sitzt überall schön luftig, vorne mit gutem Seitenhalt, allerdings leider zu hoch – zumindest als grosse Person.
Das Infotainmentsystem ist intuitiv personalisierbar und gefällt mit Online-Navigation, guter Reaktionszeit und insgesamt guter Bedienbarkeit. Alfa Romeo zeigt ausserdem, dass die Klimaleiste für die Bedienung noch nicht ausgestorben sein muss. Sie ist viel praktischer als jedes Touchscreen-Gefummele und das Design wirkt deswegen weder veraltet, noch unattraktiv. Die bordeigene Sprachsteuerung ist leider im vorletzten Jahrzehnt stehen geblieben, aber über das eigene Amazon-Konto und einer App lässt sich Alexa in den Tonale integrieren. Da hätten sich die Entwickler das unbrauchbare, eigene Sprachdialogsystem auch ganz sparen können.
NFT-Technologie für garantierte Wartung
Der Tonale ist das erste Serienauto überhaupt, welches ein NFT-Token (Non-Fungible Token), das auf der Blockchain-Technologie basiert, verwendet. Mit dem Einverständnis des Besitzers zeichnet das Auto somit die ordnungsgemässe Wartung sowie allfällige Reparaturen auf und speichert diese Daten in Form eines fälschungssicheren, digitalen Zertifikats. Für die alltägliche Benutzung hat das keinen Einfluss oder Vorteile, allerdings schafft es zusätzliche Sicherheit und Vertrauen beim Gebrauchtwagenkauf – für alle Beteiligten.
Cuore sportivo weicht cuore ecologico
Obwohl Alfa Romeo kein eigentlicher Sportwagen-Bauer wie beispielsweise Porsche ist, verbindet man nach wie vor Sportlichkeit mit der Marke. Der Spirit und die Tradition schreiben das vor – der berühmte Cuore sportivo, das sportliche Herz. Doch das Herz des Alfa Romeo Tonale fühlt sich eher an, als hätte es einen Herzinfarkt erlitten und würde sich nun in der Reha-Klinik mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit befinden. Auf dem Papier wirkt alles noch ganz passabel: Mild-Hybrid-Antrieb mit 118 kW, Doppelkupplungsgetriebe, nur Frontantrieb, dafür verhältnismässig wenig Gewicht mit 1600 Kilo.
Doch in der Praxis erweist sich der Motor als absoluter Sportmuffel. Trotz Elektrounterstützung leidet er unter einer spürbaren Anfahrschwäche und seine mangelnde Drehfreude ist eklatant. Dazu kommt, dass das Getriebe bauart-untypisch sehr langsam agiert und manchmal nur widerwillig einen Gang runterschaltet. Dass der Wagen sich im Normal-Modus des DNA-Programms so unsportlich verhält, ist eine schlechte Überraschung. Im Allwetter-Modus ist der Antrieb dann auf dem Niveau eines Toyota Prius und wirklich nur für furchtbar schlechte Strassenverhältnisse geeignet.
Handling zeigt, was Alfa Romeo könnte
Um dem Antrieb seine Leistung herauszukitzeln, muss man in den Sport-Modus und zusätzlich in den manuellen Schaltmodus wechseln. So kann man der Trägheit des Antriebs wenigstens teilweise entgegen wirken und die Handlingqualitäten des SUVs geniessen. Das straffe Fahrwerk lädt zusammen mit der sehr direkten Lenkung nämlich dazu ein, Kurven zügiger zu durchfahren. Ebenfalls nicht lumpen lässt sich die bissige Bremsanlage, die locker viel mehr Motorleistung handeln könnte.
Alleinstellungsmerkmal fehlt
Der Alfa Romeo Tonale prescht Kopf voran in ein extrem hart umkämpftes Segment. Es ist erfreulich, dass Alfa Romeo (assistenz-)technisch und qualitativ einen grossen Sprung nach vorne gemacht hat. Und trotz des tollen Designs sind die Platzverhältnisse absolut in Ordnung. Aber: Viele Konkurrenten stehen dem Tonale diesbezüglich in keiner Weise nach. Mit dem stolzen Preis von 60’100 Franken misst sich der Tonale ausserdem mit der mehrbesseren Hälfte der Konkurrenten. Ein quirliger Antrieb in Kombination mit dem tollen Handling hätte den Tonale klar aus der Masse herausstechen lassen. Doch so, wie er jetzt dasteht, bleibt ihm lediglich das schöne Design, um aufzufallen. Ob ihm das genügen wird?
Alltag
Der Alfa Romeo Tonale bietet im Verhältnis zur Grösse ein gutes Platzangebot und ist der Beweis, dass schönes Design nicht zwingend eine schlechte Übersicht mit sich ziehen muss. Umständlich ist aber der grosse Wendekreis.
Fahrdynamik
Der Tonale würde eigentlich gerne: Das straffe Fahrwerk, die spitz asprechende und direkte Lenkung sowie die bissigen Bremsen verhelfen dem Italiener zu einem tollen Handling. Leider aber ist der Motor träge und drehfaul und das Getriebe ist überhaupt nicht auf Zack.
Umwelt
Der Testverbrauch von 7,2 l/100 km unter winterlichen und auch sportlichen Bedingungen ist im akzeptablen Rahmen. Das sehr frühe Abstellen des Motors und die Elektro-Starthilfe des Mild-Hybrid-Systems zeigen hier gute Wirkung.
Ausstrahlung
Braucht eigentlich keine grosse Worte. Wenn die Italiener etwas mit Sicherheit können, dann ist es das Designen von schönen Autos.
Fazit
+ Eigenständiges, cooles und sportliches Design
+ Hochwertige Verarbeitungsqualität
+ Bequeme Sitze mit gutem Seitenhalt
+ Personalisierbares und intuitives Infotainmentsystem
+ Grosszügige Platzverhältnisse
+ Direkte Lenkung, hohe Agilität
+ Knackiges Fahrwerk
+ Gut dosierbare, bissige Bremse
+ Sehr gutes Matrix-LED-Licht
+ Gute Verbrauchswerte
– Träger, drehfauler Motor mit Anfahrschwäche trotz Elektromotor
– Hoher Preis
– Assistenzsysteme geben teils Fehlalarme oder fallen schnell aus
– Allradantrieb nur als Plug-in-Hybrid verfügbar
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Alfa Romeo Tonale |
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Preis Basismodell / Motorisierung / Testwagen | 41 900 CHF / 51 900 CHF / 60 100 CHF |
Antrieb | Benzin Mild-Hybrid, Frontantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1469 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Getriebe | 7-Gang Doppelkupplungsgetriebe |
Max. Leistung | 118 kW bei 5750 r/min |
Max. Drehmoment | 240 Nm bei 1500 r/min |
Beschleunigung 0 - 100 km/h | 8,8 s |
Vmax | 210 km/h |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 6,5 l/100 km / 148 g/km / D |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 7,2 l/100 km / 164 g/km / +11% |
Länge / Breite / Höhe | 4,53 m / 1,84 m / 1,60 m |
Leergewicht | 1600 kg |
Kofferraumvolumen | 500 - 1550 l |