Jeder kennt die eine oder andere Geschichte von den Eltern oder sogar Grosseltern, die mit den berüchtigten Worten «damals» oder «als ich so alt war wie du» beginnt. Es folgt meist zwangsläufiges Augenrollen oder Schmunzeln. Tja, liebe Eltern und Grosseltern, Zeiten ändern sich. Doch mittlerweile kann ich die ältere Generation (sie möge mir die Bezeichnung verzeihen) verstehen. Auch ich würde bis ans Ende meiner Tage von einem Auto vom Schlage eines Mustangs erzählen, selbst wenn bis dahin Autos fliegen und mit Biomüll angetrieben werden. Zeiten ändern sich, doch der Mustang nicht. Obwohl noch immer die aktuelle Generation, fühlt er sich an wie eine Reise in die Vergangenheit. Wer will auf die Reise mitkommen?
Der Ford Mustang ist für den Klimaaktivisten das, was für den Stier das rote Tuch ist. Von Understatement ist da keine Spur, im Gegenteil: Mit langer Schnauze, unverhohlener Aggression, kantigem Design und üppigen Ausmassen ist der Mustang bildlich gesprochen permanent mit ausgefahrenen Ellbogen unterwegs. Die vierflutige Abgasanlage mit Rohren im Oberarm-Format ist ebenfalls ein unmissverständliches Zeichen, was der Mustang vom Zeitgeist haltet.
Der Mach 1 hebt sich durch ein Aero-Kit vom standardmässigen GT ab. Frontsplitter und Abrisskante verringern den Auftrieb, zudem wurde die Front leicht umgestaltet. Der Individualisierung wird mit neuen Farben, Felgen und Aufklebern Rechnung getragen.
Ein echter Ami
Im Innenraum halten sich die Veränderungen in sehr engen Grenzen. Highlight beim Handschalter ist der Schaltknauf im Billiardkugel-Design, zudem prangt am Armaturenbrett die Chassisnummer. Ansonsten ist das Cockpit weitgehend zweckmässig Schwarz in Schwarz mit einem Retro-Charme dank den Kippschaltern in der Mittelkonsole. Die Haptik und die Verarbeitungsqualität des Mustangs haben sich im Laufe der Jahre zwar erfreulicherweise verbessert, doch vom Stil und Charme eines italienischen Cockpits ist der Mustang nach wie vor so weit entfernt wie Michigan von Milano.
Zurück im V8-Himmel
Eine Gemeinsamkeit mit scharfen Italienern hat der Mustang aber und das ist der Sound. Zwar wirkt er im Mustang nicht schön melodisch komponiert, sondern ist einfach nur böse und schmutzig. Wird der pulsierende Startknopf gedrückt, ertönt V8-Sound vom feinsten, wie es nur die Amis können. Über das ultra-knackige und harte Getriebe wird der erste Gang eingelegt und los gerollt.
Sobald sich das Pony etwas aufgewärmt hat, wird der Sound in unteren Drehzahlen deutlich zurückhaltender und sozialverträglich. Wer wie ich nicht viel davon haltet, kann über den Bordcomputer die Auspuffanlage auf «Track» schalten. Dann wütet der Mustang in sämtlichen Lebenslagen, wie man es in OPF-Zeiten nicht mehr für möglich gehalten hat! Legal? Nicht ganz, aber verbotene Früchte haben schon immer besser geschmeckt.
Wir sind die Coolsten, wenn wir cruisen
Der Mach 1 ist schliesst die Lücke zwischen den normalen GT und dem Shelby GT 350. Leistungsmässig ist er mit einem Plus von nur 7 kW zwar viel näher am normalen GT, doch Zahlen sind nur das eine. Die komplette Vorderachse stammt vom Shelby, die Hinterachse wurde straffer abgestimmt und die Lenkung direkter ausgelegt.
Nichtsdestotrotz ist der Mustang Mach 1 nach wie vor ein erstklassiger Cruiser. Er verfügt zwar über eine Grundstraffheit, aber sie passt zu seinem Wesen. Hart ist er im Normal-Modus nicht und dank 19″-Felgen bleibt ohnehin mehr Restkomfort vorhanden. Die Sitze sind bequem, man kann sich ausbreiten und im Hintergrund grummelt der Achtzylinder. Ausserdem kann der sechste Gang für sämtliches Tempo ab 60 km/h verwendet werden. Doch, im Mustang Mach 1 lässt es sich besser reisen als in vielen anderen Sportwagen.
