Genesis will es also wissen. Der Nobel-Ableger von Hyundai vermarktet auch sein absolutes Flaggschiff G90 in ausgewählten europäischen Märkten und der Schweiz. Die Limousine ist in zwei Radständen erhältlich und greift die deutsche Elite unverhohlen an. Genesis verbaut seine gesamte Markenkompetenz in den G90 und obwohl asiatische Modelle praktisch nie in derartigen Ligen verkehren, so bleibt Genesis seiner Preispolitik treu und bietet den G90 deutlich günstiger an als die Konkurrenz, die üblicherweise in solchen Sphären verkehrt. Kann der G90 als Newcomer der etablierten automobilen Königsliga das Wasser reichen? Oder wird der G90 als der Wagen für Neureiche abgestempelt, die sich eben doch noch nicht alles bedingungslos leisten können?
Das Design von Luxuslimousinen ist so eine Sache. Etwas protzig darf es sein, dabei dennoch elegant und trotz der enormen Länge auch mit stimmigen Proportionen. Die Front, welche optisch sehr breit wirkt und praktisch nur aus Kühlergrill besteht, schindet mit den schmalen Scheinwerfern mächtig Eindruck. Das Heck wirkt elegant, erstaunlich zierlich und setzt sich mit dem doppelt durchgezogenen Lichtband in Szene. Die hier gezeigte Version mit langem Radstand setzt etwas mehr auf Bling mit verchromtem Fensterrahmen und sehr eigenwillig gestalteten Felgen. Von der Silhouette betrachtet wirkt der G90 leicht zu lang geraten, da wurde die zusätzliche Länge der LWB-Variante meiner Ansicht nach etwas unharmonisch ins Gesamtkonzept integriert. Was hingegen sehr cool ist: Die Türen öffnen sich mit grosszügiger Servounterstützung und lassen sich von aussen durch ein Streichen über den Türgriff und innen per Knopfdruck vollautomatisch schliessen!

Feudales Cockpit
Im Innenraum wird schliesslich geklotzt und nicht gekleckert: Zierelemente aus echtem Carbon, Sitze aus Semi-Anilin-Leder, Dachhimmel aus Alcantara, üppige Teppiche und echtes Aluminium versprühen puren Luxus, ohne zu barock zu wirken. Besonders schön empfinde ich die rot-braune Farbe des Interieurs. Man nimmt vorne auf vielfach verstellbaren Sitzen Platz, allerdings ist die Sitzposition vorne etwas zu hoch – ein Detail. Dass Genesis die ohnehin schon sehr hohen Qualitätsansprüche im G90 nochmals angezogen hat, ist selbstverständlich. Egal, wie sehr ich auch gesucht habe, sowohl was die Materialauswahl als auch die Verarbeitungsqualität entspricht, hier drin ist alles piekfein und exzellent.

VIP im Fond
Doch wie so typisch bei Limousinen dieses Kalibers spielt die Musik im Fond. Hier erwartet die Insassen Luxus pur: Verstellbare Einzelsitze mit Heizung, Lüftung und Massage, Beinauflage und für den Platz hinten rechts sogar eine Fussmassage; eingebaut an der Rückseite des Beifahrersitzes. Die Platzverhältnisse sind mehr als verschwenderisch, selbst grosse Personen können sich problemlos ausstrecken. Als weitere Goodies gibt es Sonnenrollos für sämtliche Scheiben sowie ein Desinfektionsfach mittels UV-C-Strahlung.

Die luxuriöse Ausstattung ist auf positive Art und Weise fast schon erschlagend, doch trotz allem bleiben Wünsche offen. So fehlt etwa ein integrierter Regenschirm, wie er in der Luxusklasse gerne im Auto integriert wird. Ein Spiegel im Fond fehlt ebenfalls. Zu guter Letzt ist das Infotainmentsystem im Fond praktisch unbrauchbar. Was man machen kann, ist, ein Mobilgerät per Kabel zu verbinden, um dann Videos oder Filme zu schauen, doch dafür ist der Screen eigentlich viel zu klein. Da ist der G90 irgendwie ein paar Jahre zurückgeblieben.

Fahrerische Leichtigkeit
Angetrieben wird der G90 von einem V6-Biturbo samt elektrischem Kompressor, der von einem Mild-Hybrid-System gespeist wird. Allradantrieb ist stets Serie und geschaltet wird über ein 8-Gang-Automatikgetriebe. Das Fahrgefühl ist seidenweich und geschmeidig. Der Motor ist bei gemächlicher Gangart weder durch Vibrationen noch akustisch zu vernehmen und das Automatikgetriebe ist stets darauf erpicht, dass niemand etwas von seiner Arbeit mitbekommt. Trotz des stattlichen Gewichts von fast 2,5 Tonnen fühlt sich der G90 aufgrund der Allradlenkung und des sehr früh anstehenden Drehmoments auf eine befriedigende Art leicht und spielerisch zu fahren an – well done!

Komfort über allem
Der Fahrkomfort erreicht im G90 ein Level, das so hoch ist, dass sich die Koreaner nicht hinter der etablierten Luxusgarde verstecken müssen. Das Auto federt so schön sanft und geschmeidig, dass man von der Strasse kaum etwas mitbekommt. Unter anderem ist dafür auch ein aktives Fahrwerk verantwortlich, welches kamerabasiert die Strasse scannt und sich somit bereits im Vorfeld einzustellen vermag. Der extrem niedrige Geräuschpegel im Auto wird durch Dämmung und Noise Cancelling erreicht. Das Fahrgefühl im Genesis ist so weich und erhaben, dass jedes normale, eigentlich auch komfortable Auto, plötzlich bockig erscheint.

