Wie heisst es so schön? Respekt vor dem Alter. Mit seinen zehn Jahren in der aktuellen Modellgeneration ist der GT-R schon bald ein Senior. Doch das tut nichts zur Sache. Den Respekt hat er sich schon vor Jahren verdient und trotz seines Alters läuft Godzilla zur Hochform auf. Mit japanischer Akribie haben die Ingenieure ihren Supersportler stets verfeinert und jüngst sogar – man höre und staune – komfortabler und wertiger gemacht. Nichtsdestotrotz haben es selbst die detailversessenen Japaner nicht ganz geschafft, ihrem Biest die perfekten Manieren beizubringen. Entgegen allen technischen Trends, dafür mit derselben Brutalität wie eh und je verteidigt Godzilla sein Revier!
Immer wieder faszinierend finde ich, wie dieser Klotz zu einem Supersportler mit einem cW-Wert von nur 0,26 so dermassen aerodynamisch sein kann. Denn, sind wir ehrlich, der GT-R ist nicht einmal ansatzweise elegant. Stattdessen steht er wuchtig und breitbeinig da, trägt ohne Schamgefühle seinen riesigen Kühlergrill und die gigantischen Endrohre zur Schau. Die Front wurde deutlich geschärft, die Änderungen am Heck und der Seite erkennt man nur, wenn der Vorgänger nebenan steht.
Doch am GT-R hat jede Form ihren Zweck. Jede Öffnung dient der Kühlung, jede Krümmung der Steuerung des Luftstroms. Dieser Wagen ist schon im Stand Carporn vom Feinsten. Seine vier runden Rücklichter sind so markant wie die Schlusslichter vom Mustang; beide erkennt man im Dunkeln schon aus einem Kilometer Entfernung.
Dank des jüngsten Facelifts sieht der GT-R nun endlich auch innen wie ein Auto aus, das ein sechsstelliges Preisschild trägt. Das gesamte Interieur ist vorne mit Leder verkleidet, eine kleine Etikette verweist stolz auf die handgestickten Nähte auf den Sitzen. Die Lüftungsdüsen sehen nicht mehr aus, als stammen sie aus einem auf einem Schrottplatz verwaisten Fiat Punto und die Knöpfchenflut auf der Mittelkonsole hat sich auf ein erträgliches Mass reduziert. Leider ist die Ergonomie nicht ganz durchdacht. Die Sitzposition ist für grosse Personen zu hoch und die zu weit hinten liegende Mittelarmlehne wird erst dann brauchbar, wenn man wie in einem Liegestuhl hinter dem Steuer sitzt.
Wie es sich für ein echten Kerl gehört, verfügt der GT-R nach wie vor über eine mechanische Handbremse. Typisch für ihn sind die verschiedensten Untermenüs des Infotainmentsystems, die diverse technische Daten des Autos grafisch darstellen – wie in einem Arcade Game. Gerne machen sich Kritiker darüber lustig, von wegen, Playstation spiele man zu Hause und nicht im Auto. Ich frage mich, ob solche gehässigen Leute überhaupt schon mal in einem GT-R gesessen sind, geschweige auf den Startknopf gedrückt haben.
Apropos Knopf: Der unnötigste Knopf überhaupt verbirgt sich gut versteckt rechts unter dem Lenkrad. Er sorgt dafür, dass das handgebaute 3,8-Liter V6 Aggregat leiser anspringt. Typisch Japaner! Ja nicht negativ auffallen. Dabei startet Godzilla auch ohne Schalldämpfer einigermassen gesittet. Der Klang ist nicht besonders aufregend, aber doch speziell, weil kaum ein anderer Motor so dermassen mechanisch klingt. Erst, wenn die Bremse fest gedrückt wird, lässt sich das 6-Gang Doppelkupplungsgetriebe aus der Parkposition bewegen. Godzilla braucht jetzt Freilauf. Abmarsch.
