Wenn man sich die Entwicklung auf dem Automarkt generell anschaut, dann merkt selbst der grösste Nicht-Autofan, was sich gerade abspielt: Die Elektrifizierung. Selbst Aston Martin ist auf den Zug aufgesprungen und hat – um Erfahrungen mit der neuen Antriebstechnologie zu sammeln – den Rapide in einer Kleinserie auf Elektroantrieb umgestellt. Elektrisch zu fahren ist eigentlich sehr angenehm… Aber dann fährt man den DB11 mit einem Prachtstück von einem Verbrenner und ich frage mich: Kann ein Elektroauto trotz immenser Beschleunigung jemals dieses Glücksgefühl auslösen, wie es einem im DB11 widerfährt?
Das fängt beim Design an. Was die Briten da auf die Räder gestellt haben, ist schlicht atemberaubend schön. Der DB11 verfügt sozusagen über die automobilen Modellmasse: Tiefe Front, lange Haube, flaches Dach, knackiger Hüftschwung und ein breites, aber dennoch leichtes Heck. Das ganze Design wirkt so fliessend, ohne störende Elemente, ohne Spoiler. Die unzähligen anerkennenden Blicke beweisen, dass dieses Auto bildschön ist.
Kann das in Zukunft überhaupt so weitergehen? Ein Elektroauto benötigt keine lange Haube. Ein stilbildender Kühlergrill ist ebenso obsolet. Dabei fängt die emotionale Verbundenheit zum Auto beim Design an, es ist erwiesen, dass es Kaufgrund Nummer 1 ist. Man darf gespannt sein, wie sich Sportwagen-Hersteller wie Aston Martin demnächst im neuen Zeitalter präsentieren.
Doch noch sind wir im hier und jetzt und wer die leicht nach oben schwingende Tür des DB11 öffnet, dem weht sogleich ein verführerischer Ledergeruch entgegen. Die Plakette auf der Einstiegsleiste bestätigt, was man vielleicht schon vermutet hat: Hier wird alles von Hand zusammengebaut und vernäht. Qualitätsarbeit statt Massenproduktion. Ausserdem ist der Kunde König: Sonderwünsche, was Lackierungen, Lederfarben oder Nähte betrifft, werden erfüllt. Das ist einer der entscheidenden Unterschiede zu deutschen Autos in diesem Segment.
Das edle Cockpit präsentiert sich ziemlich eng, wie ein Massanzug. Viel Luft für die Knie oder den Kopf bleibt für grosse Personen nicht, aber es wirkt nicht störend. Sehr gut sind die Sitze, die sich vielfach verstellen und beheizen sowie belüften lassen. Doch so überragend die Qualität und die Haptik auch sind, das Infotainmentsystem ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Das von Mercedes stammende Comand Online System ist weder das Schnellste, noch das Intuitivste. Vielleicht ist Connectivity nicht das Kernkriterium für einen Aston Martin, doch ein angenehm zu bedienendes Navi sollte schon drin liegen.
Ebenfalls nichts zu lachen hat die Person, die sich zur Not hinten rein quetschen muss. Selbst wer wirklich klein ist, kämpft mit massiven Platzproblemen. Länger als zehn Minuten mag man niemandem zumuten. Mehr Aston Martin Like ist dann eher der fein ausgekleidete Kofferraum, der zwei Koffer für den Weekend-Trip locker schluckt. Highlight: Der hochwertige Regenschirm mit edlem Aluminium-Griff, der aus jedem Mann einen Gentleman macht. Allerdings kostet er 257 € Aufpreis – Kleingeld für die Klientel.
Zeit, zum spannenden Teil zu kommen und den 4-Liter V8-Biturbo von AMG anzuschmeissen. Mit einem V8-Bollern, das die Bezeichnung Understatement überhaupt nicht verdient, meldet sich das Triebwerk zum Dienst. Über das Lenkrad lassen sich Antrieb sowie Fahrwerk separat in die Modi GT, Sport sowie Sport+ versetzen. Da sich der DB11 als GT versteht, starte ich in diesem Modus.
