Fassungslos nehme ich zur Kenntnis, wie Deutschland anscheinend Verbrennungsmotoren ab 2030 nicht mehr zulassen will. Norwegen will das bereits ab 2025, doch das ist wie der Krieg in Syrien: Weit weg. Aber Deutschland?! Das Autoland schlechthin? Ist das Ende wirklich so nah, nur 16 Jahre entfernt? Werde ich ab meinem 40. Altersjahr keine neuen Autos mit einem Benziner – beispielsweise einen V10 Sauger – mehr erleben dürfen? Wenn Geschwüre wie die Studien VW ID oder Mercedes EQ die Gegenwart und Autos wie der Audi R8 die Vergangenheit sind – spätestens dann werde ich mein Hobby an den Nagel hängen. Doch heute will den R8 Spyder fahren, nein, ihn erleben. Spüren, riechen und vor allem hören möchte ich ihn.
Zwar gibt es den Spyder nicht in der Eskalationsstufe Plus, was bedeutet, dass der V10 «nur» 397 anstatt 449 kW produziert. Auf der Frage nach dem Warum heisst es bei Audi, dass der Spyder eher das Auto für Geniesser, ja fast schon ein Cruiser sei und die Plus-Variante deshalb dem Coupé vorbehalten bleibt. Nun, wie ein Cruiser schaut der R8 Spyder wahrlich nicht aus, aber es schlummern tatsächlich Talente in ihm, die man ihm gar nicht auf den ersten Blick ansieht.
Was man ihm dafür auf den ersten Blick ansieht: Der Motor ist weg! Also, zumindest optisch. Während das Coupé das Zehnzylinder-Triebwerk stolz (und nachts sogar beleuchtet!) unter einer Glasscheibe präsentiert, ist er im Spyder aufgrund der Verdeckkonstruktion nicht mehr sichtbar. Immerhin erinnern ein paar stylische Lüftungsschlitze daran, dass hier zehn Zylinder Bedarf nach Frischluft verspüren. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist der schwarze Streifen zwischen den Rücklichtern, der vor allem bei kräftigen Farben wie Rot oder Gelb besonders gut zur Geltung kommt.
Der grösste Vorteil vom Spyder zum Coupé besteht darin, dass der Spyder bereits bei langsamer Fahrt viel Spass macht. Einfach über das unscheinbare Knöpfchen im Lenkrad die Auspuffklappen öffnen und der V10 im Nacken erzeugt einen Klangteppich, der für pure Gänsehaut sorgt. Ausserdem wurde ich in Spanien darin bestätigt, dass nicht nur ich das lässig finde. Ich bin nur in den ersten drei Gängen durch die Stadt und die Gassen gecruist, garniert von ein paar Gasstössen, damit die Umgebung im Umkreis von 300 Metern dies auch garantiert mitbekommt. Und die Leute haben sich gefreut! Sie haben mich angegrinst, haben den Daumen gereckt und das Smartphone gezückt, während Jungs im Teenager-Alter mir hinterhergegrölt haben. Während man in der Schweiz blöd angegafft wird, wenn man ein Auto mit faszinierendem Sound singen lässt, wird man im Süden als kleiner Held gefeiert, der den Leuten etwas bietet. Warum sind wir hierzulande nur so zugeknöpft?
Apropos zugeknöpft. Auch der R8 kann sich tatsächlich zugeknöpft verhalten – zumindest so einigermassen. Fährt man auf der Autobahn mit geschlossenem Dach, geschlossenen Klappen und im Comfort Modus, zeigt sich der R8 von einer überraschend sanften Seite. Der Motor grummelt leise zufrieden vor sich hin und selbst in Tunnels bleibt es im Innenraum angenehm leise. Der Fahrkomfort ist natürlich nicht mit einem grossen SUV zu vergleichen, aber für so eine flache Flunder fährt er sich extrem entspannt. Mancher Kompaktsportler ist auf der Autobahn härter und lauter. Einzig der Platz ist im R8 beschränkt, das ist aber beim Coupé nicht anders. Ab 1,85 Meter Grösse wird es im Innenraum knapp. Ebenfalls ungemütlich ist die viel zu steile Stütze für den linken Fuss.
