Ich erinnere mich noch erstaunlich gut an den XE S, der anno 2015 Jaguar’s Eintritt in die Mittelklasse bedeutete. Manch einer rümpfte die Nase, dass Jaguar auf einmal «so günstig» und «für jedermann» erschwinglich anstatt etwas Besonderes, gehobeneres zu sein. Doch die Zeiten haben sich geändert, die Briten wollen den Absatz steigern. Mich hat der XE damals sehr positiv in der Rolle als Fahrerauto überrascht – doch genau wegen des geänderten Zeitgeistes ruft der XE heute gemischtere Gefühle als damals hervor.
Dass die Briten die elegante Sportlimousine frisch gestylt haben, fällt nur dem geübten Auge auf. Die Schürzen sind insbesondere mit dem optionalen R-Dynamic Paket besonders aggressiv gestylt und die Scheinwerfer strahlen nun mit LED-Technologie auf die Strasse. Neue Lackierungen und Felgen runden die optische Aufwertung ab. Interessant: Obwohl der XE keine Coupé-Attitüden verfolgt, sprich, eher konservativ gezeichnet ist, findet sein Design nicht nur bei mir grossen Anklang. Doch die Briten haben schliesslich schon mehrfach ihr Händchen fürs Design bewiesen.
Zwiespältige Bedienung
Das Interieur zeigt sich deutlicher modernisiert. Die Instrumente wichen einem digitalen Cockpit, der ausfahrbare Drehknopf fürs Getriebe einem anständigen Schaltknauf und die Klimaeinheit einem zweiten, kleinen Touchscreen. Auch das Haupt-Display fürs Infotainmentsystem ist jetzt auf dem neuesten Stand, was aber leider nicht zwangsläufig bedeutet, dass die Bedienung besonders zackig von der Hand geht. Das System reagiert nicht immer in einer angemessenen Zeit. Darüber hinaus neigt die Bedienung mittels zwei Touchscreens dazu, zu sehr vom Verkehrsgeschehen abzulenken, vor allem, da die Klimabedienung sehr weit unten platziert ist.
Abgesehen vom technologischen Fortschritt haben die Briten auch das Design angepasst. Da die Türverkleidungen überarbeitet wurden – unter anderem mit anständigen Bügel-Haltegriffen – wirkt das gesamte Cockpit viel schwungvoller. Zu den hochwertigen Materialien gesellt sich eine penible Verarbeitungsqualität. Das war früher bei Jaguar nicht immer so, hat sich mittlerweile aber stark gebessert. Nach wie vor ist der XE aber alles andere als ein Raumwunder. Der Fond ist im Verhältnis zur Grösse beengend und der Kofferraum mit seinen 465 Litern für die Urlaubsreise zu viert kaum tauglich.
Bye bye, V6
Während Jaguar bis jetzt alles richtig gemacht hat, um die Limousine attraktiver vermarkten zu können, folgt jetzt der grosse Dämpfer. Das ehemalige Topmodell mit bis zu 279 kW starkem und kernigem V6-Kompressor-Benziner ist aufgrund zu hohem CO2-Ausstoss sang- und klanglos aus dem Portfolio geflogen. Für ambitionierte Fahrer muss es jetzt das hauseigene (die tollen Kompressormotoren sind keine komplette Jaguar-Eigenentwicklung) Zweiliter-Turboaggregat mit 221 kW richten. Und der Praxistest zeigt, dass dieser Motor in jeglicher Hinsicht ein Rückschritt ist.
Das fängt logischerweise beim Sound an. Statt des sonoren, fauchigen V6-Klangs kommt ordinäres Gebrummel aus der Auspuffanlage. Im Dynamic-Modus versucht der XE, mittels künstlichem Sound Abhilfe zu schaffen, aber das gelingt der Sportlimousine nicht. Des Weiteren können weder Durchzug, noch Ansprechverhalten, oder Drehfreude mit dem alten V6-Benziner mithalten. Sehr schade!
Eine agile Fahrmaschine
Das ist deshalb so bitter, weil sich der XE als Sportlimousine sieht, die sehr agil, flink und dank des heckbetonten Allradantriebs auch sportlich ums Eck fährt. Es ist eine Freude, spät zu bremsen, das willige Einlenkverhalten zu spüren anschliessend aus der Kurve rausgedrückt zu werden. Im direkten Konkurrenzumfeld fährt sich höchstens ein 3er BMW so agil. Vor allem die ausgesprochen direkte Lenkung und der für Powerslides offene Antrieb sprechen eindeutig für den XE – und zeugen davon, dass das Fahrwerk eigentlich sehr viel mehr könnte, als der Turbobenziner zu liefern vermag.
Die Rechnung geht nicht auf
Schweren Herzens könnte man ein gewisses Verständnis aufbringen, wenn der überarbeitete XE mit dem schwächeren Motor immerhin ein grosses Sparpotenzial bieten würde. Doch dem ist nicht so. Der alte V6 hatte einen Normverbrauch von 8,1 l/100 km, der Neue (welcher nach WLTP gemessen und anschliessend wieder nach NEFZ umgerechnet wurde) kommt auf 7,6 l/100 km. In Wahrheit ist der theoretische Verbrauchsunterschied aber grösser als die 0,5 Liter, da sich die Messmethoden mit dem WLTP-Zyklus verschärft haben.
