Alte Tugenden: Mercedes EQC

Die E-Mobilität kommt bei Mercedes nicht aus heiterem Himmel, schon länger experimentierte man in Stuttgart mit Strom. Der Smart Fortwo Electric Drive war noch ganz akzeptabel, die B-Klasse Electric Drive war hingegen in meinen Augen ein Fiasko und des Sterns nicht würdig. So ein Urteil könnte sich der EQC heutzutage nicht mehr erlauben, falls Mercedes den Anschluss nicht verlieren will. Und siehe da: Die Hausaufgaben wurden gemacht, der EQC ist ein hervorragendes Elektro-SUV geworden. Wer aber auf revolutionäre Ansätze hofft, wird enttäuscht werden.

Zumindest beim Design beweist Mercedes etwas Mut und hat einen gesunden Mittelweg gefunden. Man möchte die rein elektrischen Autos optisch vom konventionellen Portfolio abgrenzen, ohne gleich ein seltsames Design zu tragen. Deshalb verfügt der EQC über eine zum Teil in Hochglanz-Schwarz gehaltene Schnauze. Auch das Licht-Design unterscheidet sich: Sowohl hinten, als auch vorne (!) leuchtet das LED-Band durchgängig, an der Front allerdings nur in Verbindung mit dem Abblendlicht. Ganz neue Wege möchte man dann aber doch nicht gehen, was sich am noch vorhandenen Kühlergrill zeigt.

2019 Mercedes EQC
Die Front ist sehr markant und unterscheidet sich von anderen Mercedes-Modellen.

Konventioneller Innenraum

Überhaupt keine Experimente hat man im Innenraum und im Cockpit gewagt. Das Innenleben schaut aus wie in jedem anderen Mercedes auch, angefangen von der Bedienung bis hin zum Raumkonzept. Da die Motorhaube recht lang ist, kann der EQC nicht mit einem besonders geräumigen Raumkonzept punkten. Hinten sitzt man ganz okay, aber nicht sehr luftig. Der Kofferraum scheint auf den ersten Blick gross, allerdings liegt der Boden recht hoch. Immerhin kann man Ladekabel im Unterboden verstauen.

2019 Mercedes EQC
Das Cockpit dagegen ist sehr vertraut.

Aber Bewährtes muss nicht zwingend schlecht sein, im Gegenteil. Die Bedienung und das gesamte MBUX-System, das sich wie ein Tablet und mit einer grandiosen Sprachsteuerung bedienen lässt, ist spitzenklasse. Der Personalisierungsgrad ist gigantisch – wie beim persönlichen Smartphone. Die Verarbeitungsqualität und die verwendeten Materialien sind qualitativ ganz weit oben, so, wie man es sich vom Stern gewohnt ist. Ungewohnt und dem EQC vorbehalten sind die kupferfarbenen Elemente, welche die Verbindung zum Elektroantrieb herstellen.

2019 Mercedes EQC
Das rundliche Heck ziert ein durchgehendes LED-Leuchtband.

Fliegender Teppich

Geräuschlos setzt sich das Elektro-SUV in Bewegung, nur beim Rückwärtsfahren piepst es, ähnlich wie bei einem LKW, aber deutlich dezenter. In Verbindung mit der sehr starken Geräuschdämmung fährt das Elektro-SUV ausgesprochen leise. Im standardmässigen Comfort-Modus ist nicht nur das Luftfahrwerk geschmeidig eingestellt, auch der Antrieb ist dezent und reagiert nicht so bissig, was im Alltag angenehm ist.

2019 Mercedes EQC
Ein Powermeter im Cockpit zeigt an, wie die Energie fliesst.

Leider hat das SUV im Test bei der Reichweite enttäuscht. Bereits die WLTP-Reichweite von 360 Kilometern ist für ein Auto dieser Grösse nicht herausragend. Mit einem relativ hohen Autobahnanteil bin ich unter dem Strich im Schnitt nur 290 Kilometer weit gekommen, allerdings auf Winterreifen.

