Es muss vielleicht vor ungefährt anderthalb Jahren gewesen sein. Auf der Agenda von Seat Chef Luca De Meo steht die Sitzung mit VW-Konzernboss Matthias Müller. Traktandenliste: Das Facelift des Seat Leon Cupra mit 221 kW. De Meo möchte die Performance seiner Cupra-Modelle weiter erhöhen und darum auf Allradantrieb setzen. Müller pfeift ihn allerdings zurück, denn mit Allradantrieb würde der Leon Cupra dem Golf R zu sehr auf die Pelle rücken. Die beiden liefern sich ein verbales Armdrücken, um schlussendlich zu einem Kompromiss zu finden: Der Kombi bekommt Allrad, der Kompakte bleibt beim Frontantrieb. Schliesslich gehen die beiden zusammen ein Bier trinken und prosten sich zu. Die Geburtsstunde meines Testwagens in der neuen Farbe Desire Red hat geschlagen.
Das ist natürlich alles frei erfunden, aber gar nicht so abwegig. Warum sonst soll nur eine Karosserievariante ein Upgrade bekommen? In meinen Augen ist die ST genannte Kombivariante mit Allradantrieb nämlich die einzig gewichtige Änderung am ganzen Cupra Facelift. Die optischen Retuschen und das optimierte Infotainmentsystem sind genauso nett wie die sieben zusätzlichen kW Leistung.
Der Leon Cupra war schon immer ein gutes Auto und mit solchen Kleinigkeiten haltet man ihn zwar immer hübsch in Schuss und up to date, aber das Rad erfindet man so nicht neu. Mit Allradantrieb spielt der Kombi aber nicht nur in einer neuen Liga, er tanzt sogar dem Golf R Variant auf seiner gelifteten Nase herum.
Damit der böse Golf nicht das Nachsehen hat, sind in seinem optionalen Performance-Pack eine Akrapovic-Auspuffanlage, Vmax-Aufhebung (267 km/h), Semis sowie eine Brembo-Bremsanlage enthalten. Beim Cupra (der Testwagen hat das Performance-Pack leider nicht an Bord) sind es “nur” Semis, Brembo-Bremsanlage und optische Änderungen. Ausserdem hat der Golf das neue 7-Gang DSG, das 400 Nm verkraftet, an Bord, während dem Leon sechs Gänge und 380 Nm reichen müssen. Aber der Abstand ist hauchdünn und anstatt diese beiden Autos wie ein Makler anhand kleinlichen Zahlen zu vergleichen, wird es Zeit, dem Leon Cupra die Sporen zu geben.
Ja, es existiert eine Anfahrschwäche und ja, auch ein Turboloch ist nicht zu verleugnen. Aber wenn man den Berg hoch fegt und es richtig anstellt, dann hat man genau ein einziges Mal mit diesen Unannehmlichkeiten zu kämpfen. Ansonsten ist der Leon ST Cupra eine Wucht. Antrittsstark, direkt, präzise und vor allem straff gefedert stellt er sich allen sportlichen Herausforderungen, die ihm gestellt werden.
Dank Allradantrieb kann man das ESP getrost komplett in den Winterschlaf schicken. Zu grobes Einbremsen in die Kurve quittiert der Cupra mit Untersteuern, doch ansonsten hält er stoisch die Spur. Nebst der präzisen Lenkung verdankt er dies vor allem dem adaptiven Fahrwerk, das im Cupra Modus fast zu hart ist und auf unebenen Streckenabschnitten Unruhe ins Auto bringt. Der Sport Modus eignet sich daher besser, wenn die Strasse nicht perfekt ausgebaut ist. Alternativ kann man im Individual Modus den Antrieb komplett von der Leine lassen und das Fahrwerk abmildern.
Der Leon Cupra fährt mit Allradantrieb wie ein Wilder, doch leider tönt er wie ein Säugling. Was hinten rausgeblasen wird, ist nicht der Rede wert. Sogar das Rotzen beim Hochschalten haben sie ihm abgewöhnt, es wird immer schlimmer. Dafür wird man im Innenraum vom Sound Symposer zugedröhnt, sobald man vom Comfort Modus abweicht, aber immerhin ist der Cupra im Comfort Modus ruhig. Der Golf R dröhnt ständig künstlich, das wird auf Dauer richtig nervig.
