Wer stand schon mal an einem Punkt im Leben, sei es beruflich oder privat, an dem er einsehen musste, dass es so nicht weiterging? Dass der eingeschlagene Weg nicht zum erhofften Ziel führen wird? Das Eingeständnis an sich selber ist hart. Doch mit diesem Erlebnis steht ihr bei weitem nicht alleine da. Auch Honda erging es so. Erste Prototypen des NSX waren mit einem V10-Motor ausgerüstet. Doch die Japaner kamen zum Schluss, dass dieser doch recht ordinäre Antrieb dem Anspruch der Marke und erst recht des legendären NSX nicht gerecht wurde. Also fingen sie wieder komplett von vorne an. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Mehr als nur das. Der neue NSX mit seinem einzigartigen Hybridantrieb gibt einem ein völlig neues Gefühl hinter dem Steuer. Ausserdem ist er in der Schweiz so dermassen rar, dass er reihenweise Köpfe verdreht.
Noch nie war ich in der Schweiz mit einem Testwagen dermassen belagert worden, wie mit dem NSX. Einmal kurz volltanken? Vorher wird der Bolide fotografiert und ich gefragt, was er denn koste. Der Gesichtsausdruck, wenn die neugierigen Passanten meine Antwort gehört haben, spricht Bände. Aber dazu später mehr. Aufs Design muss ich gar nicht gross eingehen, denn der NSX spricht für sich, erst recht in der auffälligen Valencia Red Pearl Lackierung.
Die extrem flachen Scheinwerfer vorne, die markanten Kühlöffnungen hinter den Türen, der sichtbare Mittelmotor und das schöne Heck, das etwas an Corvette oder Aston Martin erinnert – dieses Auto sieht brutal schnell und kompromisslos aus. Wird er in der Stadt an einem exponierten Ort parkiert, stehen gerne mal bis zu vier Personen aufs Mal ums Auto um Fotos zu schiessen oder ins Cockpit zu spähen. Der Grund für die extreme Wirkung des Autos ist der, dass die allermeisten das Auto noch nie auf der Strasse gehen haben.
Dies ist angesichts der homöopathischen Stückzahlen auch nicht verwunderlich. Von den jährlich 1500 in Ohio gebauten Exemplaren kommen nämlich nur rund 15 in die Schweiz. Damit geniesst der NSX hierzulande absoluten Exoten-Status; da wird sogar ein Audi R8 zur Massenware degradiert. Exotisch ist auch sein Hybridantrieb: Der an ein 9-Gang Doppelkupplungsgetriebe gekoppelte 3,5-Liter V6 Biturbomotor wird an der Hinterachse direkt von einem Elektromotor unterstützt. Zu diesem Doppelpack gesellt sich ein Duo an Elektromotoren an der Vorderachse, einer pro Rad. Sie kümmern sich um ein elektrisches Torque Vectoring an der Vorderachse, während dieser Job an der Hinterachse ein mechanisches Sperrdifferential übernimmt. Output des Antriebsquartett: 427 kW.
Ja, damit dringt der NSX nicht gleich in überirdische Leistungssphären vor. Aber es ist das Zusammenspiel des Hybridantriebs, das den Nippon-Sportler zu etwas ganz besonderem macht. Die vier Fahrmodi Quiet, Sport, Sport+ und Track sind so gross gespreizt, dass man fast vier Autos in einem fährt. Aber der Reihe nach.
Es wird abermals Zeit, bei Passanten für Erstaunen zu sorgen. Im Quiet Modus verfügt der Supersportler über das Temperament eines Honda Jazz, dreht nur bis 4000 Umdrehungen und fährt bei geringer Last bevorzugt elektrisch. Mit dieser Einstellung cruise ich durch eine belebte 30er-Zone und sorge bei den Teenies, die sich auf dem Heimweg der Schule befinden, für absolute Fassungslosigkeit. Da kommt so ein Geschoss auf sie zugerollt, Motorgrollen wird erwartet – stattdessen summt der NSX flüsterleise an ihnen vorbei. Ich kann die Jungs, die extra von ihrem Velo abgestiegen sind, durchs offenen Fenster jammern hören: «Hey, der tönt ja gar nöd!» Tja, dass der NSX ein Hybrid ist, sieht man ihm eben nicht an und wer’s nicht weiss, ist durchaus geknickt, wenn er keinen Motorsound hört!
Man kann im NSX einstellen, ob er bei jedem Motorstart den Quiet oder den Sport Modus anwählen soll. Im Quiet Modus bleibt der V6 beim Start im Sinne des nachbarschaftlichen Friedens stumm. Das ist nicht ganz in meinem Sinn, weshalb ich den NSX standardmässig auf Sport getrimmt habe. Okay, der grosse Brüller ist das Biturbo-Triebwerk ohnehin nicht, das sorgt nicht gleich für eine Fehde in der Nachbarschaft.
