Grenzverschiebung: Tesla Model S Plaid

Es kitzelt dich im Fuss, du willst das Gaspedal durchdrücken, nur: Du fährst bereits Tempolimit. Tesla Model S Plaid zu fahren ist ein Kampf – nicht gegen das Auto, sondern gegen sich selber. Einmal kurz antippen liegt nicht drin, denn dieser Tesla beschleunigt nicht, er spickt nach vorne. Ein Monster im Businessdress, das auf der Viertelmeile auch gestandene Supercars zum Frühstück vernascht. Nur ist die Viertelmeile in unseren Breiten weniger populär. Was kann also das Model S Plaid, wenn die Strasse nicht nur geradeaus führt?

Optisch ist das Model S Plaid an den breiteren hinteren Kotflügeln sowie natürlich am Plaid-Schriftzug am Heck zu erkennen. Auch der Frontspoiler ist etwas grösser als beim Long Range, aber dafür muss man schon ganz genau hinschauen. Überhaupt sieht das 2022er-Modell dem letzten grossen Facelift, bei dem der angedeutete Kühlergrill entfallen ist, sehr ähnlich. Dieses optische Understatement macht die Limousine zu einem Sleeper, wie er im Bilderbuch steht.

2022 Tesla Model S Plaid
Die 21-Zoll-Räder sind optional und kosten auf der Viertelmeile ein paar Hundertstelsekunden. Hierzulande aber völlig irrelevant.

Opulenter Innenraum

Das Cockpit wurde recht stark überarbeitet. Natürlich sticht als erstes das ungewohnte Yoke-Lenkrad ins Auge, aber dazu später mehr. Neu ist der Touchscreen des Infotainmentsystems quer eingebaut wie beim Model 3. Überhaupt wurde die Bedienung noch radikaler, denn selbst Vorwärts- oder Rückwärts wird nun via Touchscreen eingegeben. Ansonsten ist die Bedienung sehr vertraut und das Betriebssystem lässt immer noch fast alle anderen Hersteller alt aussehen. Das Model S verfügt spürbar über Rechenpower en masse, Ladezeiten sind inexistent. Nach wie vor ist es einfach das beste Navi weit und breit, es gibt Gimmicks noch und nöcher und auch die Sprachsteuerung ist so, wie vom Smartphone gewohnt. Ja, das Ablenkungspotenzial ist vorhanden, aber da alles so unglaublich schnell und flüssig läuft, würde ich sagen, es gibt Autos mit mehr Knöpfen, die ein noch grösseres Ablenkungspotenzial haben.

2022 Tesla Model S Plaid
Cleanes Cockpit mit quer eingebautem Touchscreen und Echtholz. Gemäss Tesla-Schweiz-Konfigurator ist als Zierelement bei uns nur Carbon vorgesehen.

Tesla gibt sich sichtlich Mühe, das Model S als Luxus-Auto anzupreisen. Weiches Leder, Echtholz, Velours, hochwertige Kunststoffe – das sieht alles sehr hübsch aus. Auch die Sitze haben eine Überarbeitung erfahren, man sitzt nun besser, tiefer mit mehr Seitenhalt und auch noch belüftet im Model S. Auch hinten sitzt man sehr gut und mit erstaunlich gutem Halt. Nach wie vor ein Manko ist allerdings die Verarbeitungsqualität. Sie ist zwar viel besser als auch schon, wo sich Teile nur schon vom langen anschauen fast lösten. Nichtsdestotrotz ist diesbezüglich noch ein langer Weg zu gehen, denn wer die Hand etwas genauer wandern lässt, stösst immer wieder auf kleinere Mängel, die kein europäischer oder asiatischer Hersteller durchgehen lassen würde.

