Ford Fiesta ST: Ist er zu hart, bist du zu weich

Was hast du denn als nächstes zum Testen, wollte ein Kollege wissen. Ford Fiesta war meine Antwort. Oh, ok. Themenwechsel.
Ford Fiesta. Klingt nach kleinem, günstigem und grünem Stadtauto, vielleicht noch mit einem kleinen, weiblichen Touch versehen. Solide, aber langweilig. *Gähn*…, mir schlafen gleich die Finger beim Schreiben ein… Glücklicherweise trägt mein leuchtend roter Testwagen diese beiden Buchstaben mit sich: ST. Dies ist dann wie ein Fiesta mit -1 multipliziert – das pure Gegenteil. Mein Kollege wird noch gewaltig auf die Welt kommen…

Allein diese Farbe, ein kräftigeres Rot, als das Rot vom Fiesta ST, ist kaum zu finden. Dann der trapezförmige, schwarze Wabengrill mit dem ST Emblem. Das macht zwar auch aus einem Fiesta ST keinen Aston Martin, aber aus dem zivilen Fiesta einen ST mit mächtigem Spasspotential. Auf Wunsch montiert Ford graue Felgen und rote Bremssättel. Der massive Dachspoiler ist immer mit dabei, ebenso der verchromte Doppelauspuff.
Im Innenraum dominieren das griffige Lenkrad und die Recaro Sportsitze, die zwar brutalen Seitenhalt bieten, aber Fahrer mit etwas Hüftgold einengen, was auf längeren Strecken unbequem werden könnte. Wer allerdings von den sportlichen Akzenten absieht, darf vom Innenleben des Fiesta ST keine Wunder erwarten. Die Verarbeitung dürfte besser sein, das Mediasystem mit der Tastenflut und Mini-Bildschirm ist alles andere als intuitiv und auch die Mittelarmlehne ist nicht ellbogenfreundlich konstruiert. Hinten ist es durch die massiven Sportsitze ziemlich eng und – ganz wichtig – für den Beifahrer fehlt ein ordentlicher Haltegriff, falls der Fahrer auf Kurvenjagd ist. Auch der Kofferraum, dessen Hutablage wie in guten, alten Zeiten mittels Kordeln hochgezogen wird, fasst mit 281 Liter nicht sonderlich viel. Aber ernsthaft, als ST-Fahrer interessieren ein umständliches Mediasystem, ein fehlender Haltebügel, eine lasche Verarbeitung und Kordeln im Kofferraum nicht wirklich…

Wie bei gepimpten Kleinwagen üblich, liegt das Geheimnis in der Kombination von verhältnismässig hoher Leistung und geringem Gewicht. Im Falle des Fiesta ST treffen 134 sehr drehgeile EcoBoost kW und bis zu 290 Nm Drehmoment auf 1200 Kilo Leergewicht. Besonders innen macht der ST mit einem Sound Symposer auf dicke Hose, denn abhängig von Drehzahl und Gaspedalstellung wird ein künstliches, sportliches Motorenansauggeräusch produziert. Ich muss zugeben, das Ganze klingt nicht schlecht, aber es ist eine akustische Täuschung, denn von aussen klingt der Fiesta ST zurückhaltender. Ihn deswegen zu verurteilen, ist aber ein fataler Fehler, denn es nicht primär seine Leistung, die ihn sportlich macht, andere Sportler in seinem Format bringen es auf bis zu 150 kW. Die Lenkung und das Fahrwerk machen den Fiesta ST erst so richtig giftig. Extrem präzise, ohne grosse Servounterstützung und rückmeldungsfreudig, lässt sich der Fiesta ST willig durch Kurven dirigieren. Um ein Untersteuern in schnellen Kurven möglichst zu vermeiden, kommt eine Torque Vectoring Control (TVC) zum Einsatz, welches das kurveninnere Vorderrad gezielt abbremsen kann, um das Auto regelrecht in die Kurve hineinzuziehen. Das Fahrwerk versteht dabei überhaupt keinen Humor. Knochentrocken holpert der Fiesta ST über jede klitzekleine Unebenheit und gibt sie eins zu eins den Insassen weiter. Wer regelmässig dieselbe Autobahnstrecke fährt, könnte mit geschlossenen Augen unterwegs sein und würde dennoch keine Ausfahrt verpassen, weil sich die Streckenführung anhand der Bodenwellen ins Gedächtnis einprägt. Eine etwas andere Art der Strassenerfahrung, die sicherlich nicht jedermanns Sache ist. Dafür ist der ST in Kurven sehr sicher und stabil, was für grandiosen Fahrspass sorgt. Wer ihn so richtig hart rannehmen möchte, kann das ESP auf Sport schalten, oder gar komplett deaktivieren. Im Sport Modus lockert es die Leine, lässt mehr Lastwechsel und hauchzartes Übersteuern zu, greift aber immer noch ein, bevor die Situation eskaliert. Aus Sicherheitsgründen bin ich nie mit komplett deaktiviertem ESP gefahren. Wer den Fiesta ST richtig rennen lässt, muss mit einem hohen Verbrauch rechnen. Aus den 5.9 l/100 km, die das Werk angibt, können locker über 8.0 l/100 km werden. Im Schnitt waren es schlussendlich 7.6 l/100 km.

