Kampf der Hirnhälften: Jaguar F-Type V8 S

Obwohl Bescheidenheit eine Tugend ist, lässt man sich dennoch immer wieder vom inneren Schweinehund zu einer Aktion überreden, die 1.) überhaupt nicht notwendig ist, 2.) ungemütliche Konsequenzen nach sich zieht und 3.) im Nachhinein völlig entbehrlich gewesen wäre.
Während einer rasanten Fahrt mit dem F-Type V6 S, als das Kleinhirn völlig adrenalindurchtränkt nur noch einen Gedanken fassen konnte, nämlich das derzeit unter Teenies beliebte yolo! (you only live once; so tief war mein Niveau während der Fahrt gesunken…), da war meine Welt noch in Ordnung. Nach der Fahrt, als der Hormonhaushalt sich wieder stabilisierte, war der Schweinehund natürlich schnell zur Stelle. Komm schon Alter, da muss doch noch ein bisschen mehr gehen, schoss es mir durch den Kopf. Ich ignorierte es, zu befriedigt war ich noch vom letzten Ritt mit der wilden Raubkatze. Doch der Schweinehund ist bekanntlich ein sturer Zeitgenosse…

Just aus diesem Grund (und weil Jaguar Schweiz anscheinend von meinem Schweinehund bestochen worden war), steht nun der Jaguar F-Type V8 S in seiner ganzen Pracht vor mir. Während sich meine Augen erneut des sensationellen Anblicks in der leuchtenden Lackfarbe Firesand (siehe Bilder) erfreuen und die Hormone Adrenalin und Testosteron bereits die Zirkulation starten, beginnen meine beiden Hirnhälften einen erbitterten Streit. Die linke, rationale Hälfte meint, ich sei doch völlig bescheuert, mir denselben Testwagen nochmals zu besorgen. Das bringt nur unnötige Arbeit (einen zusätzlichen Bericht), und immense Kosten (der V8 will nun mal gefüttert werden) mit sich, obwohl ich auf diesen Spass ohne Weiteres verzichten könnte (tatsächlich?).
Zeit für die rechte, emotionale Hälfte, zu intervenieren. Das ist nicht derselbe Testwagen, er hat einen V8 unter der Haube. Und vier Endrohre. Und eine andere Farbe. Und… tja, da der rechten Hälfte langsam die zahlreichen, wie auch stichfesten Argumente ausgingen, bin nun ich an der Reihe, um herauszufinden, welche Hälfte meines unschlüssigen Denkapparates am Ende Recht behält. Here we go!

Bereits beim Start wird unmissverständlich klargestellt, dass hier Achtzylinder Power am Werk ist. Diese ballernde Fanfare kann nämlich nur von einem V8 stammen; ganz allgemein singt der V8 eine Oktave tiefer als der V6. Weniger kreischend und sägend, dafür mehr wummernd und bollernd poltert der stärkste F-Type durch die Gegend. Hin und wieder verschluckt er sich gerne mal, was sich in Fehlzündungen äussert.
Als das rechte Pedal auf Tuchfühlung mit dem Bodenblech ging, hat die Stunde der rechten Hälfte geschlagen. 625 Nm brechen über die Hinterachse ein, in nur 4.3 Sekunden werden Katze und Besatzung von 0 auf 100 km/ katapultiert, Ende des Vorwärtsdranges ist erst bei 300 km/h – gerne auch mit offenem Dach – oder im Knast (es gilt das zuerst erreichte ;-)). Während der Beschleunigungsorgie brüllt das Triebwerk so ordinär, dass auch ein Chevrolet Camaro seinen frei saugenden V8 einpacken kann. Wird die Benzinzufuhr per Gaswegnahme unterbrochen, protestiert der V8 Reaktor mit derart vulgärem Bollern und Fehlzündungen dagegen, dass man befürchtet, die Auspuffanlage segnet gleich das Zeitliche. Währenddessen badet die rechte Hirnhälfte in einem Gemisch aus Dopamin und Serotonin, die linke Hälfte dagegen steht aus Angst vor einem Führerscheinentzug längst auf der imaginären Bremse. Kleinhirn, wie beurteilst du die Situation? yolo, yolo, YOLO! Oh, klarer Fall von Reizüberflutung… Kein Wunder, der irre Sound, der Schlag ins Kreuz bei Vollgas und gleichzeitig der Fokus auf der Strasse, da brennt gerne eine (oder mehrere) Sicherung(en) durch. Der V8 schafft es, mich in puncto Sound erneut zu überraschen. Obwohl bereits der V6 ein äusserst aggressives Crescendo aus seinen beiden Endrohren zaubert, setzt der V8 nochmals einen obendrauf. Was der vierflutigen Abgasanlage entweicht, ist nichts geringeres als ein akustisches Erdbeben. Das nicht die eine oder andere Stichflamme herausgespuckt wird, ist wirklich alles. Zwar büsst das 5 Liter Triebwerk ein bisschen an Drehfreude ein, aber der gewaltige Drehmomentpunch macht das sofort wieder wett. Damit sich die schiere Kraft nicht in Rauch auflöst, verteilt ein aktives, elektronisches Sperrdifferential das Drehmoment auf die beiden hinteren Räder. Trotzdem besitzt der V8 am Kurvenausgang schlicht zu viel Kraft, was zu einem zuckenden Heck führt – der rechten Hirnhälfte gefällt’s, die Linke wiederum berechnet vorsichtshalber schon mal den möglichen Sachschaden im Falle eines Unfalls.
Natürlich hat das V8 Triebwerk während dem Test auch ein kleines bisschen Benzin verfeuert, nämlich im Testschnitt 11.9 l/100 km, um genau zu sein. Bei artgerechtem Einsatz fliessen auch schnell mal über 17 l/100 km. Die Werksangabe beträgt übrigens 11.1 l/100 km. Aber wie sagt man so schön: Von nichts kommt nichts.

Meine beiden Hälften im oberen Stockwerk erwarten nun voller Ungeduld meine Antwort. Doch da ich im Gegensatz zum F-Type eine sehr ausgeglichene Persönlichkeit bin, möchte ich niemanden verletzen oder beleidigen. Daher vermelde ich, dass das Gehirn als Ganzes recht hatte, sowohl die rechte, wie auch die linke Hälfte lagen mit Ihren Argumenten und Vermutungen richtig.
Niemand braucht den 17’000 CHF teureren V8 S (Testwagenpreis: 165’910 CHF), auch der V6 S ist bereits mehr als ausreichend, was die Fahrleistungen und die Soundkulisse betrifft. Dazu kommt, dass der V8 den Tank leert wie ein Kamel, das seit Wochen keine Quelle mehr entdeckt hat. Aber trotzdem: Der V8 gibt Lebensäusserungen vor sich, dass einem Hören und Sehen vergeht. Mit dem brachialen Drehmomentberg fährt er alles umliegende in Grund und Boden und rotzt den Verlierern zum Dank ein paar grummelnde Fehlzündungen hinterher. Es steht also 2:2 und somit unentschieden.
Anscheinend waren alle Beteiligten mit meiner Antwort einverstanden, denn so schnell und zufrieden wie heute, bin ich schon lange nicht mehr eingeschlafen.

Eine Sterne Bewertung findet sich im Bericht vom V6, die sich grundsätzlich auch auf den V8 adaptieren lässt. Dass die Umweltbewertung aufgrund des exzessiven Trinkverhaltens nur 1 Stern verdient, würde sowieso nur die spiessige, linke Hälfte interessieren…

(Bilder: Jaguar)

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