Die Entscheidung, die legendäre Marke Alpine im Jahr 2017 mit der A110 wiederzubeleben, kam genau noch zur rechten Zeit. Natürlich hatte das Ganze reichlich Vorlaufzeit, erste Pläne wurden wahrscheinlich schon anno 2010 als top secret geschmiedet. Doch hätte man die Renaissance aufgrund von Zweifeln oder Komplikationen hinausgezögert, wäre die neue Alpine A110 – einer der besten Sportwagen der Neuzeit – vielleicht nie Wirklichkeit geworden, denn: Die Zeichen stehen auf Strom, auch bei Alpine. Das Ende der A110 und somit des einzigen Benziner-Modells seit dem Relaunch der Marke ist per Ende Jahr besiegelt. Zugegeben, meine Vorfreude auf die elektrischen Modelle hält sich in Grenzen, aber das soll hier, jetzt und heute auch nicht Thema sein, das kommt noch früh genug. Heute wird es Zeit für eine Abschiedsfahrt, um die A110 angemessen zu würdigen, und zwar in der (fast) extremsten Version, die Dieppe zu bieten hat. Bühne frei für die Alpine A110 R!
Ja, die zierliche Alpine A110 mag trotz Sportwagen-Proportionen niedlich wirken. So klein und flach, mit der richtigen Retro-Würze und weit von den Aggro-Fratzen deutscher Marken entfernt. Doch das R-Modell beseitigt den potenziell vorhandenen Jööh-Effekt: Carbon-Haube vorne, deutliches Carbon-Aerokit rundum, Schwanenhals-Spoiler, Carbon-Abdeckung statt Heckscheibe, doppelflutige Abgasanlage, mittig umrahmt vom massiven Diffusor. Eigentlich wären sogar noch echte Carbon-Räder mit Semi-Slicks montiert, aber weil nicht alle Journalisten und Influencer in der Lage sind, sündhaft teure Carbon-Felgen nicht in einen Randstein zu fräsen, trägt der Testwagen normale Aluräder mit normalen Performance-Reifen.

Because Race-Car
Dass es die Franzosen beim R-Modell mit der Rennstreckentauglichkeit ernst meinen, beweist der Blick ins Cockpit. Vorzufinden sind zwei Vollschalen-Sitze aus Carbon und Sechspunkt-Sicherheitsgurte von Sabelt – serienmässig, eine andere Option gibt es gar nicht. Zugegeben, ich habe keine Modellmasse und der Anblick der Sitze hat mich zuerst besorgt, aber man sitzt erstaunlich gut darin, auch wenn man keine Bohnenstange ist. Dank der üppigen Polsterung an den richtigen Stellen ist der Sitzkomfort sogar überraschend gut. Ansonsten ist das Cockpit unverändert. Die Qualität ist nach wie vor auf sehr hohem Niveau, einzig die Mittelkonsole dürfte etwas fester verschraubt sein. Und das Infotainmentsystem… Ich sag’s mal so: Es ist zwar lahm und winzig, es funktioniert aber erstaunlich gut und es kann auch Android-Auto sowie Apple Carplay. Könnte also schlimmer sein.

Weniger ist mehr Feeling
Alle die Massnahmen des R-Modells (die hier nicht vorhandenen Carbon-Räder mitgedacht) sorgen für eine Gewichtsreduzierung von 34 Kilo der ohnehin schon immer leicht gewesenen A110. Das Resultat ist ein fahrbereites Leergewicht (ohne Fahrer) von 1082 Kilo. Freunde des gepflegten Fahrens, so etwas gibt es heute, wenn überhaupt noch, dann nur bei höchst raren Kleinserienherstellern. Der konsequente Leichtbau ist es denn auch, was man bei jedem Meter Fahrt mit der Alpine spürt – und dafür muss es weiss Gott nicht das teure R-Modell sein. Alles fühlt sich so natürlich sowie harmonisch – und unfassbar präzise – an. Man kann ein ähnliches Gefühl auch erzwingen, etwa mit hartem Fahrwerkssetup oder hyperdirekter, fast schon nervöser Lenkung. Aber das fühlt sich dann immer irgendwie nach too much an, kann im Alltag zuweilen auch nerven. In der Alpine dagegen ist es einfach ein Flow, den man bereits bei Innerorts-Tempo zu spüren beginnt.

