Es gibt diese Sorte Autos, die einen einfach nicht kalt lassen. Das Mercedes GLE Coupé ist eines davon. Protzig, aggressiv und auch ein bisschen dekadent steht das Riesentrumm da, geduckt, jederzeit bereit zum Angriff. Dieses SUV Coupé ist nicht von allem ein bisschen, sondern von allem sehr viel. Wie viel AMG im Pseudo-Coupé steckt und was der grosse Stern sonst noch alles unter seiner geschwungenen Dachlinie versteckt, klärt dieser Test.
Die Erscheinung ist überwältigend. Massiver Grill mit Chromstreben, böser Blick, riesige Felgen, Trittbrett, vier Endrohre, dazu alles Schwarz in Schwarz – unauffällig geht anders. Aber das ist genau das Ziel dieses Autos, auffallen um jeden Preis. Was aber gesagt werden muss, ist, dass das Design viel stimmiger ist als beim Vorgänger. Dieser wirkte designtechnisch wie ein Schnellschuss und litt unter einem extrem klobigen Heck. Das neue GLE Coupé schafft es trotz seiner Masse, dem Heck etwas Leichtfüssiges zu verleihen.
Lounge auf Rädern
Startknopf gedrückt, der Reihensechser springt dank Riemenstartergenerator butterweich an und meldet sich mit einem tiefen Grummeln zum Dienst. In der Dunkelheit kann man ein schickes Lichtspiel der Scheinwerfer betrachten – einfach, weil Mercedes es kann und es zum Auto passt. Sobald der Motor warm ist, wird das Grummeln sehr dezent und bleibt angenehm im Hintergrund präsent. Schnell wird klar, dass dieser Wagen der perfekte Cruiser ist.
«Hey Mercedes, massiere mir den Rücken» – tadaa, das zuletzt gewählte Massageprogramm wird gestartet. Da sitzt du perfekt eingebettet in den Sportsitzen, die Sitzlüftung sorgt für ein angenehmes Klima und die Massage knetet und entspannt deine Rückenmuskulatur. Die Burmester-Soundanlage mit ordentlich Druck lädt dazu ein, den Lieblingssong immer und immer wieder zu geniessen, während der Energy Drink im gekühlten Cupholder auch dann kalt bleibt, wenn man mit den Gedanken versehentlich etwas abgeschweift ist. Das HUD weist einem dem Weg. Welchen Weg? Eigentlich egal, denn das GLE Coupé liefert etliche Gründe, warum man nicht direkt nach Hause fährt oder eine spätabendliche Ausfahrt geniessen soll.
Highend-Niveau
Das Ambiente-Licht kennt mehr Einstellmöglichkeiten als man sich merken könnte – überhaupt ist die Konfigurations-Vielfalt des digitalen Cockpits und des MBUX-Systems schier unendlich. Doch auch allfällige Mitfahrer kommen in den Genuss dieser rollenden Cyber-Lounge. Dank präziser Stimm-Lokalisierung kann sich auch der Beifahrer mit dem digitalen Mercedes-Concierge unterhalten. Die hinteren Passagiere geniessen trotz flachem Dach ausreichend Platz, wenn auch bei weitem nicht so üppig, wie es die schiere Grösse des Autos vermuten lässt.
Heutzutage wird seitens der Hersteller gerne an allen möglichen Ecken und Enden gespart, allerdings nicht im GLE Coupé. Die Materialien sind nicht nur vorne, sondern auch im Fond exquisit. Das Auto ist so solide gebaut, als könnte es eine Ewigkeit überstehen – die Elektronik mal aussen vor gelassen. Auch die Liebe zum Detail zieht sich durch, etwa in Form von Alu-Lautsprecher-Abdeckungen und sensorgesteuertem Leselicht im Fond. Unschönes Hartplastik sucht man sehr, sehr lange, aber das sollte in diesem hohen Preis-Segment auch selbstverständlich sein.
Starkes Sportprogramm
Wer genügend Entspannung geniessen konnte und die Musik gerne durch den Motorsound ersetzen möchte, wechselt einfach in den Sportmodus. Kerniger und schöner Motorsound generiert durch den Reihensechser wabert nun durch den Innenraum. Im Schubbetrieb knallt es sogar hin und wieder aus dem Auspuff.