2022 Tesla Model S Plaid
Blinker, Fernlicht und Hupe werden als Knöpfe bedient, was ebenfalls sehr ungewöhnlich ist.

Die Kraft ist unbeschreiblich

Den Elektro-Irrsinn kann man sich in drei Fahrmodi servieren lassen: Lässig, Sport und Plaid. Unabhängig davon lassen sich Lenkwiderstand und Dämpfer einstellen. Ich sage es mal so: Bei lässig schläft einem das Gesicht ein, kann aber in der Stadt angenehm sein. Sport ist schon schnell, aber alles bekannt und kein Grund, sich einen Plaid anzuschaffen. Darum: Plaid heisst volle Kraft. Auch damit lässt sich das Model S noch ganz easy fahren, aber wer etwas zu schnell aufs Gas geht, macht schon einen rechten Satz nach vorne.

2022 Tesla Model S Plaid
Die Fahr-Einstellungen werden natürlich alle über den Touchscreen vorgenommen.

Was bei Vollgas passiert, lässt sich kaum in Worte fassen: Es ist wie ein abartiger Schlag, das Gehirn kann kaum verarbeiten, wie schnell man gerade wird, man bekommt echt einen Tunnelblick und ehe man sichs versieht, sind 100 km/h mehr auf dem Tacho. Ist die Strasse nicht sehr eben, hat man das Gefühl, es lupft gleich den Vorderwagen, so extrem ist die Beschleunigung.

2022 Tesla Model S Plaid
Die Dämpfer lassen sich auf Wunsch auch stufenlos verstellen.

Den Sprint aus dem Stand hat Tesla ausserdem perfektioniert. Im Dragstrip-Modus (braucht wenige Minuten Vorwärm-Zeit) senkt sich der Wagen ab und presst sich vorne aktiv auf den Asphalt, um kein bisschen Grip zu verlieren. Cheetah (Gepard) nennt Tesla das. Der Start ist Katapult-mässig brutal, aber besonders faszinierend ist, dass der Plaid ab ca. 70-80 km/h nochmal an Kraft zulegt, da seine Spitzenleistung ab dem Stand schlicht zu viel wäre. Im Gegensatz zu allen anderen Elektroautos, die obenraus irgendwann langsamer werden, hält das Model S Plaid seine volle Leistung aufrecht. Es ist eine noch nie dagewesene Kraft und sie hält sehr lange, denn erst ab ca. 20% Ladestand «drosselt» der Tesla seine Leistung, wobei gedrosselt noch etwa dem Niveau eines Audi RS e-tron GT enspricht.

2022 Tesla Model S Plaid
Die Vordersitze bieten ordentlichen Halt – und das ist auch gut so!

Die Kurven können kommen

Das Model 3 Performance fährt ganz ordentlich und zackig um Kurven, das Model S dagegen hatte auf kurvigen Strassen immer seine liebe Mühe. Das Model S Plaid hat sich auch in dieser Disziplin stark verbessert. Insbesondere im Track-Modus, der die Karosserie absenkt und die Dämpfer entsprechend einstellt, schafft eine noch nie dagewesene Verbindlichkeit. In für US-Verhältnissen kurvenreichen Strassen bleibt das Model S lange neutral und schafft auch Querbeschleunigungskräfte von über einem 1G.

2022 Tesla Model S Plaid
Im Rückspiegel erkennt man ebenfalls die breiteren Backen hinten.

Das Problem ist also nicht die Kurvenlage, sondern das Einschätzen des Bremspunktes, wenn man maximal aus der Kurve beschleunigt. Man fliegt dann nämlich so rasant auf die nächste Biegung zu, dass das Hirn einmal mehr fast nicht hinterherkommt. Die Bremsen selber bieten einen guten Druckpunkt, doch wer es 20 bis 30 Minuten ordentlich krachen lässt, bekommt eine Meldung angezeigt, die vor hohen Bremstemperaturen warnt. Überhaupt dürfte die Bremsleistung angesichts der irren Power höher ausfallen. Abhile schafft eine optionale Keramikbremsanalge, die von Tesla offiziell angekündigt wurde.