Auch im Sport Modus kann der NSX noch elektrisch fahren, aber es beschränkt sich auf sehr, sehr sanftes Fahren. Es ist klar der V6, der jetzt den Ton angibt und in diesem Modus fühlt sich der Wagen auch eher nach Supersportler an. Das Gas ist schon viel feinfühliger, Überholmanöver sind ein Klacks und doch ist er immer noch total alltagstauglich, da das Getriebe nicht unnötig lange in den niedrigen Gängen verweilt. Überhaupt ist das Getriebe perfekt abgestimmt und mit seiner hohen Anzahl an Gängen nie überfordert.
Apropos Alltag: Nichts spricht gegen den täglichen Gebrauch des NSX. Mit den bequemen Sportsitzen, der wirklich erstklassigen Übersicht und dem tiefen Geräuschpegel im Quiet Modus ist der Sportler sowohl in der Stadt, als auch auf langen Autobahnetappen nicht fehl am Platz. Der grosse Wendekreis und die knappe Bodenfreiheit erfordern zwar etwas mehr Umsicht, stellen einen aber nicht vor unlösbare Probleme.
Einzig der kleine Kofferraum ist absolut nicht für eine längere Reise mit zwei Personen geeignet. Wer den Einkauf nach Hause befördert, sollte den direktesten Weg wählen und defensiv fahren, da sich der Kofferraum aufgrund der Nähe zu zahlreichen Antriebskomponenten ziemlich aufwärmt und die Lebensmittel das wahrscheinlich buchstäblich uncool finden.
Ohne Einkaufstüten hinten drin habe ich dafür jeden nur erdenklichen Umweg gewählt. Zeit für den Sport+ Modus, der für ordentlichen Radau sorgt. Die Abgasanlage umgeht nun den Schalldämpfer, Lenkung und Fahrwerk werden gestrafft und das Getriebe hat den ökologischen Anstand, was das Halten der niedrigen Gänge betrifft, über Bord geworfen. Jetzt ist Performance das Einzige, was zählt – und dieses Auto verfügt über eine Performance, wie sie kaum sonst jemand bietet.
Der Tritt aufs Gas erinnert an das Ansprechverhalten eines reinen Stromers oder an einen Sauger jenseits der vier Liter Hubraum. Die Elektromotoren sorgen für unmittelbaren Vortrieb und noch bevor diese zu schwächeln beginnen, sorgt das Triebwerk im Nacken für einen aufbauenden Schub, dass man sich instinktiv ganz fest ans Lenkrad klammert. Der Drehzahlmesser rast dermassen schnell auf den Begrenzer bei 7500 Umdrehungen zu, dass man im manuellen Schaltmodus vor allem mit dem Hörsinn besonders aufmerksam sein muss. Da fliegst du nämlich mit einem dermassen höllischen Tempo auf die nächste Kurve zu; da bleibt schlicht keine Zeit, um einen Blick auf den Drehzahlmesser zu werfen.
Während ich auf die Kurve zufliege, presst mein armer Beifahrer schon seine Füsse auf die imaginäre Bremse und ist sich innerlich wahrscheinlich schon von dieser Welt am verabschieden, als ich doch noch auf die Bremse trete. Die Keramikbremsen beissen dermassen rigoros zu, dass die Beschleunigungsorgie im Vorfeld der reinste Spaziergang war. In der Kurve kann der Hybridantrieb sein volles Potenzial ausspielen: Dank den Elektromotoren an der Vorderachse wird der NSX wie von Geisterhand um die Kurve gezogen. Je stärker man in der Kurve beschleunigt, desto stärker wird auch der Effekt! Untersteuern kennt der NSX nicht mal vom Hörensagen, wohl aber Übersteuern. Die Kunst ist es also, bereits vor dem Kurvenausgang stark zu beschleunigen, aber nicht zu stark, um das Heck in der Spur zu halten.
Im Sport+ Modus lässt das ESP nur den Hauch eines Powerslides zu. Noch extremer wird das Fahrgefühl im Track Modus. Das Getriebe knallt die Gänge mit der Wucht eines Peitschenhiebs rein und das ESP greift erst ein, bevor die Situation komplett eskaliert. Geht das Heck hinten quer, hilft erneut das Elektro-Duo an der Vorderachse, um das Auto gerade zu ziehen. Dank der ausgewogenen Gewichtsbalance und der Möglichkeit des Autos, an allen Rädern mit dem Drehmoment zu jonglieren, kann fast nichts schief gehen.
Auch wenn man sich also ans Limit herantastet, muss man keine Schweissausbrüche befürchten. Das Auto hat eine etwas kühle, technische Seite und entsprechend ist auch der Sound. Es ist rauer, metallischer, authentischer Sound. Es ist nicht so, dass man den NSX hört, bevor man ihn sieht. Die grosse Show ziehen andere ab. Aber es ist ein schöner Sound. Man stellt gerne das Soundsystem ab und lauscht der Mechanik bei der Arbeit. Klappt dank dem Motor im Nacken besonders gut.
