Der Lamborghini Huracán Evo ist weitaus mehr als nur ein schnelles Auto. Er ist in der Lage, einem die ganze Welt aus einer anderen Perspektive zu zeigen und das liegt nicht nur an der Sitzposition, die gefühlt eine Handbreit über der Strasse liegt. Am Steuer des Hurácan nimmt man jede Strecke ganz anders wahr, das Auto nimmt dich ein und spielt mit deinen Sinnen, die kaum begreifen können, was da gerade vor sich geht. Ausserdem versüsst man nicht nur sich selber den Tag, sondern auch fast allen anderen Passanten und Verkehrsteilnehmern!
1. Akt: Das Design
Egal, ob der Supersportler an der Tankstelle, auf dem Supermarkt-Parkplatz oder in der Tiefgarage steht: Er zieht Leute in seinen Bann, als sei er mit Grenouille’s Parfum besprüht. Es wird vor dem Auto posiert und Selfies geschossen. Kaum jemand kann sich seinem Anblick widersetzen. Seine diabolische und unglaublich aggressive Optik scheinen das Böse zu verkörpern und wahrscheinlich ist es genau das, was die Masse so fasziniert.
Gekrönt wird der Anblick in der unüblichen Farbe «Grigio Artis», einem matten Silber. Blaue Bremszangen und ein teilweise in Schwarz gehaltenes Heck mit faustdicken Auspuffrohren auf Kniehöhe runden den fesselnden Anblick ab.
2. Akt: Der Sound
Doch das wahre Meisterwerk präsentiert sich hinter der Glasscheibe. Eine Plakette trägt die italienischen Landesfarben sowie die Zündfolge auf sich: 1 6 5 10 2 7 3 8 4 9 steht auf ihr geschrieben und diese Zahlen sorgen für einen der atemberaubendsten Klänge, die ein Auto erzeugen kann. Wird der Startknopf unter der roten Klappe gedrückt, dann erklingt ein markerschütternder, bestialischer Schrei, der die Wände der Tiefgarage zum Beben bringt! Die Tiefe sowie das Volumen des Klangs sind unvergleichlich und mit einem Turbomotor unmöglich.
3. Akt: Das Cruisen
Obwohl das Design und der Sound an Dramatik und Wildheit nicht zu überbieten sind, fährt sich der Huracán im Strada-Modus erstaunlich zahm. Das Getriebe legt fast schon absurd hohe Gänge ein, was bedeutet, dass man im fünften Gang durch eine 30er-Zone zuckelt und im siebten und letzten Gang durchs Dorf rollt.
Einmal warm gefahren, ist der Sound im Strada-Modus auch nicht mehr so infernalisch laut. Durch die Allradlenkung ist der Supersportler ausserdem erstaunlich handlich. Kaum zu glauben, aber es braucht einen Kickdown, wenn man in diesem fast schon zu entspannten Modus wirklich schnell vom Fleck kommen will. Ansonsten bleiben die Gänge hoch und der Schub angesichts soviel Leistung erstaunlich moderat.
4. Akt: Die Ergonomie
Lamborghini zeichnet seine Autos so flach wie nur möglich. Trotz der extrem tiefen Sitzposition fühlt man sich bei einer Körpergrösse von 1,85 Meter und aufwärts nicht mehr perfekt ins Auto eingebettet, da man durch den obersten Rand der flachen Windschutzscheibe auf die Strasse schaut. Dafür sind die Sitze perfekt geformt und zusätzlich zum Mini-«Kofferraum» in der Front bietet zumindest das Coupé eine Ablagefläche hinter den Sitzen, wo der berühmte Golfbag Platz findet. Doch auch Taschen, Rucksäcke und weiterer Kleinkram lässt sich dort verstauen. Auch nicht selbstverständlich für einen Supersportwagen: Das intuitive Infotainmentsystem mit Online-Navigation, schneller Reaktionszeit und druckvollem Soundsystem.
5. Akt: Die Reaktionen
Einmal mit dem Huracán unterwegs, lassen die Reaktionen der Passanten und anderen Autofahrern nicht lange auf sich warten. Insbesondere wenn man im Sport-Modus mit vollem Klangteppich unterwegs ist und via Schaltwippen ein akustisches Meisterwerk abfeuert, drehen die Teenies am Strassenrand reihenweise durch. Selbst kleine Kinder an den Händen ihrer besorgten Mamis kriegen ihr kleines Maul vor lauter Staunen nicht mehr zu.
Doch das coole ist, dass sich die Begeisterung durch alle Altersklassen durchzieht. Selbst ältere Semester zollen einem mit gerecktem Daumen den Respekt. Auf der Strasse wird man insbesondere auf der Autobahn bestaunt. Leute fahren auf der Überholspur paralell zum Lamborghini, recken den Daumen und oder winken einem zu. So muss es sich wohl anfühlen, wenn man berühmt ist…
6. Akt: Feuer frei!
Doch zum posen ist der Lambo eigentlich viel zu schade, selbst wenn er perfekt dazu geeignet ist. Besser, er wird auf einem Pass wenigstens ansatzweise ausgefahren. Also Sport-Modus und manuelles Getriebe aktivieren, zweiter Gang reinwerfen, Drehzahl bei etwa 4000 Umdrehungen einpendeln lassen, sich mental vorbereiten und dann – was halt geht. Der Huracán springt so blitzschnell nach vorne, dass selbst ein Tesla vor Neid erblassen würde! Was für ein Ansprechverhalten!
