Nissan X-Trail: Hübsch, aber charakterlos?

Wie bitte? Dieses hübsche, gestylte SUV soll der neue Nissan X-Trail sein? Kaum zu glauben. Die beiden Vorgängergenerationen waren kastig und erinnerten an klassische Geländewagen. Schön ist definitiv anders. Der neueste X-Trail schaut eher aus wie ein Qashqai, der es etwas mit der Anabolika-Dosis übertrieben hat. Aber der X-Trail wirkt keineswegs wie ein aufgeblähter Qashqai, sondern kräftig und stimmig. Des Weiteren übernimmt er die Rolle des 7-Plätzers. So weit, so gut. Obwohl der X-Trail deutlich grösser als der Qashqai ist und somit den Eindruck erweckt, dass er höher positioniert wäre, bietet er ausser zusätzlichem Platz nichts, was der Qashqai nicht auch schon bietet. Muss der X-Trail deswegen in die Rolle des Lückenbüssers schlüpfen? Wieviel Charakter steckt im grössten SUV von Nissan?

Dass der X-Trail über ein gefälliges Design verfügt, verwundert wenig, gleicht er von vorne doch fast 1:1 dem kleineren Qashqai. Der V-förmige Kühlergrill, der Stossfänger und auch die Scheinwerfer sind dem kleinen Bruder sehr ähnlich. Von vorne macht der X-Trail einen robusten, kräftigen Eindruck, das Heck wirkt aber etwas gar brav. Während die aktuellen Nissan-Modelle von vorne sofort als Nissan zu identifizieren sind (Markengesicht), ist dies beim Heck nicht der Fall. Wenn ich es nicht wüsste, würde ich den X-Trail von hinten nicht als Nissan erkennen. Die hellen Klarglasleuchten hinten erinnern an frühere Lexus-Modelle.

Nissan X-Trail
Markante und muskulöse Front. Der Qashqai lässt grüssen.

Der Innenraum, insbesondere das Cockpit, ist fast noch mehr ein Qashqai-Klon als das Aussendesign. Mittelkonsole, Lüftungen, Linien, Anordnungen, es ist wirklich alles dasselbe. Übersichtlich, sauber verarbeitet, aber nüchtern und unaufgeregt gestaltet. Ab der zweiten Reihe ändert sich das Ganze dann. Die Sitze im X-Trail steigen pro Sitzreihe an – ähnlich wie im Kino – so dass man im Fond sehr hoch thront. Dennoch gibt es trotz Panoramaschiebedach genügend Kopf- und vor allem Beinfreiheit, vorausgesetzt, die verschiebbare Rückbank befindet sich ganz hinten.

Nissan X-Trail
Das Heck wirkt jedoch langweilig und bieder ohne grossen Wiedererkennungswert.

Der Komfort in der zweiten Reihe kann sich sehen lassen, allerdings fände ich eine Sitzheizung im Fond noch angenehm, die Koreaner bieten das nämlich auch an. Optional ist der X-Trail als 7-Plätzer zu haben, wobei die Plätze sechs und sieben nur Notsitze sind. Nicht nur, dass sie ausschliesslich für Kinder zumutbar sind – um nämlich ein Minimum an Beinfreiheit in der hintersten Reihe zu gewähren, darf die Rückbank nicht ganz hinten sein, was bedeutet, dass Beinfreiheit auf der zweiten Reihe verloren geht.

Nissan X-Trail
Helle Rücklichter finden sich heute nur noch selten. Der grosse Spalt dazwischen ist unschön.

Sitzt also ganz hinten jemand, geht folglich der Komfort in der zweiten Reihe flöten. Ausserdem sinkt das Kofferraumvolumen aufgrund der beiden hintersten Sitze. Sind alle Sitze aufgestellt, sind nur noch 135 Liter Volumen übrig, da bietet jeder Kleinstwagen mehr. Aber auch wenn die dritte Reihe versenkt ist, ist der Kofferraum mit 445 – 1877 l im Vergleich zum 5-Plätzer mit 550 – 1982 l um einiges kleiner. Wer die Sitze sechs und sieben regelmässig braucht, ist mit dem X-Trail daher an der falschen Adresse. Überdies üffnet die Heckklappe bei weitem nicht hoch genug, gross gewachsene laufen Gefahr, sich zu stossen.

