Der Jaguar F-Pace hat den Briten zu einem enormen Absatzschwung verholfen. Jetzt soll der kleine Bruder E-Pace, quasi der Baby-Jaguar, nachziehen und den Erfolg eine Klasse weiter unten fortsetzen. Soweit die Ausgangslage. Noch ein (Kompakt-)SUV. Wie sich der jüngste Jaguar-Spross von der Masse abheben soll, ist den Briten offensichtlich klar: Design und Sportlichkeit! Diesem Plan stehen jedoch zwei Probleme im Weg. Während sich das eine erstaunlich gut kaschieren lässt, könnte das andere den Plan tatsächlich gefährden.
Dass es die Baby-Raubkatze ernst meint mit der Sportlichkeit, macht sein Design unmissverständlich klar. Kein Geringerer als Oberbrüllmeister F-Type wird optisch zitiert, und zwar gleich mehrfach. Die Schnauze ist dem Sportler wie aus dem Gesicht geschnitten, einfach eine Etage höher und mit kürzerer Haube. Auch der markante Hüftschwung hinten ist vom F-Type inspiriert. Die Schokoladenseite des Autos ist meiner Meinung nach aber das Heck. Insbesondere mit angeschalteten Rücklichtern ist die Kehrseite besonders markant.
Im Interieur stand der F-Type abermals Pate. Als erstes fällt die Trennung der Frontbesatzung mit dem massiven Haltebügel auf. Als zweites fällt auf, dass das Auto enorm massiv wirkt. Breite Türen, breite Mittelkonsole, grosser Griff – da wird es gefühlt trotz 1,90 Meter Aussenbreite schnell eng im Innenraum. Immerhin sorgen die Sportsitze für eine perfekte Integration ins Auto.
Dafür haben die Briten bei den Ablageflächen alle Register gezogen. In den Türen haben selbst 1,5-Liter Flaschen Platz und das zentrale Ablageflach in der Mittelkonsole kann variabel genutzt werden: Man kann das «Cupholder-Baukästchen» kurzerhand ins Handschuhfach verfrachten und dann Platz schaffen, um mal eben einen mittelgrossen Einkauf in der Mittelkonsole verstauen. Weniger grosszügig sind die Platzverhältnisse im hinteren Teil des Autos, denn für langbeinige wird es eng. Auch der Kofferraum wirkt nicht besonders gross. Wie die 557 Liter Volumen gemäss Prospekt zustande kommen, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel.
Spätestens beim Motorstart wird aber klar, dass der E-Pace nur bedingt vom F-Type abstammt. Mit einem brummigen Knurren meldet sich der Diesel zum Dienst. Was das Baby alles grösseren Geschwistern voraus hat, ist die 9-Gang-Automatik. Aufgrund der quer eingebauten Motoren besteht mehr Platz, während die restliche Jaguar-Familie weiterhin auf den 8-Gänger setzt.
Doch vielleicht habe ich dem E-Pace doch etwas Unrecht getan. Bereits bei der ersten Kurve wird klar, dass die Krallen dieses SUVs ziemlich scharf sind! Kein anderes SUV in diesem Segment kann eine derart direkte und messerscharfe Lenkung vorweisen. Zack, zack, mit nur wenig Lenkbewegungen wechselt der E-Pace zackig den Kurs, wirkt äusserst agil, leichtfüssig und wendig.
Das Fahrwerk ist nicht unkomfortabel, aber klar auf der straffen Seite. Trotz der recht hohen Dachlinie unterbindet es weitgehend Seitenneigung. Dass der E-Pace dennoch eine Untersteuertendenz nicht leugnen kann, wenn man ihn um die Kurve schmeisst, hat dieselbe Ursache wie die Tatsache, dass man mit dem verbauten 132 kW Diesel keine Bäume ausreisst.
Es ist nämlich fast schon wieder eine Kunst, wie es Jaguar schafft, 2022 (!) Kilo auf 4,39 Meter Länge zu packen! Da kommen auch 430 Newtonmeter schnell an ihre Grenzen. Das Fahrwerk bemüht sich zwar im Zusammenspiel mit der Lenkung, das Gewicht zu verheimlichen, das funktioniert aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Irgendwann beginnen die zwei Tonnen zu stark nach aussen zu drücken und dann ist der Spass halt vorbei.
Wem ein sportliches Handling genügt, der kann mit dieser Konfiguration gut leben. Wer aber gerne wirklich sportlich fährt, sollte am besten zum Top-Benziner mit 221 kW greifen – und zwar nicht nur wegen der zusätzlichen Power, sondern weil der Benziner beim sportlichen Fahren nochmal eine Schippe drauflegen kann.
