Wisst ihr, wie man sich am Steuer eines Ford Focus RS fühlt? Ich erkläre es euch. Setzt euch hin, streckt Arme und Beine vor euch, als ob ihr in einem Auto sitzen würdet, und spannt alles an, was ihr könnt. Ja, genauso fühlt es sich an. Der Ford Focus RS ist mehr als nur ein Hot Hatch. Er ist eine Fahrmaschine, wie man sie mit diesen Abmessungen kaum findet. Ein Auto, an dem alles der Performance dient. Ein Auto, das so ehrlich zu fahren ist, wie kein anderes in dieser Preisklasse. Es gibt etliche Gründe, die für den Focus RS sprechen und wer kein Bünzli ist, findet keinen einzigen, der gegen ihn spricht.
Ford scheint die Wünsche der Petrolheads erhört zu haben. Allerweltslook und Einheitsbrei? Kennt man bei Ford nicht. Stattdessen trägt der Focus RS seine Muckis offen zur Schau. Riesige Kühlöffnungen an der Front, frecher Doppelrohrauspuff, dicker Spoiler und ein richtig giftiges Blau machen klar, dass man sich besser nicht mit ihm anlegen sollte. Nichts mit Zurückhaltung, einzig der Honda Civic Type R zeigt noch offener, was seine Bestimmung ist.
Wie bereits erwähnt, dient alles an diesem Auto der Performance, offenbar auch die Finanzierung, denn beim Innenraum muss man ein Auge zudrücken. Tolle Recaro-Sportsitze, optional Schalensitze, ein griffiges Lenkrad und Zusatzanzeigen für das Armaturenbrett sind die einzigen Highlights. Allenfalls das bekannte Multimediasystem mit guter Sprachsteuerung könnte man noch loben aber ansonsten sollte man sich nicht zu intensiv mit dem Interieur beschäftigen.
Es wird nie einen Schönheitspreis gewinnen, ausserdem kommt hier und da wenig hochwertiges Hartplastik zum Einsatz. Richtig störend ist die fröhlich vor sich hin knarzende Mittelarmlehne. Darüber hinaus macht Ford einen auf alltagstauglich und bietet den RS ausschliesslich als 5-Türer an, aber der Fond ist eng und nicht besonders bequem. Auch der Kofferraum muss aufgrund des Allradantriebs einiges an Volumen einbüssen.
Aber ganz ehrlich, wen interessiert’s? Dieses Ding ist dazu da, um Pässe und versteckte Nebenstrassen zu fressen. Bequem muss es allenfalls der Beifahrer haben, denn der Focus RS lässt einen dermassen wilden Fahrstil zu, dass sich die beiden hinteren Passagiere wahrscheinlich gegenseitig die Köpfe stossen würden. Sein Allradsystem ist nämlich kein konventionelles, welches bei mangelndem Grip etwas Kraft nach hinten leitet, nein: Dieser Allrad drückt einen um die Kurve herum.
Vielleicht kurz fürs Protokoll: Ja, man kann den Focus RS normal und gesittet fahren, denn dafür wird der Normal-Modus wohl da sein. Er ist auf der Autobahn einigermassen leise und die Auspuffanlage verkneift sich jegliche bollernden und knallenden Geräusche. Ausserdem kann man ihn ziemlich schaltfaul fahren, da auch bei tiefen Drehzahlen fürs Cruisen genügend Drehmoment vorhanden ist. Damit möchte ich das Kapital «Alltag» und Normal-Modus eigentlich abschliessen.
Ich habe im Test unter dem Strich 12,1 l/100 km verbraucht, der «beste» Wert war sogar 13,8 l/100 km. Ich bin notabene weder auf der Rennstrecke, noch auf der deutschen Autobahn gefahren. Das sollte verdeutlichen, wie ich den Focus RS in meinem Test benutzt habe. Überall, wo es bergauf ging und/oder viele Kurven hatte, bin ich durchgefahren. Weil ich tatsächlich dort durch musste. Oder ich gerade Lust dazu hatte. Die Zeit war mir zu schade, mich mit etwas anderem als dem Sport-Mods zu beschäftigen.
