Ausnahmsweise muss in diesem Fahrbericht etwas weiter ausgeholt werden, um den Testkandidaten vorzustellen. Es entspricht nämlich der traurigen Tatsache, dass die Automarke Infiniti manchen Leuten kein Begriff ist. Also: Infiniti wurde 1989 als Nissans Luxusmarke gegründet und ist ähnlich positioniert wie Toyotas Edelmarke Lexus. Seit 2008 ist Infiniti auch in Europa präsent, wobei 2013 die Netzwerkstrategie (dazu am Schluss mehr) geändert und gerade mal 83 Neufahrzeuge zugelassen wurden. Zum Vergleich: Immerhin 190 Maseratis fanden im letzten Jahr den Weg auf unsere Strassen. Der Q50S Hybrid zeigt aber, welches gewaltige Know-how in der Marke steckt. Ein gleichermassen faszinierendes wie charakterstarkes Auto, das mit dem Antrieb, der rein elektronischen Steer-by-Wire Lenkung und den Assistenzsystemen nicht nur überzeugt, sondern übertrumpft.
Ja, die Flanken zieren zwar einen kleinen Hybrid Schriftzug, doch der Infiniti Q50S macht keinen Hehl daraus, offen zu zeigen, dass er alles andere als ein Unschuldslamm ist. Mit den wirklich äusserst böse geformten, schlitzförmigen Scheinwerfern und dem grossen Kühlergrill wirkt er vielmehr, als würde er permanent nach potentiellen Opfern Ausschau halten, die er dank seinem kräftigen Doppelherz auseinandernehmen kann. Auch von hinten zelebriert er mit den Rücklichtern den bösen Blick und anders als gewöhnliche, japanische Hybride, präsentiert er stolz seine zweiflutige Auspuffanlage. Lediglich von der Seite betrachtet könnte man annehmen, dass es sich hierbei um eine elegante, ruhige und unscheinbare Limousine handelt.
Doch der kurze Eindruck der Unscheinbarkeit verfliegt augenblicklich, sobald man im Auto sitzt. Die Mittelkonsole wird von zwei Touchscreens dominiert und die Instrumente mit Drehzahlmesser bis 9000 und Tacho bis 280 sehen recht vielversprechend aus. Während die Instrumente ganz klassisch und ohne Schnörkel sind, wirken die beiden Displays in der Mittelkonsole geradezu futuristisch. Dabei ist das Konzept genial, denn am oberen, 8″ Display wird grundsätzlich immer die Navikarte angezeigt, während am unteren, 7″ Display das Infiniti InTouch System, das Apps, Media, Navigation und alle möglichen Fahrzeugeinstellungen beinhaltet, bedient wird. Sehr sympathisch finde ich, dass die Klimaautomatik durch Knöpfe bedient werden kann (ginge natürlich auch via InTouch), da es so schneller und sicherer ist. InTouch kann via der entsprechenden Smartphone-App Infiniti InTouch mit dem Handy gekoppelt werden, wodurch die Google Suche und Facebook im Infiniti Einzug halten, weitere Apps werden folgen. Inwiefern es Facebook im Auto braucht, muss schlussendlich jeder selber entscheiden. Von sich aus bringt der Q50 bereits schon eine Kalender- und Mailapp mit. Doch die Fähigkeiten vom Infiniti Q50 gehen noch weiter, er kann sich nämlich verschiedene Benutzer merken. Es ist wie eine Registrierung im Auto. Alle möglichen Einstellungen, die von den Assistenzsystemen, über Instrumentenhelligkeit, Audio-EQ, Kartendarstellung, bis hin zu den Anzeigen im Infodisplay gehen, lassen sich mit einem Klick beispielsweise von “Andreas” zu “Koray” wechseln. Ob der ganzen Vielfalt an Features, die InTouch bietet, bleibt als einziger Wermutstropfen nur zu bemängeln, dass bei längeren Mitteilungen willkürlich Worte abgekürzt werden (siehe Bilder).