Mehr ist mehr
Ich erwähnte die Mehrleistung von 7 kW. Die ist nicht gross der Rede wert, wohl aber die Charakteristik des Triebwerks. Noch nie war ein Nicht-Shelby-Mustang so drehfreudig und drehzahl-orientiert wie der Mach 1. Der V8 bietet linearen Schub von unten raus, doch dank einer Nockenwellenverstellung explodiert der Mach 1 bei 5000 Umdrehungen und rast ungebremst bis auf 7500 Umdrehungen, wo der Motor in einen harten Begrenzer rasselt, wenn man als Fahrer beim Hochschalten versagt. Motorsport-Feeling pur, mit nur einem Problem auf der Strasse: Aufgrund einer langen Getriebe-Übersetzung reicht der zweite Gang bis auf 120 km/h. Wer also das volle Drehzahl-Spektakel auskosten will, muss aus dem ersten Gang beschleunigen oder aber sich im zweiten Gang besser nicht erwischen lassen…
Dank des grossvolumigen Saugers und der extrem knackigen Handschaltung mit automatischer Zwischengas-Funktion stellt der Mustang Mach 1 eine Mensch-Maschine-Verbindung her, wie es heute nur noch sehr wenige Autos können. Die Handschaltung brilliert mit Härte, Rückmeldung und Präzision, auch bei höchsten Drehzahlen. Kurz: Sie ist eine 10 von 10 und etwas vom Besten, was man als Mann in den Händen halten kann.
Quer geht immer
Der Mustang Mach 1 ist auf einer Bergstrasse dank seinen Modifikationen eine ernstzunehmende Waffe. Doch wer schnell sein will, muss dafür arbeiten und braucht auch ein gewisses Niveau an Fahrskills. Das heisst: Aus engen Kurven Vollgas im ersten Gang, aber bitte progressiv und nicht zu früh, ansonsten regelt das ESP entweder alles weg oder im ESP-Sport-Modus keilt das Heck heftig aus. Grundsätzlich würde ich den Sport-Modus des ESP ohnehin nur bei wirklich furztrockener Strasse verwenden, da das ESP erst spät eingreift.
Wer sich dessen bewusst ist und sich nicht auf die Landschaft, sondern auf sein Popometer konzentriert, kann mit Mustang Mach 1 ordentlich einen durchgeben. Mit etwas Gefühl kann man sehr sauber und doch sehr heftig auch aus engen Kurven beschleunigen. Wer es gerne quer mag, kann natürlich auch gewollt mit einem Slide aus jeder Kurve schiessen. Doch besonders in langgezogenen Kurven erreicht der Mach 1 eine Stabilität und Präzision, die man so nicht vom Pony kannte. Auch die Untersteuertendenz bei bergab-Fahrten wurde deutlich verringert.
So gut und gelassen der Mustang cruisen kann, man kann ihn auch erbarmungslos dran nehmen. Er ist «the machine» und auch ein ganzer Nachmittag lang prügeln bringen weder die Bremsen, noch die Öltemperatur auch nur in die Nähe von kritischen Bereichen. Der Mustang Mach 1 ist mehr Sportwagen denn je und obwohl er natürlich nicht diese chirurgische Präzision und die unerschütterliche Stabilität eines Porsche bietet, ist er trotzdem oder gerade deswegen so begehrenswert. Im Mustang Mach 1 ist Autofahren wirklich noch ein Erlebnis. Man ist fokussiert, eingebunden, jede Aktion erfordert eine Reaktion. Ganz zu schweigen vom monströsen Sound, der vor allem bei hohen Drehzahlen alles niederbrüllt und zum niederknien ist.
Teurer, aber immer noch erschwinglich
In einer Zeit, in welcher das CO2 das Autofahren reguliert, ist der Mustang Mach 1 ein Rebell. Er haltet sich nicht an Konventionen, sondern bietet das Autofahren, wie es jeder Petrolhead liebt. Ein Hochdrehzahl-V8 in Kombination mit einer traumhaften Handschaltung als Neuwagen, danach muss man im Jahr 2021 sehr lange suchen. Und wer weiss, wie lange es diese Gelegenheit überhaupt geben wird. Gerüchte besagen, dass die nächste Mustang Generation – und ich spreche hier definitiv nicht vum Pseudo Mustang Mach-E – vielleicht als Mild-Hybrid-V8 weiterleben darf, aber bestätigt ist noch lange nichts.