Doch das wird alles egal, wenn der R8 Spyder dafür eingesetzt wird, wofür er gebaut wurde: Schnelles Fahren. Die Strecke führt an einer traumhaften Stelle der Küste entlang den Berg hoch. Rechts Felswände, links Meer. Der R8 befindet sich im Performance Modus, gedrillt auf Attacke mit lascherem ESP. Und wenn der R8 angreift, bleibt kein Auge mehr trocken. Das Gaspedal reagiert so giftig, dass jede Zuckung in gnadenlose Beschleunigung umgewandelt wird. Der V10-Reaktor dreht blitzschnell hoch, völlig linear und frei von jeglicher Verzögerung. Es erscheint mir zwar unpassend, angesichts dieser Beschleunigung und des donnernden Sounds kritisch zu werden, aber ein kleiner Unterschied zum Plus ist dennoch spürbar. Der normale R8 dreht einfach gierig, aber gleichmässig hoch, während der Plus ganz oben bei über 7000 Umdrehungen nochmal so richtig einen draufhaut und die Drehzahlen fast explosionsartig auf die 9000 zurasen. Dieser ultimative Kick beim Ausdrehen fehlt beim Spyder.
Dafür würden meine Ohren einen Orgasmus kriegen, wenn sie denn in der Lage dazu wären. Was der V10 beim sportlichen Fahren mit raschem hin und her schalten für Geräusche produziert, ist einfach nur geil. Kein Konzert der Welt könnte momentan besser klingen. Ausserdem glänzt der Spyder trotz erhöhtem Gewicht mit einem atemberaubenden Handling. Die Lenkung ist unglaublich direkt, selbst für scharfe Haarnadelkurven reicht eine knappe halbe Lenkradumdrehung, sodass man nie umgreifen muss. Der R8 bietet zudem Grip ohne Ende. Ich bin mit Geschwindigkeiten um die Kurven gefahren, bei denen ein normaler A3 wahrscheinlich an die Felswand geklatscht wäre. Der R8 hingegen zuckt nicht mal mit der Wimper, respektive mit dem Heck. Es hat mir eindrücklich gezeigt, dass die Grenzen vom R8 Spyder jenseits meiner Hemmschwelle liegen. Und die liegt weit oben.
Gemäss Norm bläst der R8 Spyder 277 Gramm CO2 pro Kilometer in die Luft und so wie ich ihn rangenommen habe, werden es wahrscheinlich über 350 Gramm gewesen sein. Jeder weiss, dass ein R8 doppelt soviel wie ein normales Auto verbraucht und dabei um ein Vielfaches unpraktischer, ja fast schon unnötig ist. Ein reines Spassgerät. Doch die Leute wollen solche Spassgeräte. Das zeigen nicht nur die Verkaufszahlen der solventen Kundschaft, sondern auch die Reaktionen der Leute auf der Strasse.
Ein R8 Spyder löst Faszination aus, auch, wenn man ihn nicht selber fahren kann. Fans freuen sich, ihn von nahem zu sehen und zu hören, sie teilen ihre Freude mit dem Fahrer. Autos, welche das Herz in Beschlag nehmen, sind aus Sicht der Leute resistent gegenüber dem Diktat des Spritsparens. Zwar verfügt der R8 über eine Zylinderabschaltung, eine Segelfunktion und über eine Start-Stopp-Automatik – doch wenn der V10 loslegt, tut mir die Benzinpumpe trotzdem leid.
Und überhaupt: Da rollt ein R8 grummelnd an die Ampel und anstatt in einen sonoren Leerlauf zu verfallen, wird er einfach abgewürgt. Blicke voller Unverständnis kreuzen mich. Deshalb: Wenn man in ein Auto wie den R8 einsteigt, werde typischerweise umgehend zwei Knöpfe gedrückt: Auspuffklappen auf, Start-Stopp aus. Leute mögen Sportwagen und ich hoffe ganz fest, dass das Ende nicht so nah ist, wie es derzeit in Norwegen und Deutschland diskutiert wird. Elektro und Wasserstoff sind ja schön und gut. Aber solange die Leute so sehr auf einen V10 abfahren, darf so ein Prachtstück von einem Motor einfach nicht verboten werden.
Steckbrief
Marke / Modell | Audi R8 Spyder |
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Preis ab | 219 900 CHF |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Motoranordnung / Motorkonzept | Mittelmotor / Saugmotor |
Hubraum / Zylinder | 5204 ccm / V10 |
Getriebe | 7-Gang Doppelkupplungsgetriebe S tronic |
Max. Leistung | 397 kW bei 7800 r/min |
Max. Drehmoment | 540 Nm bei 6500 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 3,6 s |
Vmax | 318 km/h |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 11,7 l/100 km / 277 g/km / G |
Länge / Breite / Höhe | 4,43 m / 1,94 m / 1,24 m |
Leergewicht | 1795 kg |
Kofferraumvolumen | 112 l |
Bilder: Koray Adigüzel