Mittlerweile zaubern viele Premium-Hersteller ein Elektro-SUV aus dem Hut, doch mit dem I-Pace gehört Jaguar definitiv zu den First Movern im Segment. Mit einem mutigen Design, welches die Vorteile des Elektroantriebs nutzt sowie hoher Leistung und Reichweite weckt die stumme Raubkatze Lust auf mehr. In meinem Test hat der I-Pace allerdings mit der Ausdauer zu kämpfen – und der Hersteller spart ausgerechnet an der falschen Stelle.
Klares Elektro-Design
Doch von sparen ist beim Erstkontakt absolut nichts zu sehen. Um mit dem Zeitgeist zu gehen, bieten die Briten – trotz Nachteile punkte Gewicht und Aerodynamik – ihr erster Elektroauto als SUV an. Allerdings ist die Karosserie aerodynamisch optimiert, was vor allem an der für ein SUV geringen Bauhöhe sowie dem flachen Heck gut zu erkennen ist. Die versenkbaren Türgriffe sind ein nettes Design-Gimmick und obendrein genauso praktisch wie konventionelle. Obwohl der Kühlergrill aus technischer Sicht obsolet ist, verzichtet Jaguar nicht auf dieses wichtige Designelement.
Der Testwagen schindet vor allem mit den riesigen 22-Zöllern, dem schimmernden Caesium Blue sowie der weissen Lederausstattung mit Schalensitzen mächtig Eindruck. Der gute Ersteindruck bleibt auch bei genauerer Analyse: Die Verarbeitungsqualität ist auf extrem hohem Niveau, was bei den letzten Jaguar-Modellen nicht immer zu 100% der Fall war. Die Bedienung mit den beiden Touch-Displays will kurz geübt sein, anschliessend findet man sich schnell zurecht. Besonders praktisch ist die Zieleingabe im Navi, da man sein Ziel frei ohne eine Syntax eingeben kann. Ist das Auto via SIM-Karte online, findet das System auch Sehenswürdigkeiten und Restaurants. Top!
Viel Platz, wenig Variabilität
Die Begeisterung haltet sich auch beim Umsteigen in den Fond. Aufgrund der kurz gebauten Schnauze bietet der I-Pace eine Beinfreiheit, welche in diesem Segment seinesgleichen sucht. Da die Sitzposition auf der gut ausgeformten Rückbank mit langer Beinauflage ausserdem recht tief ist, stösst man sich trotz flacher Dachlinie nicht den Kopf. Damit gehört Jaguar zu den wenigen, welche die Vorteile des kompakten Antriebsstrangs für einen geräumigen Innenraum nutzen.
Jedoch bietet das Elektro-SUV kein besonders variables Raumkonzept. Die Rückbank ist nicht verschiebbar und der Kofferraum verfügt nicht über einen doppelten Boden. Immerhin können die beiden Ladekabel (Typ 2 und Haushaltssteckdose) in einem separaten Fach unter der Fronthaube verstaut werden.
Fährt sich ganz normal
Mit einer WLTP-Reichweite von 470 Kilometern sollte man meinen, nicht allzu häufig eine Ladestation aufsuchen zu müssen. Beim Start mit voller Ladung zeigt das digitale Cockpit eine Reichweite von realistischen 390 Kilometern an. Die verbleibende Reichweite wird übrigens auch als Radius in der Karte dargestellt. Ausserdem warnt einen das Navi, wenn das Ziel ausserhalb oder hart an der Grenze des verbleibenden Akkustandes liegt.
So surre ich tiefentspannt los und beginne gleich mit einer längeren Autobahnetappe – noch vor wenigen Jahren pures Gift für Elektroautos. Bei Tempo 130 spürt man aufgrund des allgemein Geräuschpegels auch nicht mehr, dass man in einem Elektroauto sitzt, es fühlt sich alles ganz normal an, wie es eigentlich sein sollte – mit Betonung auf sollte.
Wenig Ausdauer
Leider kann man die WLTP-Reichweite bei anhaltender Autobahnfahrt nahezu halbieren. Die verbleibenden Kilometer purzeln deutlich schneller, als der Tripzähler hochzählt. Wer eine Langstrecke mit dem I-Pace plant, tut gut daran, alle 250 Kilometer eine CCS-Schnell-Ladesäule aufzusuchen – oder das Reisetempo zu minimieren. Ich bin allerdings der Meinung, dass man seinen bevorzugten Fahrstil sowie sein bevorzugtes Tempo nicht anpassen müsste, nur weil man ein Elektroauto fährt. Das Auto sollte dem Fahrer entgegenkommen – und nicht umgekehrt.
Die schwache Langstreckentauglichkeit ist ein grosser Dämpfer, doch das macht der I-Pace mit seiner Fahrdynamik wieder wett. Eine geschwungene Landstrasse oder auch Bergstrassen sind die reinsten Freudenquellen in diesem Auto. Runter mit dem Gaspedal – und zack, das SUV marschiert mit einer Vehemenz los, die einem das Grinsen bis zu den Ohren treibt! Nicht nur das Ansprechverhalten ist phänomenal, im Gegensatz zu den kompakten Elektroautos bleibt der Durchzug auch bei höherem Tempo bärenstark.
