Ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll. Genesis, die Luxusmarke von Hyundai, hat im Sommer 2021 mit zwei Modellen ihr Europadebut gegeben. Jetzt, knapp anderthalb Jahre später, ist es gar nicht mehr so einfach, im Modellportfolio den Überblick zu behalten. Das Tempo, das die Koreaner an den Tag legen, ist beeindruckend. Doch noch viel beeindruckender ist der GV60, seines Zeichens technisches Geschwistermodell von Hyundai Ioniq 5 und Kia EV6. Doch im Gegensatz zu anderen Konzernen, bei denen die Ähnlichkeiten zwischen den Modellen frappierend und die wirtschaftlichen Überlegungen unverhohlen an vorderster Front stehen, strebt Genesis mit einer beispiellosen Akribie nach der Perfektion und maximaler Kundenzufriedenheit. Der Genesis GV60 deklassiert meiner Meinung nach mal eben sein gesamtes Segment. Und nein, diese Zeilen sind nicht von Genesis bezahlt.
Wenn man Genesis etwas vorwerfen kann, dann die Einfallslosigkeit beim eigenen Logo. Es sieht aus wie ein Mix der Logos von Aston Martin und Bentley. Etwas mehr Kreativität wäre sicher nicht verkehrt gewesen. Aber dafür präsentiert sich der GV60 erfreulich eigenständig. Hauptmerkmal von Genesis sind die geteilten Scheinwerfer vorne und hinten. Der GV60 präsentiert sich elegant und clean, er fällt durch dezente Designkniffs auf, ohne aggressiv oder protzig zu wirken. Hübsch finde ich auch die Front mit tiefem «Kühlergrill», was ein zusätzliches Designmerkmal ist.
Die ganz grosse Show im Innenraum
Der Testwagen mit der durchgehend hellen Innenraumausstattung ist natürlich ein besonderer Eyecatcher. Aber es lohnt sich, den Blick und auch die Hand im gesamten Interieur wandern zu lassen. Die Koreaner machen da nämlich keine halben Sachen. Die Verarbeitungsqualität ist auf allerhöchstem Niveau und die Materialien sind vom feinsten. Voll-Lederausstattung soweit das Auge reicht, Zierelemente aus Aluminium, Dachhimmel und Türverkleidungen aus Alcantara.
Das zieht sich auch im Fond durch, da wird nicht gespart wie bei vielen anderen Herstellern, die sich Premium schimpfen. Nebst der bestechenden Qualität findet mal allerlei hübsch gestaltete Details. An erster Stelle natürlich die Glaskugel in der Mittelkonsole, die sich beim Motorstart dreht und den Gangwahlhebel frei gibt. Auch der Dreh-Drücker fürs Infotainmentsystem, die Verstellung der Aussenspiegel, ja sogar die Netze der Ablagefächer unter der schwebenden Mittelkonsole sind durchdesignt. Diese Qualität, Akribie und spürbare Liebe zum Detail verdient höchste Anerkennung und nur schon dieses Interieur mit all seinen Finessen hebt den Genesis GV60 von sämtlichen Konkurrenten ab.
Üppige Platzvervältnisse
Der Innenraum ist nicht nur durchgestylt, er bietet auch grosszügige Platzverhältnisse. Vorne sitzt man ausgesprochen bequem auf weich gepolsterten Sitzen und geniesst das luftige Ambiente. Die Beinfreiheit im Fond ist generös, am Kopf wird es aufgrund des abfallenden Daches allerdings knapp. Der Kofferraum ist solider Klassendurchschnitt, wobei der Innenraum sowie das Handschuhfach in Form einer Schublade jede Menge zusätzlichen Stauraum für kleinere Gegenstände generieren.
Die Ruhe selbst
Gestartet wird konventionell via Knopfdruck und obwohl Elektroautos prinzipiell keine Aufwärmphase benötigen, lasse ich zu Beginn mal die Finger vom grünen Boost-Knopf auf dem Lenkrad. Power ist ohnehin immer genügend vorhanden, aber der Genesis GV60 gibt einem nicht das Gefühl, einen ständig überrumpeln zu wollen, im Gegenteil. Dieses kompakte SUV fühlt sich im Comfort-Modus genauso an, wie das luxuriöse Interieur es verspricht: Gediegen und komfortabel. Mit den grossen 21-Zoll-Rädern ist der Abrollkomfort zwar nicht ganz so fluffig, dennoch versteht es der GV60, einen einzulullen. Besonders beeindruckend ist die extreme Ruhe an Bord, die durch das optionale B&O Soundsystem mit Gegenschall nochmals erhöht wird. Das ist absolutes Oberklasse-Fahrgefühl. Demgegenüber wirkt es dafür besonders knausrig, dass sich Genesis die Massagefunktion auf der Beifahrer-Seite gespart hat.