Doch letztendlich ist es der Praxiswert, der zählt. Und da versagt der neue Motor auf der ganzen Linie: Während der tolle V6 im damaligen Test von mir immerhin noch im Verhältnis akzeptable 9,4 l/100 km schluckte, verfeuerte der angeblich effizientere Motor 10,0 l/100 km im aktuellen Test. Soll das etwa der Fortschritt sein?
Angesichts dieser Situation tröstet die weitreichende Technologie im erneuerten Modell nur wenig darüber hinweg. Klar, Abstandstempomat, aktive Spurführung, aktiver Parkassistent, digitaler Rückspiegel, oder Matrix-LED-Scheinwerfer sind eine tolle Sache und können die Fahrt sehr viel angenehmer gestalten, nur: Das kann die Konkurrenz – mit Ausnahme des fancy Rückspiegels – auch. Mit dem einzigartigen Kompressormotor konnte sich der XE in seinem Segment abheben. Dieser USP entfällt nun.
Neuwagen nur bedingt die richtige Wahl
So bleiben dem XE am Ende nicht viel mehr als Design, Technologie und Markenimage, um erfolgreich um Kunden zu buhlen. Wer ohnehin nicht auf eine starke Motorisierung aus ist: Go, und eine schwächere Variante kaufen! Die Technologie ist auf der Höhe der Zeit, das Design zeitlos schön und das Handling scharf. Wer dagegen Power sucht, ist mit einem Occasions-Modell besser bedient als mit der Neuauflage. Denn ausgerechnet der Motor, das Herzstück eines sportlichen Autos, enttäuscht hier. Zu guter Letzt kommt noch, dass der aktuelle Top-XE mit 79’060 Franken teurer als der damalige XE S mit 75’180 Franken ist. Jaguar rechtfertigt dies mit deutlich umfangreicherer Ausstattung, doch meiner Meinung nach geht die Rechnung mit mehr Verbrauch und höherem Preis bei geringerer Leistung nicht auf.
Alltag
Für den Alltag ist die sportliche Limousine sicher eine gute Wahl, zumal die Dimensionen nicht ausufernd sind. Wer aber häufig vier Erwachsene oder viel Gepäck befördert, wird sich an der schlechten Raumausnutzung stören. Variabilität? Fehlanzeige.
Fahrdynamik
Das Handling ist top: Die Lenkung agiert direkt, bietet eine ausgezeichnete Rückmeldung und das adaptive Fahrwerk sorgt für wenig Seitenneigung. Tatsächlich fährt der XE flotter um Kurven, als man es ihm optisch zutrauen würde. Das Getriebe arbeitet schnell und feinfühlig. Das schwächste Glied in der Kette ist der Motor, der die 1810 Kilo nicht mit der gewünschten Souveränität beschleunigt.
Umwelt
Meines Erachtens ein Desaster: Dass ein kleinerer, modernerer und schwächerer Motor in der Praxis mehr als ein alter und stärkerer verbraucht, darf einfach nicht sein.
Ausstrahlung
Obwohl die Grundform mittlerweile ein paar Jahre alt ist, überzeugt die Limousine nach wie vor mit ihrem ruhigen, aber schnitten Design. Schöne Linien ohne Schnickschnack, das gefällt.
Fazit
+ Zeitloses, sportliches Design
+ Bequeme, haltstarke Sportsitze, tiefe Sitzposition
+ Perfekte Ergonomie
+ Sehr gute Verarbeitungsqualität, hochwertige Materialien
+ Digitalisiertes, individualisierbares Cockpit
+ Schnelles, unauffälliges Getriebe
+ Erstklassiges Handling, sehr willig und reaktiv
+ Heckbetonter Allradantrieb
+ ESP dreistufig deaktivierbar
+ Sehr grosses Angebot an Assistenz-Systemen
+ Digitaler Rückspiegel mit riesigem Blickfeld
– Neuer Turbomotor kann dem V6-Kompressor nicht mal ansatzweise das Wasser reichen
– Höherer Realverbrauch als mit dem Kompressormotor
– Dürftiger Motorsound
– Schlechte Raumausnutzung
– Bedienung teilweise kompliziert oder mit hoher Ablenkungsgefahr
– Hoher Preis
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Jaguar XE |
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Preis Basismodell / Motorisierung / Testwagen | 49 900 CHF / 60 400 CHF / 79 060 CHF |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1997 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Getriebe | 8-Gang Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 221 kW bei 5500 r/min |
Max. Drehmoment | 400 Nm bei 1500 - 4500 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 5,5 s |
Vmax | 250 km/h (elektronisch abgeregelt) |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 7,6 l/100 km / 168 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 10,0 l/100 km / 221 g/km / +37% |
Länge / Breite / Höhe | 4,67 m / 1,85 m / 1,42 m |
Leergewicht | 1810 kg |
Kofferraumvolumen | 455 l |
Bilder: Koray Adigüzel