Der Nissan GT-R ist ein Auto, welches man kaum vorzustellen braucht. Bereits der Name reicht aus und die Fans horchen auf. Der GT-R, der japanische Überflieger. Entweder, man kennt ihn, oder man lernt das Fürchten kennen. Wo er auftritt, bebt die Erde. Nicht, weil er besonders stimmgewaltig ist, sondern weil er – im wahrsten Sinne des Wortes – unfassbar schnell ist. Er kennt keine Gegner, sondern nur Opfer, die er genüsslich vernascht und anschliessend die unverdaulichen Überreste durch seine massiven Endrohre rausbläst. Ein Einblick in die Spitze der automobilen Nahrungskette.
Der GT-R ist auf der Strasse wirklich nicht zu übersehen. Ein Körperbau wie ein Bodybuilder: kräftig, kantig, brutal, brachial. Hier ist nichts filigran, sondern: volle Breitseite. Der GT-R schert sich einen Dreck um “zeitlose Eleganz” oder sonstige Designspielereien, Sicken – konkav-konvexe Flächen – und mit was sich Autodesigner heutzutage halt sonst noch so austoben. Die einzigen hübschen Details sind der leuchtende Blitz in den Voll-LED-Scheinwerfern, sowie die eigenwilligen, versenkten Türgriffe, die erst hinten reingedrückt werden müssen, damit man vorne daran ziehen kann.
Ansonsten dominieren hauptsächlich gerade Linien sowie Ecken und Kanten. Der GT-R ist nicht schön, er ist pervers geil. Während die Front noch so einigermassen sozialverträglich aussieht, ist das Heck eine unverhohlene Machtdemonstration. Der dicke Spoiler wirkt auf dem derben Heck fast schon klein und die vier trompetengrossen Endrohre ragen wie Kanonenrohre aus dem Diffusor. Klare Ansage: Mit dem GT-R ist nicht gut Kirschen essen. Die vier unverkennbaren, runden Rücklichter brennen sich für immer und ewig in das Langzeitgedächtnis derjenigen ein, die von Godzilla in die ewigen Jagdgründe geschickt wurden.
Auch das Interieur vom GT-R wird nie einen Schönheitswettbewerb gewinnen, es ist eher funktional und nüchtern ausgerichtet. Die beiden Recaro Schalensitze vorne sind eher auf japanischen Körperbau zugeschnitten und sitzen eng, wenn man ein paar überflüssige Pfunde spazieren fährt. Die beiden Notsitze hinten sind entweder als Ablagefläche oder aber auch als Folterstühle zu gebrauchen, falls man dem aufgezwungenen Beifahrer (oder der Beifahrerin) nicht sehr freundlich gesinnt sein sollte. Platz ist schlichtweg keiner vorhanden, egal, ob vorne, oben oder seitlich.
Auch die Materialqualität lässt keine Herzen höher schlagen, teilweise wirkt gar ein schnöder Qashqai edler als der Hochleistungssportler. Das einzige, erstklassige nebst den Sitzen ist das massgeschneiderte Bose Audiosystem, welches Klang in Spitzenqualität liefert. Aber das etwas lieblose Cockpit wird zur Nebensache, wenn sich der GT-R erstmal in Bewegung setzt…
Ich möchte nicht lange um den heissen Brei herum reden, sondern sofort zum Punkt kommen. Die Launch Control vom GT-R ist einfach: brutal. Der GT-R tritt sich sowas von selber in den Allerwertesten, dass dem menschlichen Individuum am Steuer fast die Luft wegbleibt. Ehe das Hirn überhaupt verarbeiten kann, was eigentlich gerade vor sich geht, befinde ich mich schon in Temporegionen, die mich nach Via Sicura für die nächsten Jahre hinter Gitter bringen würden. Dank dem GT-R werde ich jetzt wohl für den Rest meines Lebens kein Auto mehr als schnell genug empfinden… Wie rabiat der GT-R ist, lässt sich anhand dieses kurzen Videos erahnen.