Mehr GT und soviel R wie zuvor, so kann man das Lastenheft der Entwickler des 2017er Modells kurz umschreiben. Godzilla ist tatsächlich anständiger geworden. Das Getriebe gibt weniger seltsame Geräusche von sich, während das Active Noise Cancelling System von der Bose Soundanlage störende Geräusche teilweise herausfiltert. Beim Cruisen verhaltet sich der GT-R für einen Supersportler daher extrem unauffällig, bereits bei Tempo 55 reiht sich das Getriebe auf den sechsten und somit letzten Gang und lässt den Wagen vergleichsweise leise dahinrollen.
Trotzdem: Dieses Auto ist nicht fürs herumtuckern gedacht. Klackende Geräusche vom Antriebsstrang sind im Stadtverkehr nach wie vor zu vernehmen und jedes DSG in einem Skoda oder Seat wechselt die Gänge geschmeidiger als der GT-R. Darüber hinaus hat der japanische Überflieger einen extremen Hang dazu, Spurrillen hinterherzufahren, sodass man ständig seinen Kurs am korrigieren ist. Auf eine Start-Stopp-Automatik pfeift Godzilla dankend, genauso wie auf den üblichen Assistenzkram. Dank schlechter Rundumsicht und gigantischem Wendekreis sind Besuche im Parkhaus stets das Highlight einer jeden Stadtfahrt. Das hat sich mein Testwagen bestimmt nicht unter Freilauf vorgestellt!
Recht hat er. Es wird Zeit, die drei Kippschalter für Getriebe, Fahrwerk und ESP auf R zu stellen und zu geniessen was kommt: …ein Turboloch. Kein Witz! Biturbo hin oder her, aber unter 3500 Touren passiert gar nicht so viel. Dann aber beginnt die erste Turbine zu arbeiten und die Welt wird auf den Kopf gestellt. Noch bevor man «Turboloch» zu Ende gedacht hat, katapultiert einen der GT-R in dreistellige Temporegionen, begleitet von einem dermassen rabiaten Zischen und Fauchen, als hätte sich das Triebwerk gehörig an seinem 100-Oktan Sprit verschluckt.
Wie ein Rennwagen wird der GT-R umso lebendiger, je härter man ihn rannimmt. Untypisch für einen Turbomotor, geht ihm oben nie die Puste aus, im Gegenteil, er blüht erst dann richtig auf. Mit einer bemerkenswerten Gelassenheit peitscht das Getriebe die Gänge durch, viel schöner als im Stadtverkehr! Dass gerade 1780 Kilo beschleunigt wurden, hat man nicht gespürt und man spürt die Kilos auch in der Kurve nicht mal ansatzweise. Ich weiss, es ist abgelutscht, aber wenn nicht Godzilla Kehren wie auf Schienen nimmt, wer dann?
Man wird eins mit dem Auto, weil er genau das in dem Moment macht, was man will. Genügend Drehzahlen vorausgesetzt, arbeitet der Motor verzögerungsfrei, die Lenkung ist ein Präzisionsinstrument erster Güte und an Direktheit nicht zu überbieten. Noch während man die Kurve anvisiert, scheint der GT-R schon einzulenken und dank der grandiosen Bremsanlage kann man den letzten Meter rausholen. Dann sachte auf dem Gas bleiben und mit Schmackes aus der Kurve rausdonnern. Das Heck zuckt im R-Modus vom ESP frech, doch durch den Allradantrieb wird der Wagen praktisch von alleine wieder gerade gezogen. Ist das ESP drin, ist dieser Supersportler völlig idiotensicher zu fahren.
Man kommt im GT-R zu einem regelrechten Beschleunigungsrausch. Der Schub, welcher einsetzt, wenn die Turbos zu zischen beginnen, will man sich immer und immer wieder geben. Highlight ist und bleibt die Launch Control. Auch wenn die angegebenen 2,8 Sekunden angeblich nicht eingehalten werden können, stürmt Godzilla mit einer derartigen Brutalität los, dass einem fast der Atem wegbleibt. Gehört definitiv zu den Sachen, die man mal erlebt haben muss, bevor man ins Gras beisst.