Meistens werden mit Supersportwagen nicht nur positive Aspekte assoziiert. Manche sind protzig, andere haben etwas verruchtes an sich. Der NSX ist bei uns aber so dermassen selten, dass er einfach nur Bewunderung auslöst. Noch nie, wirklich noch nie in meinem Testalltag habe ich so viele staunende Gesichter und auf das Auto gerichtete Smartphone-Kameras gesehen. Selbst wenn die Gerüchte stimmen und Honda eine Targa und sogar eine Type R Version nachschiebt, dürfte sich die Dichte dieses Exots kaum erhöhen.
Der Preis für das neuartige Fahrgefühl ist mit 216’000 Franken hoch, mit allen Extras klettert der Preis sogar auf 263’400 Franken. Dafür gäbe es Godzilla im Doppelpack. Doppelt so gut oder schnell wie der Haudrauf-Sportler ist der NSX bestimmt nicht – aber mit dem einzigartigen Hybridantrieb fährt er dennoch auf einem höheren Niveau. Eine Fahrt mit dem NSX gehört für jeden Autofan auf die Bucketlist. Es ist tatsächlich ein neuartiges Fahrerlebnis, wie es der Name «New Sports eXperience» in ausgeschriebener Form verspricht.
Alltag
Der Kofferraum ist sehr knapp geraten, ansonsten lässt sich der Supersportler problemlos im Alltag bewegen. Die Übersicht ist gut und mit etwas Umsicht kommt man auch mit der geringen Bodenfreiheit klar. Lange Strecken sind mit den bequemen Sportsitzen kein Problem.
Fahrdynamik
Mit dem Antriebsquartett schafft der NSX ein brutal direktes Ansprechverhalten gepaart mit einer irren Drehfreude. Kein anderer Biturbo-Antrieb fühlt sich so sehr nach Sauger an wie dieser hier. Durch das elektrische Torque Vectoring erreicht man unglaubliche Kurventempi bei stoischer Stabilität.
Umwelt
Dafür, dass der NSX gepresst und gescheucht geworden ist, sind 13,7 Liter Testverbrauch ganz okay. Beim Cruisen ging der Bordcomputer sogar auf einstellige Werte runter – Hybridantrieb sei Dank.
Ausstrahlung
Dazu muss ich nun wirklich nichts mehr sagen. Hätte ich zehn Sterne zur Verfügung, würde ich ihm zehn geben.
Fazit
+ Sehr cooles Design
+ Gute Übersicht
+ Bequeme und haltstarke Sportsitze
+ Edle Materialien, sehr gute Verarbeitung
+ Authentischer, rauer Motorsound
+ Drehfreudiger Motor
+ Vier stark gespreizte Fahrmodi
+ Blitzschnelles 9-Gang Doppelkupplungsgetriebe
+ Sehr sanftes fahren möglich, tiefer Geräuschpegel im Quiet Modus
+ Unglaublich direktes Ansprechverhalten
+ Hochpräzises Handling dank Magnetic Ride Fahrwerk
+ Elektrisches Torque Vectoring an der Vorderachse
+ Unerschütterliche Stabilität
+ Dreistufiges ESP
+ Im Grenzbereich leicht zu kontrollieren
+ Angemessener Verbrauch
– Spiegelungen in der Frontscheibe vom Armaturenbrett bei Sonnenschein
– Sehr kleiner Kofferraum, wärmt sich im Fahrbetrieb auf
– Trotz Verzicht auf sämtliche Assistenzsysteme recht hohes Gewicht
– Etwas träges Navi und Infotainmentsystem
Mängel am Testwagen
– Ein Lautsprecher des Hifi-Systems war defekt
Steckbrief
Marke / Modell | Honda NSX |
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Preis Basismodell / Testwagen | 216 000 CHF / 263 400 CHF |
Antrieb | Benzin-Hybrid, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 3493 ccm / V6 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Mittelmotor / Biturbomotor + 1 Elektromotor an der Hinterachse + 2 Elektromotoren an der Vorderachse |
Getriebe | 9-Gang Doppelkupplungsgetriebe |
Max. Systemleistung | 427 kW bei 6000 - 7500 r/min |
Max. Systemdrehmoment | 646 Nm bei 2000 - 6000 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 3,0 s |
Vmax | 308 km/h |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 10,0 l/100 km / 228 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 13,7 l/100 km / 312 g/km / +37% |
Länge / Breite / Höhe | 4,49 m / 1,94 m / 1,20 m |
Leergewicht | 1861 kg |
Kofferraumvolumen | 110 l |
Bilder: Koray Adigüzel, auto-illustrierte (1)
Cooler Bericht!
Wie meinst Du das…? – Trotz Verzicht auf sämtliche Assistenzsysteme recht hohes Gewicht
Hey, freut mich!
Assistenzsysteme bringen durch ihre Hardware (Radarsensoren, Kameras, Kabelstränge, Elektromotoren, etc.) Gewicht ins Auto. Obwohl der NSX solches Zeugs nicht mitschleppen muss, bringt er aufgrund der aufwendigen Hybridtechnik ein hohes Gewicht auf die Waage.
Lg Koray