Manchmal im Leben läuft nicht alles so, wie man es sich vorgestellt oder geplant hat. Eigentlich sollte an dieser Stelle der geliftete GT-R präsentiert werden, den ich und mein Cousin als unser Verkehrsmittel für den Korsika-Trip auserkoren haben. Weil auf Korsika allerdings kein Nissan High Performance Center beheimatet ist, ist den Nissan Verantwortlichen ob meiner Idee erst mal der Kinnladen Richtung Boden gerutscht. Als Alternative wird mir stattdessen der Juke Nismo RS angeboten, der in seiner jetzigen Generation langsam, aber sicher das Ende seines Lebenszyklus erreicht. Klingt wie ein schlechter Witz, doch im Nachhinein hat sich rausgestellt, dass der Tausch von Leistung gegen ein paar Zentimeter mehr Bodenfreiheit und dafür weniger Zentimeter in Länge und Breite uns mehr als nur einmal Schweissausbrüche erspart hat!
Obwohl ich mich stets auf neue Testautos freue, sind auch Déjà-Vus etwas Angenehmes. Da steigst du in den Juke und alles ist vertraut, weil schon mal gesehen (hier geht’s zum ersten Fahrbericht). Den Nismo hatte ich als spritzigen Kurvenräuber mit Handschaltung und mechanischem Sperrdifferential in Erinnerung. Unser jetziges Exemplar ist mit CVT-Getriebe, dafür Allradantrieb ausgestattet. Wie alles im Leben wird sich zeigen, dass auch dies seine Vor- und Nachteile hat.
Über den Juke allgemein möchte ich eigentlich keine grossen Worte mehr verlieren, da das Auto hinlänglich bekannt ist. Allerdings erkennt man also Autoblogger, der stets mit dem Neuesten vom Neuesten unterwegs ist, sofort das Alter vom Juke Nismo RS. Das Infodisplay wirkt extrem altbacken, das Infotainmentsystem klein und die Auflösung nicht mehr ganz zeitgemäss. Die Menge an Hartplastik würde Nissan heute wohl nicht mehr verbauen und auch die Verarbeitungsqualität wird beim Nachfolger garantiert hochwertiger sein.
Aber das soll uns alles nicht stören. Wir starteten unsere Reise kurz nach Mitternacht, da wir am nächsten Morgen die Fähre von Livorno nach Bastia gebucht haben. Was wir am Juke in jener Nacht am meisten schätzten, waren die bequeme Alcantara-Sitze sowie der Tot-Winkel-Warner. Das Sportfahrwerk bietet auch auf der Autobahn ausreichenden Komfort, der recht hohe Geräuschpegel im Innenraum jenseits von 120 km/h sorgt dafür, dass man nicht so schnell müde wird.
Da wir uns beim Fahren abwechseln konnten, schlugen wir uns die Nacht am Steuer ohne Streichhölzer zwischen den Augen um die Ohren – nicht zuletzt dank den 330 ml kaltem Espresso, den unsere Nonna abends zuvor fürsorglich für uns zubereitet hatte. Und ja, den erhöhten Blutdruck dank der rauen Menge an Koffein spürten wir insbesondere am Morgen durchaus…!
Typisch für Italien legte die Fähre mit über einer Stunde Verspätung ab. Nicht nur die Autos auf der Fähre klebten fast aneinander, auch die Passagiere. Unsere Überfahrt war aufgrund der zunehmenden Müdigkeit furchtbar, zumal wir auf unserem Platz keine bequeme Sitzposition finden konnten. Der Gedanke, in Korsika nochmals fahren zu müssen, schien unerträglich! Glücklicherweise sorgte das stundenlage Dösen und Nichtstun dennoch für eine gewisse Erholung. Die strahlende Sonne, die uns auf Korsika erwartete, tat schliesslich ihr übriges, dass wir uns wieder relativ fit fühlten.
Auf Korsika angekommen, liessen wir die Hafenstadt Bastia hinter uns und fuhren der Küste entlang Richtung Süden, um unser Tagesziel, Porto Veccio zu erreichen. Mehr als ein paar Dörfer begegneten uns auf dieser Strecke nicht. Meistens erstreckten sich rechts Felder und links mehr oder weniger nah das Meer. Bei einer Einwohnerdichte von 37 Einwohner/km² auf Korsika (Schweiz: 203 Einwohner / km²) ist dies aber auch kein Wunder.
