Hyundai Ioniq 6: Eleganter Sparfuchs

Mit dem Ioniq 6 zeigen die Koreaner, dass ein effizientes Elektroauto elegant aussehen und auch ordentlich motorisiert sein kann. Der windschlüpfige Koreaner ist ein Eyecatcher und überzeugt mit moderner Technik und hohen Ladeleistungen. Allerdings ist der Ioniq 6 nicht ganz günstig und puncto Ergonomie und Raumangebot muss man Abstriche hinnehmen.

Im Gegensatz zum Einheitsbrei, den gewisse Hersteller abliefern, traut sich Hyundai ein unterschiedliches Design bei seinen verschiedenen Autos. Beim Ioniq 6 gehen die Koreaner sogar so weit, dass das Auto ohne Logo gar nicht als Hyundai zu identifizieren ist – ein mutiger Ansatz. Von hinten hat der Ioniq 6 sogar gewisse Züge eines Porsche-Sportwagens. Auf dem markanten Spoiler befindet sich ausserdem ein kleines Solarpanel, welches Strom generiert und darüber hinaus auch gleich als Design-Merkmal fungiert. Eine Art Familien-Ähnlichkeit zum Ioniq 5 schafft lediglich das Pixel-Design der Scheinwerfer.

2023 Hyundai Ioniq 6
Die unten abfallende Fensterlinie betont die flache Silhouette.

Zwiegespaltenes Interieur

Der erste Eindruck des Cockpits ist leider ein Schlechter, zumindest, wenn man kein Minion ist: Die Sitzposition im Ioniq 6 ist viel zu hoch. Ein Problem, welches diverse, flach gebaute Elektroautos betrifft, nachzulesen hier. Ansonsten gefällt das aufgeräumte, sehr hochwertige Cockpit mit gigantischen und zahlreichen Ablageflächen. Wie im Ioniq 5 lassen sich die Vordersitze für einen Powernap beim Ladestopp mit einem Knopf in eine Liegeposition verwandeln. Das Infotainmentsystem unterstützt zwar keine Video-Streamings, bietet aber eine akkurate Online-Navigation und verfügt über eine intuitive Bedienung und eine sehr gute Sprachsteuerung. Auch ein Pluspunkt: Die Klima-Steuerung erfolgt separat. Zwar hauptsächlich über Touch-Felder, aber immerhin.

2023 Hyundai Ioniq 6
Das Cockpit ist clean, hochwertig und mit zahlreichen Ablageflächen versehen.

In Reihe zwei geht es königlich zu und her. Die Kopffreiheit ist zwar eher knapp, dafür besteht für die Beine Platz ohne Ende. Darüber hinaus bietet der Ioniq 6 zwei USB-C-Ladebuchsen sowie eine echte 230V-Steckdose unterhalb der Rückbank an. Weniger erfreulich ist dafür das Thema Kofferraum. Die Ladeluke ist umständlich eng, ausserdem ist das Ladeabteil nicht besonders geräumig. Auch beim Umlegen der Rücksitze ergibt sich eine grosse Stufe, womit sich der Ioniq 6 nur beschränkt als Allrounder qualifiziert.

2023 Hyundai Ioniq 6
Die Sitze sind bequem, aber leider ist die Sitzposition zu hoch. Auch der Seitenhalt dürfte ausgeprägter sein. Cool ist dafür die Liegefunktion auf Knopfdruck.

Leise, aber straff

Der Ioniq 6 legt im standardmässigen Komfort-Modus geschmeidig los, das hohe Drehmoment von 605 Nm ist bei moderater Nutzung des Gaspedals nicht zu spüren. Der sehr gute cw-Wert von nur 0,21 sorgt für eine sehr angenehme Stille auch bei höheren Geschwindigkeiten. Im Gegensatz zum Ioniq 5 ist der flache Ioniq 6 etwas straffer ausgelegt – nicht gerade im Stil eines Sportfahrwerks, aber es ist doch mehr Leben in der Bude. Somit ist der Stromer bei weiterhin gutem Komfort etwas dynamischer unterwegs.

