Bauchgefühl, Intuition, sechster Sinn: Wie auch immer man es nennen mag, diese Vorahnung, dass irgendwo irgendetwas nicht stimmen kann, bei mir ist sie beim Mercedes CLA Shooting Brake definitiv vorhanden. Es ist wie mit einer bildhübschen, sexy Frau. Bestimmt ist sie bereits in festen Händen und wenn Sie das nicht ist, dann angelt sie sich einen Macho nach dem anderen. Auf jeden Fall wäre ich nicht ihre Kragenweite. Auch der CLA Shooting Brake scheint über den Normalsterblichen positioniert zu sein, gehört eher auf den automobilen Laufsteg als auf die schmutzige Strasse. Doch was verbirgt sich hinter der schimmerden Fassade? Und was hat es mit meiner Vorahnung auf sich?
Vorne ein Diamantgrill, auf der Seite eine fast schon verboten sexy abfallende Dach- und Fensterlinie, hinten kess ausgestreckte Rundungen verziert von Rücklichtern, die wie ein rotes Arschgeweih zu glimmen scheinen. Ist das noch ein Auto oder ist das schon ein Kunstwerk? Edel und unheimlich teuer sieht der Shooting Brake aus.
Das Auto strömt bereits im Stand eine gewaltige Dynamik aus, wirkt sprungbereit und hellwach. Die Fensterlinie, aber auch das Wechselspiel von Licht und Schatten auf der Seite sorgt dafür, dass man das Auto von vorne nach hinten anschaut, es scheint, als ob die Designer die Blickrichtung vorgeben wollten. Oft sieht ein Auto nur aus gewissen Perspektiven besonders gut aus, aber beim CLA Shooting Brake kann man es drehen und wenden wie man will: Dieses Auto ist optisch einfach perfekt. Und Perfektion, so faszinierend und anziehend sie auch wirken mag, wird meist von Skepsis begleitet, weil: Irgendwo muss doch hier der Haken liegen. Aber wo…?
Ich nehme auf dem Fahrersitz platz und meine Vorahnung scheint sich zu bestätigen. Der CLA Shooting Brake mag von aussen die Köpfe verdrehen, scheint sich in der Luxusklasse zu bewegen. Kaum jemand realisiert, dass dieses Auto eigentlich nichts weiter als eine aufgemöbelte A-Klasse, ein Kompaktwagen, ist. Aber das Interieur verrät den Shooting Brake. Bis auf das Lenkrad ist es absolut identisch mit der normalen A-Klasse und die ist vor allem für eines bekannt, nämlich ihre Enge. Und so fühle ich mich auch im Shooting Brake zwischen Sitz, Lenkrad und Mittelkonsole ziemlich eingepfercht.
Der Fond ist im Vergleich zur A-Klasse zwar deutlich luftiger, aber für einen Kombi dieser Grösse ist die Beinfreiheit dennoch eher knapp. Schönes, doppelt vernähtes Leder und galvanisierte Lüftungsdüsen im Design eines Triebwerks und sportliche Integralsitze stehen in einem Widerspruch mit einem knarzenden Display, zu vielen zu kleinen Knöpfen auf der Mittelkonsole sowie einem Mitteltunnel, der von hartem Kunststoff ummantelt ist. Die hohe Ladekante und die unpraktisch schmale Luke des Kofferraums unterstreichen nochmals, wo die Prioritäten dieses Designerstücks liegen.
Der Stand der Gefühle bis jetzt? Nach wie vor knie ich vor diesem Auto nieder. Aber es ist für mich nicht mehr ein Auto, das über alles anderem positioniert scheint. Beim betrachten des Interieurs ist mir klar geworden, dass auch der CLA Shooting Brake ein Auto mit kleinen Schwächen ist. Es scheint nicht mehr so unberührbar perfekt. Aber das ist alles bloss Kleinkram. So schnittig, wie er aussieht, fährt er sich bestimmt auch. Alleine die Erwartung treibt meinen Puls bereits wieder in die Höhe.
Ach, Mercedes. So langsam, aber sicher beginnt die schillernde Fassade des Shooting Brakes zu bröckeln. Eigentlich wäre ich ja am liebsten eingestiegen und sofort losgebraust. Aber irgendwie will das Auto gar nicht abfah… ah, jetzt plötzlich! Das Doppelkupplungsgetriebe kann doch noch einkuppeln. Ich reisse Witze, aber lustig ist das eigentlich nicht. Schon bei der A-Klasse vor über zwei Jahren diagnostizierte ich eine besonders ausgeprägte Anfahrschwäche. Zwei Jahre später das Getriebe unverändert im Shooting Brake einzubauen, grenzt schon fast an Arroganz seitens Mercedes. Es ist nämlich nicht nur die Anfahrschwäche, die Schaltvorgänge sind auch nicht so unauffällig wie beim DSG von VW.
Besonders übel ist der Kickdown beim Überholen. Bis sich das Getriebe da für den passenden Gang entschieden hat und der CLA endlich losmarschiert, wird die Lücke zum Überholen gefährlich kurz. Wer schnell unterwegs sein will, greift lieber zu den Paddels. Auch das macht das Getriebe nicht perfekt, da es manchmal leicht verzögert schaltet, aber es entschärft die Situation trotzdem. Zum Glück weckt der schicke Benz auch wieder meine Begeisterung. Die Lenkung ist nämlich sensationell abgestimmt, nicht zu weich, dafür präzise und direkt. In Verbindung mit dem Sportfahrwerk ergibt das ein scharfes Handling, Kurvenräubern wird zum diebischen Vergnügen. Sportliches Fahren – zumindest im manuellen Modus – geht sehr gut, da scheint der Edelkombi in seinem Element zu sein. Bei der sportlichen Ausfahrt empfiehlt es sich jedoch, die Musiklautstärke aufzudrehen. Der Motorsound ist nämlich alles andere als schmeichelhaft und klingt bei hohen Drehzahlen eher nach Staubsauger als nach Sportwagen. Ganz und gar nicht sexy.