Beim gemütlichen Cruisen weiss man das sanfte CVT-Getriebe zu schätzen, ausserdem muss bei einem Überholmanöver – viele fahren auf der Insel das Tempolimit von 90 km/h ausserorts bei weitem nicht aus – nicht lange der passende Gang gesucht werden. Da das Xtronic genannte Getriebe bei starker Beschleunigung und im Sport-Modus von seinen acht virtuellen Gängen Gebrauch macht, sind die Geräuschkulisse und der Gummiband-Effekt nicht so ausgeprägt. Dass der Juke Nismo als Handschalter dennoch spritziger ist, muss ich wohl kaum extra betonen.
Eine lange, 11-stündige Nachtruhe machte uns fit für den zweiten Tag. Die Kleinstadt Corte im Zentrum der Insel war unser Ziel. Dass wir dieses nicht auf dem direktesten Weg erreichen wollten, liegt wohl auf der Hand. 😉 Stattdessen suchten wir uns die schönste Route aus. Diese führte uns von Porte Veccio über Zonza und Albitreccia nach Westen, bevor wir kurz vor der Hauptstadt Ajaccio auf der Hauptstrasse nach Norden Richtung Corte fuhren.
Doch was heisst hier schon «Hauptstrasse». Korsika besteht zu rund 70 % aus Hochgebirge, entsprechend kurvig sind die Strecken. Nicht weniger als vier Pässe fungieren im südlichen Teil der Insel als West-Ost Verbindung. Die Landschaft wirkt grösstenteils unberührt, die Luft ist frisch, klar und sauber. Sobald das Meer nicht mehr in Sicht ist, erinnert bloss noch die Architektur, dass wir uns nicht mehr in der Schweiz befinden. Die Strassen sind meist nicht sonderlich breit, jedoch grösstenteils in einem guten Zustand. Lediglich bei Baustellen wird gerne mal eine asphaltierte Spur vergessen und man fährt ein Stück über Kies und Schotter. Gewisse Aussichtspunkte verzichten ebenfalls auf eine asphaltierte Fläche, sodass Godzilla manche Aussicht verwehrt geblieben wäre.
Mit seinen handlichen Abmessungen ist der Juke Nismo RS auf der Insel voll in seinem Element. Ja, wer ihn nicht mag, belächelt ihn als Frosch oder Krücke, aber als Nismo ist der Crossover nicht zu unterschätzen. Dank Allradantrieb und Torque Vectoring an der Hinterachse ist der Juke ein flinker Kurvenräuber mit stabilem und neutralem Handling, der erst sehr spät ins Untersteuern rutscht. Untypisch für einen Japaner lässt einem das ESP grosse Freiheiten und regelt erst, wenn der Juke sich kaum noch sonst zu helfen weiss.
Die korsischen Bergstrassen sind äusserst kurvenreich und verwinkelt, längere Geraden finden sich selten. Daher kommt man mit den 157 kW vom Juke Nismo RS gut zu Recht. Wir hatten viel Fahrspass und vermissten den GT-R bloss, wenn es ums Überholen ging. Mehrmals wäre ein Überholmanöver mit Godzilla möglich gewesen, mit dem deutlich schwächeren Juke Nismo erwies es sich allerdings zu riskant.
Dafür hätte Godzilla auf der Insel, was das Benzin angeht, in den sauren Apfel beissen müssen. Anstelle des hochwertigen 100 Oktan Treibstoffs, den er gerne hätte, gibt es auf Korsika meist bloss normales 95er Benzin, selbst 98er ist höchst selten. So musste auch der Juke Nismo, der eigentlich gerne 98er Benzin hätte (warum auch immer), mit Normalbenzin vorlieb nehmen. Zur Strafe für die magere Kost gab er uns bei einer Tankfüllung nach ausgiebigen Passfahrten bloss 318 Kilometer Reichweite an. Von nichts kommt halt nichts!
Das Städtchen Corte entpuppte sich, wie viele Ortschaften auf der Insel, als nichts besonderes. Die grössten Trümpfe von Korsika sind ganz klar die Landschaft sowie die zahlreichen Tier- und Pflanzenarten, die ausschliesslich auf der Insel vorkommen. Wanderer sowie Bergsteiger (und natürlich Petrolheads) kommen hier voll auf ihre Kosten, klassisches Sightseeing empfiehlt sich lediglich in Ajaccio, unserer dritten Destination am nachfolgenden Tag.