Der GT-Fahrmodus repräsentiert am besten das, was das Design verspricht: Ein kultiviertes, stilvolles Fahren. Feiner V8-Sound untermalt stets die Fahrt, während das Auto seine sportliche Seite (noch) verhalten zur Schau trägt. Ein wesentlicher Unterschied zum aggressiv ausgelegten AMG GT ist das 8-Gang-Automatikgetriebe. Es schaltet sehr weich und selbst stärkere Beschleunigung führen nicht zur Eile. Stattdessen bewahrt das Getriebe die Ruhe und nutzt das üppige Drehmoment. Das führt insgesamt zu einem geschmeidigeren Fahrverhalten als beim AMG GT, der mit dem Doppelkupplungsgetriebe und der scharfen Gasannahme eher dazu tendiert, dem Fahrer Feuer unterm Hintern zu machen.
Auf der Autobahn, also der Langstrecke, kämpft der DB11 dafür mit lauten Abrollgeräuschen, die vor allem von der Hinterachse kommen. Ausserdem führen die sehr weit von der A-Säule abstehenden Aussenspiegel für Wind-Verwirbelungen, die ebenfalls wahrnehmbar sind. Entschädigt wird man dafür beim Blick in den Spiegel, in dem man jederzeit den verführerischen Hüftschwung des Autos bewundern kann.
Ein ganz anderes Bild präsentiert sich, wenn man den DB11 über den Fahrmodus schärft. Weniger krass ist die Veränderung beim Fahrwerk, welches selbst im Sport+-Modus noch genügend Reserven für schlechte Strassen behält. Deutlich aggressiver wird es dafür unter der Haube. Im Sportmodus spricht das Triebwerk sehr sensibel an, die Auspuffklappen öffnen sich und es knallt aus der doppelflutigen Auspuffanlage, als ob jemand den 1. August nicht mehr abwarten kann!
Viel Wichtiger: Das ist nicht nur Show. Die AMG-Maschine hat ordentlich Feuer, dreht gierig bis zur 7000er-Grenze und macht aus dem eleganten Briten ein wildes Raubtier. Besondere Freude kommt auf, wenn man selber zu den riesigen Paddels greift und der nächste Gang mit einem Ruck und Krachen eingeworfen wird. Ebenfalls beeindruckend sind die starke Brems-Performance sowie das spitze Einlenkverhalten, welches fast das Gefühl vermittelt, dass eine Hinterachslenkung am Werk sei, was jedoch nicht der Fall ist.
Eine gewisse Vorsicht ist am Kurvenausgang geboten. Der Motor verfügt über die Kraft und das Feingefühl einer Abrissbirne. Die Traktionskontrolle hat selbst auf trockener Strasse bis in den dritten Gang genügend zu tun und selbst mit aktivem ESP keilt das Heck bei zu heftiger Beschleunigung gerne mal aus. Das geschieht schnell und mit wenig Vorwarnung, weshalb der Sport+ Modus mit reduziertem ESP mit Vorsicht zu geniessen ist.
Die sehr direkte Lenkung sowie die unbändige Kraft vermitteln einen zwar das Gefühl, sehr schnell und wie ein Held unterwegs zu sein, doch sollte man stets bedenken, dass einen die Gewalt des Motors auch überfallen kann. Heckantrieb bleibt Heckantrieb und gerade bei Regen liegt mehr als Halbgas kaum noch drin.
Der Spagat zwischen entspanntem Cruisen im GT-Modus sowie dem engangierten Fahren in den schärferen Modi gelingt dem DB11 verblüffend gut. Trotz AMG-Triebwerk kann sich der Brite sehr gut vom Mercedes AMG GT differenzieren. Doch ist die Zeit reif für einen elektrischen Aston Martin? Ich kann mir nicht vorstellen, dass beispielsweise ein DB11 ohne Verbrenner dieselben Emotionen hervorrufen könnte. Es ist schliesslich der Mix zwischen der kultivierten und der wilden Art, die den Reiz des Auto ausmacht, zusammen mit dem handgefertigten Interieur natürlich.