2022 Tesla Model S Plaid
Der Druckpunkt der Bremse ist exzellent. Ihre Kraft und Ausdauer ist der Elektro-Gewalt des Plaid aber nur bedingt gewachsen. Sehr gut dafür: Die grippigen Reifen.

Ebenfalls nicht so ausdauernd ist der Akku, wenn die Leistung am Berg an sogar auf einer Rennstrecke gefordert wird. Wer sehr sportlich und aggressiv fährt, kommt mit dem 100 kWh-Akkupaket keine 150 Kilometer mehr weit. Bevor man es also längere Zeit krachen lässt besser im Voraus abklären, ob am Ziel oder unterwegs ein Supercharger liegt. Immerhin: Sobald man sich wieder zügelt, fährt das Model S Plaid angesichts seiner Leistung erfreulich sparsam und viel effizienter als alle anderen Hochleistungs-Elektrofahrzeuge.

2022 Tesla Model S Plaid
Freie Supercharger werden auf dem Navi in Echtzeit angezeigt. Geladen wird zuverlässig mit bis zu 250 kW.

Nicht ganz warm wurde ich mit der Yoke-Lenkung. Für amerikanische Strassen mag die Übersetzung gerade noch so ausreichen, dennoch ist es meiner Meinung nach schwieriger, mit diesem Lenkrad um Kurven zu fliegen. Es besteht einfach die Gefahr, dass man im Eifer des Gefechts ins Leere greift, was bei diesem kW-Monster nicht optimal wäre. Darüber hinaus vermittelt die Lenkung generell nicht das beste Gefühl für die Strasse.

2022 Tesla Model S Plaid
Egal wie hart man fährt, die Handys fliegen nicht herum. Unten ist quasi die Not-Steuerung falls der Touchscreen ausfällt.

Aber ein Supersportler oder ein Kurvenräuber möchte der Plaid gar nicht sein. Vielmehr sieht er sich als unglaublich starken Gran Turismo, der auch schnell um Kurven fahren kann. Insbesondere hinsichtlich der Schweiz frage ich mich allerdings, ob man mit dem Tesla Model S Plaid nicht schlicht too much hat. Der Fahrspass in diesem Auto kann grandios sein, aber dafür muss man zwangsläufig das Tempolimit überschreiten und zwar massiv. Denn nur so kann man wenigstens eine ansatzweise befriedigende Dauer der irren Beschleunigung geniessen. Und massives Überschreiten des Tempolimits ist in der Schweiz nicht gerade Vorteilhaft. Das ist es in den USA zwar auch nicht, aber dort fuhr ich das Auto auch nur zwei Tage. Fakt ist: Wer dieses Auto ausnutzen will, tut gut daran, vor der Fahrt ein Stossgebet in den Himmel zu senden und mit extrem wachsamen Augen unterwegs zu sein.

2022 Tesla Model S Plaid
Der Schriftzug ist klein, die Wirkung gewaltig. Mit diesem Auto ist nicht zu spassen, trotz der einfachen Fahrbarkeit.

Was bleibt ist Ehrfurcht

Am Schluss bleibt eine Mischung aus Ehrfurcht und Respekt. Wieder einmal ist Tesla ein Schritt voraus. Das Model S Plaid mag nicht so komfortabel und leise wie eine Mercedes S-Klasse sein. An das Niveau der Verbundenheit und den Kurvendrang eines Porsche Taycan kommt das Model S Plaid auch nicht heran. Aber die unglaubliche Power, das haben sie im Griff. Und wie. Egal ob Lamborghini Aventador SVJ, McLaren 765LT oder Porsche Taycan Turbo S: Geradeaus ist der Tesla König. Was die smarten und digitalen Dienste angeht sowieso. In den USA ist das Model S Plaid ab rund 126’000$ erhältlich. Das entpricht ungefähr dem Basispreis eines Porsche Taycan 4S. Hierzulande sollen die Modelle Anfang 2023 eintreffen. Wenn ihr dann also ein Model S mit Plaid-Schriftzug sichtet: Versucht es gar nicht erst. Egal, was du fährts, du wirst langsamer sein.

