Sagt hallo zum kleinen Bruder des Mercedes EQS. Der Mercedes EQE orientiert sich sehr stark am Elektro-Flaggschiff und muss punkto Luxus und Ausstattung auch kaum Abstriche hinnehmen. Im Prinzip ist alles am Auto etwas kleiner, wobei kleiner relativ betrachtet werden muss, denn der Mercedes EQE ist immer noch ein sehr grosses Auto. Dass AMG ein zufriedenstellendes, sportliches Auto bauen kann, daran hat wohl niemand gezweifelt. Insofern ist der Mercedes EQE auch ein faszinierendes Auto, doch es gibt das eine oder andere Fragezeichen. Und dann ist noch die Sache mit dem Verbrauch…
Auch der Mercedes EQE trägt die EQ-Designsprache mit schwungvollen Linien, einer stark abfallenden Dachlinie sowie schwarz hervorgehobenem «Kühlergrill», der aber nur als Designelement fungiert. Der Grill selber trägt silberne, vertikale Streben, um das Auto als AMG-Modell zu kennzeichnen. Ebenfalls AMG-typisch sind die 21-Zöller sowie die Abrisskante am Heck. Im Gegensatz zum EQS verfügt der EQE nur über eine kleine Heckklappe, was das Beladen von sperrigen Gegenständen stark erschwert.
Moderner Luxus
Das Cockpit wird vom beeindruckenden Hyperscreen dominiert, der drei Displays hinter einem schwarzen Panel vereint. Das Infotainmentsystem läuft sehr flüssig, ist einfach bedienbar und punktet mit einer der besten Sprachsteuerungen. Auch Brillianz, Helligkeit und die Darstellung des HUDs sind derzeit top. Der Bildschirm vor dem Beifahrer ist aber nicht mehr als eine Spielerei und native Video-Apps wie YouTube, Netflix usw., um sich während der Ladepause die Zeit zu vertreiben, sucht man im Mercedes-System nach wie vor vergebens. Der Rest des Cockpits ist in einem lederähnlichen (aber nachhaltigen Material), echtem Leder und Aluminium gekleidet. Haptisch und qualitativ bis ins letzte Detail überzeugend und sehr schön anzusehen.
Was die Platzverhältnisse angeht, so ist der EQE vor allem im Verhältnis zur stattlichen Grösse kein Raumwunder. Bereits vorne sitzt man durch die wuchtige Mittelkonsole und dem hohen Armaturenbrett sportlich eng, hinten ist es dann ziemlich dunkel. Das stark abfallende Dach fordert seinen Tribut was die Kopffreiheit betrifft und die Beinfreiheit ist zwar okay, aber auch nicht überragend. Wieso Mercedes beim EQE im Gegensatz zum EQS auf eine kleine Heckklappe setzt, ist mir schleierhaft. Sie bringt nur Nachteile, was Beladung und Platz angeht.
Kein Blösse beim Komfort
Obwohl AMG draufsteht, ist der 43er EQE beim Fahrkomfort ganz der Mercedes. Mit dem optionalen Luftfahrwerk gleitet der Wagen satt und sanft über die Strasse, wobei das leichte Poltern über Unebenheiten mit den 21-Zöllern sich nicht ganz vermeiden lässt. Mit kleineren Felgen wäre man besser bedient, allerdings braucht es die 21-Zoll-Felgen für die Keramikbremse. Es ist also eine Frage der Priorisierung.
Auch bei den Assistenzsystemen steht der EQE standesgemäss sehr gut da. Semi-autonomes Fahren auf der Autobahn, komplett autonomes (remote) parkieren, Fahrerüberwachung mittels Infrarot-Kamera, hochauflösendes Digital Light, welches sogar Symbole auf den Boden projiziert oder Fussgänger im Dunkeln anblinkt – alles zuverlässige Systeme, welches die Sicherheit oder den Komfort erhöhen. Es ist schön zu sehen, dass man für das teure Geld bei Mercedes wirklich top Systeme und astreine Qualität bekommt.
Die Wunder der Fahrwerkstechnik
Wie fast alle Elektroautos leidet auch der Mercedes EQE 43 unter Übergewicht, wobei die 2640 Kilo leer bei Mercedes schon eine Ansage sind. Das immense Gewicht ist auch der Hauptgrund, weshalb die 858 Nm auf dem Datenblatt in der Realität gar nicht so brutal wirken, wie man es sich vorstellt. Zwar ist der kleine AMG vor allem unterhalb von 80 km/h wirklich schnell, aber eben, das Gewicht ist ein ständig spürbarer Begleiter. Oberhalb von Tempo 100 schwinden die Kräfte dann langsam und ein vergleichbar starker Benziner würde dem EQE locker davonziehen. Apropos Verbrenner: AMG hat zwei unterschiedliche Innenraum-Sounds komponiert für die Modi Sport und Sport+. Es ist traurig.
Eher fröhlich stimmt einen das Kurventalent des Autos. Mit Hinterachslenkung, gestrafftem Fahrwerk und Keramikbremse ausgerüstet schafft es der AMG, die offensichtlich geschickt platzierten Kilos gut zu kaschieren. Der Grip ist hoch, die Präzision löblich und die Agilität – obwohl sie etwas gekünstelt wirkt – ist beeindruckend. Mit ESP auf Sport wird das Auto sogar ganz schön hecklastig, was den Fahrspass ungemein erhöht. Die Keramikbremse stoppt den Wagen brutal zusammen und schafft das nötige Vertrauen, um sportlich unterwegs zu sein. Doch leider hat Mercedes Probleme damit, den Übergang zwischen Rekuperation und mechanischer Bremse unspürbar zu gestalten, was sich dadurch äussert, dass das Pedal erst weich ist und dann plötzlich verhärtet.