Für den Testwagen sind 207’000 € fällig, doch Handwerkskunst und Image haben eben ihren Preis. Dafür bekommt man ein exotisches Auto in exzellenter Qualität geliefert, welches sich ausschliesslich dem Fahren widmet. Ich habe es sehr genossen, das Auto ohne Notbremsassistent, Spurhalteassistent oder Fernlichtassistent zu bewegen. Es ist eine sehr innige Bindung zwischen Mensch und Maschine, was der letzte Punkt ist, warum Autos dieser Art eine ungebrochene Faszination ausstrahlen.
Alltag
Mehr als einen Mitfahrer sollte man nur für äusserste Notfälle einplanen. Dafür reicht das Raumangebot bequem für zwei Personen. Die schlechte Rundumsicht kann man mit der 360°-Kamera kompensieren, doch die knappe Bodenfreiheit sowie der sperrige Wendekreis erfordern im städtischen Gebiet erhöhte Umsicht.
Fahrdynamik
Vor allem im Sport-Modus wird der DB11 sehr scharf und belohnt den Fahrer mit tollem Ansprechverhalten, spitzem Einlenken sowie geringen Wank-und Rollbewegungen. Das Triebwerk ohne Turboloch und hoher Drehfreude ist ein Genuss, doch beim Rausbeschleunigen aus Kurven ist ein gesundes Mass empfohlen: Der Grenzbereich ist schmal.
Umwelt
Wer den DB11 so fährt, dass er die vom Werk angegebenen 9,9 Liter erreicht, ist entweder nur Autobahn gefahren, oder sollte vielleicht doch die Anschaffung eines Elektroautos in Erwägung ziehen. Im Testmittel waren es 12,3 l/100 km, was für diese Leistungsklasse in Ordnung, aber absolut gesehen halt doch jede Menge Sprit ist. Eine Zylinderabschaltung ist leider nicht an Bord.
Ausstrahlung
Gibt es dazu noch etwas zu sagen? Das Design ist schlicht vollkommen und absolut gelungen, wie die zahlreichen bewundernden Blicke zeigen. Keine Schnörkel, keine Fake-Lüftungen und -Rohre, sondern einfach nur eine Linienführung, der man gerne mit der Hand nachfährt. Immer und immer wieder.
Fazit
+ Elegantes, spektakuläres Design
+ Erhaben in Stil und Image
+ Exzellente Qualität im Innenraum, komplett handvernäht
+ Perfekt stützende Sportsitze, ausgezeichnete Ergonomie
+ Weitreichendes Individualisierungsprogramm
+ V8-Biturbo mit Power, Drehfreude, schnellem Ansprechverhalten und tollem Sound
+ Deutliche Spreizung zwischen GT- und Sport-Modus
+ Sehr direktes und williges Einlenkverhalten
+ Kultiviertes und gemütliches Reisen im GT-Modus
+ Feuriges Temperament in den Sport-Modi, lebendige Hinterachse (mit Vorsicht zu geniessen)
+ Flinkes und treffsicheres Automatikgetriebe
+ Fahrer steht ohne Assistenzsysteme im Zentrum des Geschehens
– Hoher Grundpreis, teure Optionen
– Deutliche Abrollgeräusche ab Autobahntempo
– Veraltetes und teils umständliches Infotainmentsystem
– Keine Zylinderabschaltung als Spritspar-Massnahme
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Aston Martin DB11 V8 |
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Preis Basismodell / Testwagen | 176 495 € / 206 810 € |
Antrieb | Benzin, Heckantrieb |
Hubraum / Zylinder | 3982 ccm / V8 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Front-Mittelmotor / Biturbomotor |
Getriebe | 8-Gang Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 375 kW bei 6000 r/min |
Max. Drehmoment | 675 Nm bei 2000 - 5000 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 4,0 s |
Vmax | 300 km/h |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 9,9 l/100 km / 230 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 12,3 l/100 km / 286 g/km / +24% |
Länge / Breite / Höhe | 4,75 m / 1,94 m / 1,30 m |
Leergewicht | 1835 kg |
Kofferraumvolumen | 270 l |
Bilder: Koray Adigüzel