2022 Tesla Model S Plaid
Es bleibt abzuwarten, ob der Plaid die finale Krönung darstellt. Es scheint unglaublich, dass noch mehr gehen kann.

Alltag 4.5 out of 5 stars

Das schöne am Plaid ist ja, dass er kein bisschen weniger alltagstauglich ist alle anderen Model S ist. Es gibt genügend Platz für Mitreisende und deren Gepäck, es gibt grosszügige Ablagen und sogar die Möglichkeit, die Schnauze anzuheben. Der Wendekreis ist aber ziemlich gross und eine Allradlenkung gibt es bei Tesla bis dato nicht.

Fahrdynamik 4.5 out of 5 stars

Die Beschleunigung ist einfach nur noch wahnsinnig und man gewöhnt sich nicht wirklich daran. Wer das Fahrwerk entsprechend schäft, fährt auch schnell um Kurven, da das Model S einen sehr tiefen Schwerpunkt besitzt, über einen hohen Griplevel verfügt und das ESP gut regelt. Das Bremsgefühl ist sehr gut, das Feedback in der Lenkung dürfte etwas besser sein. Enge Kurven mag das Model S Plaid nicht und die Stahlbremsen kommen bei forcierter Fahrweise an ihre Grenzen.

Umwelt 4 out of 5 stars

Tatsächlich vermag auch das Model S Plaid sehr sparsam zu fahren, wenn man dem Kitzeln im Fuss widerstehen kann. Grund dafür sind die exzellente Aerodynamik sowie die fortschrittliche Akkutechnik. Aber von nichts kommt halt nichts und wer oft Vollgas gibt, leert halt auch den Akku mit Vollgas.

Ausstrahlung 5 out of 5 stars

Trotz seines gehobenen Alters wirkt das Model S immer noch sehr modern und auch elegant. Als Plaid ist dezente Sportlichkeit zu erkennen.

Fazit 4.5 out of 5 stars

+ Zeitloses, sportliches Design
+ Bequeme Sitze, gute Sitzposition und guter Seitenhalt
+ Üppige Platzverhältnisse
+ Sehr schnelles Infotainmentsystem, top Navigation, smarte Digital-Services
+ Grosse Spreizung der Fahrmodi und des adaptiven Fahrwerks
+ Brachialer, noch nie dagewesener Schub in jeder Temporegion
+ Feinfühliges ESP
+ Individuell anpassbare Parameter im Track-Modus
+ Sehr hoher Grip, extrem neutrales Fahrverhalten
+ Extrem umfangreiche Serienausstattung, preislich fair
+ Autonome Fahrfunktionen auf Autobahnen und beim parkieren top

– Verarbeitungsqualität nicht dem Preis angemessen
– Kein Matrix-Licht
– Yoke-Lenkrad für sportliches Fahren nicht ergonomisch
– Serien-Bremsanlage kommt bei hoher Beanspruchung an ihre Grenzen

Mängel am Testwagen

– Keine Mängel

Steckbrief

Marke / ModellTesla Model S Plaid
PreisAb 126 840 $ (noch nicht in der CH erhältlich)
AntriebElektrisch, Allradantrieb
Akkukapazitätk.A. (brutto) / 100 kWh (netto)
Max. Leistung750 kW
Max. Drehmoment1420 Nm
Beschleu­nigung 0–100 km/h2,1 s
Vmax322 km/h (elektronisch abgeregelt)
Norm-Verbrauch 17,0 kWh/100 km
WLTP-Reichweite628 km
Max. Ladeleistung (DC)250 kW
Länge / Breite / Höhe4,98 m / 1,96 m / 1,44 m
Leergewicht2237 kg
Kofferraumvolumen745 - 1645 l + 150 l Frunk

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