Auch technisch zieht Genesis sämtliche Register. Der GV60 verfügt über einen Autobahn-Assistenten samt Spurwechsel-Funktion, Matrix-Licht, 360°-Kamera mit allen erdenklichen Blickwinkeln, autonomes Parkieren (sogar von ausserhalb des Autos!) sowie das heutzutage übliche Heer an Assistenzsystemen. Negativ aufgefallen ist einzig der Spurhalte-Assistent, der viel zu sensibel reagiert, dauernd piepst und nach jedem Motorstart erneut deaktiviert werden muss. Nicht erhältlich sind ein Augmented-Reality-HUD sowie ein Infrarot-Nachtsichtsystem, wobei ich davon auch nichts vermisst habe.
Unser täglicher Boost gib uns heute
Der Genesis ist ein echter Sleeper. Man kann zwar von seiner Optik her annehmen, dass er nicht gerade lahm ist, aber was da wirklich abgeht, dass würde man ihm nicht geben. Im Sport-Modus reagiert der Wagen auf die kleinste Zuckung des Gaspedals und schiebt sogar den Bruchteil einer Sekunde nach, als würde er gegen das Ende der Beschleunigung protestieren. Die Kraftentfaltung erfolgt dabei schnell, aber dennoch leicht aufbauend. Wer die volle Kraftexplosion will, drückt auf den Boost-Knopf, der nicht nur für zehn Sekunden 40 kW zusätzliche Leistung bietet, sondern die geballte Power wie eine Abrissbirne loslässt!
Der Schub ist gewaltig und obwohl der Boost-Modus im Grunde nur ein Detail ist, sind es genau solche Dinge, welche den Fahrspass in einem Elektroauto massiv erhöhen. Apropos Fahrspass: Im Sport-Modus ist der GV60 erstaunlich hecklastig und drückt sich vehement in die Kurven. Natürlich ist er am Ende des Tages immer noch ein SUV und die Lenkung dürfte mehr Feedback und ein besseres Gefühl für die Vorderachse liefern, aber für seine Bauart geht der Koreaner nicht nur geradeaus gut. Das ESP ist dreistufig deaktivierbar, ausserdem gibt es im GV60 sogar noch einen versteckten Drift-Modus, der sich aus dem Sport-Modus aktivieren lässt.
Ja, ihr habt richtig gelesen. Anhalten, auf P schalten, ESP komplett ausschalten, auf die Bremse treten und beide Paddels drei Sekunden lang ziehen. Voilà. Anfahren, einlenken, etwas mehr Gas geben und ab sofort geht der Genesis quer! Aber Achtung: Während manche Drift-Modi bei anderen Herstellern im Hintergrund einen Rettungsanker bieten und versuchen, Dreher zu unterbinden, geht einem der GV60 nicht zur Hand. Man sollte also schon wissen, was man tut, schliesslich spielt man mit 700 Nm Drehmoment. Ansonsten heisst es schnell mal: Liebe Mobiliar…
Der Ladekönig
Der Genesis GV60 hat noch ein weiteres Ass im Ärmel und zwar ein etwas nützlicheres als ein reines Spass-Feature. Mit seinem 800-Volt-Bordsystem verspricht Genesis bis zu 350 kW Ladeleistung und die Ladung von 10 auf 80% in 18 Minuten. Zwar konnte ich die maximale Ladeleistung im Test nicht erreichen, aber was ich festgestellt habe ist, dass der Genesis auch bei weit über 60% immer noch eine hohe Ladeleistung aufweisen kann, sprich, die Ladekurve nicht plötzlich zusammenbricht. Das resultiert in wirklich schnellen Aufladungen im Alltag und das ist auch gut so, denn von den 466 Kilometern WLTP-Reichweite war ich im Test weit entfernt. Knapp über 300 Kilometer Reichweite lagen drin, der Durchschnittsverbrauch von 23,5 kWh/100 km ist alles andere als ein Ruhmesblatt. Logisch, ab und zu wurde der Boost gedrückt, aber auch bei ruhiger Fahrt sank der Stromverbrauch nie auf ein akzeptables Mass. Da ist man sich von der Hyundai Group eigentlich anderes gewohnt und ist meines Erachtens der einzige grössere Kritikpunkt am GV60.
Kein Schnäppchen, aber maximal Premium
Der praktisch voll ausgestattete Testwagen – lediglich die verzichtbaren Aussenkameras statt Aussenspiegel fehlen – kostet 90’000 Franken, womit sich Genesis mit dem GV60 klar über Hyundai und Kia positioniert. Nun scheint das erst mal eine ordentliche Stange Geld für ein Kompakt-SUV zu sein, aber nicht nur die Leistung ist am oberen Ende des Segments, sondern auch die Qualität. Ausserdem ist bei Genesis nicht nur das Auto, sondern auch der Service erstklassig: Das Auto wird für eine Probefahrt oder den Service geliefert und wieder abgeholt, egal, wo man wohnt. Des Weiteren übernimmt Genesis für die ersten fünf Jahre sämtliche Wartungskosten inklusive Material und Arbeit sowie stellt einem einen Concierge zu Verfügung, den man bei Fragen oder Problemen betreffend des Autos anrufen kann.
