Mit dem Ford Explorer schippert Ford nun offiziell sein ganz dickes Ding zu uns. Damit das Full-Size-SUV dennoch politische Korrektheit wahren kann, gibt es ihn in Europa ausschliesslich als Plug-in-Hybrid. Ob dieser Antrieb mit der schieren Masse und Grösse was taugt und warum der Explorer trotz seines auf den ersten Blick hohen Preises ein echter Geheimtipp ist, werde ich euch nun erläutern!
Eines vorneweg: Ja, der Explorer ist ein waschechter Ami. Er wird in Übersee gebaut und anschliessend verschifft. Doch der Testwagen trägt die ST-Line und wirkt damit eher dezent-sportlich als typisch amerikanisch. Die kantige, hohe Front mit den schmalen Scheinwerfern und grossem Grill schindet mächtig Eindruck. Grill und Explorer-Schriftzug sind in Schwarz gehalten, was für einen dezenteren und weniger pompösen Auftritt sorgt.
Schiere Grösse
Durch die lang gestreckte C-Säule, den Verzicht auf ein Trittbrett sowie den verhältnissmässig kleinen 20-Zöllern schafft es Ford, die Grösse von weitem oder auf Bilder etwas zu kaschieren. Erst wenn man vor dem Auto steht realisiert man die gewaltigen Ausmasse. Insgesamt wirkt das Design sehr gefällig mit einem durchaus vorhandenen europäischen Touch. Das Heck ist allerdings recht verwechselbar, da die vierflutige Auspuffanlage das einzig markante Designmerkmal darstellt.
Immer mehr grosse SUV (-Coupés) fahren die Lifestyle-Schiene und bieten so auf grosser Grundfläche erstaunlich wenig Platz. Ganz anders der Explorer. Seine schiere Grösse erlaubt es Ford, die Batterie so zu integrieren, dass auch der Plug-in-Hybrid mit dem ganz grosse Platzangebot aufwarten kann.
Zusätzlicher Schlafplatz
Der Kofferraum ist dermassen gigantisch, dass selbst ich als grosse Person kaum ans Ende gelange, ohne halb in das Auto reinzuklettern. Zahlreiche Nebenfächer eignen sich zudem für Kleinkram. Und selbst wenn man die hintersten beiden Sitze elektrisch – Amerika lässt grüssen – aufrichten lässt, bleibt genügend Platz für einen grossen Einkauf. Wird dagegen die Rückbank abgeklappt, steht einer Matraze oder dem Ikea Räumungsverkauf nichts mehr im Wege. Unfassbare 2274 Liter schluckt der Explorer, das muss ihm erst mal einer nach machen!
Dezentes Cockpit
Weniger Aufsehen als das Design und die gigantischen Raumverhältnisse erregt das Cockpit. Es ist komplett in Schwarz gehalten, lediglich Zierelemente im Carbon-Look sowie rote Nähte werten das Interieur optisch auf. Die Sitze bieten zwar wenig Seitenhalt, dafür sind sie so bequem wie ein Sessel zu Hause. Etwas verloren wirkt der kleine Touchscreen des Infotainmentsystems, doch Ford schafft bereits ab dem nächsten Modelljahr mit einem grossen, vertikalen Screen Abhilfe. Dafür ist die Klimabedienung noch konventionell über Knöpfe integriert.
Elektrisch nur innerorts
Leiser Motorstart, der Gang wird über ein Drehrad eingelegt – aber ein statisches nicht so ein fancy Teil wie das ausfahrbare von Jaguar und Land Rover früher. Man rollt elektrisch los und staunt über den massiven Antritt aus dem Stand. Doch abgesehen vom Anfahren ist der elektrische «Kick» im Explorer nicht vorhanden. Kein Wunder: Im elektrischen Fahrmodus muss der 74 kW leistende Elektromotor gegen über 2,5 Tonnen Leergewicht ankämpfen. Innerorts geht das gut, leise und geschmeidig, doch sobald man auf Landstrassen fährt, wird man zum Verkehrshindernis. Darüber hinaus verbraucht der Elektromotor dann überproportional viel Strom, sodass der Akku nach 25 bis 30 Kilometern leer ist.
Das klingt sehr negativ, doch Ford ist sich des Defizits vom rein elektrischen Antrieb bewusst. Im Gegensatz zu vielen anderen PHEVs startet der Explorer deshalb nicht im rein Elektrischen, sondern im Hybrid-Modus. Sobald man also für Ausserortsstrecken oder gar Autobahnen mehr Leistung verlangt, springt der V6-Turbobenziner dazu. Die grösstmöglichste Effizienz erzielt man folglich, indem man dem Benziner ausserhalb von Ortschaften den Lead überlässt, ihn aber vom Elektromotor tatkräftig unterstützen lässt.
I’m cruisin
So bleibt der Akku nämlich über eine viel längere Zeit geladen und der Verbrauch hält sich dank der E-Unterstützung trotz gewaltiger Leistung in Grenzen. Vom Wechselspiel der Motoren kriegt man genauso wenig mit wie vom Automatikgetriebe, welches seine 10 Gänge souverän und unmerklich sortiert. Überhaupt sitzt man im Explorer wie in einer Burg und wird angenehm abgekapselt. Dass es im Auto sehr leise ist, liegt auch am Noise Canceling System der Audioanlage, welches Fahrgeräusche etwas unterdrücken kann. So geniesst man auf sehr hoher Sitzposition die Fahrt, plättet sämtliche Unebenheiten und geniesst das Wissen, jederzeit über genügend Leistungsreserven zu verfügen.