Die korsische Hauptstadt verfügt über eine historische Burg, einen schönen Hafen sowie eine traumhafte Promenade der Küste entlang, schönem Sandstrand inklusive. Besonders sympathisch finde ich, dass an bester Lage am Meer kein Hotelkomplex, sondern ein Skaterpark sowie ein Spielplatz stehen. Die Kids freut’s bestimmt! Ein Casino sowie zahlreiche Bars und Restaurants hat die mit rund 69’000 Einwohner mit Abstand grösste Stadt der Insel ebenfalls zu bieten. Ajaccio ist ausserdem Geburtsort von Napoleon Bonaparte.
Am vierten und letzten Tag auf der Insel machten wir uns wieder auf Richtung Bastia, wo spätabends unsere Fähre ablegte. Um uns tagsüber die Zeit zu vertreiben, machten wir einen Ausflug zum nördlichen Zipfel der Insel, vorbei an Tomino und Morsiglia. Die rechte Seite des Zipfels, dessen Strasse an der Küste verlauft, kann man sich schenken. Es gibt weder schöne Strassen, noch Orte oder Strände. Ein echter Geheimtipp ist dafür die linke Seite. Die Aussicht aufs Meer und die Berge in der Ferne ist grandios, die extrem kurvenreiche Strasse ohne Verkehr ein Traum!
Es folgt eine enge Kurve der anderen, es gibt kaum eine Gerade, die länger als geschätzt 150 Meter ist. Dem Juke Nismo RS wird ganz am Schluss alles abverlangt, doch er lässt die Tortur ohne Weiteres über sich ergehen. Für einen Crossover ist sein Handling über jeden Zweifel erhaben. Trotz Torque Vectoring sei leidenschaftlichen Fahrer das manuelle Getriebe mit mechanischem Sperrdifferential ans Herz gelegt. Insbesondere bergauf fühlt man sich vom CVT-Getriebe nämlich ausgebremst. Obwohl die grossen, feststehenden Schaltpaddels förmlich dazu einladen, die Kontrolle selber zu übernehmen, kommt aufgrund der virtuellen Übersitzungen einfach kein echtes Schaltfeeling auf. Am schnellsten ist man daher, wenn man das Getriebe im Sport-Modus sich selber überlässt.
Die Rückreise auf der bei weitem nicht ausgebuchten Nachtfähre gestaltet sich wesentlich angenehmer als die Hinreise. Jedenfalls wurde der Juke auf dem Garagendeck nicht eingepfercht und hatte wahrscheinlich mehr «Bewegungsfreiheit» als wir in der winzigen Kabine. Doch nicht nur wir, auch der Juke hat es sich während der Reise gut gehen lassen, schliesslich genehmigte er sich schamlos 10,5 l/100 km. Allerdings musste der arme Kerl schwer schuften, denn er wurde überhaupt nicht geschont. Im übrigen fühlte sich unser Testwagen auf der Insel bestimm pudelwohl: Korsika ist nämlich die reinste Juke-Hochburg, wie wir festgestellt haben. Man findet den Juke dort reihenweise in allen Farben in freier Wildbahn. Offenbar trifft sein schräges Design den korsischen Geschmack…
Ich kann jedem leidenschaftlichen Fahrer nur wärmstens empfehlen, mal nach Korsika zu fahren. Die Strassen sind das reinste Paradies, ausserdem sind alle Radarkästen ausgeschildert. Ja, mit dem GT-R wäre die Fahrt aufregender gewesen, obwohl wir bei jeder Parkplatzsuche froh drum waren, keinen Godzilla in die engen Parklücken bugsieren zu müssen. Aber wie heisst es so schön? Aufgeschoben ist nicht aufgehoben… Godzilla is coming soon! ?
Steckbrief
Marke / Modell | Nissan Juke Nismo RS |
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Preis Basismodell / Testwagen | 33 415 CHF / 37 915 CHF |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1618 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Getriebe | Stufenloses Automatikgetriebe |
Max. Leistung | 157 kW bei 6000 r/min |
Max. Drehmoment | 250 Nm bei 2400 - 6000 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 8,0 s |
Vmax | 200 km/h |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 7,3 l/100 km / 172 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 10,5 l/100 km / 247 g/km / +44% |
Länge / Breite / Höhe | 4,17 m / 1,77 m / 1,57 m |
Leergewicht | 1510 kg |
Kofferraumvolumen | 207 - 506 l |
Bilder: Koray Adigüzel / Kevin Pascali
1 thought on “Abgefahren: Mit dem Nissan Juke Nismo RS auf Korsika”