Wer kleine Kinder hat, kann ein Lied davon singen. Das Kind brüllt und weint, doch alles wiegen und schaukeln nützt nichts. Essen mag es nicht und schlafen erst recht nicht. An diesem Punkt hilft meist nur noch eines: Ab ins Auto. Bereits nach wenigen Kilometern ist der Frieden in der Regel wiederhergestellt. Diese magische Wirkung und enorme Gelassenheit überträgt der Bentley Mulsanne Speed auf sämtliche Insassen. Das Flaggschiff der Briten ist ein weitgehend in Handarbeit gefertigtes Schloss auf Rädern und sobald man diesen Zufluchtsort betreten hat, entfällt sämtliche Anspannung. Ob Fahren oder gefahren werden – in diesem Luxussalon wird das Reisen zu einem besonderen Erlebnis.
Bereits die majestätische Aura, die das 5,58 Meter lange Auto umgibt, erfüllt einen mit Ehrfurcht. Beim Einsteigen ist es schliesslich endgültig um einen geschehen. Der Fond ist quasi ein mit Leder, poliertem Edelstahl und Klavierlack ausgeschlagenes Herrenzimmer mit zwei Fauteuils – selbstverständlich einzeln justierbar, mit Heizung, Klimatisierung, superweichen Kopfkissen sowie Massagefunktion. Im Vordersitz wartet ein ausfahrbares Android-Tablet inklusive Bluetooht-Kopfhörer mit sämtlichen Unterhaltungs-Features. Zwischen den Sitzen findet eine gekühlte und beleuchtete Minibar inklusive Kristallgläsern- und Flaschen ihren Platz.
Das ganze Interieur, und sei es etwas noch so Unbedeutendes wie eine kleine Ablagefläche, ist mit feinstem Leder ausgekleidet oder mit einem Zierelement bestückt. Alles, was man sieht, ist in sorgfältigster Handarbeit entstanden. Nicht weniger als 550 Arbeitsstunden stecken in jedem Mulsanne. Die Qualität ist unglaublich und nicht in Worte zu fassen. Es wirkt alles wie aus einem Guss, extrem massiv und mit grösster Liebe zum Detail designt. Man kann sich förmlich vorstellen, wie die Innenausstatter im Hauptquartier in Crewe mit Akribie die Luxuslimousine nach Kundenwunsch fertigen.
Klingt eigentlich nach einer Chauffeurslimousine par Excellence, doch der Luxusgleiter trägt nicht ohne Grund den Namenszusatz Speed. Der V8-Biturbo – erstaunlicherweise ist kein Zwölfzylinder im Angebot – generiert monströse 1100 Nm. Das sei mehr als jede andere Luxuslimousine, sagt Bentley. Ausserdem ist nebst dem «Basismodell» und dem Speed auch noch die Langversion mit 25 Zentimeter mehr Radstand im Angebot. Nur falls 5,58 Meter Luxuslimousine nicht genügen sollten, man weiss ja nie. Im Mulsanne Speed erlebt der Fahrer dafür die perfekte Symbiose aus Komfort, Kraft und Qualität.
Mit einem dezenten Schnurren erwacht der V8 zum Leben und verfällt in einen seidenweichen Lauf. Geschmeidig setzt sich der Luxusliner in Bewegung und während ich normalerweise darauf achte, wie es um Strassenlage, Kurvenverhalten und Rückmeldung steht, wird mir im Mulsanne auf den ersten Metern klar, dass sich hier die Massstäbe und Erwartungen verschieben.
Der Mulsanne scheint die Strasse kaum zu berühren, er schwebt förmlich über den Asphalt. Das adaptive Luftfahrwerk schluckt alle möglichen störenden Einflüsse der Strasse und lässt den Wagen auf eine besonders sanfte und langsame Art ein- und wieder ausfedern. Zum phänomenalen Fahrkomfort kommt noch ein Geräuschniveau dazu, dass man gar nicht mehr als Lärmpegel bezeichnen kann. Es ist im Wageninnern so still wie in einer Bibliothek und man bemüht sich sogar, möglichst still zu sitzen, um unnötige Geräusche zu vermeiden.
Der britische Luxussalon hat eine besonders entschleunigende Wirkung. Wieso sollte man es im Mulsanne Speed auch eilig haben? Schliesslich sitzt man in seiner Luxusoase und möchte gar nicht mehr aussteigen. Obwohl der gewaltige V8 nur so vor Kraft strotzt, merkt man das dem Wagen nicht an. Der Pedalweg des Gaspedals ist sehr lang und nur wer es ganz runterdrückt, wird von einer ungeheuren, kaum greifbaren Kraft in den Sitz gedrückt!
Obwohl es sich um einen Benziner handelt, beginnt bereits bei 4500 Umdrehungen der rote Bereich. Das immense Drehmoment und das schnelle Hochdrehen des Motors führen dennoch zu einer surrealen Beschleunigung. Das Motor erhebt seine Stimme und plötzlich fliegt die Landschaft draussen an den Insassen vorbei.
Das Auto wird dabei nicht laut und selbstverständlich sorgt das 8-Gang-Automatikgetriebe dafür, dass die Herrschaften im Innern keine Gangwechsel spüren. Das Auto besitzt Kraft im Überfluss, lässt es einen jedoch nicht spüren. Auch Vollgas meistert der Bentley mit einer Gelassenheit, die gewöhnliche Autos nicht mal beim Dahinrollen ausstrahlen.
