Nein, einen exklusiven Ausblick bietet die S-Klasse nicht. Ebenso sucht man einen bordeigenen Whirlpool vergebens in der Aufpreisliste. Doch ansonsten bietet die Luxuslimousine ziemlich alles, was man in ein Auto packen kann – sowohl technologisch, als auch stilistisch und einrichtungsmässig. Ich möchte gar nicht lange um den heissen Brei herumreden. Die S-Klasse ist ein perfektes und fehlerfreies Auto. Hier stellt sich nicht die Frage, woran es scheitern soll, sondern, wo man einsteigt: Vorne links oder hinten rechts.
Als Tester kommt als erstes natürlich nur der Platz hinter dem Steuer in Frage. Man muss gar nicht erst einsteigen, um zu erkennen, dass die Sitze an Sitzkomfort nicht zu überbieten sind. Sie sind ausladend, weich und dennoch an den richtigen Stellen straff gepolstert. Das Cockpit ist erstklassig gestaltet. Keine Fläche, die nicht von Zierelementen oder Leder verkleidet ist.
Der Grad an Personalisierung ist hoch: Nur schon an den Sitzen lassen sich Lehne, Seitenwangen Schulterbereich und Kopfstütze separat verstellen. Das digitale Cockpit erlaubt eine weitgehend freie Konfiguration und die Ambientebeleuchtung kann nicht nur in jeder beliebigen Farbe, sondern sogar in vordefinierten Farbkombinationen eingestellt werden. In meiner Lieblingseinstellung wechselt die Beleuchtung vom tiefen Blau ins sanfte Rot. So, und bevor ich von der Ruhe und der kuscheligen Atmosphäre noch müde werde, ist es Zeit, den Motor aus seinem Winterschlaf zu wecken.
Im S350d Testwagen ist der Basismotor verbaut, ein 210 kW Sechszylinder-Diesel. Im kalten Zustand ist ein dieseliges Grummeln zu vernehmen, doch schon nach wenigen Minuten schnurrt das Aggregat flüsterleise vor sich hin. Die 9-Gang-Automatik wechselt vollkommen unbemerkt die Gänge. Andere Dinge fallen während der ruhigen Fahrt dafür auf.
Erstens: Das Auto ist unglaublich leise. Sämtliche (Fahr-)Geräusche von der Aussenwelt klingen, als wären sie extrem weit entfernt. Als ob man sich in einem meterdicken Watte-Kokon befinden würde. Und selbstverständlich gibt das Auto innen keinen Mucks von sich, auch wenn die Bodenwelle gerade besonders übel war. Im ganzen Interieur ist kein ächzen, knarren oder sonstiges Störgeräusch zu vernehmen. Selbst die Klimaanlage arbeitet bis in die hohen Stufen ausgesprochen leise.
Zweitens: Für ein 5,26-Meter-Schiff ohne Allradlenkung ist die S-Klasse erstaunlich einfach zu handhaben. Man hat nicht das Gefühl, dass man einen halben Kilometer Auto hinter sich herzieht. Zwecks Übersicht empfiehlt sich zwar das 360°-View-Paket, doch mit den damit ermöglichten Kameraansichten (Felgen, Vogelperspektive, Rücksicht, etc.) verlieren auch Parkhäuser ihren Schrecken. Die Lenkung ist angenehm leichtgängig, bietet aber dennoch eine gute Rückmeldung von der Strasse.
Drittens: Selbst mit Basisdiesel, langem Radstand und 2300 Kilo Leergewicht machen Kurven durchaus Spass. Obwohl die gemütliche S-Klasse fürs Gleiten konzipiert wurde, lässt sie sich von einem forschen Fahrstil nicht aus der Ruhe bringen. Auch hier gilt: Die Limousine fühlt sich in schnell gefahrenen Kurven kleiner an, als sie tatsächlich ist. Selbst wenn das Auto gefordert wird, wahrt es die Contenance. Keine übertriebene Seitenneigung, keine hektischen Gangsprünge, sondern ein allzeit souveränes Auftreten.
Unvorstellbar, dass der Fahrkomfort noch gesteigert werden kann, doch es geht: Mit dem sogenannten «Magic Body Control»-Fahrwerk. Dieses ist zum einen mit der Stereokamera gekoppelt, um die Dämpfer auf die bevorstehenden Unebenheiten und Wellen in der Strasse vorzubereiten. Zum anderen verfügt es wie gewisse Züge über eine Neigetechnik, um die wahrgenommenen Fliehkräfte für die Insassen zu reduzieren. Dieses Fahrwerk muss State of the Art sein, da bislang kein anderer Hersteller etwas Vergleichbares anbietet. Leider ist es ausschliesslich für die Acht- und Zwölfzylindermotoren erhältlich.
Mit dem kompletten Package an Assistenzsystemen ist die S-Klasse in vielen Situationen in der Lage, selbstständig zu reagieren. Sie kann nicht nur automatisch im Verkehr mitschwimmen, sondern ist auch in der Lage, per Blinker autonom die Fahrspur zu wechseln. Zwar verlangt das System die Hände am Lenkrad, doch es ist insbesondere auf der Autobahn und Landstrassen überdeutlich, dass die S-Klasse auch alleine zurechtkommen würde.