Obwohl der GT-R mit einem Basispreis von 119’900 Franken nicht mal die Hälfte dessen kostet, was als Konkurrenz durchgeht, ist er für viele dennoch unerschwinglich. Auch deswegen, weil die Unterhaltskosten eben auf Supersportler- und nicht auf Nissan-Niveau sind. Allerdings kann er gemietet werden. Jeder Autofan, der was auf sich hält, sollte mindestens einmal im Leben das Vergnügen mit Godzilla gehabt haben. Eile besteht keine, denn obwohl der GT-R in seiner jetzigen Generation langsam, aber sicher am auslaufen ist, wird die Legende weiterleben. Typischerweise gibt es keine Details von den Japanern, doch es wird garantiert schon seit einer Weile am Nachfolger getüftelt. Godzilla lebt und jeder Moment, der mit dem Fahren dieser Legende verbracht wird, wird besonders intensiv gelebt.
Alltag
Für zwei Personen bietet der GT-R üppige Platzverhältnisse und einen grossen Kofferraum. Die zwei hinteren Sitze sind als zusätzliche Gepäckablage zu verstehen. Der Komfort ist mehr als ausreichend. Mühsam sind der grosse Wendekreis, seine Neigung, jeder Spurrille hinterherzufahren, sowie der kleine Tank.
Fahrdynamik
Wie sich der GT-R fährt? Mit der Gewalt einer Abrissbirne und der Präzision eines Laserstrahls. In dieser Maschine liegt der Grenzbereich viel höher als die persönliche Grenze, wenn man nicht gerade Rennfahrer ist.
Umwelt
Schade, gibt es kein GA für Tankstellen, das könnte man mit dem GT-R nämlich gut gebrauchen! Godzilla säuft, als hätte er zu befürchten, morgen seien die Ölreserven aufgebraucht. Bei jeder Vollbeschleunigung im zweiten Gang rauscht gefühlt ein halber Liter 100er-Benzin durch die Leitung. 15,0 l/100 km Testverbrauch sind ein Argument.
Ausstrahlung
Die bewundernden Blicke der Kids am Strassenrand sprechen für sich. Kaum ein anderes Auto hat sich einen derart hohen Respekt erarbeitet.
Fazit
+ Geiles Design nach dem Ansatz «Form follows Function»
+ Unbändiger Schub
+ Aggressiver Sound
+ Ultradirekte Lenkung
+ Geniales adaptives Fahrwerk von komfortabel bis gnadenlos
+ Pfeilschnelles Getriebe
+ Hochpräzises Handling
+ Keine Assistenzsysteme – in dieser Klasse auch ein Statement
+ Sehr gutes LED-Licht
+ Leises Fahrverhalten beim Cruisen
+ Fahrkomfort erster Güte
+ Hochwertiges Interieur
+ Gute Soundanlage
+ Dreistufiges ESP, komplett deaktivierbar
+ Unschlagbarer Preis
– Exorbitanter Verbrauch, verhältnismässig kleiner Tank
– Sitzposition zu hoch, Mittelarmlehne zu weit hinten
– Infotainmentsystem nicht ganz up to date
– Fährt ständig allen Spurrillen nach
– Grosser Wendekreis
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Nissan GT-R |
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Preis Basismodell / Testwagen | 119 900 CHF / 128 400 CHF |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 3799 ccm / V6 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Biturbomotor |
Getriebe | 6-Gang Doppelkupplungsgetriebe |
Max. Leistung | 419 kW bei 6800 r/min |
Max. Drehmoment | 637 Nm bei 3600 - 5800 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 2,8 s |
Vmax | 315 km/h |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 11,8 l/100 km / 275 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 15,0 l/100 km / 350 g/km / +27% |
Länge / Breite / Höhe | 4,71 m / 1,90 m / 1,37 m |
Leergewicht | 1780 kg |
Kofferraumvolumen | 315 l |
Bilder: Koray Adigüzel
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