Doch viel beeindruckender ist, wie flink und unglaublich direkt man dieses riesen SUV um Kurven dirigieren kann. Der Verstand sagt, dass es eigentlich nicht möglich sein sollte, soviel Gewicht mit so hohem Tempo durch die Kurve zu prügeln, aber es geht, und zwar erstaunlich lange. Nur wirklich enge Passagen sind trotz Allradlenkung nicht das Ding des GLE Coupés. Obwohl soviel Gewicht stabilisiert werden muss, ist selbst das Sport+-Programm nicht unangenehm straff.
Viel kostet viel
So ein hoher Grad an Perfektion und so ein breites Spektrum an Fähigkeiten kosten auch entsprechend. Der Testwagen ist mit 156’000 Franken angeschrieben – und nicht vergessen, dass es sich hier um das AMG-Einstiegsmodell handelt. Obwohl der R6-Mildhybrid-Antrieb potent und souverän ist, wer den grossen Knall will, muss zum feissen Achtzylinder greifen. Dafür bekommt man ein optisches Batmobil, dass die Insassen entweder nach Strich und Faden verwöhnt, oder aber die Muskeln spielen lässt!
Alltag
Dank der Allradlenkung erreicht das GLE Coupé eine erträgliche Handlichkeit, doch sobald es eng wird, hilft das auch nur noch beschränkt. Auf schmalen Bergstrassen oder in älteren Parkhäusern hört der Spass auf, da hilft der Massagesitz auch nicht mehr viel, um die Nerven zu schonen. Das Platzangebot ist besser als beim Hauptkonkurrent BMW X6, aber SUV-Coupé-typisch eben nicht besonders gut im Verhältnis zur Grösse.
Fahrdynamik
Es ist völlig paradox, wie schnell und wie agil so ein grosses und schweres Schiff sein kann. Doch ein erheblicher Aufwand am Fahrwerk macht es möglich, dass der «kleine» AMG mit geringen Wankbewegungen und sehr neutral fährt. Das Ansprechverhalten ist sehr gut und die Leistungsentfaltung gefällt bis zum Begrenzer. Für ein so grosses Auto grosses Kino.
Umwelt
Dass so ein Brocken mit so viel Leistung viel verbraucht, ist klar. Doch obwohl der Test zum Teil heftig ausfiel, bleibt der Verbrauch mit 11,6 l/100 km in einem noch akzeptablen Mass. Unter 10 Liter sind problemlos machbar.
Ausstrahlung
Dieses Auto wurde dazu gebaut, dass man sich nach ihm umdreht und es liebt oder hasst. Die Ausstrahlung ist zweifellos vorhanden.
Fazit
+ Polarisierendes, auffälliges Design
+ Spitzenmässige Verarbeitungsqualität, top Ergonomie
+ Sehr bequeme, straff gepolsterte und vielfach verstellbare Sitze, etliche Massageprogramme
+ Fortschrittliches Infotainmentsystem mit top Sprachsteuerung
+ Fahrmodi mit grosser Spreizung
+ Sehr hoher Fahrkomfort
+ Verhältnismässig hohe Agilität
+ Drehfreudiger Biturbomotor mit sensationellem Ansprechverhalten
+ Kerniger Sound
+ Perfektes und unauffälliges Automatikgetriebe
+ Präzise und direkte Lenkung
+ Perfektes Matrix-LED-Licht
+ Zahlreiche Assistenzsysteme, semi-Autonomes Fahren und autonomes Parkieren
– Sensibler Notbremsassistent
– Im Verhältnis zur Grösse überschaubares Platzangebot, keine Variabilität
– Hoher Preis
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Mercedes-AMG GLE 53 Coupé |
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Preis Basismodell / Testwagen | 127 300 CHF / 156 189 CHF |
Antrieb | Benzin Mild-Hybrid / Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 2999 ccm / R6 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Biturbomotor |
Getriebe | 9-Gang Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 336 kW bei 6100 r/min |
Max. Drehmoment | 520 Nm bei 1800 - 5800 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 5,3 s |
Vmax | 250 km/h (elektronisch abgeregelt) |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 11,4 l/100 km / 259 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 11,6 l/100 km / 264 g/km / +2% |
Länge / Breite / Höhe | 4,94 m / 2,01 m / 1,72 m |
Leergewicht | 2443 kg |
Kofferraumvolumen | 655 - 1790 l |
Bilder: Koray Adigüzel