Aber selbstverständlich kann der Q50 nicht nur Multimedia, sondern auch Sitzkomfort bieten und zwar was für einen. Laut Infiniti wurde die Sitze zusammen mit der NASA entwickelt. Sie sind sportlich geformt und bieten unglaublichen Komfort, sie stützen perfekt. Auch die Rückbank ist äusserst angenehm geformt und gepolstert, dumm nur, dass es an Beinfreiheit mangelt. Der Kofferraum fasst aufgrund des Akkus, der sich zwischen Rückbank und Kofferraum befindet, nur 400 Liter und ist nicht erweiterbar, was eindeutig sehr unpraktisch ist. Die Verarbeitungsqualität und die Wahl der Materialien sind ohne Tadel, alles sieht und fühlt sich hochwertig an.
Nach dem Start ist es auch im Infiniti Q50, wie bei Hybriden üblich, ruhig, da elektrisch angefahren wird. Anders als die Hybride von Toyota/Lexus, kann man im Infiniti den rein elektrischen EV Modus aber nicht per Knopfdruck erzwingen. Das zeigt schon ein bisschen, wo die Prioritäten liegen. Richtig deutlich wird es beim Getriebe: Gott sei Dank darf der Q50 seine Power an eine 7-Gang-Automatik weiterleiten, ein stufenloses Getriebe wäre bei dieser Leistung nichts anderes als eine Zumutung. Ein Blick ins Datenblatt zeigt nämlich, dass der edle Japaner trotz sehr aggressiver Front den Wolf im Schafspelz mimt. Die 546 (!) Nm und 268 kW, die sein Hybridantrieb – bestehend aus einem 3,5-Liter V6 Sauger und einem E-Motor – generiert, kauft man ihm im Stand kaum ab. Und dank der flinken Automatik und dem intelligenten Allradantrieb kommt die Kraft auch vollumfänglich dorthin, wo sie hingehört, nämlich auf die Strasse. Natürlich kann der Q50 auch den herrlichen Gleiter spielen, wenn er rein elektrisch (mit sehr sanftem Gasfuss auch bis zu 90 km/h) durch die Gegend surrt, geschmeidig abrollt und die Passagiere dank effektiver Lärmisolierung von der bösen, stressigen Aussenwelt abschirmt. Doch das Tier im Infinit reizt mindestens so sehr wie das gemütliche Dahincruisen. Für maximalen Fahrspass empfiehlt es sich, dass sehr fürsorgliche ESP zu deaktivieren (auf trockener Strecke) und manuell durch die Gänge zu schalten, denn die grossen, feststehenden Schaltwippen aus Magnesium und Leder sind ein Genuss für die Finger. Wenn man den Infiniti eine Bergstrasse hinaufjagt, ist das ein Fest für alle Sinne. Kernig dreht der V6 bis zu 7000 Umdrehungen, mit einem Griff an der rechten Schaltwippe wirft das Getriebe ruckzuck den nächsten Gang rein, deutlich aggressiver als im Automatikmodus. Vor der Kurve beisst die Sportbremse mit gegenüberliegenden Alu-Bremskolben gnadenlos zu, das nicht minder sportlich ausgelegte Fahrwerk lässt den 1920 Kilo schweren Hybridsportler fast wie auf Schienen um die Kurve ziehen und mit gezieltem Gaseinsatz lässt sich sogar das Heck zu einem zarten, gutmütigen Schwenker einladen. Grundsätzlich ist der Q50 nämlich ein Hecktriebler, erst bei Bedarf wird auch die Vorderachse mit Drehmoment versorgt. Die sogenannte Direct Adaptive Steering DAS genannte Lenkung erteilt ihre Impulse rein elektronisch, was eine Weltpremiere in einem Serienauto ist. Eine im Normalfall entkoppelte, mechanische Verbindung dient als Backup im Worst Case. Neben der Möglichkeit, die Servounterstützung einzustellen, was herkömmliche Lenkungen ebenfalls bieten, kann DAS ihre “Übersetzung” anpassen, so dass mit einem Klick aus der butterweichen Lenkung ein Präzisionsinstrument wird, das bei der kleinsten Bewegung reagiert. Es fehlt zwar eine gute Rückmeldung von der Strasse, aber die überragende Präzision und Direktheit vermögen dieses Manko auszugleichen. Ausserdem werden störende Einflüsse, wie sie von Unebenheiten, schrägen Strassen, Schwellen, etc. verursacht werden, nicht mehr wahrgenommen, da das Lenkrad nicht mit den Rädern verbunden ist, was als klares Komfortplus durchgeht.