Strom ist nicht gleich grün
Was sich ebenfalls verhärtet, ist der Gesichtsausdruck, wenn man den Verbrauch abliest. Der Mercedes EQE 43 AMG führt nämlich offiziell die zweifelhafte Hitparade der grössten Stromfresser, die ich jemals gefahren bin. 30,8 kWh/100 km sind es am Ende des Tests. Der Mercedes EQS befindet sich mit 29,0 kWh/100 km übrigens auf Platz drei, mit 30,0 kWh/100 km dazwischen rangiert der Porsche Taycan. Ja, ab und zu wurde der Wagen durchgedrückt und ja, es war kalt, aber da müssen andere Autos auch durch. Und der Stromhunger kennt keine Grenzen. Auf einer sportlichen Passage gipfelte der Verbrauch sogar auf deutlich über 50 kWh/100 km.
Das hat mit Ökologie gar nichts mehr zu tun. Schwer sind die meisten Elektroautos, das Gewicht kann also nicht allein dafür verantwortlich gemacht werden. Aerodynamisch sind die Mercedes-Modelle Weltklasse, also muss der Hund bei der Batterie oder dem Antrieb begraben sein. Da sollte Mercedes dringend über die Bücher, denn so viel wie das Auto im Test verbraucht hat, kommt es keine 300 Kilometer weit mit einer Akkuladung.
Gesalzener Preis
Obwohl der Mercedes EQE 43 jetzt nicht die brutalsten Leistungswerte vorweist, so trägt er einen bombastischen Preis. 157’000 Franken kostet der Testwagen, der zwar die typischen Mercedes-Tugenden mit Bravour erfüllt, aber ökologische Schwächen offenbart. Dieses Geld muss es einem Wert rein, respektive, man muss die Markenwerte von Mercedes oder AMG mögen. Der Mercedes EQE 43 AMG übertrifft zwar alle Anforderungen an ein AMG-Einstiegsauto aus technischer sowie fahrdynamischer Sicht, aber als Elektroauto steht er technisch definitiv nicht an der Spitze.
Alltag
Der Mercedes EQE ist zwar aussen sehr gross, aber innen eher eng geschnitten. Vorne vermittelt er ein sportliches Gefühl, hinten schaffen die niedrige Dachlinie und die kleinen Fenster jedoch eher ein beengendes Gefühl. Die Beinfreiheit ist gut, die Kopffreiheit ab 1,85 Meter Grösse knapp. Der Kofferraum ist viel kleiner als im EQS, die Ladeluke ist klein und es fehlt dem Kofferraum an Höhe.
Fahrdynamik
Die bärige Kraft bietet der EQE 43 vor allem bis rund 80 km/h, darüber lässt der Schub wie bei fast allen Elektroautos allmählich nach. Gemäss Infodisplay sind bei 100 km/h nur noch rund 450 Nm abrufbar. Angesichts der gewaltigen Masse fährt sich der 43er EQE aber agil und präzise. Das Pedalgefühl lässt zwar zu wünschen übrig, aber die Bremsleistung hat es in sich.
Umwelt
Mit einem Durchschnittsverbrauch von 30,8 kWh/100 km kann beim EQE 43 leider von ökologischem Fahren nicht die Rede sein. Selbst bei sanftem Fahrstil liegt der Verbrauch bei 27 – 28 kWh/100 km immer noch deutlich über dem Normverbrauch.
Ausstrahlung
Das Design vom EQE wird stark davon getrieben, einen möglichst tiefen cW-Wert zu erzielen. Dennoch sieht man das dem Auto bis auf ein paar Details kaum an. Das Auto wirkt wie eine grosse, sportlich-knackige Limousine ohne viel Schnickschnack.
Fazit
+ Cleanes, sportliches Design
+ Bequeme Sitze, top Ergonomie
+ Super Verarbeitungsqualität, sehr wertige Materialien
+ Top Infotainmentsystem mit super Sprachsteuerung und zahlreichen Online-Diensten
+ Sehr niedriger Geräuschpegel
+ Agiles Einlenkverhalten
+ Kräftiger Schub
+ Brachiale Bremsleistung
+ ESP dreistufig deaktivierbar, hecklastiges Fahrverhalten
+ Fahrmodi mit deutlicher Spreizung
+ Sehr hoher Grip
+ Exzellentes Lichtsystem mit feinstmöglichem Matrix-Licht
+ Ausgeklügeltes und vollständiges Assistenzpaket
+ Im Verhältnis zur Grösse recht handlich
+ Sehr umfangreiches Kamera-System
– Sehr hoher Preis, viele und teure Optionen
– Künstlicher «Motorsound» ist ein Trauerspiel
– Viel zu hoher Verbrauch, zu geringe Praxis-Reichweite
– Hohes Gewicht
– Übergang zwischen Rekuperation und Bremse deutlich spürbar
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Mercedes-Benz EQE 43 AMG |
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Preis Basismodell / Testwagen | 122 800 CHF / 156 926 CHF |
Antrieb | Elektrisch, Allradantrieb |
Akkukapazität | k.A. kWh (brutto) / 90,6 kWh (netto) |
Max. Leistung | 350 kW |
Max. Drehmoment | 858 Nm |
Beschleunigung 0–100 km/h | 4,2 s |
Vmax | 210 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / Energieeffizienz | 22,4 kWh/100 km / A |
Test-Verbrauch / Differenz | 30,8 kWh/100 km / +38% |
WLTP-Reichweite | 463 km |
Test-Reichweite | 290 km |
Max. Ladeleistung (DC) | 170 kW |
Länge / Breite / Höhe | 4,95 m / 1,91 m / 1,49 m |
Leergewicht | 2640 kg |
Kofferraumvolumen | 430 l |