2023 Hyundai Ioniq 6
Je nach Fahrmodus ist der Ioniq 6 sehr gemächlich oder ungestüm unterwegs.

Stichwort dynamisch: Im Dynamic-Modus wird lediglich die Kennlinie des Antriebs verändert, Lenkung und Fahrwerk bleiben unabhängig vom Fahrmodus immer gleich justiert. Der Punch des Antriebs kommt in diesem Modus viel stärker zur Geltung und ist für eine zügige Bergrunde mehr als ausreichend. Das Fahrwerk spielt bei einem sportlichen Fahrstil dank des tiefen Schwerpunktes ebenfalls gut mit, einzig die Lenkung reagiert nicht sonderlich direkt. Aber da der Ioniq 6 kein N im Namen trägt, ist das auch absolut okay und für eine sportlichere Fahrweise reicht es allemal.

2023 Hyundai Ioniq 6
Auf dem grossen Spoiler befindet sich ein kleines Solarpanel.

Versprochene Effizienz kann nicht eingehalten werden

Trotz relativ üppiger Leistung verspricht Hyundai einen moderaten Stromverbrauch von nur 15,1 kWh/100 km. Damit und der aerodynamischen Karosserie gibt Hyundai einen WLTP-Wert von 583 Kilometern mit den auf dem Testwagen montierten 18″-Felgen an. Für eine nicht überbordenden Batteriegrösse ist das ein sensationeller Wert – der aber in der winterlichen Praxis bei weitem nicht eingehalten werden kann. Im Mix mit sportlichen Fahrten, Autobahn-Etappen und gemütlichen Fahrten resultierten ein Testverbrauch von 19,1 kWh/100 km. Das wiederum lässt die Reichweite in der Praxis auf 375 Kilometer schmelzen. An sich kein schlechter Wert, aber halt doch schmerzlich weit weg vom tollen WLTP-Wert.

2023 Hyundai Ioniq 6
Das digitale Cockpit ist nicht frei konfigurierbar. Das Tempo beispielsweise kann nicht zentral angezeigt werden.

Auch das Schnellladen wollte im Test nicht so recht. An einem HPC-Charger von Ionity lümmelte der Ioniq 6 trotz Vorkonditionierung mit rund 80 kW am Kabel – Hyundai verspricht aber das Dreifache. In 38 Minuten Ladezeit stieg der Akku aber dennoch von 19 auf 94 Prozent. Für einen längeren Stopp ist das okay, aber für eine 15-minütige Turboladung wäre es wünschenswert, wenn die hohe Ladeleistung auch unter nicht optimalen Bedingungen wenigstens annähernd erzielt werden würde.

2023 Hyundai Ioniq 6
Im Fond bietet der Ioniq 6 eine gigantische Beinfreiheit.

Komplett übers Ziel hinausgeschossen ist Hyundai leider beim Tempolimit-Assistent ISA. Nicht nur jede Tempolimit-Überschreitung wird konsequent mit Piepsen moniert, auch jede Änderung der Höchstgeschwindigkeit wird mit einem Piepsen kommuniziert. Wer möchte das freiwillig ertragen? Ausschalten lässt sich das nur umständlich übers Touchscreen-Menü, natürlich nach jedem Motorstart erneut. Ist das abgestellt, ist die Verkehrszeichen-Erkennung komplett inaktiv, nur die Warnung abstellen geht nicht. Damit wird ein an sich nützliches und schön passives Sicherheitssystem untergraben.

