Gewisse Marken haben in der Schweiz keinen einfachen Stand. Wahrscheinlich werden an einem Tag so viele Skodas neu zugelassen, wie Infinitis, Lexus und Cadillacs zusammen in einem Jahr. Während es den Japanern meiner Meinung nach immer noch an Image und Bekanntheitsgrad fehlt, dürften genau diese Werte bei Cadillac kein Problem sein! Oder vielleicht doch? Bestimmt hat jeder ein Bild zur Marke Cadillac im Kopf, nur ist dieses wahrscheinlich veraltet und/oder völlig verkehrt. Der Cadillac CT6 ist zwar durch und durch ein Ami mit sämtlichen amerikanischen Vorzügen – allerdings ohne die vielfach nachgesagten negativen Eigenschaften. Zeit, ein neues Markenbild zu schaffen!
Wohl kaum ein anderer amerikanischer Autohersteller steht so sinnbildlich für den klassischen Strassenkreuzer wie Cadillac. Mit 5,18 Metern Länge ist der CT6 eine stattliche Erscheinung. Besonders sympathisch finde ich, dass die Limousine trotz ihrer Grösse keinen protzigen Eindruck macht. Cadillac setzt auf Ecken und Kanten, Rundungen finden sich so gut wie keine. Dennoch scheint das Design in sich zu ruhen, das Auto strömt eine Gelassenheit aus, wie man sie heute in diesem Segment nur noch selten vorfindet. Es ist im Übrigen auch keine Sport-Line oder etwas in der Art erhältlich, es gibt den CT6 optisch nur so, wie er hier auf den Bildern dargestellt ist.
Jetzt heisst es erst mal: Einsteigen, Platz nehmen, tief durchatmen, entspannen. Ein Bose-Soundsystem mit nicht weniger als 34 (!) Lautsprechern sowie Massagesitze sorgen für das Wohlbefinden an Bord. Im schlichten Interieur findet man sich schnell zu Recht, einzig das recht verspielte digitale Cockpit durchbricht die Seriosität. Komplett in Schwarz wirkt der noble Cadillac fast schon zu bieder, die einzige Alternative ist ein beiges Interieur.
Das ist der erste grosse Dämpfer: Die Konfigurationsvielfalt. Zwei Interieur-Varianten stehen zur Wahl, allerdings komplett vorgegeben. Lieber Alcantara-Sitze anstatt Leder? Lieber Aluminium-Zierelement anstatt Klavierlack? Lieber schwarze Felgen anstatt silberne? Tja, wird wohl leider nix. Da macht man es sich seitens Cadillac Europe etwas gar einfach beim Importieren, denn in Amerika besteht selbstverständlich jene angemessene Vielfalt, die man in diesem Segment erwarten kann.
Noch weniger Auswahl besteht beim Antriebsstrang, dort aber ohne den Wunsch nach mehr. Nein, kein V8, sondern ein moderner Biturbo-V6 mit Zylinderabschaltung sorgt im CT6 für den Vortrieb, serienmässig mit 8-Gang Automatik und Allradantrieb ausgerüstet. Geschmeidig meldet sich das Aggregat zum Dienst, natürlich ohne Soundeinlagen, man möchte schliesslich mit Stil losfahren.
Selbstverständlich ist der Fahrkomfort formidabel, der grosse Caddy bügelt Strassenunebenheiten geschickt glatt, wippt ganz sachte nach und ist flüsterleise. Alles andere wäre seltsam, dieses Auto strahlt Fahrkomfort förmlich aus. Der grosse Wagen wahrt dabei stets die Contenance, lässt sich weder vom plötzlichen Leistungsabruf sowie von engen Kurven aus der Ruhe bringen – Allradlenkung sei Dank.
Alles wie gehabt? Nun, nicht ganz, denn der CT6 verfügt über einen Sport-Modus, der tatsächlich zu Recht so heisst. Wer den Luxusliner mal mit etwas weniger Stil, dafür mit Vehemenz einen Berg hochjagt, staunt, welches fahrdynamische Talent in diesem Ami steckt. Willig und präzise lenkt die Limousine ein, bleibt dabei absolut neutral und ohne Seitenneigung. Das Auto wirkt sehr handlich und vermittelt grosses Vertrauen. Zu Recht stolz sind die Amis aufs Gewicht: 2025 kg bringt die Limousine auf die Waage. Scheint im ersten Moment viel, aber für die Grösse und die verbaute Technik ist dieser Wert verhältnismässig tief.
