Man kann der Elektromobilität und Sinn oder Unsinn von gigantischen SUVs gegenüberstehen, wie man will, aber Fakt ist: Der Umstieg auf die Elektromobilität ermöglicht Autos, die ohne diese Transformation niemals entwickelt worden wäre. Oder, mit anderen Worten: Einen EV9 mit Verbrenner hätte Kia niemals gebaut. Doch mit Strom ändern sich die Vorzeichen und die Koreaner stossen mit dem EV9 ins Segment der Full-Size-SUVs (zumindest für europäische Verhältnisse Full-Size) vor. Das riesige SUV trumpft mit tollem Komfort und gigantischem Platzangebot. Trotz üppiger Motorleistung ist Sport jedoch keine Wunschdisziplin des Koreaners.
Ähnlich wie Konzernschwester Hyundai geht auch Kia mit einer beschwingten Art ans Design. Das Design ist ganz anders und lässt sich irgendwie gar nicht richtig Kia zuordnen. Die riesigen, glatten Flächen und das kantigen Design erinnern eher an Range Rover, wobei die Briten schon noch etwas mehr Eleganz ins Design bringen. Die vertikalen Frontscheinwerfer im Pixel-Design erinnern an Cadillac, während die komplett glatte Front unverkennbar darauf hinweist, dass es sich um eine Elektroauto handelt.
Sitzkonzept auf Kundenwunsch
Standardmässig wird der EV9 als 7-Plätzer ausgeliefert. Es gibt aber auch zwei 6-Plätzer Optionen. Option 1 umfasst zwei Einzelsitze in Reihe zwei, die individuell verstellbar sind. Option 2 umfasst sogar drehbare Einzelsitze, sodass zwischen Reihe zwei und Reihe drei eine Art «Viererabteil» entsteht, wie man es vom Zug kennt. Obwohl die Platzverhältnisse gigantisch sind, so können meiner Meinung nach vier grosse Erwachsene nicht bequem im «Viererabteil» reisen, dafür ist es dann doch wieder zu wenig luftig.
Passend zum Anspruch als Topmodell vom EV9 sind Qualität und Verarbeitungsqualität extrem gut. Die Sitze fühlen sich sehr hochwertig an und sehen aus wie Leder, tatsächlich handelt es sich aber um nachhaltige Textilien. So gefällt das! Ebenfalls Gefallen findet man am Infotainmentsystem, welches schnell reagiert, intuitiv zu bedienen ist und über umfassende Online-Dienste verfügt. Das digitale Cockpit verfügt zwar über drei verschiedene Ansichten, diese unterscheiden sich jedoch kaum, auch ist das Layout nicht justierbar. Hier wird seitens Kia Potenzial verschenkt.
Komfort ist Trumpf
Wenig überraschend ist der EV9 maximal auf Komfort eingestellt. Selbst ohne teures Luftfahrwerk gelingt es Kia, den Wagen wie eine Sänfte fahren zu lassen. Ebenfalls kaum Wünsche offen lässt die Geräuschdämmung. Selbst auf der Autobahn bleibt es sehr leise im Auto. Im Zusammenspiel mit der leichtgängigen und wenig Feedback gebenden Lenkung stellt sich sogar das Gefühl ein, einen Amerikaner zu pilotieren. Für europäische Verhältnisse ist der EV9 meiner Meinung fast schon zu schwammig geraten.
Trotz der gewaltigen Ausmasse und der Masse von über 2,7 Tonnen bleibt der EV9 beim Stromverbrauch einigermassen zurückhaltend. Im Test ermittelte ich 24,8 kWh/100 km, was für ein Auto dieses Kalibers in Ordnung geht. Die Südkoreaner haben die Effizienz bei ihren Elektromodelle wirklich durchs Band im Griff. In der Praxis schafft man mit dem SUV rund 400 Kilometer Reichweite, geladen wird dank 800-V-Bordspannung und mit bis zu 210 kW besonders schnell.
Puncto Sportlichkeit hat sich Kia gar nicht erst bemüht, dem Koloss so etwas wie Agilität einzuimpfen. Der Schub ist zwar kräftig, doch jede Kurve und jedes Bremsmanöver lassen einen das Gewicht gnadenlos spüren. Die Lenkung vermittelt wie erwähnt kein verbindliches Gefühl über die Bodenhaftung und die Bremse ist auch ziemlich weich geraten. Somit passt der Eco-Modus viel besser zum Auto als der Sport-Modus.
