Okay, wann habt ihr zuletzt etwas so atemberaubend Schönes gesehen, dass ihr den Blick einfach nicht mehr abwenden konntet? Genauso verhält es sich bei allen, mir inklusive, die den Polestar 1 zum ersten Mal live sehen. Bullig. Matt-weiss. Breit. Flach. Wunderschöne Formen. Riesiges Glasdach. Felgen wie ein Edelstein. Dieses Auto sieht nicht nur speziell aus, es ist es auch und ich werde auf alle Einzelheiten eingehen. Während der Polestar 2 Performance und Alltagstauglichkeit zu einem fairen Preis bietet, ist das hier ein Auto der Superlative. Er war der erste Wurf der neuen Performance-Marke von Volvo und stellt somit ein fahrendes Ausrufezeichen dar. Man zeigt, was man hat. Auf geht’s!
Wie ein Concept Car
Hach, das Design. Man kann sich gar nicht daran satt sehen! Obwohl die Front die Nähe zu Volvo demonstriert, ist der Polestar 1 so eigenständig, wie es heute nur noch wenige Autos sind. Dieses auf 1500 Einheiten limitierte Schmuckstück wurde ohne Rücksicht auf Platzverhältnisse designt und erreicht dadurch eine kompromisslose Schönheit. Da nahezu die gesamte Karosserie aus Carbon besteht, können im Gegensatz zu Blech aufwendigere Strukturen einfacher erzielt werden.
In seiner Gesamtheit wirkt der Polestar 1 so speziell wie eine Konzeptstudie und dieser Vergleich kommt nicht von ungefähr: Bereits 2014 präsentierte Volvo das Concept Coupé, dessen Design der Polestar 1 nahezu unverändert und voller Stolz tragen darf.
Wie ein Volvo
Das Cockpit kommt einem sehr vertraut vor, da es bis auf ein paar Details unverändert von den Volvo-Modellen übernommen wurde. Puncto Stil und Qualität ist das definitiv kein Nachteil, doch angesichts der Exklusivität und des Preises vom Polestar 1 fände ich ein angepasstes Cockpit angebracht. Im Gegensatz zum jüngeren Polestar 2 verfügt der 1er zudem nicht über das schnellere, mit Google Maps und Google Assistant ausgerüstete Android-Infotainmentsystem.
Vorne sitzt man perfekt eingebettet in den Sportsitzen und geniesst den Ausblick über die lange Motorhaube. Eine Sitzlüftung fehlt leider, doch das ist Jammern auf hohem Niveau, wenn man den Blick nach hinten wendet. Zwar ist auch im Fond alles piccobello mit Leder ausgekleidet, auch die Ambientebeleuchtung leuchtet in der zweiten Reihe und die Lautsprecher des Bowers & Wilkins Soundsystem werden schön in Szene gesetzt.
Dumm nur, dass niemand hinten sitzen kann, da die vorherrschenden Platzverhältnisse wahrscheinlich gegen geltende Menschenrechte verstossen. Nicht wirklich geräumiger ist es im Kofferraum, der magere 143 Liter fasst. Dafür werden hinter einer Plexiglas-Scheibe die Verkabelungen des Elektroantriebs zur Schau gestellt. Es lebe der Freigeist der Kleinserie!
Wie die Ruhe vor dem Sturm
Der Polestar 1 startet natürlich geräuschlos im Hybrid-Modus. Das Powermeter im Cockpit zeigt, wieviel Kraft der Wagen im rein elektrischen Modus zur Verfügung stellen kann, darüber hinaus springt der Verbrenner an. Im rein elektrischen Modus würde der Verbrenner erst beim Kickdown zu Hilfe eilen. Kraft, davon hat der Polestar 1 reichlich, denn: Unter der Haube arbeitet der von Volvo bekannte Top-Benziner mit Turbo- und Kompressoraufladung, der zusätzlich von einem ISG (integriertem Starter-Generator) unterstützt wird. An der Hinterachse sorgen zwei Elektromotoren für Vortrieb.
Gespiesen werden diese von einer 34 kWh Batterie, womit der Polestar 1 eine ganz besondere Stellung bekommt. Einen vergleichbar aufwendigen Plug-in-Hybrid mit gleich vier Antriebsquellen gibt es nicht, ebenfalls kann keiner eine elektrische Norm-Reichweite von 124 Kilometer vorweisen. Die resultierende Power von 448 kW und 1000 (!) Nm sorgt für Staunen. Aber wie fühlen sich diese absurden Zahlen in der Praxis wirklich an?
Nun, im rein elektrischen Modus ist der Polestar 1 natürlich ein gemütlicher, obwohl die elektrische Leistung auch für etwas stärkere Beschleunigung ausreicht. Die Straffheit der Öhlins-Dämpfer und die bissige Bremse lassen ausserdem ein Gefühl dessen aufkommen, was da querdynamisch möglich sein kann. Doch in erster Linie sind die elektrischen Modi die, welche den in China gebauten Schwenden zu einem leisen Gran Turismo machen. Der Geräuschpegel ist natürlich sehr tief, lediglich der Drang der breiten Reifen, Spurrillen nachzurollen, trüben das Komfort-Bild etwas.