Leider piepst der Notbremsassistent so dermassen früh und häufig auch unnötig, dass man das System bereits bei der ersten Fahrt genervt ausschaltet. Dummerweise ist die Einstellungssache etwas irreführend. Wählt man beim Notbremsassistent «nah» aus, dann arbeitet er besonders sensibel, dafür bei der Einstellung «weit» toleranter. Bei anderen Herstellern ist es umgekehrt, weshalb diese falsche Einstellung dazu führte, dass ich meiner Meinung nach zu häufig angepiepst wurde. Cadillac hat mich darauf aufmerksam gemacht. Des Weiteren kann man auch generell Warntöne im Auto deaktivieren und stattdessen den Fahrersitz vibrieren lassen, damit man auf eine potentielle Gefahr aufmerksam gemacht wird. Funktioniert auch, ist aber ungewohnt, wenn es plötzlich unter dem Hintern vibriert… 😉
Punkto autonomes Fahren wäre der CT6 dafür sehr weit – wenn er in Europa denn dürfte. In den USA kann man mit dem «Super Cruise» genannten Highway-Assistenten ohne Hände am Lenkrad völlig legal etliche Kilometer runterreissen. Klingt super, doch hierzulande wird «nur» ein Abstandstempomat angeboten und der Spurhalteassistent greift lediglich beim Verlassen der Spur ein, das Auto wird nicht konstant in der Spur gehalten. Dafür ist immerhin ein Nachtsichtassistent an Bord, der zuverlässig Tiere und Fussgänger im Dunkeln erkennt.
So bleibt am Ende der schale Nachgeschmack, dass Cadillac hierzulande eine grossartige Luxuslimousine anbietet, die aber noch viel grossartiger sein könnte, würden dasselbe Technik-Arsenal sowie dieselbe Konfigurationsvielfalt wie in den USA angeboten werden. Gerade im Premium-Segment glaube ich nämlich, darf es ruhig etwas mehr und dafür auch etwas teurer sein. Zwar ist der top ausgestattete CT6 mit 122’240 Franken deutlich günstiger als die einschlägige deutsche Konkurrenz, aber ob Preis und Extravaganz als Kaufentscheidung ausreichen? Ausserdem kommt erschwerend dazu, dass das Händlernetz ziemlich dünn ist. Schade, denn so steht sich Cadillac selber etwas im Weg.
Alltag
Das Raumangebot im Fond ist fürstlich, die Wendigkeit dank Allradlenkung noch erträglich. Problematisch ist eher der Kofferraum, der obendrein nicht erweiterbar ist, da sich die Sitzlehnen nicht umlegen lassen. Sperrige Gegenstände müssen daher draussen bleiben. Was dafür ebenfalls draussen bleibt: Störende Geräusche, denn der Cadillac ist extrem leise.
Fahrdynamik
Wer Handlingqualitäten eines Frachtschiffes erwartet, wird hier eines Besseren belehrt: Die Limousine fährt überraschend agil und neutral um Kurven, gerne auch sehr schnell. Für maximalen Fahrspass empfiehlt sich der manuelle Modus des Getriebes. Bevor man an die Grenze des Autos kommt, wird man vom ESP aber rigoros eingebremst.
Umwelt
Klar sind 10,8 l/100 km nicht wenig. Aber angesichts von Grösse und Leistung ist dieser Wert nicht so schlecht. Die Konkurrenz kann es nicht besser.
Ausstrahlung
Mit einer markanten Designsprache, welche die Linien des Autos hervorhebt, ist den Amerikanern eine stattlich-elegante Erscheinung gelungen, die nicht protzig oder überheblich wirkt.
Fazit
+ Markantes, aber elegantes Design
+ Super bequeme Sitze, unzählige Einstellungsmöglichkeiten
+ Verstellbare Sitze im Fond, sehr hoher Sitzkomfort
+ Materialanmutung und Verarbeitung auf sehr hohem Niveau
+ Geschmeidiger Motor mit ausgesprochen ruhigem Lauf
+ Agiles Einlenkverhalten, geringe Seitenneigung
+ Allradlenkung
+ Digitaler Rückspiegel, allerdings gewöhnungsbedürftig
+ Sehr leises Fahrverhalten
+ Bombastische Bose-Soundanlage mit 34 Lautsprechern
+ Formidabler Fahrkomfort
+ Hoher, aber im Vergleich zur Konkurrenz sehr fairer Preis
+ Sehr umfangreiche Ausstattung
+ Akzeptabler Verbrauch
– Sehr wenig Personalisierungsoptionen
– Autobahn-Pilot nur in den USA erhältlich
– Darstellung auf dem Touchscreen wirkt aufgebläht, Reaktionszeit teils dürftig
– Kofferraum eher knapp bemessen
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Cadillac CT6 |
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Preis Basismodell / Testwagen | 89 500 CHF / 122 240 CHF |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 2997 ccm / V6 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Biturbomotor |
Getriebe | 8-Gang Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 307 kW bei 5700 r/min |
Max. Drehmoment | 550 Nm bei 2500 - 5100 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 5,7 s |
Vmax | 250 km/h (elektronisch abgeregelt) |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 9,8 l/100 km / 223 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 10,8 l/100 km / 245 g/km / +10% |
Länge / Breite / Höhe | 5,18 m / 1,88 m / 1,47 m |
Leergewicht | 2025 kg |
Kofferraumvolumen | 433 l |
Bilder: Koray Adigüzel
Das man so ein Auto importieren lassen muss, kann ich absolut nachvollziehen. Auf Lager wird sowas kaum jemand haben. Die Optik alleine ist es aber wert sich mit diesem Wagen zu beschäftigen