Doch das ist nichts im Vergleich zur Drehorgie, die anschliessend folgt. Mit einem Sound, gefüllt von inbrünstigem V10-Zorn, stürmt das Sauger-Triebwerk die Drehzahlleiter empor, wild, entfesselt, ungezähmt. Das Hirn kann mit der Beschleunigen kaum mithalten, gefühlt innert Sekundenbruchteilen rast das Meisterwerk von Motor auf die 9000 Umdrehungen zu, kickt einem ab 7500 noch einmal so heftig in den Hintern, dass jede Achterbahnabfahrt zu einem Spaziergang wird.
Mittels Launch Control im Corsa-Modus prügelt einen der Hurácan innert 2,9 Sekunden auf Tempo 100 – sofern man es mit dem Schalten nicht vermasselt, denn im Corsa-Modus ist Handarbeit gefragt und der Begrenzer kommt schneller, als man auf drei Zählen kann. Wenn es gelingt, beschleunigt der Huracán so heftig, als ob man sich im freien Fall befinden würde – einfach horizontal. Der Rauschzustand ist vorprogrammiert.
7. Akt: Das Lesen der Gedanken
Doch der italienische Supersportler ist nicht nur ein verdammt schnelles Biest, er denkt sogar aktiv mit. LDVI, «Lamborghini Dinamica Veicolo Integrata» nennt sich die zentrale Steuereinheit, die 50 Mal pro Sekunden sämtliche Sensoren des Autos auswertet. So soll das Auto das nächste Manöver des Fahrers quasi «vorausschauen» können. Mühelos wird beispielsweise mittels der Carbon-Keramik-Bremsen der aufgebauten Speed abgebaut, anschliessend wird nach links eingelenkt. Der Huracán ahnt nun, dass man sich demnächst aus dem Scheitelpunkt stürzen wird, leitet mehr Kraft an die Hinterachse und an die kurvenäusseren Räder, damit man wie vom Katapult abgeschossen und mit Grip ohne Ende aus der Kurve donnert!
8. Akt: Im Mittelpunkt des Geschehens
Das einzige Assistenzsystem im Huracán ist das ESP, welches im Sport-Modus die Zügel soweit lockert, dass sanfte Slides möglich sind, jedoch rechtzeitig und feinfühlig regelt, bevor die Situation zu eskalieren droht. Dazu kommt, dass das Auto so dermassen reaktiv und kommunikativ ist. Jeder kleinste Gas- oder Bremsbefehl wird beinahe ruckartig ausgeführt, die Lenkung reagiert messerscharf. Der Lamborghini «schmiegt» sich wie ein Massanzug an den Fahrer, man spürt die Hinterachslenkung, das elektronische Sperrdifferential an der Hinterachse und das Torque Vectoring an der Vorderachse.
Man ist unglaublich schnell unterwegs, nimmt enge Kurven mit einem Tempo, mit dem normale Autos schon längstens abgeflogen wären. Ja, man fühlt sich schnell wie ein Held, doch man sollte nie vergessen, dass der Meister in diesem Duett stets das Auto und nicht der Fahrer ist – es sei denn, man ist Profifahrer. Während man am Steuer voll konzentriert ist, alles gibt und mit dem Auto sowie der Strasse verschmilzt, ist es für den Lamborghini immer noch ein Spaziergang. Der Grenzbereich ist so weit oben, dass man ihn auf der Strasse gar nicht erreichen kann.
9. Akt: Das Resümee
Es ist soviel mehr als nur Auto zu fahren. Es ist ein Fest und Erlebnis für alle Sinne, mit Ausnahme des Geschmackssinnes. Mit dem V10-Triebwerk gehört er zu den Letzten seiner Art, abgesehen vom Konzernbruder Audi R8 gibt es nichts Vergleichbares. Die ärgsten Konkurrenten – Ferrari und McLaren – setzen in diesem Segment alle auf Turbomotoren. Doch der Huracán ist stets wie eine voll angespannte Feder: Jederzeit bereit, alles zu geben und den ambitionierten Fahrer mit seiner ausgefuchsten Elektronik- und Fahrwerkstechnologie wie einen Held dastehen zu lassen.
10. Akt: Der Preis
Der ist leider nicht heiss, sondern treibt einem die Tränen in die Augen. Der Spass beginnt bei 251’000 Franken und wer sich von den genauso verführerischen wie horrend teuren Extras verleiten lässt, endet beim Testwagenpreis von 329’000 Franken. Dafür kriegt man aber ein Meisterwerk von Auto geboten, welches wahrscheinlich als eines der letzten mit dem so ikonischen V10-Sauger ausgerüstet ist. Den Italienern hängt ja allgemein der Ruf nach, es gerne etwas lockerer zu nehmen; bella vita, dolce far niente und so weiter. Doch das ist bei Lamborghini nicht der Fall. Der Huracán Evo ist je nach Fahrmodus und Fahrstil zahm, verspielt, emotional oder fuchsteufelswild, aber immer eines: Ein technisches Meisterwerk und bis ins letzte Detail perfektioniert.