Wer gemütlich fährt, schafft tatsächlich um die 100 Kilometer elektrische Reichweite, was derzeit kein anderer Hybrid bieten kann. Doch das Theme Energie kommt später. Es ist auch möglich, den Akkustand quasi einzufrieren, um die Ladung später zu verwenden. Dankenswerterweise lässt sich der Polestar 1 sogar via CCS mit 50 kW schnellladen, sodass man auch auf längeren Strecken schnell wieder viel elektrische Reichweite nachladen kann.
Wie… wie nichts anderes
Jedoch wäre es in meinen Augen jammerschade, einen dermassen potenten Hybrid-GT immer nur im Elektro-Modus dahinrollen zu lassen. Im Power-Modus offenbart der Polestar 1 eine faszinierende Art der Beschleunigung. Beim Kickdown tritt augenblicklich gewaltiger Schub auf, da die Elektromotoren blitzartig anschieben und der ISG den Benziner boostet. Noch bevor man das überhaupt verarbeitet hat, dreht der Benziner so richtig hoch und der Schub wird immer kräftiger, ohne ein Ende zu nehmen! Dabei ist es ziemlich egal, in welchem Gang man sich befindet, sodass die Paddels kaum zum Einsatz kommen. Erwartungsgemäss ist der Sound des Benziners jedoch ziemlich mau.
Faszinierend ist dabei nicht nur die irre Power des Wagens. Die Bremse ist genauso brachial wie der Antrieb und verzögert auch bergab konstat und ohne Schwäche, auch wenn man den Polestar so richtig malträtiert. Keine Selbstverständlichkeit für einen Hybriden sind ausserdem die ausgezeichnete Dosierbarkeit und der starke Gegendruck des Bremspedals.
Will man den Schweden fahrdynamisch aus der Reserve locken, muss das ESP in den Sport-Modus gestellt werden, ansonsten greift es früh ein und unterbindet am Kurvenausgang die maximale Power. Die Sicherheitsphilosophie von Volvo halt. Doch im Sport-Modus reitet der Polestar 1 an der Grenze des physikalisch machbaren. Das Auto wiegt nämlich trotz Carbon-Karosserie massive 2420 Kilo, doch aufgrund der extremen Steifigkeit, der straffen Dämpfer und der ausgewogenen Gewichtsverteilung (52% hinten) neigt und nickt das Auto nicht und bleibt sehr lange neutral, auch wenn man früh aus der Kurve beschleunigt.
Kaschiert wird das Gewicht nicht, man spürt es, gleichwohl wird man immer wieder aufs neue überrascht, wie so viel Gewicht so schnell um Kurven geworfen werden kann. Verbesserungspotenzial hat einzig die Lenkung, der ein Tick mehr Direktheit und Rückmeldung von der Vorderachse nicht schaden würde. Wird der Polestar über seine Grenzen hinaus getrieben, schiebt er über alle vier Räder. Das Auto würde auf trockener Strasse niemals mit dem Heck ausbrechen, auch wenn man es provoziert. Einerseits, weil auf die Vorderachse mehr Drehmoment einwirkt, andererseits beisst sich ein hecklastiger Antrieb wohl mit der Sicherheitsphilosophie der Marke.
Wie Zahlen täuschen
Der Polestar 1 ist ein extrem kräftiges und extrem schnelles Auto, nichtsdestotrotz fühlen sich die 1000 Nm in der Realität aufgrund des immensen Gewichts nicht ganz so brutal an, wie man sie sich angesichs der reinen Zahl vorstellt. Eine andere, noch viel täuschendere Zahl ist der Normverbrauch, der sich auf 0,7 l/100 km beläuft und den Polestar 1 zum ökologischen Musterknaben adelt.
Die sehr theoretischen Plug-in-Hybrid Verbräuche sind nichts neues, doch der Polestar 1 führt die Augenwischerei mit seinem riesen Akku auf ein neues Level. 34 kWh fasst er und rein elektrisch schafft man rund 100 Kilometer, was also bedeutet, dass der Stromverbrauch 34 kWh/100 km beträgt. Das ist ein extrem hoher und somit auch ein alles andere als vorbildlicher Wert.
Unter dem Strich beträgt der Testverbrauch 7,6 l/100 km zuzüglich vier Akkuladungen, also 136 kWh Strom. Rechnet man den Energiegehalt des verbrauchten Stroms in Benzin um, ergeben das zusätzliche 16 Liter Benzin auf die gesamte Testdistanz. Somit würde sich ein Benzinäquivalent von 9,5 l/100 km ergeben. Lange Rede, kurzer Sinn: Der Polestar 1 macht auf Öko-Sportler, hat aber in der Realität einen gigantischen Energiebedarf. Aber wen wunderts, wenn so viel Gewicht so stark beschleunigt wird.