Dass der Explorer trotz gewaltigem Eigengewicht dank 825 Newtonmeter Systemdrehmoment mächtig nach vorne schiebt, leuchtet ein. Zwischensprints sind ein Klacks, Autobahnauffahrten ebenso und manchmal macht es einfach Spass, das Gaspedal durchzudrücken, den Elektroschub und die bärige Kraft des Benziners zu spüren! Effizient ist das natürlich nicht mehr, aber leider geil!
Sportlicher als gedacht
Positiv überrascht wurde ich vom Kurventalent des Explorer. Das massige Gerät lässt sich erstaunlich flink um Kurven wuseln, ohne dass man das Gefühl bekommt, man manövriert einen Frachtkahn durch raue See. Die präzise Lenkung spricht natürlich an und vermittelt ein hervorragendes Gefühl zur Strasse. Dasselbe gilt für die Bremse, welche für einen Hybrid über einen ausgezeichneten Druckpunkt verfügt. So kann man es mit dem Explorer durchaus mal bergauf krachen lassen, denn das wunderbar ausgewogene Fahrwerk hält die Fuhre schön stabil. Ausserdem fühlen sich vorausfahrende Schleicher spürbar bedrängt, wenn so ein Koloss auf sie zugeflogen kommt!
Kaum Konkurrenz
Für das gelungene Paket ruft Ford 89’000 Franken auf. Das ist für Ford-Verhältnisse zwar viel Geld, doch der Explorer sprengt nicht nur grössen- sondern auch leistungsmässig alles andere SUV-artige von Ford. Im Preis ist ausserdem eine Komplettausstattung inklusive, die sich sehen lassen kann. Darüber hinaus hat sich Ford in einer cleveren Nische niedergelassen. Vergleichbare Konkurrenten gibt es zwar, auch als Plug-in-Hybrid, aber die bieten nicht dasselbe üppige Platzangebot und kosten ausserdem deutlich mehr. Insofern hat sich Ford Europa genau das Richtige aus Amerika gepickt!
Alltag
Trotz seiner Grösse lässt sich der Explorer dank seiner kantigen Form gut rangieren. Was die Platzverhältnisse und die Ablagemöglichkeiten im Innenraum angeht, ist er sowieso der König. Ich wüsste nicht, wozu man noch mehr Raum auf Rädern benötigen sollte.
Fahrdynamik
Trotz enormem Gewicht von über 2,5 Tonnen schiebt der Explorer mächtig voran – unten rum unterstützt vom Elektromotor, oben hat der V6 ordentlich Druck. Doch auch querdynamisch lässt er sich nicht lumpen. Man fühlt guten Kontakt zu Strasse, schätzt die rückmeldungsfreudige und direkte Lenkung sowie ein Fahrwerk, dass trotz komfortabler Auslegung auch zackige Kurvenfahrt zulässt. Doch für top Fahrwerke ist Ford schliesslich schon länger bekannt.
Umwelt
Der Testverbrauch von 9,4 l/100 km hat rein gar nichts mehr mit dem illusorischen Normverbrauch von 3,2 l/100 km am Hut. Trotzdem kann man mit dem Explorer einigermassen umweltfreundlich pendeln und ohne Hybridantrieb wäre der Verbrauch angesichts Leistung und Gewicht deutlich im zweistelligen Bereich.
Ausstrahlung
Der Explorer hat eine präsente Ausstrahlung, ohne zu pompös zu wirken. Seine amerkanischen Gene sind sichtbar, nehmen aber nicht Überhand. Ein gelungener Mix!
Fazit
+ Gelungenes, nicht zu protziges Design
+ Platzangebot wie ein Mini-Bus
+ Sehr bequeme Sitze, auch hinten reist man komfortabel mit
+ Grosse Fenster, gute Übersicht
+ Simple Bedienung und gute Sprachsteuerung, aber kleines Display
+ Unauffälliges Automatikgetriebe mit 10 Gängen und hervorragender Spreizung
+ Viele Fahrmodi mit spürbarem Unterschied
+ Kräftiger Motor mit kernigem Klang
+ Sehr komfortables und leises Fahrfeeling, schluckt Unebenheiten sämtlicher Art
+ Verhältnismässig sportliches Handling, guter Kontakt zur Strasse
+ Präzise Lenkung
+ Sensationelles Ansprechverhalten
+ Sehr viele Assistenzsysteme verfügbar
+ Komplettausstattung inklusive
+ Fairer Preis
– Sehr billiges Laderaumrollo
– Verarbeitungsqualität dürfte etwas hochwertiger sein
– Rein elektrische Leistung und Reichweite sehr gering
– Unkonfigurierbares Digitalcockpit mit seltsam leerer Darstellung im Normal-Modus
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Ford Explorer PHEV |
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Preis Basismodell / Testwagen | 81 900 CHF / 89 000 CHF |
Antrieb | Benzin Plug-in-Hybrid / Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 2956 ccm / V6 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Trubomotor + ein Elektromotor an der Hinterachse |
Getriebe | 10-Gang Automatikgetriebe |
Max. Systemleistung | 336 kW bei 5750 r/min |
Max. Systemdrehmoment | 825 Nm bei 2500 r/min |
Beschleunigung 0 - 100 km/h | 6,0 s |
Vmax | 230 km/h |
Elektrische Reichweite nach WLTP | 42 km |
Batteriekapazität | 13,1 kWh |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 3,2 l / 72 g/km / C |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 9,4 l/100 km / 212 g/km / +194% |
Länge / Breite / Höhe | 5,05 m / 2,00 m / 1,77 m |
Leergewicht | 2566 kg |
Kofferraumvolumen (7-/5-/2-Sitzer) | 240 l / 1137 l / 2274 l |
Bilder: Koray Adigüzel