Ich gebe es zu: Vor gewissen Tests stöbere ich ein bisschen herum, was andere Medien und Blogger zu gewissen Autos denken. Und der Audi R8 gehört definitiv zu diesen «gewissen» Autos. Seine technischen Daten lesen sich wie ein Fifty Shades of Audi, wenn es das denn geben würde: V10-Mittelmotor ohne Turbo, 448 kW Leistung, quattro-Antrieb, 8700 r/min Maximaldrehzahl und 330 km/h Spitze. Man(n) wird dabei ja fast selber spitz… Kenner und Fans wissen ausserdem, dass der R8 mit dem Lamborghini Huracán einen heissen Zwillingsbruder hat, mit dem er sich die technische Basis teilt. Doch genau das mit dem heiss und spitz machen soll der R8 trotz infernalischem Sound und brachialer Beschleunigung nicht ganz hinkriegen. Audis Drang nach Perfektion dränge diesen Supersportler in ein Korsett, aus welchem er vergeblich auszubrechen versucht. Das sind jetzt meine Worte, aber so verstehe ich die anderen Berichte, wenn sie mangelnde Emotionen konstatieren. Ob das stimmt, oder ob der R8 eine dramatische Seite hat, wie es sich für einen Sportler seines Kalibers gehört, das werde ich nun klären.
Das Design bringt auf jeden Fall schon mal eine ganze Menge Dramatik ins Spiel. Viele kritisieren, dass er sich im Vergleich zum Vorgänger kaum verändert hat. Ich finde, er hat sich durchaus verändert, er ist weniger rundlich, sondern schärfer, aggressiver. Und warum sollte man ein solch expressives, unverkennbares Design verändern? Diese seitlichen Lüftungshutzen hinter den Türen sind sein Erkennungsmerkmal – jeder Autofan weiss, dass diese zu einem R8 gehören. Der schärfere R8 Plus darf noch ein wenig Carbon-Zierrat, wie eine Frontspoilerlippe und einen feststehenden Heckspoiler spazieren fahren. Mag sein, dass ein R8 nicht ganz so extrem wirkt wie ein Lamborghini, aber ein nebenan stehender Porsche 911 würde zur absoluten Schlaftablette verkommen.
Was aber noch viel mehr Dramatik ins Spiel bringt, ist der Druck auf den Startknopf, der ins Lenkrad integriert worden ist. Dann nämlich werden im Maschinenraum unter einem Gebrüll, welches man wohl auch noch im Nachbardorf hört, zehn Zylinder aktiviert. Nochmal für alle, die es vielleicht überlesen haben: Zehn Zylinder. Und: Kein Turbo. Man mag es bei dem ganzen Krach und den Vibrationen beim Start kaum glauben, aber der V10 läuft extrem ruhig. Da während dem Test die Strassen zeitweise beinahe im Regen untergingen, habe ich den R8 zwangsläufig auch gesittet bewegen müssen.
Und auch wenn der R8 in die Liga der Supersportler gehört, ist er eben ein Audi. Das heisst: Feinstes Interieur, voller Leder und Alcantara, hochwertige Rädchen, die jede Drehung mit einem sauberen «Klick» quittieren und natürlich erstklassige Sportsitze. Der R8 ist alles andere als spartanisch und man würde ohne weiteres auch Stunden in diesem edlen Raum verbringen. Warum Audi als Ergonomiekünstler die linke Füssstütze viel zu steil montiert hat, ist mir jedoch ein Rätsel.
Ebenfalls ein Rätsel ist mir, wie man mit diesem Auto zu zweit in die Ferien verreisen soll. Der «Taschenraum» unter der Fronthaube ist winzig und der Platz hinter den Sitzen reicht für den berühmten Golfbag, aber ein Koffer? Niemals. Auch der Platz für die Passagiere ist begrenzt. Für Leute über 1,85 Meter könnte es knapp werden. Klarer Fall, in diesem Auto ist der Motor das Epizentrum. Wunderbar sichtbar für alle zeigt er sich hinter einer grossen Glasscheibe. Für alle, die dem R8 nicht so nahe kommen können: Keine Sorge. Ihr hört den Motor.
Es gab Momente, da war die Strasse trocken. Und frei. Mit frei meine ich: Keine anderen Autos. Und vor allem: Keine misstrauischen Beamten, welche mit suspekten Geräten ermitteln und fotografisch festhalten wollen, wieviel Weg pro Sekunde ich (zu viel) zurücklege. Wenn der R8 über die Drive Modi scharf gemacht wurde und die Auspuffklappen offen sind, dann sollte man sich vor dem Tritt aufs Gaspedal lieber gut am Lenkrad festhalten. Wie soll ich das Inferno, welches dann losbricht, bloss veranschaulichen? Am besten mittels Fast and Furious und zwar die alten Teile. Wenn Paul Walker und co. via Knopfdruck das Nitro aktiviert haben und sie brüllend in den Sitz gepresst wurden – ja, ich glaube, diese Beschreibung trifft ganz gut auf die Beschleunigung im R8 zu.
