Mit dem vollelektrischen e-tron will Audi zurück an die Spitze, den viel zitierten «Vorsprung durch Technik» wieder zelebrieren. In diesem Zusammenhang finde ich vor allem eine Zahl bemerkenswert: 2699. Das ist nicht etwa die Reichweite des Elektro-SUVs, sondern das Leergewicht. Bei allem Respekt, aber so fortschrittlich ist es nicht, einen derart schweren Koloss auf die Räder zu stellen. Aber es musste wohl hinsichtlich der Absatzzahlen ein SUV werden und wenn ich über das viel zu hohe Gewicht hinwegschaue, muss ich eingestehen, dass der e-tron ein richtig gutes Auto geworden ist – aus einem überraschend trivialen Grund.
Mir ist der e-tron vom Design her sehr sympathisch. Er posaunt seinen Elektroantrieb nicht wie andere in die weite Welt hinaus, sondern tritt sehr dezent auf. Sogar den Single-Frame-Grill hat Audi als Designmerkmal – einfach in geschlossener Form – beibehalten. Mit den grossen Rädern, den markanten Kotflügeln und der abfallenden Dachlinie macht das SUV sogar eine sportliche Figur und sieht alles andere als Eco-mässig aus. Sehr schön! Weniger schön ist dafür, dass sich der e-tron so sehr der Audi-Designsprache bedient, dass er das generelle Problem bei Audi verschärft: Wer sich nicht ein Stück weit für Autos interessiert, kann den e-tron kaum von den Verbrenner-Brüdern Q5 und Q8 unterscheiden.
Konventioneller Innenraum
Auch im Innenraum verzichtet Audi auf Experimente. Stattdessen erwartet einen eine vertraute Welt: Virtual Cockpit mit überarbeiteter Anzeige sowie Infotainmentsystem mit zwei Touchscreens. Schick, aber nach wie vor mit einer gewissen Ablenkung verbunden. Einzig der Getriebe-Wählhebel ist wirklich neu. Den Platzvorteil, den der Elektroantrieb bieten könnte, nutzt Audi einzig mit einem Fach für die Ladekabel im Motorraum sowie einer gigantischen Mittelkonsole. Ist okay, aber man könnte mehr daraus machen.
Die Vollleder-Ausstattung ohne neumodische vegane Alternative zeigt einmal mehr, was der e-tron sein möchte. Ein elektrischer Audi. Nicht mehr und nicht weniger. Er erfindet das (Elektro-)Auto nicht neu, sondern macht es so gut wie möglich: Mit einer Material- und Verarbeitungsqualität auf Highend-Niveau, massig Platz für Passagiere und Gepäck (allerdings ohne nennenswerte Variabilität) sowie einer cleveren Vernetzung von Fahrerassistenz und Antrieb.
Innovativ, aber unpraktisch
Doch bevor es ums eigentliche Fahren geht, muss ich von den optionalen, 2010 Franken teuren Kamera-Aussenspiegeln abraten. Zwar ist der e-tron das erste Grossserienmodell mit dieser Technologie, Vorsprung durch Technik hat der e-tron also. Nichtsdestotrotz ist der Mensch ein Gewohnheitstier und der Blick auf das (zu) niedrig angesetzte OLED-Display in der Tür wirkt selbst nach Tagen immer noch komisch. Ausserdem fällt das Einschätzen der Distanzen mangels natürlicher Tiefe auf dem Display extrem schwer. Auf der Autobahn gewöhnt man sich allmählich daran, doch im Parkhaus mit Bordsteinkanten, Säulen sowie anderen Autos ist man mit den Kameras aufgeschmissen und wünscht sich nichts sehnlicher als normale Aussenspiegel.
Natürlich bietet die Technik auch ihre Vorteile. Überraschenderweise liefert die Kamera ausgerechnet bei ungünstigen Lichtverhältnissen, also beispielsweise direkter Sonneneinstrahlung oder schwachem Licht, das bessere Bild als ein normaler Spiegel. Auch existiert durch das grössere Sichtfeld der Kamera kein toter Winkel mehr. Die aerodynamische Verbesserung, die bei voller Ladung rund zwei Kilometer zusätzliche Reichweite ermöglicht, ist meiner Meinung nach vernachlässigbar. Trotz geringeren Windgeräuschen überwiegen meiner Ansicht nach die Nachteile.