Der Focus RS ist nämlich einer der wenigen Kandidaten, dessen Grenzbereich mindestens so hoch wie mein eigener ist. Wenn nicht noch höher. Und mein Grenzbereich ist ziemlich hoch. Diese Kiste ist die reinste Testosteron- und Andrenalin-Bombe. Erstens: Er klingt geil, so richtig rau und dreckig. Und er ist laut, der Focus RS, nie und nimmer würde er die seit dem 1. Juli geltenden 75 dB einhalten. Ausserdem knallt und sprotzelt der Auspuff fröhlich in die Umwelt, wenn man bei höheren Drehzahlen schnell das Gas lupft.
Je härter man den Focus RS rannimmst, desto mehr scheint er es zu mögen. Unter 2500 Umdrehungen wirkt er aufgrund Mono-Turbo noch etwas verhalten, aber dann gibt es dafür kein Halten mehr. Schön linier und ohne Ermüdungserscheinungen dreht er auf über 6500 Umdrehungen, eine (leider zu kleine) RS-Anzeige im Drehzahlmesser signalisiert den perfekten Schaltpunkt. Die Kupplung drückt ordentlich dagegen und der kurze Schaltstummel will kräftig geführt werden. Die Schaltung ist nicht ganz so perfekt wie im Civic Type R, aber knackig genug ist sie allemal.
Irgendwann kommt die erste Kurve. Und sobald du einmal so richtig schnell mit dem RS um eine Kurve gezogen bist, willst du immer mehr, kannst gar nicht mehr genug davon kriegen. Unerhört gierig lenkt er ein, du spürst, wie sich der Arsch dank dem Allradantrieb, der die Kraft durch ein Differential zwischen den Hinterrädern verteilt, quasi von selbst um die Kurve drückt. Wenn du genügend Gas gibst, quittiert er das sogar mit einem leichten Heckschwenker.
Er klebt auf der Strasse, als ob es keine Grenzen der Physik gäbe. Ich bin wirklich brutal schnell um gewisse Kurven gerauscht, habe das Gaspedal malträtiert, am Lenkrad gezerrt – der Focus RS lässt sich nicht beirren. Er brüllt, er knallt, er schnauft, ja, man spürt, wie die Mechanik arbeitet. Doch er bleibt in der Spur, fährt sich zwar wild, aber unbeirrt. Vor allem aber: ehrlich. Keine Assistenzsysteme, dafür ein manuelles Getriebe mit knackiger Kupplung; so muss das sein. Zudem ein ESP, welches sich zweistufig deaktivieren lässt, aber wenn ich ehrlich bin, kann es sogar immer an bleiben. Es regelt so spät und feinfühlig, dass es niemanden stört.
Und weil der Focus RS so ein Knaller ist und eine Launch Control heute einfach niemanden mehr vom Hocker haut, hat sich Ford dazu entschlossen, seinem überdimensionalen Knallfrosch noch einen Drift-Modus mit auf den Weg zu geben. Man wird ihn im Alltag kaum je benutzen können (dürfen tut man ja eh nicht), aber trotzdem ist es geil, zu wissen, was das Auto kann. Wie das ganze aussieht, darf gerne bei meinem ersten Fahrversuch vom Focus RS nachgeschaut werden.