2023 Hyundai Ioniq 6
Die 18″-Felgen ermöglichen eine deutlich höhere Reichweite.

Aufgrund dieser ernüchternden Ergebnisse bleibt ein etwas zwiespältiger Eindruck. Das Design spricht für sich und kann sich wirklich sehen lassen. Das luftige Cockpit wird von der zu hohen Sitzposition überschattet. Das luftige Platzangebot im Fond vom eher engen Kofferraum. Und das tolle Fahrfeeling von der Effizienz, die – zumindest im Winter – nicht realisiert werden kann. Der Ioniq 6 sieht aus wie ein schicker Technologieträger, der aber unter nicht optimalen Bedingungen nicht mehr so performt, wie er sollte. Beim Preis ist er dann aber wieder voll das Topmodell. Für den voll ausgestatteten Testwagen als Launch Edition sind 73’300 Franken fällig. Lange vorbei sind die Zeiten, als Hyundai-Modelle noch als Schnäppchen galten.

2023 Hyundai Ioniq 6
Mit seinem extravaganten Design ist der Hyundai ein Hingucker. Die Qualität stimmt weitgehend, doch der Preis ist recht hoch.

Alltag 4 out of 5 stars

In der Theorie sind Reichweite und Ladezeiten überdurchschnittlich gut, im Winter hapert es etwas. Für die Passagiere besteht sehr viel Platz, der Kofferraum dagegen ist nicht sonderlich praktisch.

Fahrdynamik 3.5 out of 5 stars

Die Leistung ist absolut ausreichend, auch für sportliches Fahren. Das ausgewogene Fahrwerk macht ebenfalls einiges mit, das ESP ist zweistufig deaktivierbar. Die Lenkung ist etwas indirekt, aber das stört nur bei dynamischer Fahrweise.

Umwelt 4.5 out of 5 stars

Selbst der erhöhte Testverbrauch von 19,1 kWh/100 km ist immer noch ziemlich niedrig. Mit der Energie geht der Hyundai schön sparsam um.

Ausstrahlung 5 out of 5 stars

Optisch hat sich Hyundai so richtig etwas getraut. Die flache Silhouette und das markante Design wirken sehr sportlich, ausserdem ist der Ioniq 6 rundum ausgesprochen eigenständig. Für ein sportlicheres Erscheinungsbild sind zudem auch 20″-Felgen im Angebot.

Fazit 4 out of 5 stars

+ Eigenständiges, markantes Design
+ Sehr tiefer cw-Wert
+ Hohe Qualität im Innenraum
+ Zahlreiche und üppige Ablageflächen
+ Einfache Bedienung, gute Sprachsteuerung
+ Fahrmodi mit deutlicher Spreizung
+ Üppige Leistung, im Sportmodus explosives Ansprechverhalten
+ Ausgewogenes Fahrwerk
+ Sehr leise im Innenraum
+ ESP dreistufig deaktivierbar
+ Automatische Rekuperation justierbar, One-Pedal-Driving möglich
+ Tot-Winkel-Kamera beim Blinken
+ Umfangreiche und üppige Ausstattung
+ 800V-Bordspannung, kurze DC-Ladezeiten

– Zu hohe Sitzposition
– Effizienz und Ladezeiten lassen im Winter zu wünschen übrig
– Enger Kofferraum
– Leicht diffuse Lenkung
– ISA nur umständlich zusammen mit ganzer Verkehrsschild-Erkennung deaktivierbar

Mängel am Testwagen

– Keine Mängel

Steckbrief

Marke / ModellHyundai Ioniq 6
Preis Basismodell / Motorisierung / Testwagen67 900 CHF / 71 900 CHF / 73 300 CHF
AntriebElektrisch, Allradantrieb
Akkukapazitätk.A. kWh (brutto) / 77,4 kWh (netto)
Max. Leistung239 kW
Max. Drehmoment605 Nm
Beschleu­nigung 0–100 km/h5,1 s
Vmax185 km/h (elektronisch abgeregelt)
WLTP-Verbrauch / Energieeffizienz15,1 kWh/100 km / A
Test-Verbrauch / Differenz19,1 kWh/100 km / +26%
WLTP-Reichweite583 km
Ø Test-Reichweite375 km
Länge / Breite / Höhe4,86 m / 1,88 m / 1,49 m
Leergewicht2153 kg
Kofferraumvolumen401 l + 14.5 l Frunk

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