Während neue Verbrenner-Modelle bestenfalls sparsamer oder digital vernetzter werden, schreitet die Entwicklung neuer Elektroautos mit einer enormen Geschwindigkeit voran. Was vor fünf Jahren noch brandneu war, ist mittlerweile doppelt überholt. Der Hyundai Ioniq 5 zeigt exemplarisch, was man aus einem Elektroauto alles machen kann, wenn man etwas weiter denkt und nicht nur die klassischen Disziplinen zu verbessern versucht. Herausgekommen ist der stärkste und smarteste Hyundai aller Zeiten, womit die Koreaner einmal mehr zeigen, wo diesbezüglich der Hammer hängt.
Zukunft trifft auf Retro
Nur schon mit dem Design, welches durch Studien belegt nach wie vor Kaufgrund Nummer 1 bei Autos ist, lehnt sich Hyundai weit aus dem Fenster. Der Ioniq 5 präsentiert sich eckig und kantig mit glatten Flächen und kaum Rundungen und zitiert somit das Design der 80er- und 90er-Jahre. Moderne LED-Scheinwerfer im kultigen 8-Bit-Design, markante Kotflügel, grosse Räder und eine Launch-Farbe in Matt-Gold (!) runden das aussergewöhnliche Design ab.
Dass der Schein bekanntlich trügt, erlebt man am eigenen Leib, wenn man den Ioniq 5 zum ersten Mal in echt sieht. Auf Bildern wirkt er ziemlich kompakt, was vor allem durch eine fehlende Seitenscheibe hinter der Fondtüre und der dicken C-Säule suggeriert wird. Doch in Wahrheit ist er ein breiter und grosser Crossover, dessen Ausmasse nicht weit weg eines Santa Fe sind. Da hat Hyundai besonders tief in die Trickkiste gegriffen. Auch die geradlinige Silhouette lässt den Wagen auf Bildern schnell kleiner wirken, als er eigentlich ist.
Lounge auf Rädern
Auch im Innenraum geht Hyundai neue Wege. Das Interieur kommt gänzlich ohne Mitteltunnel aus, was ein extrem luftiges Ambiente vorne wie hinten schafft. Dafür gibt es grosse Ablagemöglichkeiten en masse. So viel Krempel, wie man im Ioniq 5 unterbringen könnte, führt man im Normalfall gar nicht mit sich. In der zweiten Reihe kann man den Sitz längs und in der Neigung verstellen und selbst wenn die Sitze ganz hinten sind, bietet der Ioniq 5 noch über 500 Liter Volumen!
Doch das ganz grosse Highlight ist der ersten Reihe vorbehalten: Auf Knopfdruck verwandeln sich die Vordersitze in einen Liegestuhl mit einer extra Beinauflage vorne! Damit steht einem Powernap während eines Ladestopps nichts mehr im Weg. Aber Achtung: So verlockend es für den Beifahrer auch sein mag, während der Fahrt in der Liegeposition ein Nickerchen abzuhalten, so sollte dies unterlassen werden. Im Falle eines Crashes würde man unter dem Sicherheitsgurt durchtauchen, was böse Folgen nach sich ziehen kann. Nur schon eine Vollbremsung wäre kritisch.
Got Torque?
In Fahrt ist der Ioniq 5 im Normal- oder Eco-Modus erst mal zurückhaltend. Geschmeidige, mühelose Beschleunigung und ein hoher Fahrkomfort sind Eigenschaften, die man im Alltag schätzt. Fahrspass bietet der Stromer im Sport-Modus, wenn sein Drehmoment von 605 Nm ansatzlos auf beide Achsen losgelassen wird: Es folgt der berühmte Elektrokick in den Rücken, vor allem, weil der Wagen auch bei sehr niedrigem Tempo nicht gerade zimperlich beschleunigt!
Da die Leistung aber nicht ganz so hoch ausfällt, nimmt der Schub dann allmählich ab, lahm ist der Ioniq 5 aber keinesfalls. Um aber einem i30 N nachzukommen, würde es nicht ganz reichen. Fahrdynamisch ist zwar der tiefe Schwerpunkt zu spüren, von einem Kurvenräuber kann man aber nicht sprechen. Das ist aber ohnehin nicht die Kerndiszplin des Wagens, ausserdem brodelt die Gerüchteküche über einen möglichen Ioniq 5 N als Sportmodell wie verrückt.
Der Lademeister
Viel wichtiger als möglichst hohe G-Kräfte in der Kurve ist den meisten sowieso eine möglichst hohe Reichweite respektive eine unkomplizierte Handhabung im Alltag. Puncto Akkukapazität ist der Ioniq 5 eher durchschnittlich unterwegs. Seine 72 kWh sorgen in der stärksten Antriebsvariante mit den 20 Zöllern für maximal 430 Kilometer nach WLTP. In der Praxis sind es im Test rund 315 Kilometer.
Doch sein technisches Highlight ist die 800-Volt-Bordspannung, womit sehr hohe Ladeleistungen ermöglicht werden. Zum Vergleich: Bislang sind 800 Volt abgesehen vom Schwestermodell Kia EV 6 lediglich beim Porsche Taycan und Audi e-tron GT vorzufinden, beides Modelle, die in einer komplett anderen Preisliga kämpfen. Und tatsächlich hält der Ioniq 5 diesbezüglich sein Versprechen und lädt mit bis zu 220 kW nach. Auch ein nur halbleerer Akku sowie kühle Temperaturen, beides keine guten Voraussetzungen für eine Turboladung, hielten den Testwagen nicht davon ab, ohne Umschweife direkt mit 220 kW loszulegen und innert zehn Minuten 85 % Ladestand herzustellen. Da staunt man nicht schlecht!
