Dies ist kein klassischer Fahrbericht, sondern mehr ein Erlebnisbericht. Es geht um das Feeling, wie sich die billigsten Neuwagen , nämlich Dacias, anfühlen. Mittlerweile hatte ich mit sehr vielen Marken das Vergnügen, doch erstmals hatte ich die Möglichkeit, mit der rumänischen Billigmarke auf Tuchfühlung zu gehen. Die Rede ist immer von billig, ein Adjektiv, das abwertend klingt. Ich wollte schon immer wissen: Wie gut ist ein Dacia? Ist das ein Verzichtauto? Oder fährt es sich ganz angenehm?
Eines vorneweg: Dacia geht es erstaunlich gut, sowohl gesamthaft betrachtet, als auch in der Schweiz, was mich persönlich ziemlich überrascht. In Europa hat Dacia in den ersten zehn Monaten des laufenden Jahres 11,1 % mehr Fahrzeuge abgesetzt als im selben Zeitraum letzten Jahres. In der Schweiz beträgt das Plus sogar gewaltige 44 %, der Marktanteil in der Schweiz beträgt 2,28 %. Gerade bei uns, wo potente Modelle gefragt sind und gefühlt hinter jeder zweiten Ecke ein Audi RS 6 hervorspringt, verkaufen sich auch die günstigen Dacias besonders gut. Angesichts dieser Zahlen muss etwas an dieser Marke dran sein…
Wir beginnen mit dem Sandero, dem Kleinwagen. Der hat einen neuen Einstiegsmotor erhalten, einen Dreizylinder ohne Turbo mit umwerfenden 54 kW. Nun ist der Sandero ziemlich leicht, trotzdem sollte man sich diesen Motor nicht antun, sofern man nicht in Holland wohnt. Angenehmes Vorwärtskommen ist das bei unserer Topografie nicht mehr, bei Steigungen ausserorts oder gar auf der Autobahn geht dem Motor sehr schnell die Puste aus und man droht, zum Verkehrshindernis zu werden. Dafür steht der Wagen mit 7900 Franken in der Preisliste, allerdings ist das Auto dann wirklich sehr, sehr nackt.
Im Sandero Stepway Testwagen ist der Dreizylinder-Turbobenziner verbaut. Mit diesem Motor muss man sich dank 66 kW und Turboschub nicht mehr vor Steigungen fürchten. Natürlich ist dieses Aggregat auch für den normalen Sandero erhältlich. Obwohl ich normalerweise Cross-Autos nicht mag, sieht der Stepway besser aus als der Normale. Der Sandero ist einfach zu bieder geraten, doch der Stepway mit seiner zusätzlichen Bodenfreiheit und robusterem Look wirkt gleich viel weniger langweilig.
Im Innenraum ist natürlich viel Plastik verbaut, und auch wenn die Verarbeitungsqualität nicht an andere Marken heranreicht, so fühlt man sich dennoch wohl. Nichts klappert während der Fahrt, das ist die Hauptsache. Die Sitze geben nicht wirklich Seitenhalt und sind zu hoch montiert, doch man haltet es ganz gut auf ihnen aus. Obwohl das Lenkrad nur in der Höhe verstellbar ist, ist die Ergonomie deutlich besser als beispielsweise in einem Fiat 500. Das Navi und Infotainmentsystem bietet zwar nur die nötigsten Funktionen, diese funktionieren dafür einwandfrei. Ausserdem ist die Bedienlogik simpel, man findet sich sofort zurecht – und immerhin bietet Dacia das System überhaupt an.
Lausig ist dafür die Soundqualität, seine Lieblingsmusik hört man besser woanders als in seinem Dacia. An den Lautsprechern wurde massiv gespart. Dass man ausserdem für den Umluftbetrieb einen Regler manuell verstellen muss, ist ein Relikt und gibt es ausserhalb der Dacia-Welt heute wohl nicht mehr. Die gefahrenen Sandero Modelle waren natürlich alles andere als nackt, der Einstiegspreis ist vor allem ein Köderpreis. Für einen anständigen Sandero Stepway werden schnell mal rund 13’000 Franken fällig – doch das ist immer noch extrem günstig.
Vom günstigen Preis merkt man während der Fahrt nicht viel, solange man nicht auf der Autobahn unterwegs ist. In einem Dacia ist alles auf Komfort ausgelegt, Fahrspass sollte man keinen erwarten, dafür reist es sich entsprechend angenehm und gemütlich. Ausserdem bedeutet komfortabel nicht gleich, dass man in zügig gefahrenen Kurven das Gefühl hat, das Auto kippe gleich um. Dacia wählt für seine Fahrwerke eine gesunde Sänfte. Auf der Autobahn wird es jedoch bald ungemütlich, da die Windgeräusche mangels Dämmung sehr laut werden. Für ein Kurzstrecken-Auto ist der Sandero jedoch vorbehaltlos empfehlenswert, sofern man einen Bogen um den Einstiegsmotor ohne Turbo macht.
Der Duster ist alleine aufgrund seiner Grösse ein «vollwertigeres» Auto. Er bietet hinten deutlich mehr Raum, ausserdem ist er mit stärkeren Motoren verfügbar. Gefahren bin ich die neue Kombination von 81 kW Diesel und Doppelkupplungsgetriebe. Leider gibt es diese Kombination nur mit Frontantrieb, in der Schweiz ist jedoch der Duster mit Allradantrieb besonders beliebt. Allerdings gibt es den Motor natürlich auch mit Handschaltung.
Der Duster ist ebenfalls nicht für lange Autobahnetappen gedacht, es wird auch in Dacias SUV unangenehm laut. Erstaunlicherweise läuft der Diesel aber sehr ruhig, mancher TDI aus dem VW-Konzern läuft rauer, trotz stärkerer Dämmung. Allerdings sind französische Dieselmotoren allgemein für ihre Laufruhe bekannt. Der Duster hat jedoch noch Kuriosum: Seine Hupe befindet sich links am Blinkerhebel! Das ist anscheinen günstiger als auf dem Lenkrad, doch der Sandero hat sie aufgrund eines neuen Lenkrads eben dort. Der Duster wird wohl erst mit dem Generationenwechsel eine anständige Hupe erhalten. Auch das Navi-Display ist im Duster zu tief platziert.
Ich als Autofan und alle, die ticken wie ich, würden sich natürlich niemals einen Dacia zulegen. Aber wer einen Dacia kauft, macht keinesfalls einen Fehler. Die Autos sind günstig, aber nicht billig – im Gegenteil, sie sind sehr solide. Da sie über keine komplexe Elektronik und Assistenzsysteme verfügen, sind sie wahrscheinlich sogar weniger fehleranfällig als Modelle, die vollgestopft sind mit Spielereien. Auch wenn ein Dacia einem kein erhabenes Gefühl gibt, so fühlt man sich dennoch wohl und hat mit Komfortfeatures wie Tempomat, Navi oder Rückfahrkamera nie das Gefühl, in einem Verzichtauto zu sitzen. Denn wie heisst es so schön? Manchmal ist weniger eben mehr. Davon scheint Dacia zu leben und zwar ganz anständig.
Bilder: Dacia