Nissan X-Trail
Die dritte Sitzreihe: Nur für Notfälle und nicht für den regelmässigen Gebrauch zu empfehlen.

Zugegeben, angesichts der Grösse vom X-Trail und dem vergleichsweise mickrigen 1,6-Liter Diesel mit 96 kW und 320 Nm war ich anfangs etwas skeptisch, zumal der kleine Selbstzünder der einzige Motor im Programm ist. Meine Befürchtungen beim Test vom Pulsar, dass der Motor zu schwach und die Auswahl dürftig, resp. beim X-Trail gar nicht erst vorhanden ist, wiederholten sich. Wählen kann man beim X-Trail höchstens zwischen Front-und Allradantrieb, wobei für die Variante mit Frontantrieb ein stufenloses Automatikgetriebe zur Verfügung steht. Im Test stand aber der handgeschaltete 4×4.

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Der Platz in der zweiten Reihe bei komplett zurückgeschobener Rückbank überzeugt.

Zumindest was den Antrieb anbelangt, sind meine Zweifel ziemlich schnell verschwunden. Der Diesel ist nämlich überraschend agil, dreht leichtfüssig hoch und bringt die Fuhre angemessen in Schwung. Dabei ist der Motor akustisch eher zurückhaltend und vor allem sehr laufruhig und vibrationsfrei. Auch die Schalthebelführung ist viel angenehmer als beim Qashqai, da sie eine grosse Spur knackiger und auch die Kupplung ziemlich straff ist. Der von mir getestete Qashqai war quasi die Soft-Ice Version mit Benzinmotor und Frontantrieb. Das Getriebe und die Kupplung waren weich, die Lenkung schwammig.

Nissan X-Trail
Der kleine Diesel läuft flott. Platz für ein grösseres Aggregat wäre reichlich vorhanden…

Beim X-Trail sind Motor, Getriebe und Kupplung ein bisschen grober, aber im positiven Sinne, es passt einfach besser zu seinem Auftritt. Die Lenkung ist ebenfalls spürbar direkter und präziser als im Qashqai, auch wenn nach wie vor Verbesserungspotential vorhanden ist. Zwar befindet sich auch der X-Trail auf der komfortablen Seite, was das Fahrverhalten angeht, doch er scheint mir ein bisschen das Raubein in Nissans Crossover-Familie zu sein.

Nissan X-Trail
Das Cockpit ist fast eine 1:1 Kopie desjenigen vom Qashqai

Diese Erkenntnis ist für mich wichtig, weil sich dadurch der X-Trail klar positionieren kann. Wäre er genauso soft wie der Qashqai, dann wüsste ich beim besten Willen nicht, warum man sich für den X-Trail entscheiden sollte. Technisch sind sich die Brüder Qashqai und X-Trail nämlich sehr ähnlich: Beide verfügen über dieselben Assistenzsysteme und der überzeugende Diesel ist auch im Qashqai-Portfolio zu finden. Letzterer ist nebst seiner überraschenden Agilität auch durch seinen ziemlich genügsamen Durst von 6,8 l/100 km positiv in Erinnerung geblieben.

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Sind alle Sitze hochgeklappt, bleibt kaum noch Raum für Gepäck übrig.

Der Nissan X-Trail ersetzt den ehemaligen Qashqai+2, also den damaligen 7-Plätzer in der Qashqai-Familie. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum sich die beiden SUVs sowohl optisch, als auch technisch so ähnlich sind. Der X-Trail ist nämlich ein gutes Stück grösser als der Qashqai und meistens bedeutet ein ordentliches Plus bei der Grösse auch der Einstieg in eine höhere Klasse. Der Sprung in die höhere Klasse gelingt dem X-Trail allerdings nicht, denn um im harten Umfeld der Mittelklasse-SUVs bestehen zu können, fehlt dem X-Trail nebst einem adaptiven Tempomat und der Kombination von Allradantrieb und Automatikgetriebe vor allem ein stärkerer Motor. Obwohl ich für den kleinen Diesel vollen Lobes bin, so genügt der Motor höheren Ansprüchen an die Fahrdynamik nicht.