Bestellt wird online ohne Rabatte und zu bestaunen sind die Genesis-Modelle im Showroom an der Bahnhofstrasse in Zürich. Angesichts dieses Komplettpakets ist der Preis dann plötzlich sehr fair. Denn während Genesis Premium verspricht und dann sogar Luxus liefert, versprechen deutsche Hersteller in diesem Segment Premium und liefern dann aber Low-Budget. Chapeau Genesis.
Alltag
Im Verhältnis zur Grösse bietet der GV60 überdurchschnittliche Platzverhältnisse. Vor allem in die Ablageflächen lässt sich deutlich mehr als nur Kleinkram unterbringen. Die schlechte Übersicht wird durch das hervorragende Kamerasystem kaschiert, gegen den miserablen Wendekreis ist jedoch nichts zu machen.
Fahrdynamik
Schub ist das letzte, woran es dem GV60 in der Topmotorisierung mangelt. Das Fahrwerk ist für ein Crossover angenehm ausgewogen, die hecklastige Kraftverteilung sportlich. Was mässig sportlich ist, sind die Dosierbarkeit der Bremse sowie das Feedback von der Lenkung.
Umwelt
Als sparsam hat sich das Elektro-SUV im Test nicht erwiesen. Klar, die üppige Leistung verlockt, dennoch sind 23,5 kWh/100 km eine deutliche Abweichung zum Normverbrauch von 19,1 kWh/100 km. Darunter leidet dann logischerweise die Reichweite.
Ausstrahlung
Über Geschmack lässt sich streiten, doch für einen Crossover ist der Genesis GV60 sehr eigenständig desigt und erfreut das Auge mit vielen liebevollen Details und nicht ganz alltäglichen Lackierungen und Felgendesigns.
Fazit
+ Eigenständiges cleanes Design
+ Haptik und Materialien im Innenraum vom feinsten
+ Exzellente Verarbeitungsqualität
+ Pfiffige Designlösungen, viel Liebe zum Detail
+ Extrem bequeme Sitze, üppige Platzverhältnisse
+ Flüssiges Infotainmentsystem, einfache Bedienung dank vielen Tasten, Dreh-Drücker und Touchscreen
+ Brachialer Schub
+ Sehr hoher Fahrkomfort
+ Extrem niedriger Geräuschpegel im Innenraum
+ Hecklastiges Fahrgefühl
+ Ausgewogenes Fahrwerk
+ ESP dreistufig deaktivierbar, versteckter Drift-Modus
+ Rekuperation vielvältig justierbar
+ Matrix-Licht
+ Vollständige Palette an Assistenzsystemen, inkusive Autobahn-Assistent und autonomer Parkassistent
+ Verhältnismässig fairer Preis
+ Exzellenter Kundenservice
– Sperriger Wendekreis
– Relativ hoher Verbrauch
– Hohes Gewicht
– Nerviger Spurhalteassistent
– Sprachsteuerung dürfte besser auf frei gesprochene Befehle reagieren
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Genesis GV60 |
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Preis Basismodell / Motorisierung / Testwagen | 53 000 CHF / 79 300 CHF / 90 260 CHF |
Antrieb | Elektrisch, Allradantrieb |
Akkukapazität | 77,4 kWh (brutto) / k.A. kWh (netto) |
Max. Leistung | 320 kW |
Max. Drehmoment | 700 Nm |
Beschleunigung 0–100 km/h | 4,0 s |
Vmax | 235 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / Energieeffizienz | 19,1 kWh/100 km / A |
Test-Verbrauch / Differenz | 23,5 kWh/100 km / +23% |
WLTP-Reichweite | 466 km |
Ø Test-Reichweite | 310 km |
Max. Ladeleistung (DC) | 350 kW |
Länge / Breite / Höhe | 4,52 m / 1,90 m / 1,58 m |
Leergewicht | 2250 kg |
Kofferraumvolumen | 432 - 1550 l |
Der Artikel gibt sehr genau wieder, warum ich mich für den Genesis entschieden habe. Alles stimmt aber dennoch wirft er ein sehr einseitiges Bild. Nach 5 Wochen Genesis konnte ich ihn einem Tag nach der Auslieferung und vier Tage dazwischen fahren, der Rest ist Werkstattzeit. Die Ersatzteilversorgung ist schlecht, die Software unzuverlässig, manchen Verhalten sehr fragwürdig und meine Ansprechpartner bei Genesis vermitteln mir nicht den Eindruck, viel von der Technik des Wagens zu verstehen. Viele Fehler werden sich nach weiteren drei Wochen Werkstatt nicht behoben sein. Es war der größte Fehlkauf meines Lebens und ich würde auf jeden Fall das Tesla Model Y aus einer Vielzahl von Gründen vorziehen (Energieverbrauch, Platzangebot, Software, Service, Navi, Ladeplanung, Nachlassen der 12V Batterie, etc.). Meiner Meinung nach hat Genesis einfach keine Ahnung von BEVs. Solche Dinge werden leider nirgendwo in all den Lobeshymnen erwähnt. Für mich ist Genesis ein No-Go geworden!!!