Natürlich dürfen weder der Zusatz Speed, noch das Vorhandensein eines Sport-Modus sportliche Ambitionen wecken. Ein Wagen dieser Grösse kann sich gar nicht anders steuern als ein Schiff, aber das ist in Ordnung. Immerhin bietet die Lenkung genügend Widerstand und eine zarte Rückmeldung, sodass sich der Mulsanne Speed durchaus nicht nur als Chauffeurslimousine, sondern auch als Fahrerauto versteht.
Ich wurde während des Tests gefragt, ob man sich mit einem Bentley tatsächlich besser fühlt im Leben. Nach einem Moment der Überlegung antwortete ich, dass selbst ein Bentley kein nachhaltig besseres (Lebens-)Gefühl verleiht. Doch er ermöglicht Reisen auf höchstem Niveau und ist sowohl Rückzugsort als auch ein Ort der Entspannung. Man freut sich darauf, die nächste Reise mit diesem Auto in Angriff zu nehmen, unabhängig davon, ob man sich hinter dem Lenkrad oder auf dem Rücksitz niederlässt.
Der Testwagen kostet inklusive Sonder- und Individualausstattung 460’260 Franken inklusive Steuern. Eine Summe, die man normalerweise nicht mehr mit einem Auto in Verbindung bringt. Nach rein technischen und objektiven Beurteilungspunkten ist der Mulsanne Speed nicht einmal State of the Art. Dass beispielsweise Matrix-LED-Licht, Lenkradheizung oder eine 360°-Kamera durch Abwesenheit auf der schier endlosen Liste der Sonderausstattungen glänzen, ist bei diesem Preis nicht gerade die feine Art.
Doch im Bentley Mulsanne Speed geht es um weit mehr, um nicht zu sagen ganz anderes als um die letzte Generation Assistenz- und Komfortfeatures. Diese Limousine zelebriert Qualität und Fertigungskunst auf einem Niveau, wie es ansonsten nur noch die Konkurrenz aus Goodwood bieten kann. Wer Bentley fährt, gibt ein klares Statement ab. Und gegen die fehlende Lenkradheizung haben die Briten sogar eine Antwort parat: Handgenähte Lederhandschuhe aus der hauseigenen Kollektion – damit der eigene Stil jenem des Autos würdig ist.
Alltag
Eigentlich ein überflüssiges Kapitel, denn ein Mulsanne wird kaum für die täglichen Besorgungen oder Einkäufe erledigt. Da gibt es auch geeignetere Autos, denn Kofferraumvolumen und Handlichkeit sprechen nicht unbedingt für den Briten. Mit zwei Regenschirmen im Kofferraum ist man aber auch im Alltag gegen schlechtes Wetter gewappnet.
Fahrdynamik
Dank seiner überbordenden Kraft ist ein souveränes Fahrverhalten jederzeit garantiert. Wie sagen die Briten gleich so schön? Effortless driving. Dass hohe Kurventempi nicht zuoberst im Mulsanne Pflichtenheft standen, erklärt sich von selbst.
Umwelt
Eine eigene Ölquelle unter den Besitztümern dürfte sich als wahre Annehmlichkeit erweisen, wenn man einen Mulsanne Speed pilotiert. 16,8 Liter Testverbrauch – bei weitgehend moderater Fahrweise und Zylinderabschaltung wohlgemerkt – sorgen für eine sich munter bewegende Tanknadel. Wer aufs Gas drückt, erreicht locker Werte über zwanzig Liter.
Ausstrahlung
Stilvoller als mit dem Mulsanne Speed kann man kaum vorfahren. Das ist zeitlose, klassische Eleganz.
Fazit
+ Stattliches, luxuriöses Design
+ Riesige Auswahl an Lackierungen, auch Bicolor
+ Schier endlose Personalisierungsmöglichkeiten, selbst Sonderwünsche sind kein Problem
+ Exquisite Handwerkskunst, meisterhafte Qualität
+ Grenzenlose Liebe zum Detail
+ Vorzüglicher Sitzkomfort auf allen Plätzen
+ Online-Anbindung und extrem umfangreiches Android Rear-Seat-Entertainment
+ Extrem geschmeidiger Motorlauf
+ Souveränes Fahrverhalten unter allen Bedingungen
+ Völlig unmerklich agierendes Automatikgetriebe
+ Unglaubliche, sich gleichmässig entfaltende Kraft
+ Sehr kräftige Bremsanlage
+ Höchster Fahrkomfort
+ Exzellentes Audiosystem
+ Total isolierte Fahrkabine mit äusserst tiefem Geräuschniveau
– Keine Highend-Technologien wie Matrix-Licht, 360°-View oder Apple CarPlay
– Sehr hoher Verbrauch trotz Zylinderabschaltung
– Trotz exorbitantem Grundpreis sehr hohe Aufpreise für Sonderausstattungen
– Riesiger Wendekreis
– Im Verhältnis zur Grösse kein besonders geräumiger Kofferraum
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Bentley Mulsanne Speed |
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Preis Basismodell / Testwagen | 370 600 CHF / 460 260 CHF |
Antrieb | Benzin, Heckantrieb |
Hubraum / Zylinder | 6752 ccm / V8 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Biturbomotor |
Getriebe | 8-Gang Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 395 kW bei 4000 r/min |
Max. Drehmoment | 1100 Nm bei 1750 bis 3200 r/min |
Beschleunigung 0 - 100 km/h | 4,9 s |
Vmax | 305 km/h |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 15,0 l/100 km / 342 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 16,8 l/100 km / 383 g/km / +12% |
Länge / Breite / Höhe | 5,58 m / 1,93 m / 1,52 m |
Leergewicht | 2760 kg |
Kofferraumvolumen | 445 l |
Bilder: Koray Adigüzel
Traum Auto und Super Beitrag