Selbst innerorts bremst das Auto vor Kreuzungen und Kreiseln mit aktivem Tempomat automatisch runter, auch ohne programmiertes Navi. Ich bin zwar ein Fan des selber Fahrens, aber in diesen himmlischen Sitzen mit diversen, auch beheizten Massageprogrammen und der bombastischen Soundanlage ist es verlockend, sich zurückzulehnen, die S-Klasse weitgehend fahren zu lassen und nur wenn nötig minime Kurskorrekturen vorzunehmen. Die Algorithmen sind mittlerweile so ausgereift, dass das Auto sehr menschlich fährt, ohne den geringsten Ruckler oder unnötig harsche Bremsmanöver.
Den ultimativen Komfort erfährt man jedoch erst, wenn man sich hinten rechts reinsitzt. Der rechte Sitz lässt sich nämlich zu einer halben Liegeposition inklusive Fussstütze umfunktionieren. Doch auch in der normalen Position lassen sich die beiden Einzelsitze im Fond wie die Vordersitze verstellen. Auch im Fond kommt man in den Genuss von Sitzheizung (inklusive beheizter Kopfstütze!) und Massageprogrammen.
Gegen die Langeweile hilft das Fond-Entertainment mit optionalem TV-Tuner. Mittels bordeigenen Kopfhörer kann man so fernsehen, ohne den Fahrer oder Mitreisenden zu stören. Wer zu tun hat, kann den Laptop auf dem Klapptisch ausbreiten. Und wer lieber dösen möchte, lässt die Sonnenstoren hoch und lehnt sich zurück.
Egal, wo man in der S-Klasse einsteigt, die Fahrt ist ein wahres Vergnügen. Die Version mit längerem Radstand ist durchaus empfehlenswert, damit man die Möglichkeit des Executive Sitzes hinten rechts hat. Mit dem Testwagen bin ich wunschlos glücklich gewesen. Magic Body Control? Eine AMG-Version? Oder gar die Maybach-Variante? Kann man alles haben. Doch noch nie in meinem Blogger-Dasein konnte ich mit Fug und Recht behaupten, dass ein Auto selbst mit der Basis-Motorisierung zufriedenstellend ist. Bei der S-Klasse kann ich das.
Der getestete S350d mit langem Radstand ist ab 115’000 Franken zu haben. Und wer jetzt einen Haken vermutet, vermutet richtig. Wie eine 115’000-Franken S-Klasse aussieht, weiss ich nicht. Für das hier gezeigte Modell sind rund 181’000 Franken fällig – macht nach Adam Riese 66’000 Franken an Sonderausstattung. Das ist in der Tat happig, doch die S-Klasse lotet die Grenzen aus. Sie fährt so autonom, wie es das Gesetz momentan zulässt. Sie leuchtet mit dem Fernlicht so weit, wie es das Gesetz momentan zulässt. Mehr Klasse geht nicht. Und nun entschuldigt mich – ich muss überlegen, ob ich die nächste Fahrt selber in Angriff nehme, oder mich fahren lasse.
Alltag
Die umfassenden Assistenzsysteme ermöglichen teilautonomes Fahren auf sehr hohem Niveau auch abseits von Autobahnen. Mit der optionalen 360°-Kamera an Bord ist auch das Manövrieren kein Problem mehr. Nichtsdestotrotz brauchen 5,26 Meter ihren (Park-)Platz. Ausserdem lässt sich der Kofferraum nicht erweitern.
Fahrdynamik
Trotz enormer Länge und hohem Gewicht bliebt die S-Klasse selbst bei stürmischer Fahrt stabil und vermittelt permanent ein gutes Gefühl.
Umwelt
Für soviel Luxus und Leistung geht der Testverbrauch von 7,6 l/100 km absolut in Ordnung – obwohl weit entfernt vom träumerischen NEFZ-Wert von 5,7 l/100 km.
Ausstrahlung
Kaum ein Auto hat soviel Ausstrahlung wie eine S-Klasse. Lässt man Rolls-Royce aussen vor, ist die S-Klasse State of the Art, was luxuriöse Limousinen mit Chauffeur-Charakter angeht.
Fazit
+ Elegantes Design
+ Äusserst grosszügige Platzverhältnisse
+ Luxus auf allen Plätzen
+ Traumhafte Sitze auf alles Plätzen
+ Hoher Grad an Personalisierung im Cockpit
+ Exzellente Material- und Verarbeitungsqualität
+ Ausgesprochen leises Fahrverhalten
+ Gediegener Fahrkomfort
+ Unauffälliges Automatikgetriebe
+ Sehr hohe Sicherheitstandards
+ Fühlt sich beim Fahren kompakter an
+ Semiautonomes Fahren auch abseits von Autobahnen möglich
+ Erstklassiges Matrix-LED-Licht mit 650 Meter Reichweite
+ Verhältnismässig tiefer Verbrauch
– Teilweise langsam reagierendes Infotainmentsystem
– Unverschämt hohe Aufpreise
Steckbrief
Marke / Modell | Mercedes S-Klasse Langversion |
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Preis Basismodell / Motorisierung/ Testwagen | 111 000 CHF / 115 000 CHF / 181 386 CHF |
Antrieb | Diesel, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 2925 ccm / R6 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Biturbomotor |
Getriebe | 9-Gang Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 210 kW bei 3400 - 4600 r/min |
Max. Drehmoment | 600 Nm 1200 - 3200 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 6,0 s |
Vmax | 250 km/h (elektronisch abgeregelt) |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 5,7 l/100 km / 150 g/km / D |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 7,6 l/100 km / 200 g/km / +33% |
Länge / Breite / Höhe | 5,26 m / 1,90 m / 1,49 m |
Leergewicht | 2300 kg |
Kofferraumvolumen | 510 l |
Bilder: Koray Adigüzel