Erstaunlich an der A110 R ist, dass auch das dedizierte Track-Tool über hohe Alltagsmanieren verfügt. Der Antrieb verhält sich im Normal-Modus wie in jeder Alpine auch, ohne einem das Gefühl zu geben, man möge doch bitte endlich mal das Gaspedal durchtreten. Stattdessen schwimmt man auch in der R friedlich im Verkehr mit und fährt bei gemächlicher Gangart bereits bei 60 km/h im siebten Gang. Das Topmodell federt etwas derber als die zahmeren Geschwister, die Geräuschdämmung ist schlechter (wobei man dadurch den Motor noch besser hört, was hier eigentlich eher ein Vorteil ist) und die Bremse quietscht zuweilen. Einzig bei gewissen Verkehrssituationen, wo ein guter Überblick notwendig ist, ist man in der A110 R aufgrund der fehlenden Heckscheibe sowie der festgezurrten Gurte im Nachteil.

Fahren, aber neu interpretiert
Aber nicht das Mitschwimmen im Verkehr ist es, was in der Alpine für Dauergrinsen sorgt, sondern das Fahren über Bergstrecken. Je enger und schmaler, desto besser. Und die Alpine beweist, was Lotus-Gründer Colin Chapman zu Lebzeiten stets predigte: Mehr Leistung macht dich geradeaus schneller, weniger Gewicht macht dich überall schneller. Obwohl die Alpine nach heutigen (Elektro-)Massstäben über ein eher dürftiges Datenblatt verfügt (221 kW, 340 Nm) zieht sie auf der Strasse mit einer Vehemenz davon, dass sich das Ganze locker nach anderthalbmal so viel Power anfühlt. Wie gesagt, ist die Alpine auch geradeaus schnell – und das Feeling gaukelt einem sogar noch mehr Tempo vor. Der Motor tobt einem im Nacken, die Drehzahlen schiessen nach oben und das Getriebe knallt mit Nachdruck den nächsten Gang rein. Man hat beide Hände fest am Lenkrad und geniesst das Erlebnis mit allen Sinnen. Natürlich kann man mit einem zweieinhalbmal so schweren E-SUV noch stärker beschleunigen, sich vom Spurhalteassistenten in der Spur lassen, eine Hand am Lenkrad halten und mit der anderen genüsslich seinen eisgekühlten Matcha-Latte zum Mund führen. Die Frage ist: Was will man? Racing-Feeling oder eine Schlaftablette auf Rädern?

Apropos fühlen: Die Fliehkraft in Kurven steigt bei doppelter Geschwindigkeit um den Faktor vier. Allerdings ist in der Formel auch das Gewicht vertreten – und hier trennt sich die Spreu definitiv vom Weizen. Hartes Anbremsen vor der Kurve fühlt sich vor allem bergab oftmals nicht so toll an – Lastwechsel und viel Gewicht, das sich verschiebt. Oftmals meldet bei wiederholt hartem Bremsen dann irgendwann auch die Bremsanlage in Form von reduzierter Leistung. Ganz zu schweigen davon, das viele Gewicht bremsend in die Kurve zu nehmen. Fühlt sich oft shaky an, vor allem bei den schweren Elektroautos.

Und in der Alpine? Egal. Zumindest mit dem, was auf öffentlichen Strassen machbar ist, wenn man nicht gerade ein Raserdelikt begehen möchte. Ich habe diese Bremse bergab malträtiert – und es ist der Alpine herzlich egal. Ich habe in die Kurve reingebremst und dann kurz vor dem Scheitelpunkt aufs Gas gewechselt, somit in der Kurve einen Lastwechsel vollzogen – es ist der Alpine egal. Erstens: Das Auto macht keinen Wank. Wenig Gewicht, vorteilhaft balanciert, weil Mittelmotor. Ausserdem: Keinerlei ESP-Eingriffe, was nur zeigt, dass trotz aggressiver Fahrmanöver das Ende der Fahnenstange noch in weiter Ferne liegt.