2019 Mercedes EQC
Die kupferfarbenen Elemente deuten auf den Elektroantrieb hin.

Spielende Rekuperation

Die Rekuperation des EQC lässt sich via Schaltpaddels in vier Stufen einstellen. Im standardmässigen Modus verzögert das SUV etwa so, wie man es von einem Verbrenner gewohnt ist. Nebst dem Segel-Modus stehen zwei Rekuperationsstufen zur Verfügung, wobei die Zweite so stark verzögert, dass das Bremspedal kaum noch benötigt wird! Allerdings ist das Spiel mit den Paddels nicht zwingend notwendig, denn wer sanft anfängt zu bremsen, sieht im Display, dass auch über das Bremspedal zuerst rekuperiert wird. Nur wenn abrupt und stark gebremst wird, kommen direkt die Scheibenbremsen zum Einsatz.

2019 Mercedes EQC
Die Felgen sind aerodynamisch optimiert, es gibt aber auch grössere und sportlichere.

Die wilde Seite

Eine grosse Überraschung offenbart der Sport-Modus. Während nämlich das Fahrverhalten in Comfort vollumfänglich das widerspiegelt, was man von einem Mercedes erwartet, wird es im Sport-Modus unerwartet grob. Nur ein sanfter Tipp aufs Fahrpedal und das Auto spickt regelrecht davon! Gewaltige 765 Nm werden dank des elektrischen Allradantriebs blitzartig in Vortrieb umgesetzt und gerade beim Kickdown kommt sogar ein leicht flaues Gefühl im Magen auf. Ob da vielleicht der eine oder andere AMG-Ingenieur mitgewirkt hat?

2019 Mercedes EQC
Das Auto kann auch via Smartphone mittels NFC entriegelt werden.

Wieder eher typisch Mercedes sind dafür Fahrwerk und Lenkung. Beides wird im Sport-Modus nicht so bissig wie der Antrieb. Zwar kann das über 2,5 Tonnen schwere SUV dank des tiefen Schwerpunktes erstaunlich schnell um langgezogene Kurven wahren, aber es fehlt an Verbindung und Rückmeldung zwischen Fahrer und Auto. Richtig sportlich fühlt sich das Kurvenräubern darum nicht an, aber das ist auch nicht die Idee eines solchen Kolosses.

2019 Mercedes EQC
Vom Konzept her ist der EQC weitgehend wie ein Verbrenner aufgebaut.

Let’s talk about Money

Meistens kann man einen Mercedes so lange loben, bis der Preis ins Feld geführt wird. Doch ausgerechnet beim vollelektrischen EQC bleibt die böse Überraschung aus. Zwar ist der Einstiegspreis mit 84’900 Franken recht hoch, doch hoch ist auch die Leistung von 300 kW. Zum Vergleich: Ein grössenmässig vergleichbarer GLC 43 AMG mit 287 kW kostet ab 88’400 Franken. Auch der Testwagenpreis schlägt mit 105’019 Franken nicht so derb über die Stränge, wie man es vielleicht befürchtet. Klar, teuer ist der EQC, aber es überrascht mich vor allem der Umstand, dass er preislich nicht teurer als ein konventionell angetriebener SUV wäre. Noch ein kurzer Blick zu Audi: Der 14 Zentimeter grössere und gleich starke e-tron kostete als Testwagen mit rund 127’000 Franken deutlich mehr.

2019 Mercedes EQC
Im Fond ist der Platz nicht überragend.

Mercedes versucht folglich, trotz des Elektroantriebs alles wie bis anhin zu machen: Design, Innenraum, Technik, Assistenz und sogar Preisstrategie. Das ist ein Ansatz, der aufgehen kann, da ich mir durchaus vorstellen kann, dass die meisten Mercedes-Kunden eher froh sind, wenn man ihnen eine vertraute Umgebung schafft. Mercedes hat zwar eine Weile benötigt, dafür kann sich das Ergebnis jetzt sehen lassen!

2019 Mercedes EQC
Aus technischer Sicht ist die knappe Reichweite der einzige Wermutstropfen.

Alltag 4 out of 5 stars

Für seine Grösse bietet der EQC durchschnittliche Platzverhältnisse. Der Boden des Kofferraums und auch die Ladekante liegen zwar recht hoch, dafür können Ladekabel und sonstiges Zubehör im Unterboden verstaut werden.