Abkapselung auf nächstem Level
Das eigentliche Highlight sind also nicht die Spiegel, sondern wie der e-tron im Alltag fährt. Der schwere Audi treibt die Geräuschlosigkeit mit umfangreicher Dämmung aufs nächste Level. Der e-tron ist so leise, dass man sich auf der Autobahn im Flüsterton mit den Fond-Insassen unterhalten könnte. Nur in der absoluten Luxusklasse ist der Geräuschpegel vergleichbar tief. Apropos Geräusch: Im langsamen Fahrbetrieb verzichtet der e-tron auf ein künstliches Fahrgeräusch, was ihm gleich noch mehr Sympathiepunkte meinerseits beschert. Fussgänger haben schliesslich Augen im Kopf.
Vorausschauender Antrieb
Die Art und Weise, wie sich der e-tron im Verkehr bewegt, hat fast schon etwas magisches an sich. Im Gegensatz zu anderen Elektroautos rekuperiert der Audi nämlich nicht stur zwischen zwei Stufen, sondern stufenlos und vollautomatisch je nach Verkehrsaufkommen (mittels Abstandsradar) und Strecke (mittels GPS). So erlebt man eine ganz neue Form des sogenannten One-Pedal-Drivings ohne Bremspedal, denn unabhängig von der Verkehrsdichte und aktiver GPS-Navigation rekuperiert das Auto immer mit der richtigen Stärke, was für ein sehr geschmeidiges und angenehmes Fahren praktisch ohne Bremse sorgt.
Nur bei starken Bremsmanövern oder wenn bei einer Kreuzung ein komplettes Anhalten erforderlich ist, reicht die Rekuperation nicht aus. Natürlich bietet der e-tron auch Schaltpaddels, die jederzeit ein manuelles Eingreifen ermöglichen. Das kann insbesondere bei einem längeren Gefälle durchaus Spass machen, sich durch die verschiedenen Rekuperationsstufen zu zappen.
Sportlich? Wenn es unbedingt sein muss
Während der e-tron das alltägliche Fahren besonders angenehm macht, genoss die Sportlichkeit keine allzu grosse Priorität bei der Entwicklung. Dass der schwere Brocken dennoch sehr neutral um Kurven fährt, liegt daran, dass seine 700 Kilo schwere Batterie im Boden sitzt und so ausgeprägte Wankbewegungen verhindert. Der elektrische quattro-Antrieb verteilt seine Kraft ausserdem so blitzschnell, dass der Grip und die Traktion enorm hoch sind. Dennoch kommt nicht wirklich grosser Fahrspass auf, denn die Lenkung ist viel zu gefühlslos, ihr fehlt es nahezu komplett an authentischer Rückmeldung.
Ausserdem verstehe ich nicht, warum Audi ausgerechnet bei einem technologisch hochstehenden Modell wie dem e-tron keine Hinterachslenkung verbaut. Auf die paar Kilos mehr würde es bei dem monströsen Gewicht nämlich echt nicht mehr ankommen. Und apropos Gewicht: Bei 2,7 Tonnen leer fühlen sich selbst die 664 Nm des Kickdowns alles andere als brachial an. Der Elektro-Punch, wie ihn etwa die Tesla-Modelle oder der Jaguar I-Pace bieten, bleibt beim Audi aus. Überhaupt ist das Ansprechverhalten im Normal-Modus sehr träge, nur im S-Modus fühlt sich der e-tron wie ein Elektroauto an. Da hätte etwas weniger Gemütlichkeit in der Abstimmung des Antriebs nicht geschadet.
Effiziente Stromnutzung
Positiv ist wiederum, dass der Audi einigermassen haushälterisch mit dem Strom umgeht – so haushälterisch, wie es bei der schieren Masse halt möglich ist. Den WLTP-Normverbrauch habe ich jedenfalls gemäss Bordcomputer nur knapp verfehlt, obwohl ich viel Autobahn gefahren bin. Trotz meines für E-Autos ungünstigen Fahrprofils bin ich immer sicher 300 Kilometer weit gekommen, ohne übermässigen Autobahnanteil sind mit dem e-tron auch 350 Kilometer ohne Probleme machbar. Die WLTP-Reichweite beträgt 417 Kilometer, so gross ist die Differenz folglich nicht, was keine Selbstverständlichkeit ist. Fortschrittlich ist auch die hohe Ladeleistung von bis zu 150 kW, wobei solche Ladestationen derzeit noch rar sind.
