Nach wie vor wird Tesla als ein etwas anderer Autohersteller betrachtet. Zu Recht! Chef Elon Musk tickt anders als der Rest der Autobranche und das merkt man dem Endprodukt an. Das Model 3 SR+, also das Modell mit der Standard-Reichweite und Heckantrieb, ist in der Schweiz das Einstiegsmodell, jener Hoffnungsträger, welcher bei Tesla für den endgültigen Durchbruch sorgen soll. Im Test hat sich gezeigt, dass die Amis in einigen Bereichen führend sind, doch in anderen Punkten sorgt das Model 3 für Kopfschütteln.
Beim Design des Model 3 geht es Tesla hauptsächlich konventionell an. Es ähnelt zwar von hinten dem grossen Bruder Model S, doch ich begrüsse es, dass der Neuzugang eine eigenständige Schnauze trägt. Das grosse, zweiteilige Panoramadach ist serienmässig, was sowohl von aussen, wie auch von innen grossartig wirkt und dem Auto eine edle Note verleiht. Allerdings sorgt das Dach konstruktionsbedingt auch dafür, dass es sich beim Model 3 um eine Stufenheck-Limousine mit entsprechend schmaler Kofferraumöffnung handelt. Ein Fliessheck mit grösserer Heckklappe wäre weitaus praktischer.
Reduzierter geht nicht
Im Innenraum kommt dann dafür der grosse Wow-Effekt: So leer ist kein einziges anderes Auto! Abgesehen von den Fensterhebern, den Bedienhebeln hinter dem Lenkrad sowie den Knöpfen für Leselampen und Warnblinker am Dachhimmel verfügt das Model 3 nämlich über keinen einzigen Knopf. Sämtliche Einstellungen werden über den 15″-Touchscreen vorgenommen, selbst die Aussenspiegel sowie das Lenkrad.
Die Bedienung geht superschnell und easy von der Hand, da kann sich puncto Infotainmentsystem jeder andere Autohersteller eine Scheibe abschneiden. Die Navigation via Google Maps ist top und ja, sie funktioniert auch offline. Im Stand während des Ladevorgangs hat man Zugriff auf Youtube und Netflix, auch die Spotify-App und ein Webbrowser sind vorinstalliert. Selbst die Intensität und die Richtung des Luftstroms der Klimaanlage werden über den Touchscreen gesteuert. Man kann sich ein eigenes Profil anlegen, um sämtliche Einstellungen zu speichern und sogar ein paar Easter Eggs wie Furzgeräusche aus dem Lautsprecher haben es ins Auto geschafft. Software-Updates funktionieren wie gewohnt over the air. Da strahlt nicht nur der Digital Native!
Kein Grund zum Strahlen ist nach wie vor die Verarbeitungsqualität. Chromleisten an der Karosserie sind nicht immer perfekt gefertigt, Spaltmasse sind ungleichmässig. Im Innenraum sitzen gewisse Verkleidungen eher locker und wer an die Türverkleidung oder vor allem an den Dachhimmel klopft, macht das kein zweites Mal, aus Angst, beim nächsten Mal versehentlich etwas kaputt zu machen. Da ist Tesla leider immer noch nicht auf dem Niveau, wo sie sein sollten. Doch offensichtlich scheint es die meisten Kunden nicht sonderlich zu stören… Bei einem deutschen Hersteller wäre eine solche Qualität jedenfalls skandalös.
Genial und fragwürdig
Das Tesla Model 3 bietet wie kaum ein anderes Auto viele geniale Überlegungen. Allerdings kann ich gewissen Dinge nicht ganz nachvollziehen. So muss beispielsweise zum Entriegeln die Chipkarte an die Türsäule gehalten werden und zum Starten muss man sie auf die Mittelkonsole legen. Wieso? Ein herkömmliches Keyless-System mit dem Schlüssel im Hosensack ist doch viel praktischer und einfacher. Dafür wird das Auto mit dem Tritt auf die Bremse ohne Startknopf gestartet. Verriegeln und Entriegeln sowie Starten funktioniert auch mittels der Tesla-App via Bluetooth, allerdings hat das im Test nicht immer zuverlässig funktioniert, weshalb ich zur Sicherheit trotzdem stets die Chipkarte mitführte.
Unspektakulär gut
Dass das Model 3 einen Teil der Zukunft verkörpert, merkt man auch daran, dass das eigentliche Fahrgefühl bei diesem Auto angesichts der ganzen Technik ein wenig in den Hintergrund gerät. Typisch Elektroauto fährt sich das Model 3 angenehm, lautlos und trotz Basismotorisierung mit einem ordentlichen Punch. Überholmanöver oder die Autobahneinfahrt sind ein Klacks, eigentlich braucht kein Mensch mehr Leistung.