Gut möglich also, dass dies die letzte Chance ist, sich diese unglaubliche Antriebs-Kombination ohne Elektro-Zusatz als Neuwagen anzuschaffen. Mit einem Preis von 72’150 Franken ist der Mach 1 als Sondermodell nicht mehr dieses unglaubliche Schnäppchen von früher, als der Mustang offiziell nach Europa gekommen ist. Dennoch bietet er nicht nur sehr viel Auto und vor allem Motor fürs Geld, sondern ganz viele unbezahlbare Emotionen und Erinnerungen, die einem dieses Auto beschert.
Alltag
Dank üppigen Ausmassen ist auch der Innenraum gross geraten. Vorne sitzt man fast schon luftig und kann sich richtig ausbreiten, hinten haltet man es bis zu 1,70 Meter Körpergrösse wenigstens eine Weile aus. Für ein Coupé ist der Kofferraum ausserdem nicht nur alltags-, sondern sogar ferientauglich. Die schlechte Übersicht und der hohe Wendekreis sind dafür beim parkieren wenig hilfreich.
Fahrdynamik
Der Antrieb ist ein Sahnestück, welches man heute lange suchen muss. Der im oberen Drehzahlbereich besonders aggressiv zulegende Sauger in Verbindung mit der Handschaltung schafft eine Verbindung, die traumhaft ist, vom Sound ganz zu schweigen. Das lebendige Heck wird vom ESP für schnelle Fahrten effektiv unter Kontrolle gehalten, wer es quer mag, hat mit dem Mustang ohnehin einen Freipass. In langgezogenen Kurven ist der Mach 1 sehr stabil, bei engen Kehren hat er eine leichte Über- (bergauf) oder Untersteuertendenz (bergab).
Umwelt
Nun ja. Auf der Autobahn sind bei längerer, konstanter Fahrt Verbräuche um die 9 Liter möglich, doch sobald man die Autobahn verlässt, wird es zweistellig. Wie hoch, hängt davon ab, wie oft man das Leistungspotenzial abruft. Im Test waren es 14,7 l/100 km. Spritspartechnik ist keine an Bord, nicht mal ein Start-Stopp-System.
Ausstrahlung
Der Mustang ist nicht nur vom Namen, sondern auch vom Design her eine Legende. Jeder (er)kennt ihn und seine unverhohlene Aggressivität. Seine Ausstrahlung ist ruchlos, aber charakterstark – etwas, das vielen Autos heutzutage abhanden gegangen ist.
Fazit
+ Zeitloses, sportlich-aggressives Design
+ Für einen Sportwagen geräumiger Innenraum, vor allem vorne
+ Qualitätseindruck hat sich im Laufe der Jahre verbessert
+ Bequeme Sportsitze mit Heizung und Lüftung, Schalensitze optional verfügbar
+ Ausreichender Fahrkomfort, bei Bedarf ruhige Geräuschkulisse
+ Viele verschiedene Fahrmodi, unter anderem für Dragstrips
+ Herrlich direkter, immer aggressiver werdender Saugmotor
+ Ultra-knochiges und hartes, aber präzises Schaltgetriebe
+ Infernalischer, fast schon verboten lauter V8-Sound
+ Lebendiges, aber gut kontrollierbares Heck
+ Standfeste Bremse
+ Wenige, dafür zuverlässige oder permanent deaktivierbare Assistenzsysteme
+ Tolles Preis-Leistungs-Verhältnis
– Hoher Verbrauch
– In die Jahre gekommenes Infotainmentsystem
– Lange Getriebe-Übersetzungen
– Kein Leichtgewicht
– Grosser Wendekreis
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Ford Mustang Mach 1 |
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Preis Basismodell / Testwagen | 68 900 CHF / 72 150 CHF |
Antrieb | Benzin, Heckantrieb |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Saugmotor |
Hubraum / Zylinder | 5038 ccm / V8 |
Getriebe | 6-Gang manuell |
Max. Leistung | 338 kW bei 7250 r/min |
Max. Drehmoment | 529 Nm bei 4900 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 4,8 s |
Vmax | 267 km/h |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 12,4 l/100 km / 284 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 14,7 l/100 km / 337 g/km / +19% |
Länge / Breite / Höhe | 4,80 m / 1,92 m / 1,38 m |
Leergewicht | 1860 kg |
Kofferraumvolumen | 408 l |
Bilder: Koray Adigüzel