Nach einer adrenalingeladenen Ausfahrt braucht es aber Entspannung, also auf zur Autobahn, wo der Q50 seine ganze technische Macht ausspielt. Mittels der Active Line Control ALC kann der Infiniti Q50 das Auto ganz alleine mittig in der Spur halten. Das System dient nur als Unterstützung, es ist nicht dazu gedacht, selbstständig zu lenken. Trotzdem hilft es dem Fahrer , wie auf Schienen über die Autobahn zu gleiten, indem es beispielsweise Seitenwind automatisch ausgleicht. Spätestens bei einer nächtlichen Fahrt durch strömenden Regen lernt man es sehr zu schätzen, wenn das Auto mitdenkt- und lenkt, da es einem grosse Sicherheit vermittelt. Natürlich sind auch klassische Assistenzsysteme wie Abstandstempomat und Tot-Winkel-Warner mit an Bord, die für ein sicheres und entspanntes Reisen sorgen. Ganz speziell ist das automatische Abstandsregelsystem, das auch bei deaktiviertem Abstandstempomat für den nötigen Sicherheitsabstand sorgt und selbstständig bremst, wenn die Autos vor einem langsamer werden. Man kann also nur mit dem Gaspedal fahren, denn der Q50 gibt sogar Gegendruck im Gaspedal, wenn die vorderen Autos bremsen. Bei der ganzen Fürsorglichkeit und dem Technikarsenal, das der Q50 mit sich trägt, finde ich es ein bisschen komisch, dass Infiniti ihm eine Verkehrszeichenerkennung und einen automatischen Parkassistenten verwehrt hat. Konzernbruder Qashqai darf nämlich beides sein Eigen nennen. Bis auf ALC lassen sich alle Assistenzsysteme mittels einer Taste am Lenkrad ein- und ausschalten, eine sehr gute Lösung. Eine weniger gute Lösung ist, dass man ALC via Menü nach jedem Motorstart neu aktivieren muss. Auch der Personal Drive Mode (beispielsweise Lenkung auf Scharf, Motor/Getriebe auf Standard) muss nach jedem Motostart manuell auf Personal gewechselt werden, da das System immer im Standard Modus startet. Das ist jammern auf hohem Niveau, aber der Infiniti Q50 gibt mir keine Gelegenheit, auf niedrigerem Niveau zu jammern…
Der vollausgestattete Testwagen schlägt mit 82’753 CHF zu buche, was angesichts des gebotenen Komforts, des potenten Antriebs und der fortschrittlichen Technik ein ausgesprochen attraktiver Preis ist, der sowohl die deutsche, als auch die Konkurrenz aus dem eigenen Lande aussticht. Der Infiniti Q50 ist auch mit einem 125 kW starken Dieselmotor und manuellem Getriebe verfügbar, womit zwar der Basispreis auf 46’644 CHF sinkt, aber seine magische Aura vollends flöten geht. Auch ein 155 kW starker Turbobenziner ist ab dem Herbst dieses Jahres erhältlich. Allerdings kann er nur mit Komplettausstattung eindeutig mehr bieten, als es die Konkurrenz tut und ich würde auch nur das komplette Package empfehlen, also unbedingt mit Automatikgetriebe und allen Assistenzsystemen ordern – das geht auch als Diesel, allerdings sind dann keine fahrdynamischen Höhenflüge zu erwarten.
Selbst viele Worte können das auf Wunsch gemütliche, sportliche oder fast schon magische Fahrverhalten nicht ausreichend erläutern, weshalb ich unbedingt eine ausgiebige Probefahrt empfehle. Derzeit gibt es nur drei Infiniti Centers in der Schweiz – Genf, Lugano und St. Gallen beiheimaten je eines. Allerdings sind fünf weitere Centers geplant, wobei ich mir sicher bin, dass ein Besuch in Kombination mit einer Probefahrt einen bleibenden Eindruck hinterlassen wird. Auch der Infiniti Q50S Hybrid ist nicht perfekt – aber er ist auf bewundernswerte Weise anders.