In der tempofeindlichen Schweiz ist diese Charaktereigenschaft des GT-R eher zwiespältig. Im Gegensatz zum Jaguar F-Type R Coupé beispielsweise, mit welchem man auch bei langsamer Fahrt dank bombastischem Sound einen Heidenspass haben kann, muss der GT-R nämlich gescheucht werden, damit das Gehirn genügend Serotonin ausschüttet. Im niedrigen Drehzahlbereich gibts nämlich weder besonders viel Bumms, noch hörenswerten Sound. Turbountypisch muss der 3,8-Liter V6 Biturbo, der von Hand zusammengebaut wird, die Drehzahlleiter ganz empor klettern, um seine volle Macht auszuspielen.
Ähnlich wie bei einer Kompressoraufladung steigt der Schub linear an und wird immer extremer, wobei das Ansprechverhalten gnadenlos direkt ist. Ab mittlerer Drehzahl dürfen dann auch die Endrohre trompeten, wobei der Sound nicht so brutal ist, wie die Optik verspricht. Viel mehr ist es ein metallisches Scheppern gemischt mit heiserem Kreischen, dass der GT-R beim Marschbefehl von sich gibt. Der handgebaute V6 ist zwar ein Meisterwerk japanischer Ingenieursleistung, er ist allerdings auch ein Feinschmecker – aber mit dem Appetit eines Sumo-Ringers. Das Triebwerk verlangt nämlich nichts geringeres als teures 100-Oktan Benzin und das nicht zu knapp. 11,8 Liter sind es auf dem Prüfstand, im echten Leben deren 13,3.
Was ich am GT-R besonders mag, ist, dass er so herrlich unverfälscht und ehrlich ist. Er denkt nicht mal im Traum daran, irgendwelche Spritspartechnik anzuwenden, geschmeidig zu federn oder irgendwelche Assistenzsysteme zu bieten, damit sich der angegraute «Best Ager» im GT-R wohl fühlen könnte. Stattdessen klackert und ruckelt das 6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe bei sehr langsamer Fahrt – Godzilla ärgert sich, dass ihm der Auslauf verwehrt bleibt. Der GT-R ist kompromisslos auf schnelles Fahren ausgerichtet.
Die Lenkung ist an Direktheit und Präzision kaum zu überbieten, das harte Biltstein-Fahrwerk lässt ihn auf der Strasse kleben, als würde für den GT-R ein Vielfaches der Erdanziehungskraft von 9,81 m/s² gelten. Die Gullydeckel-grossen Brembo-Scheiben ermöglichen indes eine Negativbeschleunigung, dass sich selbst die Launch Control wie eine Spazierfahrt anfühlt. Und obwohl der GT-R eine so wuchtige Erscheinung ist, ist er mit einem cW-Wert von 0,26 äusserst windschnittig geformt. Interessant: Bei Nissan denkt man unweigerlich an brave Brot-und Butter Autos. Die drei Buchstaben GT-R hingegen sorgen für Furore. GT-R ist eigentlich eine Marke für sich, die mit Nissan reichlich wenig gemeinsam hat – ähnlich wie Mustang bei Ford.
Selbst beim überirdischen GT-R halten die Japaner an ihrer Tugend, das alles inklusive ist, fest. 125’750 CHF kostet der Testwagen, das einzige erhältliche Extra ist die Metallic-Lackierung. 125 Riesen – ein verdammt hoher Preis für einen Nissan und gleichzeitig ein verdammt tiefer Preis für einen Supersportwagen, denn nicht Geringeres ist der GT-R. Mag ja sein, dass die Konkurrenz eine sanftere Seite hat und ein luxuriöseres Interieur bietet, aber fahrdynamisch fährt der GT-R Kreisel um alles, was nicht das Dreifache kostet und limitiert ist.