Kickdown. Frei von jeglicher Zwangsbeatmung wandelt der V10 Reaktor den Marschbefehl blitzartig in Beschleunigung um. Am Anfang bleibt der grosse Punch weg, doch während Drehzahl und Sound immer mehr anschwellen, haut es mein Gehirn angesichts der enormen Kräfte fast hinten raus. Irre, wie dieses Gerät anschiebt! Und das Geilste ist, es hört nicht mehr auf. Er dreht und dreht und dreht, immer schneller, immer lauter, immer brutaler, bis das Doppelkupplungsgetriebe hart den nächsten Gang reinknallt und das Ganze von vorne beginnen kann.
Ja, Doppelkupplung. Ausschliesslich. Und wahrscheinlich jammern schon wieder ein paar selbsternannte Multitalente, die glauben, mit einer Handschaltung wäre der R8 ein besseres Auto. Er wäre es nicht. Im Gegenteil. Glaubt mir: Wenn das Triebwerk in eurem Nacken bei 7000 Umdrehungen so richtig explodiert und sich innert Sekundenbruchteilen auf knapp 9000 Umdrehungen katapultiert, dann seid ihr damit beschäftigt, die Distanz zur nächsten Kurve einzuschätzen, die plötzlich bedrohlich schnell auf euch zufliegt. In dieser Situation den richtigen Moment zum selber schalten finden? Vergesst es. Ausserdem wäre es echt schade, diesen drehgeilen Motor über eine Handschaltung einzubremsen.
Auch wenn der Motor unbestritten das Sahnestück vom R8 ist, so ist auch sein Handling astrein. So gierig und direkt, wie der R8 einlenkt, scheint es, als ob er meine Gedanken lesen würde. Schon mit geringem Einlenken macht der R8 schon scharfe Kurven und das Magnetic Ride Fahrwerk passt sich innert Sekundenbruchteilen dem Fahrverhalten an. Rase ich geradeaus über einen Abschnitt, der nicht gerade perfekt ausgebaut ist? Dann bemühen sich die Dämpfer erfolgreich darum, dass ich nicht wie ein Kaninchen im Auto auf und ab hüpfe. Möchte ich plötzlich scharf einlenken? Dann wird der R8 augenblicklich so steif, dass er sich nicht einmal einen Millimeter zu neigen scheint.
Derart ausgerüstet lässt es sich mit dem R8 spielend einfach rasen. Er gibt einem sehr schnell sehr grosses Vertrauen bis… Ja, bis das Heck plötzlich anstalten macht, einem zu überholen. Denn der Moment, wann das Heck kommt, spürt man kaum kommen, es macht einfach zack und auf einmal tänzelt das Heck eigenmächtig herum. Doch Audi wäre nicht Audi, wenn man auch das nicht souverän gelöst hätte. Das ESP regelt kurz und schnell und sobald der R8 wieder einigermassen auf Kurs ist, wird umgehend wieder die volle Leistung freigegeben. Da ich leider zu wenig oft trockene Abschnitte zur Verfügung hatte, habe ich nicht getraut, das ESP in den Sport-Modus zu stellen. Denn wenn der R8 hinten kommt, dann wird er zum Biest. Man darf nicht vergessen, dass man es hier mit einem Mittelmotor-Sportler und entsprechender Tendenz zum Übersteuern zu tun hat. Doch nun wird es Zeit, Bilanz zu ziehen.
Audi baut wahrlich nicht die emotionalsten Autos. Ich befürchtete darum auch schon, der R8 sei zu technokratisch, zu kontrolliert, zu zugeschnürt. Aber er ist es nicht. Er hat keinerlei Assistenzsysteme und wiegt so auch nur 1630 Kilo trotz V10. Er ist technokratisch, was die aufwändige Lenkung und das noch aufwendigere Fahrwerk betrifft, aber das kommt einzig und alleine der Fahrdynamik und dem Komfort zu Gute. Mit eingeschaltenem ESP ist er kontrolliert, aber er regelt erst dann, wenn das Heck schon kommt und Gott sei Dank nicht schon dann, BEVOR es kommen könnte. Der Eingriff ist kurz und schmerzlos und wem das immer noch zu viel ist, kann das ESP zweistufig deaktivieren.