Zum einen ist das Aggregat rund 60 Kilo leichter. Das klingt bei zwei Tonnen zwar nicht nach viel, allerdings entlasten diese 60 Kilo genau die Vorderachse, die unter dem Übergewicht am meisten leidet. Zum anderen verfügt das Top-Modell über ein Torque Vectoring an der Hinterachse, was dem Untersteuern ebenfalls effektiv entgegenwirkt. Auch der stärkste Biturbo-Diesel verfügt über das Torque Vectoring, allerdings bleibt das Problem mit der überlasteten Vorderachse.
Nun möchte ich aber nicht die Werbetrommel für das stärkste und teuerste Modell rühren, ohne nicht generell auf die Preise aufmerksam zu machen. Der Testwagen in der sehr umfangreich ausgestatteten First Edition kostet 73’660 Franken, hat aber nur einen mässigen Motor unter der Haube. Der stärkste Benziner ist – nackt, wohlgemerkt – nicht unter 62’200 Franken zu haben und wer ausnahmslos alles im Konfigurator anklickt, muss beim Endpreis von 98’900 Franken starke Nerven haben. Das ist alles sehr weit weg vom Basispreis, der mit 39’500 Franken lockt.
Fast 100 Riesen – für ein Kompakt-SUV. Das ist starker Tobak. Klar ist «einmal alles und das Stärkste» nicht repräsentativ, aber wer einen E-Pace doch einigermassen anständig motorisiert und ausstattet, landet schnell in Preissphären, die man nicht mehr mit der Kompaktklasse assoziiert. Wer das teure Jaguar-Kätzchen dennoch adoptiert, darf sich über eine ausgeprägte Sportlichkeit und ein cooles Design freuen.
Alltag
Grosses Lob verdient der gar nicht so kleine Jaguar für seine grossen und variablen Ablageflächen. Der Kofferraum nutzt seine 557 Liter Volumen zwar etwas unpraktisch, aber da muss man halt in die Höhe stapeln mit dem Gepäck. Mühsam ist im Alltag aber die miese Übersicht nach hinten.
Fahrdynamik
Mit dem kleinen Diesel kommt das fahrdynamische Potenzial leider nicht ganz zur Geltung. Die stärksten Motoren legen beim Handling mit dem aktiven Torque Vectoring nochmal eine Schippe drauf. Das Fahrwerk ist eher straff, die ultra-direkte Lenkung super. Furchtbar ist dafür das massive Übergewicht.
Umwelt
Dafür, dass zwei Tonnen durch die Gegend geschoben werden müssen, ist ein Testverbrauch von 7,0 l/100 km inklusive ein paar sportlichen Ausfahrten okay.
Ausstrahlung
Mit dem E-Pace bringt Jaguar eine frische und coole Alternative ins Segment der Kompakt-SUVs. Dass sich das Design stark am F-Type orientiert, ist sicher keine falsche Idee.
Fazit
+ Cooles Design, sehr knackiges Heck
+ Variable Ablageflächen im Innenraum
+ Bequeme Sportsitze, prima Ergonomie
+ Sehr hochwertige Materialien fürs Kompakt-Segment
+ Extrem direkte Lenkung
+ Straffes Fahrwerk, kaschiert teilweise das Gewicht
+ Unauffälliges Automatik-Getriebe mit neun Gängen
+ Viele Assistenzsysteme inklusive Matrix-Licht erhältlich
+ Akzeptabler Verbrauch
– Irre hohes Gewicht
– Hoher Preis
– Eingeschränkte Platzverhältnisse im Fond
– Sehr schlechte Rundumsicht
Mängel am Testwagen
– Fahrertüre quietscht beim Schliessen. Ursache waren gemäss Importeur unzureichend geschmierte Türscharniere und Türstopper. Wurde durch nachfetten behoben.
Steckbrief
Marke / Modell | Jaguar E-Pace |
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Preis Basismodell / Motorisierung / Testwagen | 39 500 CHF / 49 700 CHF / 73 660 CHF |
Antrieb | Diesel, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1999 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Getriebe | 9-Gang Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 132 kW bei 4000 r/min |
Max. Drehmoment | 430 Nm bei 1750 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 9,3 s |
Vmax | 205 km/h |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 5,6 l/100 km / 147 g/km / D |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 7,0 l/100 km / 184 g/km / +25% |
Länge / Breite / Höhe | 4,40 m / 1,90 m / 1,65 m |
Leergewicht | 2022 kg |
Kofferraumvolumen | 577 - 1234 l |
Bilder: Koray Adigüzel