Mittlerweile ist es leider offiziell: Europas Klimapolitik sorgt dafür, dass es von der aktuellen Focus-Generation keinen RS geben wird. Die Kosten wären für Ford zu hoch, sprich, das Auto würde zu teuer werden. Bevor jetzt aber alle in Tränen ausbrechen, sei erwähnt: Im Focus ST lebt das Herz der letzten RS-Generation weiter. Doch damit wächst auf den Kompaktsportler auch der Druck. Kann er sich im Haifischbecken der Hot Hatches behaupten? Und ist er gar so gut, dass es einen RS gar nicht mehr braucht? Zeit, Antworten zu finden!
Optisch bleibt der Focus ST zurückhaltend. Riesige Kühlerschlunde oder ausufernde Heckspoiler sucht man vergebens, aber das ist nicht weiter schlimm. Generation vier ist nämlich bereits als Basismodell mit ST-Line sehr sportlich designt. Somit steht der aktuelle ST satt und präsent auf der Strasse, vor allem in der exklusiven Farbe Performance Blue. Sportlichkeit verströmt das Topmodell durch den Kühlergrill im Wabendesign, graue Felgen, rote Bremssättel sowie einem doch nicht so dezenten Abgang mit üppigem Dachkantenspoiler und zweiflutiger Edelstahl-Abgasanlage, die gewisse Erwartungen schürt.
Funktionales Cockpit
Obwohl das Cockpit sehr aufgeräumt ist, wirkt es eher funktional als stylisch. Der Touchscreen des Infotainmentsystems ist zwar eher klein, doch die Bedienung funktioniert einwandfrei. Eine der Stärken ist zudem ist Sprachsteuerung, da das Navi Sprachbefehle sehr gut versteht. Ebenfalls als Plus werte ich, dass die Klimabedienung ganz konventionell über Knöpfe erfolgt.
Für sportliches Flair sorgen Recaro-Sportsitze, ein abgeflachtes Lenkrad mit ST-Logo, Zierelemente im Carbon-Look sowie Sportanzeigen im Bordcomputer. Das sieht alles nett aus, doch ein Wow entlockt Ford so keinem. Alternative Farbkombinationen oder echte Schalensitze sind ebenfalls nicht im Programm. Dafür ist alles sehr fein verarbeitet und die Platzverhältnisse im Fond sind recht generös.
Alte Schule
Dass der 2,3-Liter Turbobenziner ordentlich Druck aufbauen kann, verrät bereits das Datenblatt. 420 Nm sind für einen Kompaktsportler mit Frontantrieb ein hoher Wert. Doch wieviel davon kommt tatsächlich auf der Strasse an?
Startknopf gedrückt, der Motor grummelt im Kalstart tief vor sich hin. Schnell wird klar, dass der Focus ST kein glatt geschliffener Alltagssportler ist. Die Lenkung ist schwergängig, die Kupplung bietet starken Gegendruck und die adaptiven Dämpfer sind bereits im Normal-Modus so hart, wie anderswo im Sport-Modus. Ich finde: Daumen hoch! Glatt gelutschte Autos ohne Charakter gibt es bereits zuhauf.
Im Focus ST ist noch klassiche Handarbeit gefragt, die sechs Gänge lassen sich präzise einlegen, auch hier wird ein gewisses Mass an Kraft gefordert. Alternativ steht aber auch ein 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe zur Wahl.
Um den Ecoboost-Benziner zum Leben zu erwecken, sind Drehzahlen erforderlich. Der einfach aufgeladene Motor leidet unterhalb von 2200 Touren nämlich an einem ausgeprägten Turboloch. Behält man die Drehzahl allerdings über 2500 Umdrehungen, belohnt einem der Motor mit massig Schub im mittleren Drehzahlbereich! Oben raus wird die Luft allerdings dünner. Dieser Motor ist keine Drehorgel, sondern lässt das Drehmoment spielen. Da der Focus ST im Gegensatz zum letzten RS mit Frontantrieb klar kommen muss, kann der hubraumstarke Motor nicht seine wildeste Seite zum Vorschein bringen.
Für die Kurven gemacht
Interessanterweise verfügt der Focus ST trotz Handschaltung über eine Launch Control, die über den Bordcomputer aktiviert werden muss. Damit diese aber astrein klappt, müssen wohl Luft- und Reifentemperatur innerhalb der Komfortzone des Autos liegen. Im Test jedenfalls hatte der Sportler beim Start stets mit massiven Traktionsproblemen zu kämpfen, was zwar nicht die Schnelligkeit erhöht, wohl aber den Unterhaltungsfaktor! Ebenfalls sehr geil: Ist die Launch Control aktiv, können die Gänge durchgerissen werden, ohne den Fuss vom Gas zu nehmen!
Was den Unterhaltungswert noch deutlich mehr erhöht, ist die Kurenräuberei im Sport-Modus. In diesem reagiert der Motor nicht nur viel sensibler aufs Gas, sondern auch die sogenannte «Anti-Lag»-Funktion wird aktiviert. Dieser Transfer aus dem Motorsport sorgt dafür, dass der Ladedruck beim kurzzeitigen Verlassen des Gaspedals erhalten bleibt. Ermöglicht wird dies dadurch, indem die Drosselklappe kurz geöffnet bleibt, wenn der Fahrer vom Gas geht.