Die XXL-Powerbank
Eine besonders praktische Funktion vor allem für Freunde des Campings mit Zelt ist die V2l (Vehicle to Load) Technologie des Ioniq 5. Über einen mitgelieferten Adapter wird der Ladeanschluss des Autos somit zur Steckdose mit 3,6 kW Leistung, was den üblichen roten Camping-Strom-Anschlüssen entspricht. Damit kann allerlei Zeugs betrieben werden, unter anderem wäre es möglich, einen Elektrogrill, eine Kühlbox sowie einen E-Bike-Akku gleichzeitig mit Strom zu versorgen. Via Bordcomputer lässt sich ausserdem einstellen, welcher Akkustand für die nächste Fahrt reserviert werden soll.
Gute Assistenz, schlechtes Licht
Weniger brillieren kann der Ioniq 5 dafür beim Thema Licht. So fancy die LEDs auch gestaltet sein mögen, das Fernlicht leuchtet nicht weit und obendrein ist der Lichtkegel ziemlich schmal. Matrix-Licht? Gibt es nicht. Ansonsten ist der Ioniq 5 mit State of the Art Assistenzsystemen inklusive automatisiertem Parking und Autobahn-Assistent ausgerüstet. Als Zückerchen gibt es noch ein HUD mit Augmented Reality Technologie. Mit aktiver Navigation bekommt man so animierte Pfeile zu sehen und bei akuter Gefahr durch den Notbremsassistent blinkt es auch in der Scheibe rot.
Voll ausgestattet sind für den Ioniq 5 70’000 Franken fällig, was für ein Hyundai-Modell doch eher viel ist. Doch man darf den Preis nicht auf die Marke beschränken, sondern muss ihn in Relation zur Technik und zur Ausstattung setzen. So betrachtet kriegt man für einen fairen Preis ein aussergewöhnlich designtes Elektroauto, welches bei der Ladeleistung ganz vorne mit dabei ist und sich auch sonst keine gröberen Schnitzer leistet.
Ein angenehmes Fahrgefühl, genug Power sowie einzigartige Highlights wie die Liegefunktion der Vordersitze oder die V2l-Technologie machen aus dem Ioniq 5 ein Elektroauto, welches über das eigentliche Fahren hinaus entwickelt worden ist. Derartige Features sucht man bei deutschen Herstellern vergebens, womit die Koreaner einmal mehr Ingenieurkunst und Grips beweisen, ohne dass die Autos preislich gleich völlig durch die Decke schiessen.
Alltag
Der Hyundai Ioniq 5 bietet einen geräumigen sowie luftigen Innenraum mit Powernap-Liegemöglichkeit. Ablageflächen gibt es bis zum abwinken und eine Anhängerkupplung ist ebenfalls erhältlich. Zu guter Letzt ermöglicht er eine mobile Stromversorgung dank der V2l-Technologie.
Fahrdynamik
Ein starker Antritt, flotter Durchzug sowie der tiefe Schwerpunkt und die daraus resultierende hohe Stabilität laden dazu ein, es auch mal zügiger angehen zu lassen. Für die schnelle Kurvenhatz ist die Lenkung jedoch zu wenig definiert und das Fahrwerk zu sehr dem Fahrkomfort verschrieben. Das ESP lässt sich ausserdem nicht deaktivieren.
Umwelt
Der Testverbrauch von 21,5 kWh/100 km ist zwar nicht rekordverdächtig tief, aber immer noch recht sparsam. Eine intelligente Rekuperation sowie der verhaltene Antritt im Eco-Modus unterstützen das ökologische Fahren.
Ausstrahlung
Mit diesem Wagen setzt Hyundai designtechnisch ein Ausrufezeichen. Ein Crossover mit wahren Ecken und Kanten und Lichtern im Retro-Look. Kann sich sehen lassen!
Fazit
+ Expressives Design
+ Gute Übersicht
+ Luftiger Innenraum mit sehr guten Platzverhältnissen und zahlreichen Ablagemöglichkeiten
+ Bequeme Sitze mit Liegefunktion für einen Powernap
+ Sehr hohe Verarbeitungsqualität
+ Deutlich unterschiedlich abgestimmte Fahrmodi
+ Blitzartiges Ansprechverhalten mit kräftigem Antritt im Sport-Modus
+ Hecklastiger Allradantrieb
+ AR-HUD
+ V2l-Technologie
+ Sehr hohe Ladeleistung
+ Gute Verbrauchswerte
+ Üppige Ausstattung
+ Fairer Preis
– Wenig definierte Lenkung lässt an Rückmeldung zu wünschen übrig
– Schwaches Fernlicht
– Wichtige Cockpit-Informationen werden vom Lenkrad verdeckt
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Hyundai Ioniq 5 AWD |
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Preis Basismodell / Motorisierung / Testwagen | 46 400 CHF / 53 900 CHF / 70 000 CHF |
Antrieb | Elektrisch, Allradantrieb |
Akkukapazität | k.A. kWh (brutto) / 72,6 kWh (netto) |
Max. Leistung | 225 kW |
Max. Drehmoment | 605 Nm |
Beschleunigung 0–100 km/h | 5,2 s |
Vmax | 185 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / Energieeffizienz | 19,0 kWh/100 km / A |
Test-Verbrauch / Differenz | 21,5 kWh/100 km / +13% |
WLTP-Reichweite | 430 km |
Ø Test-Reichweite | 315 km |
Länge / Breite / Höhe | 4,64 m / 1,89 m / 1,61 m |
Leergewicht | 2175 kg |
Kofferraumvolumen | 527 - 1587 l + 24 l Frunk |
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