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So sieht es schon ganz anders aus, obwohl der 5-Plätzer noch ein bisschen mehr schluckt.

Aber offensichtlich ist das alles gar nicht gewollt von Nissan. Der X-Trail soll all jene ansprechen, denen ein Qashqai zu softig und/oder zu klein ist. Da der X-Trail kaum mehr kann als der Qashqai, ist auch der Aufpreis sehr fair. Der komplett ausgestattete Testwagen kostet 48’890 Franken, ein ebenfalls komplett ausgestatteter Qashqai kostet 45’730 Franken, die Differenz beträgt also lediglich 3160 Franken, wovon 1000 Franken für die Sitze sechs und sieben fällig sind. Insofern ist der X-Trail nicht viel mehr als ein Upgrade vom Qashqai, wobei er sich durch seine härtere Gangart einen eigenen Charakter sichert.

Nissan X-Trail
Ein richtig eigenständiges Modell ist der X-Trail eigentlich nicht, zu nahe ist er am Qashqai. Aber er verdient seine Daseinsberechtigung.

Alltag 5 out of 5 stars

Das Platzangebot im Nissan X-Trail ist sehr grosszügig. Allerdings ist darauf zu achten, dass die Sitze sechs und sieben nur für Notfälle taugen, wer sie regelmässig benötigt, wird mit dem X-Trail nicht glücklich. Für eine entspannte Fahrt bietet Nissan einige Assistenzsysteme an, wobei der Tot-Winkel-Warner bei schlechtem Wetter unzuverlässig funktioniert.

Fahrdynamik 3 out of 5 stars

Der X-Trail ist von Natur aus friedlich und mag es, wenn es der Fahrer ebenso ruhig angeht. Er ist weder untermotorisiert, noch schaukelig, aber Biss hat er eben auch nicht.

Umwelt 4.5 out of 5 stars

Ein Verbrauch von 6,8 l/100 km ist für ein SUV dieser Grösse unter hochwinterlichen Verhältnissen ein guter Wert, obwohl die Werksangabe bei nur 5,3 l/100 km liegt. Eine Start-Stopp-Automatik ist ebenfalls an Bord.

Ausstrahlung 4 out of 5 stars

Verglichen mit seinem Vorgänger ist der X-Trail eine wahre Schönheit. Er sieht attraktiv und kräftig aus, aber das Heck ist zu langweilig geraten. Vor allem ist er von hinten nicht als Nissan zu identifizieren.

Fazit 4 out of 5 stars

+ Agiler, laufruhiger Motor
+ Gute Schalthebelführung
+ Komfortables, nicht zu schwammiges Fahrwerk
+ Sehr grosszügiges Platzangebot
+ Assistenzsysteme verfügbar
+ Faires Preis-/Leistungsverhältnis
+ Akzeptabler Verbrauch

– Tot-Winkel-Warner bei schlechtem Wetter unzuverlässig
– Mässig präzise Lenkung
– Nur ein Motor verfügbar
– Allradantrieb nicht mit Automatikgetriebe kombinierbar

Steckbrief

Marke / ModellNissan X-Trail
Preis Basis­modell / Testwagen32'900 CHF / 48'890 CHF
AntriebDiesel, Allrad
Hubraum / Zylinder1598 ccm / R4
Getriebe6-Gang manuell
Max. Leistung90 kW bei 4000 r/min
Max. Drehmoment320 Nm bei 1750 r/min
Beschleu­nigung 0–100 km/h11,0 s
Vmax186 km/h
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz5,3 l/100 km / 139 g/km / C
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz6,8 l/100 km / 178 g/km / +28%
Länge / Breite / Höhe4,64 m / 1,83 m / 1,72 m
Leergewicht1720 kg
Koffer­raum­volumen445 - 1877 l (7-Plätzer) 550 - 1982 l (5-Plätzer)

(Bilder: Koray Adigüzel)

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