Um die Eingangsfrage nun endgültig aufzulösen: Der R8 kann eine Drama Queen sein. Wenn die Auspuffklappen offen sind und der V10 nach Herzenslust herumbrüllt, das Heck bei schneller Gangart unvermittelt ausbricht, das sind die Momente, die ich Audi nicht zugetraut hätte. Es gibt da einen einschlägig bekannten Engländer, der trotz zwei Zylinder weniger noch mehr Sound produziert, aber was die Fahrdynamik angeht, ist ihm der R8 turmhoch überlegen. Gleichzeitig kann der R8 im Comfort Modus aber auch sehr leise und kultiviert dahinrollen, womit er alles andere als eine Drama Queen ist. Er ist also eine Drama Queen auf Knopfdruck. Pfeilschnell, giftig und laut wenn es gewünscht wird, oder lammfromm, gemütlich und leise, wenn man unauffällig bleiben möchte.
Meine gleichwertigen Erfahrungen sind (leider) noch sehr begrenzt, aber es gibt da jemanden, den ich ziemlich gut kenne. Godzilla. Er sieht weniger extrem aus als der R8, macht weniger Lärm, wiegt mehr kann nicht so komfortabel fahren wie der Audi. Aber er kann genauso schnell sein. Wenn nicht noch schneller. Im GT-R musste das ESP nie eingreifen, so perfekt ausbalanciert ist er. Und der GT-R ist deutlich geräumiger als der R8. Und jetzt wird es ganz subjektiv: Müsste ich mich entscheiden, dann würde ich den GT-R wählen. Weil er praktischer und im Handling noch unbeirrbarer ist als der R8. Dann würde ich aber seufzend an den R8 und seinen V10 zurückdenken. Wer kann, sollte sich eigentlich den R8 kaufen. Wer weiss, wie lange wir solche Motoren noch erleben dürfen. Beim Preis ist der R8 wieder typisch Audi. Mit 251’090 Franken hebt sich Audi selber auf ein neues Niveau. Mit diesem Geld kann man sich zwei GT-R kaufen. Mehr möchte ich diesbezüglich nicht kommentieren.
Alltag
Der R8 ist eng. Personen über 1,85 Meter könnten ihre Probleme kriegen. Der Kofferraum vorne ist klein und die Ablage hinter den Sitzen unpraktisch. Ausserdem ist er mangels hinterer Seitenscheibe extrem unübersichtlich.
Fahrdynamik
Was Audi da auf die Strasse gestellt hat, ist absolute Königsklasse. Der R8 lenkt ein, als ob er Gedanken lesen würde und der Schub vom V10 ist etwas vom Geilsten, was man auf der Strasse erleben kann.
Umwelt
Die Spritsparmassnahmen lesen sich wie die von einer Öko-Kiste: Getriebe mit Segel-Funktion, Start-Stopp-Automatik, Zylinderabschaltung. Nützt alles nichts. Der Testverbrauch von 16,2 l/100 km ist nichts geringeres als ein ausgestreckter Mittelfinger an alle Sparmassnahmen, die an diesem Auto vorgenommen wurden. Wenn der V10 loslegt, wird Benzin aus dem Tank gefördert wie Rohöl aus einem Bohrloch.
Ausstrahlung
Auch wenn der R8 nicht so martialisch aussieht wie ein Lamborghini, ist er dennoch sehr extrem gezeichnet. Schön, hat der R8 diese unverkennbare Seitenlinie mit den andersfarbigen Lüftungseinlässen.
Fazit
+ Unverkennbares Design
+ Edles Interieur
+ Sitze wie eine zweite Haut
+ Markerschütternder Sound
+ Drehgeiler Motor mit endloser Kraft
+ Messerscharfe Lenkung
+ Adaptive magnetische Dämpfer
+ Tolerantes, effektives ESP (deaktivierbar)
+ Perfektes Doppelkupplungsgetriebe
+ Hoher Fahrkomfort
+ Laser Fernlicht mit endloser Reichweite
– Linke Fussstütze zu steil
– Enger Innenraum
– Irrer Preis
– Exorbitanter Verbrauch
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell Audi R8 Preis Basismodell / Testwagen 206 350 CHF / 251 090 CHF Antrieb Benzin, Allradantrieb Hubraum / Zylinder 5204 ccm / V10 Motoranordnung / Motorkonzept Mittelmotor / Saugmotor Getriebe 7-Gang Doppelkupplungsgetriebe S tronic Max. Leistung 449 kW bei 8250 r/min Max. Drehmoment 560 Nm bei 6500 r/min Beschleunigung 0–100 km/h 3,2 s Vmax 330 km/h NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz 12,3 l/100 km / 287 g/km / G Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz 16,2 l/100 km / 378 g/km / +32% Länge / Breite / Höhe 4,43 m / 1,94 m / 1,24 m Leergewicht 1630 kg Kofferraumvolumen 112 l
(Bilder: Koray Adigüzel)
3 thoughts on “Audi R8: Drama Queen oder keine Drama Queen?”