Vollwertig, aber teuer
Audi ist die Entwicklung des Elektroautos nicht aus der ökologischen Sicht, sondern aus der technischen Sicht angegangen: Die Kamera-Aussenspiegel, die automatische Rekuperierung sowie der extrem tiefe Geräuschpegel zeigen, dass viel Hirnschmalz eingesetzt wurde, um die Vorzüge des Elektroautos zu nutzen. Vielleicht überwiegen nach längerem Zeitraum die Vorteile der Kamera-Spiegel, aber dazu muss man das Auto und das Kamera-System sehr gut kennenlernen.
Der e-tron ist trotz Elektroantrieb ganz klar ein Audi, wodurch keinerlei Berührungsängste auftreten. Das ist gleichzeitig sein grosser Vorteil. Er ist ein vollwertiges Auto, dass genügend Platz und auch Reichweite bietet, um als Familie unterwegs zu sein. Wer ohnehin keinen grossen Wert auf Sportlichkeit legt, wird die überaus angenehme Fahrweise im Alltag schnell zu schätzen wissen. Im Test sind keine nennenswerten Schwächen aufgefallen, die gegen den e-tron als Elektroauto als Erstwagen sprechen. Wie bei Audi allerdings üblich, kostet das Meiste, was schön und angenehm ist, nochmals extra. Der Testwagen ist mit rund 128’000 Franken angeschrieben. Ob da der Funke rüberspringt?
Alltag
Der e-tron bietet naturgemäss als grosses SUV viel Platz. Allerdings werden die Vorteile des Elektroantriebs nur sehr eingeschränkt genutzt. Spezielle Variabilität sucht man im Stromer-SUV vergebens. Dafür sind die Offroad-Fähigkeiten laut Hersteller sehr ausgeprägt.
Fahrdynamik
Gewiss, der e-tron hat viel Kraft, aber er hat so viel zu bewegen, dass es einem nicht nach übermässig viel Kraft vorkommt. Kurven nimmt der Stromer dank des tiefen Schwerpunktes und des wortwörtlich blitzschnellen quattro-Antriebs sehr neutral, doch die Lenkung ist zu gefühllos.
Umwelt
Angesichts der Bauweise und des Gewichts ist der Energieverbrauch des e-tron relativ gut.
Ausstrahlung
Im Gegensatz zu anderen Konkurrenten trägt der e-tron seinen Antrieb nicht zur Schau, sondern ist elegant, dezent gezeichnet, wie andere Modelle von Audi ebenfalls.
Fazit
+ Markenspezifisches, unauffälliges Design
+ Sehr geräumiger Innenraum, viele und grosse Ablagen
+ Exzellente Verarbeitungsqualität, edle Materialien
+ Navigation berechnet Ladestopps auf der Route mit ein
+ Diverse Fahrmodi mit deutlicher Spreizung
+ Sehr hoher Fahrkomfort
+ Sehr tiefes Geräuschniveau
+ Neutrales Handling dank tiefem Schwerpunkt
+ Ausreichende Reichweite
+ Hohe Ladeleistungen möglich
+ Sehr schnell reagierendes Matrix-LED-Licht
+ Grosse Auswahl an Assistenzsystemen, arbeiten zuverlässig
– Grotesk hohes Gewicht
– Hoher Preis
– Keine Allradlenkung erhältlich
– Gefühllose Lenkung
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Audi e-tron |
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Preis Basismodell / Testwagen | 91 100 CHF / 127 980 CHF |
Antrieb | Elektrisch, Allradantrieb |
Akkukapazität | 95 kWh |
Max. Leistung | 265 kW Dauerleistung, 300 kW Boost |
Max. Drehmoment | 561 Nm / 664 Nm Boost |
Beschleunigung 0–100 km/h | 5,7 s |
Vmax | 200 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / Energieeffizienz | 26,2 kWh/100 km / A (mit 21"-Rädern) |
Test-Verbrauch / Differenz | 27,0 kWh/100 km / + 3 % |
WLTP-Reichweite | 417 km |
Ø Test-Reichweite | 310 km |
Länge / Breite / Höhe | 4,90 m / 1,94 m / 1,63 m |
Leergewicht | 2699 kg |
Kofferraumvolumen | 600 - 1725 l |
Bilder: Koray Adigüzel
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