Die Deutschen Premium-Hersteller haben das Luxuselektroauto-Segment entdeckt. Nach oben abgerundet wird dies bei Mercedes mit dem EQS SUV. Dieser Luxus-Stromer auf Basis der EQS-Limousine hebt Komfort, Ausstattung und Technologie auf ein extrem hohes Niveau. Während man dem Auto fahrerisch und technisch absolut nichts ankreiden kann, darf man das Konzept durchaus auch kritisch betrachten.
Das EQS SUV folgt der Mercedes EQ-Designsprache und wirkt daher rundlich mit bündigen Türgriffen, verfügt nur über einen angedeuteten, schwarzen Kühlergrill und hat vorne wie hinten ein durchgehendes Leuchtband. Dass es sich bei dem Auto um ein riesiges Schiff von 5,13 Metern Länge handelt, wird erst deutlich, wenn man das Auto vor sich stehen hat. Auf Bildern wirkt das Auto kleiner, als es tatsächlich ist. Markante Designmerkmale sucht man am Auto vergebens, im Gegenteil: Der kleinere Bruder EQE sieht dem grossen SUV zum Verwechseln ähnlich.
Qualität und Platz als Luxus
Das Interieur ist ebenfalls keine Neuerfindung, sondern ist quasi direkt von der Limousine adaptiert. Der optionale Hyperscreen dominiert das gesamte Cockpit. Das Infotainmentsystem ist puncto Qualität, Online-Diensten und Sprachbedienung ganz weit oben. Leider bietet Mercedes aber nach wie vor keine nativen Apps für YouTube, Netflix oder Disney+ an, welche das Videostreaming während der Ladepause ermöglichen würden. Unter diesen Umständen erübrigt sich eigentlich auch das zweite Display vor dem Beifahrer, wodurch man sich meiner Meinung nach gut überlegen sollte, ob der Hyperscreen den massiven Aufpreis wirklich wert ist.
Überzeugend bis ins Detail sind dafür die Haptik sowie die Verarbeitungsqualität. Die Sitze sind First Class durch und durch und das ganze Cockpit wirkt wie aus einem Guss gebaut. Einzig die optisch schicken Lüftungsdüsen, welche aber aus eher billigem Plastik bestehen, sollten in dieser Preisliga eigentlich aus Aluminium sein. Dafür beisst sich Qualität und Nachhaltigkeit nicht, denn die Türverkleidung sowie das Armaturenbrett bestehen aus einem rezyklierten Material.
Ebenfalls keine Wünsche offen bleiben beim Platzangebot, wobei das grundsätzlich der schieren Grösse zu verdanken ist. Das Platzangebot ist auf allen Plätzen äussert luftig, auch im Fond können Grossgewachsene sich bequem ausstrecken. Eine Einzelsitzanlage im Fond ist jedoch nicht verfügbar, dafür kann das SUV als 7-Plätzer geordert werden. Der Testwagen war ein 5-Plätzer und verfügt über ein gigantisches Kofferraumvolumen von bis zu 2100 Liter. Puncto Anhängelast kann der Stromer immerhin bis zu 1800 Kilo ziehen – vergleichbare Verbrennermodelle schaffen da immer noch deutlich bessere Lasten als Elektroautos.
Oase der Ruhe
Man muss kein Experte sein, um zu erahnen, dass der Komfort die Paradedisziplin des EQS SUV ist. Das eigentliche Fahrgefühl ist dann doch ziemlich überraschend und beeindruckend. Das Elektro-Schiff ist wie eine Festung, in der sämtliche unerwünschten Geräusche und Bewegungen draussen bleiben. Man schwebt förmlich über der Strasse, das Geräuschniveau selbst bei Autobahn-Tempo so niedrig, dass man sich im Flüsterton unterhalten könnte. Für souveränes Vorwärtskommen sorgt selbst bei der Basisversion 450 das gewaltige Drehmoment von 800 Nm. Der Antritt ist im Komfort-Modus sanft, im Sport-Modus kräftig. Allerdings ist die Leistung mit 265 kW nicht ganz so hoch, weshalb der anfänglich starke Schub ab etwa 80 km/h spürbar nachlässt. Hauptgrund: Eines der höchsten Leergewichte im PW-Segment von 2971 Kilo.
Trotz einer strafferen Abstimmung des Luftfahrwerks im Sport-Modus macht das sportliche Fahren mit diesem gewaltigen Trumm nur bedingt Spass. Die Allradlenkung und das hohe Drehmoment sorgen in der Kurve zwar für eine gewisse Agilität, doch das Gewicht ist überdeutlich spürbar und zieht in alle Richtungen. Zudem lässt die Lenkung nicht wirklich viel Rückmeldung zu, sondern ist eher für das gemächliche Cruisen konzipiert. Noch ein paar Worte zur Bremse: Der Übergang zwischen Rekuperation und mechanischer Bremse ist ziemlich deutlich spürbar. Ist die maximale Rekuperation eingestellt, so senkt sich das Bremspedal ab, weil bei jeder Bremsung direkt die mechanische Bremse beansprucht wird. Infolgedessen ist der Weg des Bremspedals deutlich kürzer. Letzteres wirkt extrem ungewohnt, da die Bremse dann viel schärfer reagiert, als wenn zuerst mittels Bremspedal rekuperiert wird. Nichtsdestotrotz ist die Bremsanlage dem enormen Gewicht des Autos gewachsen und zeigt auch nach hartem Einsatz keine Ermüdungserscheinungen.