Die Lenkung arbeitet ausreichend präzise und durch die tief verbaute Batterie und den in Folge dessen tiefen Schwerpunkt liegt die Limousine auch gut in der Kurve. Das Gewicht ist mit etwas über 1700 Kilo ausserdem verhältnismässig niedrig, was auch der Fahrdynamik und den Fahrleistungen zu Gute kommt. Wer allerdings gerne richtig sportlich fährt, muss zum Performance-Modell greifen: Der potenziell eher sportliche Heckantrieb wird im SR+-Modell vom ESP nämlich gnadenlos auf Sicherheit getrimmt. Auch das Bremsgefühl dürfte aufgrund des weichen Bremspedals besser sein.
Nicht ganz gelungen ist die Fahrwerksabstimmung hinsichtlich des Fahrkomforts. Obwohl das Model 3 eine gute Balance zwischen Sportlichkeit und Komfort bietet, ist die Karosserie vor allem auf der Autobahn ständig in Bewegung. Das Auto «hoppelt» übertrieben gesagt immer ein bisschen, da fehlt dem Ami eine gehörige Portion Geschmeidigkeit.
Kein Reichweiten-Wunder, aber sparsam
Gemäss WLTP soll der Einstiegs-Tesla 409 Kilometer weit kommen und im Schnitt 14,9 kWh/100 km verbrauchen. Da ich viele Autobahn-Kilometer fahre, sind Elektroautos bei mir generell im Nachteil, allerdings hätte ich mir erhofft, dass doch wenigstens 300 Kilometer drin liegen. Unter dem Strich betrug meine Durchschnittsreichweite 270 Kilometer, was für die Langstrecke eher mager ist. Im Alltag aber völlig ausreichend und wer ein günstigeres Fahrprofil als ich aufweist, schafft auf jeden Fall 300 Kilometer mit einer Ladung. Obwohl das Auto im Test hin und wieder rasant bewegt wurde, blieb der Verbrauch mit 18,2 kWh/100 km in Ordnung, was beweist, dass Tesla einen effizienten Antrieb und ein cleveres Energiemanagement entwickeln kann. Laden kann das Model 3 via CCS mit bis zu 250 kW.
Hallo Zukunft!
Der eigentliche Clou bei Tesla ist aber der Autopilot, für den die Amerikaner aber einen satten Aufpreis von 6300 Franken für die Freischaltung verlangen, obwohl sämtliche Hardware bei jedem Tesla verbaut ist. Dafür kann man ein wenig Zukunft schnuppern. Auf der Autobahn fährt das Model 3 im Grunde autonom auf seiner Spur und meistert auch scharfe Autobahnkurven bei hohem Tempo absolut souverän. Was das Auto «sieht», wird auf dem Touchscreen schön visualisiert, auch anstehende Spurwechsel zeigt das Auto animiert auf dem Bildschirm an. Die Hände müssen zwar am Lenkrad bleiben, aber im Gegensatz zu anderen Autoherstellern, die ihre Systeme als Assistenz sehen und stets ein Mitlenken des Fahrers erforderlich ist, ist das im Tesla sogar ausdrücklich nicht erwünscht: Wer dem Autopiloten dreinlenkt, deaktiviert ihn sogleich.
Wirklich revolutionär ist aber die Navigation via Autopilot. Ist das Navi aktiv, wechselt das Auto auf der Autobahn unter optischer Vorankündigung sogar vollautomatisch die Spur oder verlässt die Autobahn. Teilweise funktioniert das sogar auf gut ausgebauten Landstrassen oder Transit-Routen. Man muss aber – unabhängig davon, ob man mit oder ohne Navigation fährt – mit dem Kopf dennoch stets bei der Sache sein. Vor allem abseits der Autobahn erkennt der Autopilot seine eigene Grenze teilweise nicht und beginnt nicht nachvollziehbare Fahrmanöver, die ein manuelles Eingreifen erfordern. Auf der Autobahn funktioniert er aber absolut zuverlässig.
Coole Hilfen
Dass das Modell 3 auch automatisch einparkieren kann, ist angesichts der geballten Ladung an Technik fast schon eine Selbstverständlichkeit. Wer es manuell macht, profitiert dafür von der Einparkhilfe, welche die Entfernung zum Hindernis präzise in Zentimetern auf dem Display anzeigt. Ebenfalls cool ist die Summon genannte Funktion, womit man das Auto via App nach vorne und hinten fernsteuern kann, falls man beispielsweise zuparkiert worden ist. In den USA kann man das Auto damit sogar über eine Distanz von bis zu 46 Metern zu sich rufen, in Europa geht dies aus gesetzlichen Gründen leider (noch) nicht.