Wie ein Statement
Der Polestar 1 ist ein Designerstück durch und durch, zudem beweist er einmal mehr, dass Polestar die Performance beherrscht. Das Auto ist für Enthusiasten, Liebhaber oder auch Sammler gedacht, denn die Limitierung auf 1500 Einheiten machen das Auto rar. Das hat natürlich seinen Preis. 165’000 Franken kostet das ausschliesslich in Komplettausstattung verfügbare Auto, die gezeigte Matt-Lackierung als einziges Extra schlägt nochmals mit 5000 Franken zu Buche. Es ist zu erwarten, dass der Wert langfristig erhalten bleibt, da sein hochperformanter Hybrid-Antrieb bislang einzigartig ist.
Noch sind Exemplare verfügbar und auch wenn dieses Schmuckstück nicht in allen Belangen perfekt ist, so ist er in Zeiten von Synergien und immer mehr charakterlosen Autos eine wahre Wohltat. Im Übrigen ist der Polestar 1 der erste und auch letzte Polestar, der noch über einen Verbrenner verfügt. Aber eigentlich bräuchte das Auto nicht noch mehr Einzigartigkeit, um etwas Spezielles zu sein.
Alltag
Bei aller Schönheit, aber der Polestar 1 ist furchtbar unpraktisch. Der Kofferraum verdient seine Bezeichnung nicht und die Rücksitze dienen höchstens als kleine Erweiterung des kargen Gepäckraums. Des weiteren ist der Wendekreis gross und die Türen so lange, dass aus engen Parklücken das Ein- und Aussteigen zur Akrobatik-Übung wird.
Fahrdynamik
Die Kombination aus instant-Elektroschub + aufbauendem Verbrenner-Schub beeindruckt jedes Mal wieder aufs neue, der Wagen verfügt über Power ohne Ende. Trotz des enormen Gewichts von 2420 Kilo lässt sich der Polestar 1 knallhart um Kurven prügeln und es braucht viel, bis er über alle Viere beginnt zu schieben. Die Bremse verzögert gewaltig und bietet einen sensationellen Gegendruck.
Umwelt
Mit dem offiziellen Normverbrauch von 0,7 l/100 km dank sehr hoher elektrischer Reichweite geht der Polestar 1 als ökologisch durch. Doch das ist Augenwischerei, denn der wahre Energieverbrauch dieses viermotorigen Wagens ist gewaltig. Im Test waren es 7,6 l/100 km zuzüglich vier vollen Akkuladungen.
Ausstrahlung
Aus jeder Perspektive betrachtet ist der Polestar 1 ein automobiles Kunstwerk. Seine Seltenheit aufgrund der Limitation macht seinen Auftritt noch spektakulärer.
Fazit
+ Fantastisches, kunstvolles Design
+ Haptik und Verarbeitung auf sehr hohem Niveau
+ Tiefe Sitzposition, perfekte Ergonomie
+ Interieur-Design mit Liebe zum Detail
+ Intuitives Infotainmentsystem mit Online-Diensten
+ Hohe elektrische Reichweite dank grossem Akku
+ Sehr grosses und zuverlässiges Assistenz-Paket
+ Manuell einstellbare Öhlins-Dämpfer mit straffem Grund-Setting
+ Gewaltige Bremsen, sehr gutes Bremsgefühl mit ordentlichem Gegendruck
+ Nahezu unbeirrbares, neutrales Fahrverhalten
+ Perfekte Gewichtsverteilung
+ Irrer, nicht aufhören wollender Schub
+ Sehr steife Karosserie
– Sehr hoher Preis
– Wahnsinnig hohes Gewicht
– Kofferraum völlig unpraktisch
– Hoher Energieverbrauch
– Weitgehend unverändertes Volvo-Cockpit
– Dürftiger Motorsound
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Polestar 1 |
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Preis Basismodell / Testwagen | 165 000 CHF / 170 000 CHF |
Antrieb | Benzin Plug-in-Hybrid / Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1969 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbo- und -Kompressormotor + 1 Elektromotor vorne + 2 Elektromotoren hinten |
Getriebe | 8-Gang Automatikgetriebe |
Max. Systemleistung | 448 kW |
Max. Systemdrehmoment | 1000 Nm |
Beschleunigung 0 - 100 km/h | 4,2 s |
Vmax | 250 km/h (elektronisch abgeregelt) / 160 km/h (elektrisch) |
Elektrische Reichweite nach WLTP | 124 km |
Batteriekapazität | 34 kWh |
WLTP-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 0,7 l /100 km) / 15 g/km / A |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 7,6 l/100 km / 163 g/km / +1086% |
Länge / Breite / Höhe | 4,59 m / 1,95 m / 1,35 m |
Leergewicht | 2424 kg |
Kofferraumvolumen | 143 l |
Bilder: Koray Adigüzel