Viel Auto fürs Geld
Natürlich ist der EV9 kein Preiskracher, für Kia-Verhältnisse sind 86’750 Franken ein ordentlicher Betrag. Doch gemessen an dem, was man bekommt, ist der EV9 immer noch relativ günstig. Der Koreaner ist eines der geräumigsten und praktischsten Elektroautos, die man derzeit kaufen kann – ohne, dass dies zulasten der Effizienz geht. Unter Umstand mühsam kann die Fahrerüberwachung werden, die relativ intolerant ist, wenn man nicht stur gerade aus auf die Strasse blickt – und dann kurzerhand auch noch den beim Motorstart deaktivierten Spurhalteassistenten wieder aktiviert. Diese Bevormundung habe ich auch beim Hyundai Kona beobachtet, sie ist beim EV9 aber weniger schlimm. Wer gerne entspannt und gemütlich von A nach B fährt und keine sportlichen Ambitionen hegt, ist mit dem Kia bestens bedient.
Alltag 
Der Kia EV9 ist das nächstkleinere als ein Lieferwagen. Selbst mit allen 7 Sitzen aufrecht passt ein Grosseinkauf in den Kofferraum, als 5-Plätzer ist der Laderaum gigantisch und als 2-Plätzer kann man mit einer Matratze auch zu zweit im Auto übernachten. Dazu kommen – Elektroauto-typisch, viele Ablagen in der Mittelkonsole sowie zwischen den Vordersitzen. Die Übersicht ist dank der grossen Fenster rundum erstaunlich gut.
Fahrdynamik 
An Kraft und Leistung mangelt es dem EV9 gar nicht, allerdings ist das Handling ziemlich amerikanisch. Das Fahrwerk ist weich und auch im Sport-Modus nicht wirklich besser. Die Lenkung arbeitet sehr leichtgängig und ohne grosses Gefühl für die Vorderachse. Die Bremse ist auch eher auf Rekuperation als auf klaren Druckpunkt bedacht.
Umwelt 
24,8 kWh/100 km Stromverbrauch im Test sind zwar absolut gesehen nicht wenig, doch angesichts der Masse des Autos und der üppigen Leistung angemessen. Die reale Reichweite beläuft sich auf rund 400 Kilometer.
Ausstrahlung 
Kia traut sich definitiv etwas. Das Auto fällt auf und mit dem eckigen Design setzt Kia ein Ausrufezeichen im Vergleich zu all den rund gelutschten, stromlinienförmigen E-SUVs. Wer ein besonderes optisches Statement setzen will, kann das Auto in Matt-Blau wie abgebildet ordern.
Fazit
+ Eigenständiges Design
+ Sensationelle Platzverhältnisse
+ Bequeme Sitze, erstklassige Ergonomie
+ Liegeposition der Sitze für den Ladestopp
+ Schnelles Infotainmentsystem mit Online-Diensten und guter Sprachsteuerung
+ Hochwertige und nachhaltige Materialien, sehr gute Verarbeitungsqualität
+ Üppige Motorleistung, starker Antritt
+ Sehr hoher Fahrkomfort
+ Tiefer Geräuschpegel
+ Hohe Ladeleistung, kurze Ladedauer (DC)
+ Umfangreiche Ausstattung
+ Verhältnismässig akzeptabler Stromverbrauch
+ Fairer Preis
– Manchmal penetrante Assistenzsysteme
– Grosser Wendekreis
– Diffuses Lenkgefühl
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
| Marke / Modell | Kia EV9 |
|---|---|
| Preis Basismodell / Motorisierung / Testwagen | 75 950 CHF / 83 950 CHF / 86 750 CHF |
| Antrieb | Elektrisch, Allradantrieb |
| Akkukapazität | k.A. kWh (brutto) / 99,8 kWh (netto) |
| Max. Leistung | 283 kW |
| Max. Drehmoment | 700 Nm |
| Beschleunigung 0–100 km/h | 5,3 s |
| Vmax | 200 km/h (elektronisch abgeregelt) |
| WLTP-Verbrauch / Energieeffizienz | 22,8 kWh/100 km / B |
| Test-Verbrauch / Differenz | 24,8 kWh/100 km / + 9 % |
| WLTP-Reichweite | 505 km |
| Ø Test-Reichweite | 390 km |
| Max. Ladeleistung (DC) | 210 kW |
| Länge / Breite / Höhe | 5,02 m / 1,98 m / 1,78 m |
| Leergewicht | 2723 kg |
| Kofferraumvolumen | 333 - 2393 l + 52 l Frunk |