Perfektion ja, aber…
Genesis hat in diesem Auto sämtliche Register gezogen. Punkte Innenraumqualität und Fahrgefühl im Komfort-Modus braucht diese Limousine auch die ganz mächtigen Grössen der Automobilbranche nicht zu scheuen. Es gibt aber nichtsdestotrotz ein paar Punkte, die bei der besonders kritischen Luxus-Betrachtung negativ aufgefallen sind. Da wäre zum einen das Infotainmentsystem, das teils eine verschachtelte Bedienung aufweist und dessen Sprachsteuerung auch nicht die Zuverlässigste ist. Das System ist identisch mit allen günstigeren Genesis-Modellen und in der Luxusklasse darf es gerne etwas extravaganter sein.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Antriebsstrang, sobald man die etwas zügigere Gangart ausprobiert. Natürlich muss eine Luxuslimousine keine Sportwagen-Allüren aufweisen, doch der V6 dreht wirklich gar nicht gerne hoch und das Getriebe mag das hektische Geschalte auch gar nicht. Da fehlt es dem Auto etwas an Souveränität.

Komplettpaket zu einem fairen Preis
Üblicherweise kann man in der Luxusklasse ganze Kataloge wälzen, welche Farbe, welches Material und welches Furnier es jetzt sein soll. Auch individuelle und ausgefallene Wünsche werden in der Regel, wenn möglich, berücksichtigt. Bei Genesis geht es hingegen auch im obersten Luxussegment markentypisch einfach zu und her. Das Auto ist nur mit Komplettausstattung zu ordern, sämtliche Farben und Ziermaterialien sind zum selben Preis erhältlich. Die Auswahl an Möglichkeiten ist überschaubar, die Felgen können sogar gar nicht individuell ausgesucht werden.

Dafür holt der Hersteller beim Preis zum grossen Rundumschlag aus: Der Wagen ist in der hier gezeigten Langversion für 140’000 Franken bestellbar. Das ist für das Luxussegment ein sehr kompetitiver Preis, die deutsche Premiumfraktion verkauft zu knapp unterhalb dieses Preises das jeweilige Basismodell in der kurzen Ausführung – ohne jegliche Sonderausstattung. Wenn es hart auf hart käme, würde der G90 zwar im Direktvergleich ein paar kleine Minuspunkte kassieren, aber unter dem Strich ist der Wagen insbesondere was den Komfort und die Qualität angeht absolut spitzenmässig unterwegs.

Alltag 
Mit seiner enormen Länge sprengt der Wagen regelmässig Parkfelder. Das Rangieren ist dank präziser 360-Grad-Kamera sowie Allradlenkung zum Glück erträglich. Über die Platzverhältnisse für die Passagiere muss ich wohl nichts mehr sagen, aber der Kofferraum ist gar nicht mal so üppig für ein Auto dieser Grösse.
Fahrdynamik 
Ein Sport-Modus ist zwar vorhanden, aber selbst in diesem Modus ist der Wagen eher weich und will nicht sportlich bewegt werden – wenn wundert’s? Ein Schaukelpferd ohne Feedback ist der G90 aber nicht.
Umwelt 
Im Test wurde sogar der Normverbrauch von 11,0 l/100 km um 0,2 l/100 km unterboten. Zwar ist der Verbrauch absolut gesehen nach wie vor nicht tief, aber für die Kategorie, in der sich der G90 bewegt, angemessen.
Ausstrahlung 
Der Genesis G90 strahlt insbesondere in der Langversion Erhabenheit, Eleganz und auch Status aus. Dass er ein Exot ist, erhöht seinen Status nur noch mehr.
Fazit 
+ Fürstliche Platzverhältnisse für die Passagiere
+ Bombastische Qualität, extrem wertige Materialien
+ Liebe bis ins Detail
+ Exzellente Sitze
+ Executive Sitze hinten
+ Desinketionsfach im Fond
+ Sehr niedriger Geräuschpegel
+ Automatische Türen
+ Formidabler Fahrkomfort
+ Sehr niedriger Geräuschpegel im Innenraum
+ Diverse Fahrmodi mit gut spürbarer Spreizung
+ Allradlenkung für einigermassen verbindliches Fahrgefühl
+ Akzeptabler Verbrauch
+ Zuverlässige Assistenzsysteme
+ Preis für die Luxusklasse attraktiv
– Keine Massagefunktion für dein Beifahrer
– Sitzposition vorne etwas zu hoch
– Träges Automatikgetriebe, auch im Sport-Modus
– Infotainmentsystem entspricht nicht der Luxusklasse
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Genesis G90 LBW |
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Preis Basismodell / Testwagen | 140 000 CHF / 140 000 CHF |
Antrieb | Benzin-Mild-Hybrid / Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 3470 ccm / V6 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Biturbomotor + E-Lader |
Getriebe | 8-Gang-Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 305 kW bei 5800 r/min |
Max. Drehmoment | 549 Nm bei 1300 - 4500 r/min |
Beschleunigung 0 - 100 km/h | 5,4 s |
Vmax | 250 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / CO2-Emissionen / Energieeffizienz | 11,0 l/100 km / 248 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2-Emissionen / Differenz | 10,8 l/100 km / 243 g/km / -2% |
Länge / Breite / Höhe | 5,47 m / 1,93 m / 1,49 m |
Leergewicht | 2470 kg |
Kofferraumvolumen | 368 l |






























Bilder: Koray Dollenmeier