Starker Dynamiker
Doch der I-Pace ist nicht nur ein angeberischer Längsdynamiker. Trotz über 2200 Kilo Gewicht lässt sich das SUV auch von sehr schnell gefahrenen Kurven nicht aus der Ruhe bringen. Das adaptive Luftfahrwerk sowie der tiefe Schwerpunkt dank der Batterie helfen zusätzlich, den Brocken agil und willig um Kurven zu drücken. Schön, ist der erste elektrische Jaguar punkto Fahrdynamik ein echter Jaguar: Schnell, direkt, agil, präzise. Selbst das Bremspedal fühlt sich trotz Rekuperation, die sich übrigens zweistufig justieren lässt, normal an und bietet ordentlich Gegendruck. Well done!
Jedoch kostet der Fahrspass brutal Reichweite. Bei einem Mix aus normaler Fahrt, sportlicher Fahrt und längerem Autobahnanteil war der Akku nach nur 230 Kilometern komplett leer. Doch der wahre Hammer kommt an der 22-kW-Ladesäule: Da der I-Pace bislang nur einphasig mit einer maximalen Leistung von 7,6 kW lädt, dauert eine Vollladung selbst an einer 22-kW-Ladesäule oder einer Wallbox zu Hause rund 14 Stunden. Vierzehn! Das ist ohne wenn und aber viel zu lange. Immerhin reagiert Jaguar und bietet das dreiphasige Laden ab dem Modelljahr 2020 optional an. Für alle Frühkunden sind diese langen Ladezeiten trotzdem ein Desaster. Schnell geht es nur an einer 50-kW-Ladestation.
Die Reichweite als Achillesferse
Leider hat sich die Ausdauer des Autos in meinem Test auch bei gemässigter Fahrweise nicht gross verbessert. Mehr als echte 280 Kilometer konnte ich mit dem I-Pace nie fahren. Dies ist jedoch immer eine Frage des Fahrprofils sowie des Fahrstils. In anderen Tests schafft das Auto meistens höhere Reichweiten. Dennoch: Wer häufig auf der Autobahn unterwegs ist, tut sich mit dem I-Pace keinen Gefallen.
Daher vergleiche ich den Jaguar mit einem Gepard: Beide sind enorm schnell, verfügen jedoch nicht über sonderlich viel Ausdauer und brauchen nach einem Sprint eine lange Abklingzeit. Schade, trüben die knappe Realreichweite sowie das lange Laden das Bild. Abgesehen davon ist der I-Pace nämlich nicht nur antriebstechnisch eine Wucht, sondern allgemein ein Auto mit cleverem Package und toller Fahrdynamik. Den Briten ist ein sehr guter erster Wurf gelungen, der allerdings mit 115’000 Franken auch seinen Preis hat. Doch um die Elektromobilität für die breite Masse kümmern sich andere Hersteller.
Alltag
Das leise Dahinrollen, das grosszügige Platzangebot sowie die Luftfederung erweisen sich im Alltag als praktisch und hilfreich. Jedoch nervt beim Rangieren der grosse Wendekreis. Auf längeren Strecken muss man die Reichweite genau im Blick behalten. Das Aufladen dauert abgsesehen von 50-kW-Ladestationen viel zu lange.
Fahrdynamik
Trotz sehr hohem Gewicht fährt der I-Pace sehr agil und stabil. Starkes Beschleunigen, auch aus engen Kurven heraus, bereitet ihm keine Mühe. Ausserdem reagiert das Bremspedal trotz Rekuperierung, wie man es sich von Verbrennern gewohnt ist.
Umwelt
Lokale Abgase produziert der I-Pace logischerweise keine. Mit einem durchschnittlichen Stromverbrauch von über 29 kWh/100 km ist er aber dennoch kein Wunder an Effizienz.
Ausstrahlung
Die grossen Felgen sowie die Schalensitze verhelfen dem I-Pace zu einem imposanten Auftritt. Am gewagten Heck scheiden sich die Geister.
Fazit
+ Dem Elektroantrieb angepasstes Design
+ Exzellente Haptik und Verarbeitungsqualität im Innenraum
+ Sehr schicke Lederausstattung
+ Perfekt und stark stützende Sportsitze, ausgezeichnete Ergonomie
+ Sehr grosszügiges Platzangebot
+ Kräftiger, ansatzlos reagierender Antrieb mit bester Traktion
+ Adaptives Luftfahrwerk wirkt Wankbewegungen entgegen
+ Direkte und kommunikative Lenkung
+ Tiefer Schwerpunkt
+ Matrix-LED-Scheinwerfer mit Laser-Licht
– Hoher Preis
– Grosser Wendekreis
– Lange Ladezeiten
– WLTP-Reichweite wird in der Praxis deutlich verfehlt
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Jaguar I-Pace |
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Preis Basismodell / Testwagen | 82 800 CHF / 115 280 CHF |
Antrieb | Elektrisch, Allradantrieb |
Akkukapazität | 90 kWh |
Max. Leistung | 294 kW |
Max. Drehmoment | 696 Nm |
Beschleunigung 0–100 km/h | 4,8 s |
Vmax | 200 km/h (elektronisch abgeregelt) |
NEFZ-Verbrauch / Energieeffizienz | 24,8 kWh/100 km / A (mit 22"-Rädern) |
Test-Verbrauch / Differenz | 29,0 kWh/100 km / + 17 % |
WLTP-Reichweite | 470 km |
Ø Test-Reichweite | 262 km |
Länge / Breite / Höhe | 4,68 m / 1,90 m / 1,57 m |
Leergewicht | 2272 kg |
Kofferraumvolumen | 505 - 1163 l |
Bilder: Koray Adigüzel
1 thought on “Jaguar I-Pace: Mit den Genen eines Gepards”