Fast schon über der Spitze der Nahrungskette bewegt sich die Nismo Variante (188’920 CHF). Ein faszinierendes und gleichzeitig exklusives Auto, von dem pro Jahr nur 200 Stück komplett von Hand gebaut werden. Der GT-R Nismo braucht keinen Gegner zu fürchten, der nicht LaFerrari, 918 Spyder, oder P1 heisst.
An dieser Stelle verneige ich mich noch vor dem Takumi-Meister Tsunemi Ooyama, der den Motor meines Testwagens gebaut hat. Möge Ooyama noch vielen weiteren Auto-Fans eine Freude bereiten. Lang lebe Godzilla. Amen.
Alltag ★★★★☆
Da die beiden hintersten Sitze nur als Alibi dienen, bezeichne ich den GT-R als 2-Plätzer. Ohne Familie bekommt der GT-R allerdings das Prädikat «alltagstauglich». Er hat eine Rückfahrkamera, einen erträglichen Comfort Mode fürs Fahrwerk und einen Save Mode des Getriebes für im Winter – und Allradantrieb sowieso. Der Kofferraum ist für zwei Personen ebenfalls ausreichend.
Fahrdynamik ★★★★★|+★
Nein, dies ist kein Fehler. Der GT-R bekommt tatsächlich sechs Sterne für die Fahrdynamik. Weil: Wenn die Strasse trocken ist, ist es völlig egal, mit welchem Tempo man um eine Kurve brettert, der GT-R hält die Linie und das ohne, dass das ESP eingreifen muss. Der GT-R ist eine Fahrmaschine allererster Güte. Die brachiale Gewalt kombiniert mit der unglaublichen Präzision macht ihn auf der Strasse quasi unverwundbar. Porsche-Schreck? Eher Porsche-Schredder.
Umwelt ★☆☆☆☆
Godzilla läuft, Godzilla säuft. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Ausstrahlung ★★★★★
Ein Ferrari kann noch so schön und ein Porsche noch so elegant sein. Der GT-R zeigt allen die harte Kante und vor allem junge Leute vergöttern ihn.
Fazit ★★★★★
+ Irrsinnige Beschleunigung
+ Klebt auf der Strasse
+ Extrem direkte und präzise Lenkung
+ Hartes und intensives Fahrerlebnis
+ Haltintensive Recaro Sitze
+ Rauer, mechanischer Sound. Auch vom Getriebe
+ Ehrliches Auto. Macht einem nichts vor
+ Die wohl massivsten Endrohre
+ Voll-LED Scheinwerfer
+ Unschlagbarer Preis
– Hoher Verbrauch
– Kleiner Tank
– Hintere Sitze völlig unnötig
– Emotionsloses Interieur
– Fehlender 7. Gang (Spargang) auf der Autobahn
Steckbrief
Marke / Modell | Nissan GT-R |
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Preis Basismodell / Testwagen | 122'800 CHF / 125'750 CHF |
Antrieb | Benzin, Allrad |
Hubraum / Zylinder | 3799 ccm / V6 |
Getriebe | 6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe |
Max. Leistung | 404 kW |
Max. Drehmoment | 632 Nm bei 3200 - 5800 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 2,7 s |
Vmax | 315 km/h |
Verbrauch NEFZ / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 11,8 l/100 km / 275 g/km / G |
Verbrauch Test / CO2 Emissionen / Differenz | 13,3 l/100 km / 310 g/km / + 13% |
Länge / Breite / Höhe | 4,68 m / 1,90 m / 1,37 m |
Leergewicht | 1820 kg |
Kofferraumvolumen | 315 l |
(Bilder: Koray Adigüzel)
Super Review ! Objektiv und ehrlich. Ich schätze das sehr besonders weil du ja auch schon andere Wagen gefahren bist.
Als kleiner Tipp den du hörst dich ja schon sehr nach Enthusiast an. Der R35 Gt-r ist im standard Zustand geradezu “gedrosselt” mit wenig Tuning ist hier das meiste zu machen was die Auto Welt je gesehen hat.
PS: Soundmäßig ist der F type r eine Heuschrecke gegen einen lauten GT-R.
Gruß Johann