Der Ford Fiesta ST bietet jede Menge Fahrspass zu einem mehr als fairen Preis, nämlich ab 24’990 CHF. Der sehr gut ausgestattete Testwagen kostet ohne irgendwelche Prämien 29’160 CHF. Man sieht zwar, wo gespart werden musste, aber es trübt das Gesamtbild nicht. Wer in die Recaro Sitze passt und härter im Nehmen ist, als das Fahrwerk im Austeilen, sollte sich den Fiesta ST schnappen. Ich bin mir sicher, dieser knallharte Kleinwagen wird seine Fans finden!

Alltag ★★★☆☆

Die Recaro Sportsitze sitzen zwar perfekt, aber wer etwas Hüftgold mit sich herumträgt, dürfte sie auf einer längeren Fahrt als zu eng empfinden. Der Kofferraum und der Platz im Fond sind beschränkt und das Fahrwerk bretthart.

Fahrdynamik ★★★★★

Der kleine Fiesta ST ist eine Kurvenrakete! Mit der extrem direkten und präzisen Lenkung, sowie dem Sportfahrwerk, sind Kurven eine wahrer Genuss. In den niedrigeren Gängen zieht der ST gierig durchs Drehzahlband bis knapp 7000 Umdrehungen, als würde sein Leben davon abhängen. Und wer’s wirklich wissen will: Das ESP ist komplett deaktivierbar.

Umwelt ★★★☆☆

Wer den ST an der langen Leine führt und ihm gerne die Sporen gibt, wird staunen, was für einen Durst der Kleine bekommt. Für den Klausenpass aufwärts steigt der Verbrauch auf exorbitante 25 l/100 km. Im Schnitt waren es 7.6 l /100 km, ziemlich viel für so ein kleines Auto. Komisch auch, dass die zivilen Fiestas eine Start-Stopp-Automatik besitzen, der ST allerdings nicht.

Ausstrahlung ★★★★☆

Das Design wird durch zahlreiche, sportliche Attribute unterstrichen, aber ein Eyecatcher ist der Fiesta ST trotzdem nicht.

Fazit ★★★★☆

+ Super präzise und sehr direkte Lenkung
+ Knallhartes Fahrwerk für hohe Kurventempi
+ ESP in drei Stufen einstellbar
+ Eng umschlingende Recaro Sportsitze
+ Übersichtliche Karosserie
+ Faires Preis – Leistungsverhältnis
+ Serienmässiger Knie-Airbag

– Hoher Verbrauch
– Teilweise nachlässige Verarbeitung
– Keine Parksensoren erhältlich
– Umständliches Media-System mit kleinem Display

(Bilder: Ford, Titelbild: Koray Adigüzel)

3 thoughts on “Ford Fiesta ST: Ist er zu hart, bist du zu weich”

  1. Da haben die von Ford mal wieder richtig einen rausgehauen. Das Design überzeugt und besonders in Rot und Blau finde ich den sehr ansprechen. Speziell ist das Design der Frontscheinwerfer. Ich mag es, weil es mal was anderes ist, aber könnte wahrscheinlich Geschmackssache sein. Schade dass die Start-Stopautomatik fehlt und der Verbrauch so hoch ist. Wenn die da am Nachfolger noch was machen, wäre super.
    Lg Schwen

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