Fahrdynamik 4 out of 5 stars

Der Punch des Antriebs und auch das Ansprechverhalten sind grandios, gleichzeitig bleibt die Lenkung absolut ruhig. Das enorme Gewicht wird durch den tiefen Schwerpunkt kaschiert, trotzdem ist das Luftfahrwerk auch im Sport-Modus nie ganz auf Sport aus, sondern wahrt seine Contenance. Nichtsdestotrotz bringt man den EQC erstaunlich schnell ums Eck.

Umwelt 4 out of 5 stars

Dass die Sauberkeit von Elektroautos stark von der Stromquelle abhängt, ist hinlänglich bekannt. Was der EQC aber im Test nicht zeigen konnte, war Sparsamkeit: Mit 27,3 kWh/100 km liegt er deutlich über der Werksangabe, was in der Realität mit Winterreifen und recht hohem Autobahnanteil in einer Reichweite von weniger als 300 Kilometern resultierte.

Ausstrahlung 4.5 out of 5 stars

Deutlich schnittiger wirkt das SUV mit der AMG-Line, ohne wirkt das Design leicht bieder. Doch besonders das Zusammenspiel vom speziellen «Diamantweiss» und den Akzenten in Hochglanz-Schwarz wirken sportlich-edel.

Fazit 4.5 out of 5 stars

+ Abgrenzendes und doch schickes Design
+ Spitzenmässige Verarbeitungsqualität, top Ergonomie
+ Sehr bequeme, straff gepolsterte und vielfach verstellbare Sitze
+ Klasse Infotainmentsystem mit super Sprachsteuerung, top Display und einfacher Bedienbarkeit
+ Extrem tiefe Fahrgeräusche
+ Formidabler Fahrkomfort
+ Immenser «instant Punch», ultra direktes Ansprechverhalten
+ Rekuperierung mittels Schaltpaddels in vier Stufen verstellbar
+ Präzise Lenkung mit viel Feedback
+ Perfektes Matrix-LED-Licht mit vorbildlicher Ausleuchtung
+ Fortschrittliche Assistenzsysteme, alle ohne Fehler im Test

– Für das Fahrzeugsegment knappe Reichweite
– Ziemlich hoher Stromverbrauch
– Keine Vorteile des Elektroantriebs puncto Raumkonzept
– Sehr hohes Leergewicht

Mängel am Testwagen

– Keine Mängel

Steckbrief

Marke / ModellMercedes EQC
Preis Basismodell / Teswagen 84 900 CHF / 105 019 CHF
AntriebElektrisch, Allradantrieb
Akkukapazität80 kWh
Max. Leistung300 kW
Max. Drehmoment765 Nm
Beschleu­nigung 0–100 km/h5,1 s
Vmax180 km/h (elektronisch abgeregelt)
WLTP-Verbrauch / Energieeffizienz21,4 kWh /100 km / A
Test-Verbrauch / Differenz27,3 kWh/100 km / + 28%
WLTP-Reichweite360 km
Ø Test-Reichweite290 km
Länge / Breite / Höhe4,76 m / 1,88 m / 1,62 m
Leergewicht2555 kg
Kofferraumvolumen500 - 1460 l

Bilder: Koray Adigüzel

3 thoughts on “Alte Tugenden: Mercedes EQC”

  1. Super geschrieben Koray
    Wir waren damit an der bis jetzt längsten Probefahrt mit rund 8444 km während knapp 3 Wochen an der eNordkapp-Challenge.org #eNC2020 dabei und ich konnte sogar einen eingefleischten Tesla Fahrer davon überzeugen, dass dies ein echt tolles Fahrzeug wurde.
    Die Ladekurve ist einfach für Langstrecke ideal:
    1% SOC startet mit 60 kW DC LADUNG
    11% SOC lässt er bereits 106 kW DC rein und dann bei
    97% SOC haut er immer noch mit 33 kW DC in den Akku!
    Was will ich mehr?

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