Technologischer Luxus
Es sind ferner auch die technologischen Finessen, welche den Luxus-Anspruch von Mercedes untermauern. Da wäre zum einen die hervorragend agierende automatische Rekuperation mittels Navidaten oder vorausfahrendem Verkehr. Ebenfalls lobenswert ist das gestochen scharfe und grosse HUD, welches auf Wunsch auch AR integriert. Das Matrix-Licht mit Pixel-Technologie ist das feinfühligste überhaupt und realisiert eine beeindruckende Lichtausbeute auch mit viel Verkehr auf der Strasse.
Auch die klassischen Assistenzsysteme wie der automatische Parkassistent oder der Autobahn-Assistent agieren beim EQS SUV mit einer Feinfühligkeit und einer Präzision, die ein hohes Mass an Vertrauen schenken. Leider ist auch der EQS SUV mit dem ISA-Tempopolizisten ausgerüstet, der bei jeder kleinen Tempoüberschreitung penetrant vor sich hin blinkt und piepst. Das Gepiepse lässt sich via Lenkradtaste direkt ausschalten, doch wer auch das Blinken nicht erträgt, muss das System umständlich im Untermenü deaktivieren – selbstverständlich nach jedem Neustart erneut.
Technisch top, konzeptionell fragwürdig
Man kann dem Mercedes EQS SUV nicht wirklich Schwächen oder Kritik attestieren. Ein paar Verbesserungen oder kleinere Unzulänglichkeiten könnte man angehen, aber wer Oberklasse-Luxus in SUV-Form mit Elektroantrieb geniessen möchte, kommt mit dem EQS SUV komplett auf seine Kosten. Apropos: Mit einer vollständigen Ausstattung kostet selbst das «Basismodell» rund 193’000 Franken, wobei die sehr selbstbewusste Preisgestaltung von Mercedes insbesondere in diesem Segment niemanden mehr überraschen dürfte.
Doch so vollkommen das Auto auch ist, das eine oder andere Fragezeichen hinterlässt es trotzdem. Der Koloss trägt die Energieeffizienzkategorie B und senkt den Flottenverbrauch von Mercedes erheblich. Meiner Meinung nach wird es langsam jedoch Zeit, dass Elektroautos politisch nicht mehr automatisch eine der besten Effizienzkategorien zugeteilt bekommen. Beinahe drei Tonnen Leergewicht sind extreme Ressourcen, die sowohl bei der Herstellung anfallen als auch anschliessend für die eigentliche Mobilität aufgewendet werden müssen.
Im Winterbetrieb darf sich das EQS SUV mit dem bislang höchsten ermittelten Stromverbrauch über die gesamte Testdauer auf diesem Blog «rühmen»: 31,0 kWh/100 km ist alles andere als effizient und resultiert in einer realen Reichweite von nur 340 Kilometern trotz 108 kWh-Batterie. Klar, das EQS SUV ist ein Luxus- und kein Öko-Auto, ich erwarte gar keine Wunder. Stossend finde ich nur einmal mehr, dass selbst die grössten Stromverbraucher als sauber eingestuft werden, während Verbrenner per se die Bösen sind.
Alltag
Die Platzverhältnisse sind fürstlich und die Allradlenkung hilft, den Koloss auch sicher und handlich zu manövrieren. Die Assistenzsysteme sind auf höchstem Niveau und stellen eine weitere Unterstützung dar.
Fahrdynamik
Das hohe Drehmoment sorgt für ein agiles Fahrverhalten, allerdings lässt der Durchzug bei längerer Beschleunigung spürbar nach. Bei dynamischerem Fahrstil ist das Gewicht stets spürbar, ausserdem mangelt es der Lenkung an aufschlussreichem Feedback.
Umwelt
Ein Stromverbrauch von 31,0 kWh/100 km ist nicht wirklich effizient. Man muss bei solchen Elektroautos wohl die Tatsache erkennen, dass immerhin auch die Luxusklasse emissionsfrei unterwegs ist.
Ausstrahlung
Während die Front noch über eine gewisse Ausstrahlungskraft verfügt, ist der Rest des Autos sehr verwechselbar gestaltet. Der markante Dachbogen der EQS Limousine fehlt dem SUV aus verständlichen Gründen. Die optische Nähe zum kleineren EQE finde ich persönlich auch eher verwirrend.
Fazit
+ Üppige Platzverhältnisse
+ Bis auf wenige Details bestechende Qualität im Innenraum
+ Hervorragendes Infotainmentsystem
+ Fürstliche Sitze, einwandfreie Ergonomie
+ Grosse und zahlreiche Ablageflächen
+ Fahrmodi mit deutlicher Spreizung
+ Effektive Allradlenkung, kleiner Wendekreis
+ Tolles Ansprechverhalten, hohes Drehmoment
+ Extrem leises Fahrverhalten
+ Formidabler Fahrkomfort
+ Sehr hoher Grip
+ Exzellente Assistenzsysteme
– Hoher Preis
– Sehr hohes Gewicht
– Hoher Stromverbrauch
– Verwechselbares Design
– Keine nativen Apps für Videostreaming
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Mercedes EQS SUV 450 4Matic |
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Preis Basismodell / Motorisierung / Testwagen | 138 600 CHF / 193 132 CHF |
Antrieb | Elektrisch, Allradantrieb |
Akkukapazität | k.A. kWh (brutto) / 108 kWh (netto) |
Max. Leistung | 265 kW |
Max. Drehmoment | 800 Nm |
Beschleunigung 0–100 km/h | 6,0 s |
Vmax | 210 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / Energieeffizienz | 24,1 kWh/100 km / B |
Test-Verbrauch / Differenz | 31,0 kWh/100 km / + 29% |
WLTP-Reichweite | 610 km |
Ø Test-Reichweite | 340 km |
Länge / Breite / Höhe | 5,13 m / 1,96 m / 1,72 m |
Leergewicht | 2976 kg |
Kofferraumvolumen | 645 - 2100 l |