Werfen wir einen Blick auf die Technik, bei der Mercedes erfahrungsgemäss stets sehr fortschrittlich ist. Der Testwagen war mit allem Möglichem bestückt, Abstandstempomat und Tot-Winkel-Warner funktionieren bei Mercedes vorbildlich. Der Notbremsassistent hat ein paar wenige Male übereifrig Alarm geschlagen, immerhin piepst er nicht allzu penetrant. Einen Spurhalteassistenten hat der Shooting Brake nicht, LED-Licht ebenfalls nicht, allerdings leistet auch das Xenon-Licht sehr gute Dienste. Apropos Dienst: Für seinen Service verlangte der CLA Shooting Brake 8,5 l/100 km, wobei er auch stark gefordert wurde.
Der Mercedes CLA Shooting Brake. Was für eine Erscheinung. Streng genommen hat er keine Konkurrenz. Einen derart schmucken Kombi hat in dieser Klasse keiner zu bieten. Sein Design ist seine Geheimwaffe. Auch mich hat er umgehauen, aber er hat seine Schwächen, sogar ziemlich grobe, wenn ich ans Getriebe denke. Das hat mir die Augen geöffnet. Der Shooting Brake ist ein ziemlicher Blender, gibt optisch mehr her, als er tatsächlich bietet. Einzige Ausnahme ist der Preis. Er sieht verdammt teuer aus und er ist es auch. Mit 81’436 Franken setzt Mercedes nicht nur beim Design, sondern auch beim Preis ein Ausrufezeichen. Eine ganze Stange Geld, die er nicht Wert ist. «Das Beste oder nichts» verspricht Mercedes. Das Beste ist er definitiv nicht. Ist er also nichts? Nein, der CLA Shooting Brake ist eine fahrende Verführung allererster Güte. Und was passiert, wenn man dieser Verführung hilflos verfällt, steht hier von meinem Kollegen André Sprüngli geschrieben.
Alltag
Trotz des sexy Designs sind die Abstriche im Alltag gut vertretbar. Mit einer engen Ladeluke kann man leben, die Beinfreiheit im Fond ist da eher kritisch. Zwei grosse Personen haben hintereinander nur schlecht Platz, ansonsten reicht es. Der Kofferraum genügt für den Alltag ebenfalls, für die Ferienreise wird’s dann allerdings knapp.
Fahrdynamik
Der Motorsound ist eine Katastrophe, diese Tatsache ändert aber nichts daran, dass der Motor kräftig ist und bereits unten heraus gut durchzieht. Die Lenkung ist sensationell, das Fahrwerk in Kurven steif, die Bremsen gut dosierbar. Soweit alles gut bis sehr gut, aber das Getriebe vermurkst es. Ein leichter Ruck geht beim Schalten durchs Auto, im Automatikmodus schaltet es zu träge, im manuellen Modus etwas verzögert.
Umwelt
Der Testverbrauch von 8,5 l/100 km wirft kein gutes Licht auf den Shooting Brake. Doch zu seiner Verteidigung muss gesagt werden, dass er im Test hart rangenommen wurde. Wer anständig fährt, sollte unter 7,5 Liter bleiben, was ein akzeptabler Wert ist.
Ausstrahlung
Was soll ich dazu noch sagen? Eine formvollendete Schönheit. Punkt.
Fazit
+ Unglaublich anziehendes Design
+ Sehr hochwertiger Innenraum mit exzellenter Verarbeitung
+ Viele Assistenzsysteme erhältlich
+ Effektive Geräuschdämmung
+ Präzise, direkte Lenkung mit guter Rückmeldung
+ Sehr bequeme Sitze mit gutem Seitenhalt
+ Gut dosierbare Bremse
+ Komfortables Sportfahrwerk, kaum Seitenneigung in Kurven
– Hoher Preis
– Unausgereiftes Getriebe
– Übler Motorsound
– Enge Platzverhältnisse vorne
– Knappe Beinfreiheit im Fond
– Instrumente bei Tag schlecht ablesbar, da nicht beleuchtet
– Viele Knöpfe in der Mittelkonsole, Hartplastik am Mitteltunnel
Marke / Modell Mercedes-Benz CLA Shooting Brake Preis Basismodell / Testwagen 41'200 CHF / 81'436 CHF Antrieb Benzin, Allradantrieb Hubraum / Zylinder 1991 ccm / R4 Motoranordnung / Motorkonzept Frontmotor / Turbomotor Getriebe 7-Gang Doppelkupplungsgetriebe Max. Leistung 155 kW bei 5500 r/min Max. Drehmoment 350 Nm bei 1200 - 4000 r/min Beschleunigung 0–100 km/h 6,7 s Vmax 240 km/h NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz 6,8 l/100 km / 156 g/km / F Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz 8,5 l/100 km / 195 g/km / +25% Länge / Breite / Höhe 4,63 m / 1,78 m / 1,43 m Leergewicht 1555 kg Kofferraumvolumen 495 - 1354 l
(Bilder: Koray Adigüzel & André Sprüngli)
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