Alltag
Ganz ehrlich, wer sich einen Huracán leisten kann, muss sich nicht mit solchen Problemen befassen. Der Platz ist im Extremsportler logischerweise sehr begrenzt, aber fahrerisch lässt er sich problemlos einsetzen: Er ist nicht zu gross, das Liftsystem kann die Vorderachse anheben und die Allradlenkung steigert die Handlichkeit.
Fahrdynamik
Kaum vorstellbar, dass mehr möglich ist als im Hurácan Evo. Zügellose Kraft trifft auf extremen Grip, der Schub scheint nie aufzuhören. Das Auto reagiert so direkt auf sämtliche Befehle, als könnte es Gedanken lesen. Die Allradlenkung, das elektronische Sperrdifferentail an der Hinterachse und Torque Vectoring an der Vorderachse sorgen für Kurvengeschwindigkeiten, dass einem ganz anders wird.
Umwelt
Es ist ja nicht so, dass sich Lamborghini nicht bemühen würde. Eine Start-Stopp-Automatik sowie Zylinderabschaltung sollen den Durst des V10 zügeln, ausserdem wirft das Getriebe schon innerorts den siebten Gang ein. Doch die Realität ist halt so, wie es bei einem derart potenten Triebwerk kaum anders sein könnte: 14,8 l/100 km als Testverbrauch.
Ausstrahlung
Die Bilder sowie die Reaktionen der anderen sprechen für sich. Mit diesem Auto ist man im Zentrum der Aufmerksamkeit – und man wird es lieben.
Fazit
+ Atemberaubendes, aerodynamisch raffiniertes Design
+ Sehr hohes Mass an Individualisierung
+ Straffe, haltstarke Sitze mit Langstrecken-Komfort
+ Ausgesprochen edles und sorgfältig verarbeitetes Interieur
+ Modernes, schnell reagierendes Infotainmentsystem mit Online-Navigation und Smartphone-Integration
+ Unkomplizierte Handhabung im alltäglichen Gebrauch
+ Extrem drehfreudiger Motor mit unschlagbar direktem Ansprecherhalten
+ Unglaublich voluminöser Sound, der Wände zum Bröseln bringt
+ Extreme Bremsperformance, sehr gute Dosierbarkeit
+ Ultra-direkte Lenkung mit top Rückmeldung
+ LDVI-Sysem antizipiert das kommende Fahrmanöver
+ Allradlenkung für stoische Stabilität
+ Super schnelle Agilität
+ Grip ohne Ende
+ Tiefes Leergewicht
+ Keine piepsenden und reinfunkenden Assistenzsysteme
– Ergonomie ab einer Körpergrösse von 1,85 Meter nicht mehr gewährleistet
– Exorbitanter Vebrauch
– Horrende Aufpreispolitik
– Billige Schalter auf dem Lenkrad
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Lamborghini Huracán Evo |
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Preis Basismodell / Testwagen | 251 000 CHF / 329 000 CHF |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 5204 ccm / V10 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Mittelmotor / Saugmotor |
Getriebe | 7-Gang Doppelkupplungsgetriebe |
Max. Leistung | 471 kW bei 8000 r/min |
Max. Drehmoment | 600 Nm bei 6500 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 2,9 s |
Vmax | 325 km/h |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 13,7 l/100 km / 332 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 14,8 l/100 km / 359 g/km / +8% |
Länge / Breite / Höhe | 4,52 m / 1,93 m / 1,16 m |
Leergewicht | 1422 kg (trocken) |
Kofferraumvolumen | 100 l |
Bilder: Koray Adigüzel
Location: Portier Yachts
Sorry, aber wir hatten gerade am Weekend das “Vergnügen” zu erleben, wie ein Züricher mit diesem Boliden ganze Bergtäler akustisch terrorisierte … mit infernalischem Auspuff, artifiziellem “Spratzeln” beim Vom-Gas-Gehen, artifiziellen Zwischengas-Explosionen und einem Geräuschpegel, der von Rimsel bis zum Furka ganze Quadratkilometer aggressiv beschallte … und der ganz gewiss Hunderten von anderen Genuss-Panorama-Automobilisten den Ausflug versaute. Einfach nur egoistisch, pubertär und peinlich – ja auf der Rennstrecke, nein im Alltag. Hugh!! (nix für ungut …;-)
Ich gebe dir Recht, dass ständiges Hin- und Herfahren schnell nervig werden kann. Aber wer von A (via B und C) nach D fährt und nur einmal an ein und demselben Ort vorfährt, dürfte wahrscheinlich mehr positive als negative Aufmerksamkeit bekommen. Alles eine Frage vom Mass und gesundem Menschenverstand! 🙂