Alltag ★★★★☆
Dank der Active Line Control gibt es derzeit wohl kaum ein besseres Auto für die Autobahnreise. Der Infiniti Q50 ist leise, komfortabel und kann sparsam unterwegs sein. Schade, dass auf der Rückbank die Beinfreiheit beschränkt ist. Der nicht erweiterbare, nur 400 Liter fassende Kofferraum ist problematisch.
Fahrdynamik ★★★★★
Es kommt durchaus Sportwagen-Feeling auf im grossen Infiniti. Alle Komponenten sind auf Sport getrimmt oder lassen sich auf sportliches Fahren trimmen. Die Lenkung bleibt zwar stets leicht künstlich, aber sie ist extrem direkt. Genügend Kraft hat der Hybridantrieb sowieso und das Sportfahrwerk kommt auch mit zackigen Fahrmanövern klar. Das Automatikgetriebe ist im manuellen Modus so schnell wie ein DSG. Dank dem Hybridantrieb überbordet der Verbrauch auch bei forcierter Fahrweise nicht.
Umwelt ★★★★☆
Mein Testverbrauch von 8,9 l/100 km ist im Vergleich zur Werksangabe von 6,8 l/100 km ziemlich hoch. Ich bin mir aber sicher, dass sich der Q50 ohne sportliche Eskapaden, wie im Test reichlich geschehen, mit einem Verbrauch von unter 8 Liter auf 100 Kilometer bewegen lässt, was für ein Auto seiner Grösse ein sehr guter Wert wäre. Aber Hybrid hin oder her, der Q50 ist ein potentes Auto, Toyotas Hybride sind aus Sicht der Sparsamkeit konsequenter.
Ausstrahlung ★★★★★
Infiniti hat mit dem Q50 den bösen Blick fast schon perfektioniert. Die Limousine wirkt sportlich-elegant, vor allem hat sie hierzulande durch den Exoten-Status einen besonderen Stellenwert.
Fazit ★★★★★
+ Piekfeine Verarbeitungsqualität
+ Sehr üppige Ausstattung
+ Perfekte Sitze
+ Einwandfreie Ergonomie
+ Komfortables Sportfahrwerk
+ Faszinierende Assistenzsysteme
+ Steer-By-Wire Lenkung
+ Sehr treffend und schnell schaltendes Automatikgetriebe
+ Hohe Fahrdynamik
+ Attraktives, sportlich-elegantes Design
+ Funktionsumfang und Bedienungskonzept von InTouch sind hervorragend
+ Sparpotential vorhanden, auch bei sportlicher Fahrweise akzeptabler Verbrauch
+ Sehr attraktiver Preis
– Kleiner, nicht erweiterbarer Kofferraum (nur Hybrid)
– Beinfreiheit im Fond beschränkt
– Ab und an unnötiges Piepsen der Assistenzsysteme
– ALC und Personal Drive Mode müssen nach jedem Motorstart erneut aktiviert werden
Steckbrief
Marke / Modell | Infiniti Q50S Hybrid |
---|---|
Preis Basismodell / Testwagen | 46'644 CHF / 82'753 CHF |
Antrieb | Benzin-Hybrid, Allrad |
Hubraum / Zylinder | 3498 ccm / V6 |
Getriebe | 7-Gang-Automatik |
Max. Leistung | 268 kW |
Max. Drehmoment | 546 Nm |
Beschleunigung 0–100 km/h | 5,4 s |
Vmax | 250 km/h |
Verbrauch Werk / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 6,8 l/100 km / 159 g/km / D |
Verbrauch Test / CO2 Emissionen | 8,9 l/100 km / 208 g/km |
Länge / Breite / Höhe | 4,80 m / 1,82 m / 1,45 m |
Leergewicht | 1920 kg |
Kofferraumvolumen | 400 l |
(Bilder: Koray Adigüzel)
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