Man kalibriert sich wirklich neu in der Alpine und lernt das schnelle Fahren in Reinkultur kennen. Anfangs schreit einem das Hirn an, dass das, was jetzt gleich folgt, doch eigentlich nicht gut herauskommen kann. Dieser Bremspunkt? Vor dieser Kurve? Aber man sitzt ja in der Alpine. Da geht es. Weil das Auto gefühlt nichts wiegt. Weil es sauber balanciert und perfekt abgestimmt ist. Und, ganz wichtig: Weil man Feeling und Rückmeldung hat. Man spürt akkurat alles. Jede Bodenwelle, jedes Versetzen, ob gewollt oder nicht. Man spürt sooo präzise, ob man sich langsam an der Grenze annähert oder ob die Reserven noch gross sind. Auch beim Herausbeschleunigen: Die Hinterachse ist einem förmlich an den Hintern angewachsen. Ausserdem ist die A110 ohnehin auf Grip ausgelegt. Wer es nicht massiv darauf anlegt, bringt die Alpine nicht quer.

Und jetzt?
Ja, ich gebe es zu, ich mag die Alpine A110. Sehr. Ausserordentlich. Aber das ist keine rosa Brille. Dieses Auto gehört zu den besten Sportwagen weit und breit – vor allem, wenn man hauptsächlich auf öffentlichen Strassen fährt. Leistung satt, aber doch nicht so krank, dass man kaum Gas geben kann. Stattdessen, ich kann es nicht oft genug wiederholen: Wenig Gewicht, dass massgeblich für dieses spezielle Feeling der Alpine verantwortlich ist. Ja, hinter dem Nacken wütet “nur” ein Vierzylinder. Der Motor macht Laune und einen guten Job, aber es gibt emotionalere Triebwerke, einverstanden. Aber am Gesamtpaket ändert das deswegen nichts.

Tatsache ist: Die Alpine A110 wird Ende Jahr eingestellt. Und alle Varianten sind grossartig. Die Einstiegsvariante ist die verspielteste, die durch das weichere Fahrwerkssetup den niedrigsten Grenzbereich hat, aber sehr witzig und gutmütig zu fahren ist. Die S-Variante und die 2025er GTS-Version haben ein ernsthafteres Fahrwerkssetup, verfügen aber über keinerlei Alltagseinschränkungen. Und die R-Version ist schliesslich für die ganz kranken Petrolheads, die einfach nie genug haben können und wirklich fahrerisch auch mal auf der Strecke die letzte Rille ausreizen möchten.

Mich stimmt das Ende der A110 traurig. Ein weiteres herausragendes Auto, das verschwindet und das es so nie mehr geben wird. Die Alpine hatte ohnehin nie direkte Konkurrenz. Der ähnlich leichte Mazda MX-5? Viel schwächer. Porsche Cayman? Viel schwerer. Er mag vielleicht die bessere Rundenzeit in den Asphalt brennen, aber so what? Was doch zählt, ist: Feeling, Feeling und nochmals Feeling.

Es sind dies also nun die letzten Monate, um eine neue Alpine A110 mit Benziner zu erwerben. Für die hartgesottenen Fans (und Sammler) haben die Franzosen die A110 R Ultime präsentiert: Leistungsgesteigert (254 kW / 420 Nm), noch wildere Aerodynamik und mit einer Akrapovič-Abgasanlage ausgerüstet. Klingt verlockend, doch bei einem Preis von ab 265’000 Euro muss selbst ich bei aller Liebe sagen: Die spinnen, die Franzosen. Auch die hier gezeigte normale R Version ist mit einem Preis von rund 123’000 Franken (inkl. der hier nicht vorhandenen Carbon-Rädern) alles andere als ein Schnäppchen, aber gemessen am Talent dennoch ein fairer Preis. Das Basismodell, das ebenfalls über weit mehr als genügend Qualitäten verfügt, um ein Dauergrinsen zu generieren, ist ab 69’000 Franken erhältlich. Und junge Occasionen gibt es natürlich auch. Einer der allerletzten Leichtbau-Sportwagen steht vor dem aus, also: Go for it!