In meinem Leben als Tester freue ich mich zwar auf die Abwechslung der Testwagen, aber dem Focus RS trauere ich echt hinterher. Ford hat’s einfach auf den Punkt gebracht: Maximale Performance, heisser Sound, durchgeknallter Drift-Modus, keine Assistenz, ausschliesslich Handschaltung. Genau das brauchen echte Carfreaks. Vor allem ist das Gerät bezahlbar, der Testwagen mit einigen Annehmlichkeiten kostet bloss 54’140 Franken. Konkurrenten wie Mercedes A45 AMG, Audi RS3 und BMW M2 kosten locker 20’000 – 30’000 Franken mehr. Plastik im Interieur, die etwas zu hohe Sitzposition – geschenkt. Der Verbrauch ist zwar etwas gar hoch, aber wie heisst es so schön: Von nichts kommt eben nichts…
Aber ist es das jetzt gewesen? In Valencia hatte ich mich darauf gefreut, den Focus RS bei mir zu Hause über Pässe zu scheuchen und habe angekündigt, dass die RS-Story noch nicht vorbei ist. Doch vielleicht ist die RS-Story noch immer nicht vorbei, denn anscheinend dreht ein mysteriöser Focus RS Erlkönig auf der Nordschleife seine Runden. Ob Ford uns mit einem Focus RS 500 beglücken will? Zuzutrauen wäre es ihnen, dass sie den irren Focus RS noch ruchloser machen. Hoffen wir es!
Alltag
Ford verkauft den RS als Alltagsauto und das ist er eigentlich auch, jedoch mit einigen Abstrichen. So sind weder Fond noch Kofferraum besonders geräumig, dafür ist der Wendekreis mühsam gross.
Fahrdynamik
Also wem der Focus RS nicht genügt, dem ist wohl nicht mehr zu helfen. Wie dieses Kompaktmonster sich in den Asphalt krallt und eine Kurve nach der anderen frisst, ist ganz grosses Kino. Passend zum Auto ist das Getriebe hart, die Kupplung giftig und der Sound rau.
Umwelt
Eine vertrauenswürdige Quelle hat mir zugesichert, dass man den Focus RS mit 6,9 l/100 km bewegen kann. Ich glaubte, mich verhört zu haben. Nun, bei meiner mehrheitlich sportlich bis sehr sportlichen Fahrweise sind es 12,1 l/100 km gewesen. Und so sehr ich den Focus RS auch mag, aber das ist schon gar viel…
Ausstrahlung
Ford hat den Focus RS klar als solchen kenntlich gemacht. Vor allem die Front ist sehr aggressiv, aber auch seinen Spoiler trägt er mit Stolz. Trotzdem ist das Heck einfach einen Tick zu brav, aber das liegt an den Rücklichtern.
Fazit
+ Irre Fahrdynamik
+ Performance-orientierter Allradantrieb
+ Lineare Beschleunigung
+ Adaptives Fahrwerk mit genügend Komfort
+ Geiler Sound
+ Knackiges Getriebe
+ Präzise, kräftige Bremse
+ Strenge, direkte Lenkung
+ Cooles Design
+ Haltintensive, bequeme Sportsitze
+ Fairer Preis
+ Umfangreiche Ausstattung
– Hohe Sitzposition
– Knappe Platzverhältnisse
– Teilweise wenig hochwertig wirkende Materialien
– Massiver Verbrauch, kleiner Tank
– Grosser Wendekreis
Mängel am Testwagen
– Instabile Handy-Verbindung. Audio via Handy (USB und Bluetooth) hat nicht immer funktioniert.
Steckbrief
Marke / Modell | Ford Focus RS |
---|---|
Preis Basismodell / Testwagen | 48 900 CHF / 54 140 CHF |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 2261 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Getriebe | 6-Gang manuell |
Max. Leistung | 257 kW bei 6000 r/min |
Max. Drehmoment | 440 Nm bei 2000 - 4500 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 4,7 s |
Vmax | 266 km/h |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 7,7 l/100 km / 175 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 12,1 l/100 km / 275 g/km / +57% |
Länge / Breite / Höhe | 4,39 m / 1,82 m / 1,47 m |
Leergewicht | 1582 kg |
Kofferraumvolumen | 260 - 1045 l |
(Bilder: Koray Adigüzel)
3 thoughts on “Ford Focus RS: Der Funke ist übergesprungen”