Die Zeiten guten Motorsounds neigen sich wohl langsam, aber sicher dem Ende zu. Autos wie der Leon Cupra, die bei Facelifts leiser werden, sind der fahrende Beweis. Doch dafür sind auch die Zeiten vorbei, als bei Seat gespart werden musste. Ich erinnere mich noch gut an den ersten Leon. Kein Alcantara, kein Keyless-Go, kein Abstandstempomat, kein Tot-Winkel-Warner. Und jetzt? Der Cupra (und auch der normale Leon) sind vollgestopft mit Assistenzsystemen, die Türen sind hübsch mit Alcantara verkleidet – auch im Fond.
Der fade Motorsound liegt mir echt schwer im Magen, doch das kann bei einschlägigen Anbietern behoben werden. Ansonsten kann ich nur eine dringende Kaufempfehlung für den Cupra aussprechen. Dieser Apparat kostet, so wie er dasteht, 42’990 Franken. Viel besser kann das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr werden. Ich würde noch das Performance-Pack Plus für 4130 Franken drauflegen. Ausgerüstet mit Semis und Brembo-Bremsanlage hätte dieser Kombi garantiert das Zeug, deutlich mächtigeren und teureren Gegnern anständig in den Hintern zu treten.
Alltag
An Platz mangelt es im Leon ST garantiert nicht, zudem ist er sehr übersichtlich. Der mit der Ladekante bündige Ladeboden macht das Beladen einfach, doch ein unterteilbarer Kofferraum oder eine dreifach teilbare Rückbank wären noch das Tüpfchen auf dem i.
Fahrdynamik
Dieser Kombi fährt fahrdynamisch in einer ganz hohen Liga. Die Präzision und das neutrale Fahrverhalten sind klasse. Das Handling mit Performance Paket muss unglaublich gut sein.
Umwelt
Der Normverbrauch von 7,2 l/100 km ist genauso ein Witz wie der Motorsound. Selbst bei ruhigster Fahrweise geht unter acht Litern gar nichts. Im Test waren es sogar 10,1 l/100 km und das ist trotz der respektablen Leistung happig.
Ausstrahlung
Optisch ist der Leon Cupra bis auf eine minim geschärfte Front immer noch ganz der Alte. Egal. Sein Design ist nach wie vor mit Abstand das Heisseste, was der VW-Konzern in dieser Liga zu bieten hat!
Fazit
+ Scharfes Design
+ Sehr bequeme und coole Sportsitze
+ Gute Übersicht
+ Grosszügige Platzverhältnisse
+ Neutrales Fahrverhalten
+ Dreistufig deaktivierbares ESP
+ Sehr agiles und direktes Handling
+ Knackiges Fahrwerk
+ Sehr viele Assistenzsysteme verfügbar
+ Sensationelles Preis-Leistungs-Verhältnis
– Hoher Verbrauch
– Deutliche Anfahrschwäche
– Fader Motorsound, dafür nerviger Sound Symposer
– Sitzposition leicht zu hoch
Mängel am Testwagen
– Keine Mängel
Steckbrief
Marke / Modell | Seat Leon ST Cupra 4Drive |
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Preis Basismodell / Testwagen | 40 800 CHF / 42 990 CHF |
Antrieb | Benzin, Allradantrieb |
Hubraum / Zylinder | 1984 ccm / R4 |
Motoranordnung / Motorkonzept | Frontmotor / Turbomotor |
Getriebe | 6-Gang Doppelkupplungsgetriebe |
Max. Leistung | 221 kW bei 5500 - 6200 r/min |
Max. Drehmoment | 380 Nm bei 1800 - 5500 r/min |
Beschleunigung 0–100 km/h | 4,9 s |
Vmax | 250 km/h (elektronisch abgeregelt) |
NEFZ-Verbrauch / CO2 Emissionen / Energieeffizienz | 7,2 l/100 km / 164 g/km / G |
Test-Verbrauch / CO2 Emissionen / Differenz | 10,1 l/100 km / 230 g/km / +40% |
Länge / Breite / Höhe | 4,54 m / 1,82 m / 1,43 m |
Leergewicht | 1606 kg |
Kofferraumvolumen | 587 - 1470 l |
Bilder: Koray Adigüzel
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