Auf der Strasse bedeutet dies, dass der Motor nach dem Hochschalten oder dem Lupfen des Gaspedals wieder mit aller Macht anbeisst. Mit aller Macht lässt sich der Kölner auch um Kurven scheuchen. Ist nämlich das optionale Performance-Paket verbaut, sorgt eine elektronsiche Sperre an der Vorderachse dafür, dass das Auto wie von Geisterhand in die Kurve gedrückt wird. Aufgrund der nochmals verhärteten Dämpfer im Sport-Modus neigt und nickt die Karosserie praktisch nicht mehr. Allerdings ist die Straffheit an der oberen Grenze, denn bei schlechter Strasse wird das Auto unruhig.
Viel Authentizität und ein Schuss Künstlichkeit
Dank viel Feedback von der Vorderachse ist das Fahrgefühl einnehmend und mitreissend. Immer wieder für ein Grinsen sorgt das ordentliche Knallen aus dem Auspuff, wenn bei höheren Drehzahlen vom Gas gegangen oder hochgeschaltet wird. Wer mit ESP-Sport unterwegs ist, wird staunen, wieviel Gas und Tempo der Focus ST in langgezogenen Kurven verträgt. Leider hat es Ford trotz gutem Sound aus dem Auspuff für nötig empfunden, künstlichen und nicht deaktivierbaren Fünfzylinder-Klang aus den Lautsprechern zu generieren.
Mehr ST denn je
Im Gegensatz zum direkten Vorgänger ist der neue Focus ST viel stärker, fokussierter und fahraktiver. Die Balance zwischen Sportlichkeit und Alltagskomfort ist eindeutlig auf der sportlichen Seite. Der Motor gefällt durch das üppige Drehmoment und das sehr straffe Fahrwerk sorgt zusammen mit der Vorderachssperre dafür, dass das Auto hart im Nehmen ist. Damit dürfte den meisten Auto-Enthusiasten gedient sein. Nur wer ganz gezielt das Wilde, Verruchte sucht, wird dem RS hinterhertrauern.
Fun Fact: Während der Focus ST Testfahrt unternahm ich mit zwei Kollegen eine Fahrt im Tesla Model S P100D. Wir rotierten, damit jeder jedes Auto ausprobieren konnte. Trotz Ludicrous-Mode mit fast schon gestörtem Schub, hatte der Focus ST als deutlich fahraktiveres Auto die Herzen aller gewonnen! Der Tesla ist bei der Launch Control übrigens noch empfindlicher als der Focus ST…
Für das grosse Paket an Fahrspass verlangt Ford mindestens 42’450 Franken, der Testwagen schlägt mit knapp 50’000 Franken zu buche. Wer viel Platz braucht, kann der ST auch als Kombi ordern, der nicht ganz so derb in Richtung Sportlichkeit ausschlägt. Nach wie vor gibt es auch einen Diesel-ST, aber das ist irgendwie dasselbe wie vegane Schokolade.
Alltag
Grundsätzlich ist der Focus ST sehr alltagstauglich, da er zu den geräumigeren Kompakten zählt. Die straffe Federung verzeiht man ihm angesichts des Fahrspasses gerne.
Fahrdynamik
Knackige Schaltung, standfeste Bremse, harte Dämpfer, viel Druck – alles richtige Zutaten für viel Fahrspass. Wer ihn richtig um Kurven prügeln will, muss unbedingt das optionale Performance Paket mit der elektronischen Sperre vorne dazu ordern.
Umwelt
Ein richtig sparsamer Hot Hatch ist mir bis heute nicht untergekommen. Mit vielen sportlichen Einsätzen sind die 8,5 l/100 km Testverbrauch aber noch erträglich.
Ausstrahlung
Der wildeste ist der Focus ST von der Optik her nicht, doch mit dem Ford-typischen Performance Blue sticht der Kompaktsportler dennoch aus der Menge heraus.
Fazit
+ Dezent sportliches Design
+ Bequeme Recaro-Sportsitze mit exzellentem Seitenhalt
+ Recht geräumiger Innenraum
+ Hohe Verarbeitungsqualität
+ Intuitives Infotainmentsystem mit guter Sprachsteuerung
+ Drehmomentstarker Motor
+ Knackige Handschaltung
+ Straff bis sehr straffe Federung, kaum Karosseriebewegungen
+ Bissige Bremse
+ Kaum Untersteuertendenz dank der elektronischen Sperre
+ Deftige Auspuffsalven im Sportmodus
+ ESP dreistufig deaktivierbar
+ Breites Assistenz-Paket verfügbar
+ Hervorragendes Matrix-Licht
+ Faires Preis-Leistungs-Verhältnis
– Unnötig künstlicher Fünfzylinder-Sound
– Deutliches Turboloch
– Wenig Druck im oberen Drehzahlbereich
– Wenig Liebe zum Detail im Cockpit
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Ford Focus ST |
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Preis Basismodell / Testwagen | 42 450 CHF / 49 325 CHF |
Antrieb | Benzin, Frontantrieb |
Hubraum / Zylinder | 2261 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Getriebe | 6-Gang manuell |
Max. Leistung | 206 kW bei 5500 r/min |
Max. Drehmoment | 420 Nm bei 3000 - 4000 r/min |
Beschleunigung 0 - 100 km/h | 5,7 s |
Vmax | 250 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 8,2 l/100 km / 187 g/km / E |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 8,5 l/100 km / 194 g/km / +4% |
Länge / Breite / Höhe | 4,38 m / 1,83 m / 1,46 m |
Leergewicht | 1543 kg |
Kofferraumvolumen | 341 - 1320 l |
Bilder: Koray Adigüzel