Die Alpine A110 hat aber eine Zukunft, natürlich eine elektrische. Ein Konzept wurde bereits vor einiger Zeit gezeigt und mittlerweile sind bereits verhüllte Teaserbilder des finalen Modells im Umlauf. Die Premiere dürfte weniger als ein Jahr in der Zukunft liegen. Die Franzosen seien auch beim Stromer um Leichtbau bemüht, heisst es. Ausserdem baut die elektrische A110 auf einer eigenen Plattform und wird kein Grossserien-Abklatsch. Das klingt alles schön und gut, aber wird sich die elektrische A110 auch derart in die Herzen von Auto-Enthusiasten fahren können? Ich bin skeptisch. Aber vielleicht schaffen die Franzosen ja den ganz grossen Move. Doch bis dahin wird noch ein letztes Mal hochoktaniges getankt.

Alltag 
Die A110 R bietet Platz, um das eigene Equipment für die Rennstrecke mitzunehmen – mehr auch nicht. Für einen Roadtrip erfordert es schlankes Gepäck. Und die Sechspunkt-Gurte sind immer dabei.
Fahrdynamik 
Die sprichwörtliche 12 von 10. Hier stimmt einfach alles: Gewicht, Balance, Power, Feeling, Agilität und Ausdauer. Die A110 R ist gleichermassen ein Spassgerät sowie ein Hardcore-Race-Tool. Und wer nach mehr Leistung schreit, hat das Konzept dieses Autos schlicht nicht verstanden.
Umwelt 
Der Testverbrauch von 10,8 l/100 km mag zwar hoch sein, aber die Alpine wurde im Test fast ausschliesslich so gefahren, wie so gefahren sein sollte. Angesichts dessen verbrauchen andere Spassgeräte deutlich mehr. Wer aufgrund der Strecke oder der persönlichen Disziplin einfach gemütlich cruist, erzielt locker Verbräuche unter 8 Litern.
Ausstrahlung 
Trotz offensivem Bodykit und viel Sichtcarbon sieht dieses Auto nicht nur umwerfend gut aus, sondern sahnt auch haufenweise Sympathiepunkte ab. Fast jeder andere Sportwagen wirkt protziger als die Alpine.
Fazit 
+ Zeitloses Design
+ Sexy Aero-Paket mit viel Sichtcarbon
+ Hochwertiger Innenraum, sehr gute Verarbeitungsqualität
+ Trotz kleinem Raum exzellente Fahrer-Ergonomie
+ Radikale Schalensitze mit überraschend hohem Komfort
+ Sechspunkt-Gurte
+ Leichtbau wie aus dem Lehrbuch
+ Weiterhin unkompliziert und easy im Alltag zu fahren
+ Hohe Drehfreude, Turboloch ist kaum auszumachen
+ Rotziger Sound
+ Hervorragende Balance
+ Bremsleistung über alle Zweifel erhaben
+ Agilität wie kaum ein anderes Auto
+ Feedback und Feeling erster Güte
+ ESP dreistufig deaktivierbar
+ Sehr hoher Grenzbereich
+ Hervorragendes LED-Licht
+ Kein einziges (!) Assistenzsystem
– Infotainmentsystem wirkt 15 Jahre alt
– Eingeschränkte Übersicht
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Alpine A110 R |
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Preis Basismodell / Testwagen | 116 000 CHF / 123 271 CHF |
Antrieb | Benzin, Heckantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1798 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Mittelmotor / Turbomotor |
Getriebe | 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe |
Max. Leistung | 221 kW bei 6300 r/min |
Max. Drehmoment | 340 Nm bei 2400 - 6000 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 3,9 s |
Vmax | 285 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 7,0 l/100 km / 159 g/km / D |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 10,8 l/100 km / 245 g/km / +54% (inkl. DE-Autobahn) |
Länge / Breite / Höhe | 4,18 m / 1,80 m / 1,25 m |
Leergewicht | 1082 kg |
Kofferraumvolumen | 96 l vorne + 100 l hinten |

































Bilder: Koray Dollenmeier
Super Arbeit und immer wieder spannend deine Berichte zu lesen.
Weiter so. Liebe Grüsse Massimo