Umso enttäuschender ist angesichts des technologischen Know-Hows von Tesla der Fernlichtassistent. Von Matrix-Licht keine Spur, aber das wäre noch okay. Dass der Assistent das Fernlicht aber auch innerorts einsetzt und ausserorts sowie auf der Autobahn andere Verkehrsteilnehmer häufig ignoriert und somit blendet, ist ein No-Go. Ebenfalls überhaupt nicht zu Ende gedacht ist die Tacho-Darstellung. Der wird nämlich ausschliesslich oben links auf dem Touch-Screen angezeigt und liegt somit ausserhalb des Sichtfelds. Der Verzicht auf ein digitales Cockpit ist ja schön und gut, aber wie wäre es dann wenigstens mit einem Head-up-Display? Dass solch banale Dinge in einem Hightech-Auto nicht recht funktionieren, bzw. komplett fehlen, entzieht sich meinem Verständnis.
Massenmarkt ahoi
Ursprünglich versprach Elon Musk für das Basis Model 3 einen Einstiegspreis von 35’000 $. Dieses Versprechen konnte er nicht ganz einhalten, denn das Auto kostet in Übersee ab 39’990 $. Hierzulande liegt der Basispreis bei 44’990 Franken, der Testwagen kommt mit Metallic-Lack und der erweiterten Autopilot-Software auf 53’330 Franken. Das ist ein mehr als attraktiver Preis und nicht nur die Kunden in der Schweiz honorieren das: Der Mittelklasse-Stromer avancierte zum weltweit meistverkauften Auto, auch in der Schweiz führt das Model 3 deutlich die Hitparade der Elektroautos an. Ich kann das nach dem Test sehr gut nachvollziehen, allerdings sollte trotz des ganzen Hypes rund um Tesla nicht unter den Tisch gekehrt werden, dass nach wie vor noch nicht alles perfekt ist.
Alltag
Tesla nutzt das Package des Elektroantriebs und kann einen sehr geräumigen Innenraum mit grossen Ablageflächen vorweisen. Wie bei Tesla üblich ist nebst dem Kofferraum auch noch einen Frunk verfügbar. Die Kofferraum-Öffnung ist aber etwas schmal.
Fahrdynamik
Selbst das Standard-Modell verfügt über genügend Power und gefällt mit einer ausgewogenen Abstimmung. Wer es jedoch richtig sportlich angehen lässt, wird vom ESP rigoros eingebremst. Zudem ist das Bremsgefühl aufgrund des weichen Pedals ebenfalls unsportlich.
Umwelt
Selbst im nicht schonend gefahrenen Test ist der Verbrauch mit 18,2 kWh/100 km im Rahmen geblieben. Das ist für ein Mittelklasse-Modell ein ausgesprochen guter Wert. Längst nicht alle modernen Elektroautos gehen so sparsam mit der Ressource Strom um.
Ausstrahlung
Abgesehen von den bündigen Türgriffen bietet das Model 3 keine Design-Highlights, wirkt aber dennoch schlicht und schnörkellos gezeichnet.
Fazit
+ Schlichtes und elegantes Design
+ Sehr aerodynamische Karosserie
+ Geräumiger Innenraum mit grossen Ablageflächen
+ Zwei Kofferräume
+ Perfekte und schnelle Navigation, die auch Ladestopps mit einberechnet
+ Geniale Bedienung über den zentralen Touchscreen, Software-Updates over the air
+ Starker, geschmeidiger Antrieb
+ Ausgewogenes Handling
+ Vielseitige App-Konnektivität
+ Attraktive Preisgestaltung
+ Fortschrittliche Assistenzsysteme
+ Tiefer Verbrauch
+ Out of the Box Thinking
– Verarbeitungsqualität teilweise mangelhaft
– Miserabler Fernlichtassistent
– Umständliche Chipkarte
– Tachometer befindet sich nicht im Sichtfeld
– Sitzposition etwas zu hoch
– Auf der Autobahn leicht hoppelig
Mängel am Testwagen
– Teilweise scheppernde Geräusche aus dem Unterboden beim Überfahren von Unebenheiten. Ursache war ein nicht korrekt befestigtes Bodenblech.
Steckbrief
Marke / Modell | Tesla Model 3 SR+ |
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Preis Basismodell / Testwagen | 44 990 CHF / 53 330 CHF |
Antrieb | Elektrisch, Heckantrieb |
Akkukapazität | 55 kWh |
Max. Leistung | 225 kW |
Max. Drehmoment | 375 Nm |
Beschleunigung 0–100 km/h | 5,6 s |
Vmax | 225 km/h |
WLTP-Verbrauch / Energieeffizienz | 14,9 kWh /100 km / A |
Test-Verbrauch / Differenz | 18,2 kWh/100 km / +21% |
WLTP-Reichweite | 409 km |
Ø Test-Reichweite | 270 km |
Länge / Breite / Höhe | 4,69 m / 1,85 m / 1,44 m |
Leergewicht | 1708 kg |
Kofferraumvolumen | 542 l |
Bilder: Koray Adigüzel
Spannender Beitrag und das Auto auch. Danke für die ausführliche Beschreibung. 😉